BGHZ 53, 144
Amtl. Leitsätze:
1. Der Käufer, der den Kaufvertrag zu Recht
wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, hat einen Bereicherungsanspruch
auf Rückgewähr des Kaufpreises auch dann, wenn die Kaufsache
bei ihm untergegangen oder beschädigt worden ist und er sie daher
dem Verkäufer nicht oder nur in entwertetem Zustand herausgeben kann.
2. § 327 Satz 2 BGB gilt zugunsten
jedes Rückgewährpflichtigen, der den Rücktritt nicht zu
vertreten hat.
Am 25. Juli 1964 kaufte der Kläger vom Beklagten
einen gebrauchten Mercedes-PKW für 8000 DM. Vereinbarungsgemäß
gab er für 5300 DM einen gebrauchten Peugeot-PKW in Zahlung. Den Peugeot-PKW
hat der Beklagte weiter verkauft.
Der Mercedes-PKW hatte zur Zeit des Verkaufs schon
124 000 km zurückgelegt; der Beklagte hatte den Tachometer auf 74
000 km umstellen lassen, hatte das dem Kläger aber verschwiegen und
ihm versichert, der Tachometerstand von 74 000 km sei zutreffend.
Am 28. Juli 1964 wurde der Mercedes-PKW dem Kläger
ausgeliefert. Am Tage danach wurde er bei einer Fahrt des Klägers
auf der Autobahn stark beschädigt. Mit Schreiben vom 27. August 1964
focht der Kläger den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung
an.
Mit der Klage verlangt der Kläger vom Beklagten
die Zurückzahlung von 6400 DM (1100 DM Barkaufpreis und 5300 DM für
den in Zahlung gegebenen Peugot-PKW).
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das
Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts dahin abgeändert,
daß der Beklagte 6400 DM Zug um Zug gegen Herausgabe des bschädigten
Mercedes-PKW zu zahlen hat. Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das Berufungsgericht nimmt an, daß der
Kläger wegen arglistiger Täuschung zu Recht den Kaufvertrag angefochten
hat. ... (Wird ausgeführt)... Es ist deshalb davon auszugehen, daß
der Kaufvertrag durch die Anfechtung des Klägers rückwirkend
vernichtet worden ist (§ 142 Abs. 1 BGB).
II. Das Berufungsgericht meint, auf Grund der
Anfechtung ergebe sich ein Bereicherungsanspruch des Klägers (§
812 BGB) auf Zahlung von 6400 DM Zug zum Zug gegen Herausgabe des Mercedes-PKW,
an dessen Beschädigung dem Kläger ein Verschulden nicht nachzuweisen
sei. Dem ist entgegen der Ansicht der Revision, die eine Bereicherung des
Beklagten verneint wissen will, beizutreten.
1. Wird ein gegenseitiger Vertrag angefochten,
so entbehren die beiderseitigen Leistungen des rechtlichen Grundes. Sie
sind herauszugeben. Voraussetzung ist aber, wie sich aus § 818 Abs.
3 BGB ergibt, daß der Empfänger noch bereichert ist. Ob noch
eine Bereicherung vorhanden ist, ist grundsätzlich nicht isoliert
für die einzelne Leistung zu betrachten (so die ältere Zweikondiktionen-Theorie),
sondern beurteilt sich danach, ob unter Berücksichtigung der Gegenleistung
für eine Partei noch ein Überschuß bleibt (Saldotheorie,
allgemein anerkannt; anders nur noch Flume, Festschrift für Niedermeyer
S. 103). An einem solchen Überschuß kann es namentlich dann
fehlen, wenn eine der Leistungen untergegangen ist oder an Wert verloren
hat. Nach der Saldotheorie ist dann nicht nur der Empfänger der untergegangenen
oder entwerteten Leistung in dem entsprechenden Umfang nicht mehr bereichert;
er kann auch diesen Verlust nicht auf den anderen Teil überwälzen
und von diesem die dort noch vorhandene Gegenleistung herausverlangen ohne
Rücksicht darauf, daß er selbst nichts mehr zu bieten hat. Wer
also einen Bereicherungsanspruch geltend macht, trägt das Risiko,
daß sowohl seine Leistung noch beim Gegner ist als auch die von ihm
selbst empfangene Leistung noch vorhanden ist (vgl. von Caemmerer, Festschrift
für Rabel Band I S. 333,385; Esser, Schuldrecht 3. Aufl. § 105
11 2; Fikentscher, Schuldrecht 2. Aufl. § 100 VI 3; Flume - trotz
anderen Ausgangspunkts - aaO S. 165 f; Larenz, Schuldrecht 9. Aufl. Bd.
1 § 25 11 b).
Würden diese Grundsätze angewendet,
so könnte das Berufungsurteil nicht bestätigt werden. Nach den
Feststellungen des Oberlandesgerichts ist einerseits nicht zu widerlegen,
daß der Mercedes-PKW bei der Übergabe an den Kläger 8000
DM wert war, und andererseits davon auszugehen, daß er jetzt stark
entwertet ist. Danach ist sicher, daß der Beklagte, wenn es bei dem
Berufungsurteil bleibt, mehr einbüßt als den bei ihm noch vorhandenen
»Überschuß«.
2. Das Oberlandesgericht ist sich bewußt,
daß sein Ergebnis mit der Saldotheorie nicht übereinstimmt.
Es meint im Anschluß an von ihm angeführte Entscheidungen des
Reichsgerichts, der Bereicherungskläger, der den Vertrag wegen arglistiger
Täuschung zu Recht angefochten habe, trage nicht die Gefahr für
Untergang oder Verschlechterung der in seinen Besitz gelangten Gegenleistung
und könne unabhängig von deren Schicksal herausverlangen, was
er selbst geleistet habe.
Die Revision meint, die vom Berufungsgericht herangezogene
Rechtsprechung des Reichsgerichts besage nur, daß der arglistig Getäuschte
seinen Bereicherungsanspruch ohne Abzug auf Herausgabe des von ihm Geleisteten
richten und es dem Täuschen- den überlassen dürfe, seinerseits
die ihm aus seinen Gegenleistungen zustehenden Bereicherungsrechte geltend
zu machen; der Getäuschte werde nur insofern begünstigt, als
er in seiner Rechnung nicht von vornherein die Gegenansprüche des
Täuschenden zu berücksichtigen brauche, was eine wesentliche
Erschwerung seiner Rechtsverfolgung bedeuten würde.
In diesem Sinn drückt sich allerdings die
von Berufungsgericht und Revision angeführte Entscheidung des Reichsgerichts
in SeuffArch 88 Nr. 84 aus (vgl. hierzu auch BGH NJW 1964,39). In Wirklichkeit
geht die Rechtsprechung des Reichsgerichts (Nachweise über sie in
BGB-RGRK 11. Aufl. Anm. 25 vor § 812 BGB) aber weiter und hat in der
Tat einen Bereicherungsanspruch gegen den Täuschenden auch in Fällen
zuerkannt, in denen nach der Saldotheorie kein »Überschuß«
und damit keine Bereicherung mehr vorhanden war (vgl. z. B. RGZ 59,92;
WarnRspr 1910 Nr. 406; in diesen Entscheidungen wird der Anspruch des getäuschten
Grundstückskäufers auf Rückzahlung des Kaufpreises bejaht,
obschon das gekaufte Grundstück bei ihm zwangsversteigert worden war
und nicht zurückgewährt werden konnte, und der Täuschende
wird darauf verwiesen, etwaige anstelle des Anspruchs auf Grundstücksrückgabe
getretene Entschädigungsansprüche geltend zu machen). Diese Rechtsprechung
bedeutet demnach, daß zugunsten des arglistig Getäuschten ausnahmsweise
die Zweikondiktionentheorie angewandt wird (Larenz aaO), daß also,
wie das Berufungsgericht es ausdrückt, nicht saldiert wird.
Der so zu verstehenden Rechtsprechung des Reichsgerichts
stimmt der wohl überwiegende Teil des neueren Schrifttums zu (Fikentscher
aaO; Flume aaO S. 173 f; Larenz aaO und Bd. 2 S. 396 Fußn. 1; Staudinger,
BGB 11. Aufl. § 812 Rdn. 34; Soergel, BGB 10. Aufl. § 818 Rdn.
43; Medicus, Bürgerliches Recht, 2. Aufl. § 12 II 3 b; aA Erman,
BGB 4. Aufl. § 818 Anm. 6 B a cc; BGB-RGRK aaO).
3. Der erkennende Senat tritt der Rechtsprechung
des Reichsgerichts bei.
Wie Larenz (aaO § 25 II b) dargelegt hat,
stellt die Saldotheorie letztlich eine von der Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen
vorgenommene Gesetzeskorrektur dar, die dem Umstand Rechnung trägt,
daß die eine Leistung um der anderen willen gemacht wurde, und es
daher für berechtigt hält, auch die bei nichtigem Vertrag entstehenden
Rückgewährpflichten als von einander abhängig anzusehen.
Es läßt sich deshalb rechtfertigen und ist in der Rechtsprechung
auch so gehandhabt worden, daß bei besonderer Fallgestaltung, abweichend
von der Saldotheorie, als billig ein Ausgleich angesehen wird, bei dem
der Untergang des Gegenstands, den der Bereicherungsgläubiger empfangen
hat, auf Gefahr des Bereicherungsschuldners geht (vgl. dazu von Caemmerer
aaO S. 387). Dieses Ergebnis erscheint jedenfalls als recht und billig
in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der arglistig getäuschte
Käufer die gekaufte Sache nicht mehr zurückgewähren kann,
ohne daß ihm Verschulden an der Unmöglichkeit der Rückgewähr
nachgewiesen werden kann. Das Berufungsgericht verweist nicht zu Unrecht
auf die Regelung beim Rücktritt. Es führt dazu aus, nach §
327 Satz 2 BGB hafte derjenige, welcher den Rücktritt nicht zu vertreten
habe, nur nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten
Bereicherung, brauche also die empfangene, bei ihm untergegangene Sache
nach § 818 Abs. 3 BGB nicht herauszugeben oder zu ersetzen. Trotzdem
könne er nach § 346 BGB in vollem Umfang Rückgewähr
des von ihm Hingegebenen beanspruchen. Im Falle arglistiger Täuschung
müsse der Getäuschte ebenso gestellt werden wie beim Rücktritt
der zum Rücktritt berechtigte, an der Vertragsauflösung unschuldige
Teil.
Diesen Erwägungen tritt der Senat bei. Zwar
weicht die Saldotheorie bewußt von den Rücktrittsregeln, insbesondere
der Vorschrift des § 350 BGB ab, wonach es dem Rücktritt nicht
entgegensteht, wenn der Gegenstand, den der Rücktrittsberechtigte
empfangen hat, durch Zufall untergegangen ist. Gerade in dieser Abweichung
wird ein Vorzug der Saldotheorie gesehen (vgl. Esser aaO; Staudinger aaO
Rdn. 45 a). Das trifft für »normale« Bereicherungsfälle
auch zu. Aber der Gedanke des Berufungsgerichts, der Betrüger dürfe
- auch bei der Abwicklung nach der Anfechtung durch seinen Vertragsgegner
- nicht besser stehen als ein Rücktrittsschuldner, leuchtet ein (vgl.
hierzu auch schon RGZ 59,92).
Zu dem Vergleich des Berufungsgerichts zu der
Lage beim Rücktritt ist noch zu bemerken, daß der Senat auch
keine Bedenken trägt, der Auffassung des Berufungsgerichts über
die Vorschrift des § 327 Satz 2 BGB zu folgen. Die Bedeutung dieser
Bestimmung ist zwar nicht unumstritten. Nach ihrem Wortlaut gilt sie für
den Gegner dessen, der den Rücktritt erklärt, und würde
damit nur einen sehr begrenzten Anwendungsbereich haben, etwa beim Rücktritt
nach § 636 Abs. 1 Satz 1 BGB, nicht aber für die Mehrzahl der
Fälle des gesetzlichen Rücktrittrechts in §§ 325,326
BGB, weil das Rücktrittsrecht dort nur bei Verschulden des Gegners
entsteht. Nach der herrschenden Meinung (Staudinger aaO § 327 Rdn.
29 m. Nachw.) ist der Sinn der Vorschrift, daß stets der Rückgewährpflichtige,
der den Rücktritt nicht zu vertreten hat, nur insoweit haftet, als
er noch b&. reichert ist. § 327 Satz 2 BGB kommt also auch dem
zugute, der mit Recht den Rücktritt erklärt. Diesen Standpunkt
hat auch der erkennende Senat im Urteil VII ZR 41/66 vom 11. Juli 1968
schon eingenommen; er bleibt dabei.
4. Beeinflußt danach die Entwertung des
Mercedes-PKW wegen der vom Beklagten begangenen arglistigen Täuschung
den Bereicherungsanspruch des Klägers nicht, so braucht die in der
Revisionsverhandlung erörterte Frage nicht entschieden zu werden,
ob dasselbe Ergebnis aus einer Anwendung des § 819 BGB folgen würde.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ließe
sich die Annahme rechtfertigen, daß der Beklagte die Anfechtbarkeit
des Vertrags gekannt hat und deshalb nach § 142 Abs. 2 BGB so zu behandeln
ist, als ob er »den Mangel des rechtlichen Grundes« von Anfang
an gekannt hätte. Das würde nach den §§ 819,818 Abs.
4 BGB zur Haftung »nach den allgemeinen Vorschriften« führen,
d. h. gemäß den §§ 292,989 ff, 275,279 BGB (vgl. hierzu
Larenz aaO § 25 II b; Erman aaO Anm. 7 b). Es ergibt sich die Frage,
ob die Anwendung der Saldotheorie schon dann auszuscheiden hat, wenn einer
der Beteiligten verschärft haftet, und auf die Fälle zu beschränken
ist, in denen beide Partner nur auf die Bereicherung haften (vgl. dazu
Larenz aaO § 25 II b; Weintraud, Die Saldotheorie S. 72). Doch kann
es, wie gesagt, offen bleiben, ob die Anwendung des § 819 BGB zu dem
Ergebnis führt, daß sich wegen der Verschlechterung des Mercedes-PKW
die Haftung des Beklagten nicht mindert. Wie dargelegt, kann ihm eine derartige
Minderung schon deshalb nicht zugute kommen, weil er arglistig getäuscht
hat.
5. Da die Saldotheorie nicht zu seinen Gunsten
eingreift, haftet er auf Wertersatz für das, was er erhalten hat.
Der von ihm erlangte Wert von 6400 DM ist nach wie vor in seinem Vermögen
vorhanden. Anderseits braucht der Kläger den Mercedes-PKW nur in dem
beschädigten Zustand herauszugeben und nicht zusätzlich Wert-
oder Schadensersatz zu leisten.