IPR: Eheverbot der Religionsverschiedenheit, ordre public (jetzt: Art. 6 EGBGB) und Befreiung vom Erfordernis eines Ehefähigkeitszeugnisses (jetzt: § 1309 II BGB)

BGH, IV. Zivilsenat, Beschluß vom 12. Mai 1971


Fundstelle:

BGHZ 56,180


Amtl. Leitsätze:

a) Der ausländische Verlobte darf grundsätzlich von der Pflicht, ein Ehefähigkeitszeugnis beizubringen, auch dann nicht befreit werden, wenn der beabsichtigten Eheschließung nach seinem Heimatrecht ein aufschiebendes Eheverbot entgegensteht, dessen Verletzung die Gültigkeit der gleichwohl geschlossenen Ehe nicht beeinträchtigt.
b) Dem ausländischen Eheverbot der Religionsverschiedenheit ist die Beachtung zu versagen, wenn der Ausländer mit einem deutschen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland die Ehe eingehen will.


Aus den Gründen:

Der Antragsteller ist israelischer Staatsangehöriger und Angehöriger der jüdischen Religionsgemeinschaft. Er lebt in Tel Aviv. Er beabsichtigt mit Frau K., die deutsche Staatsangehörige und evangelischer Religionszugehörigkeit ist und in Bielefeld wohnt, die Ehe zu schließen. Beide haben bei dem Standesbeamten in Bielefeld das Aufgebot bestellt. Der Antragsteller hat bei dem Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm beantragt, ihn von der Pflicht zu befreien, ein Ehefähigkeitszeugnis beizubringen. Der Oberlandesgerichtspräsident hat den Antrag abgelehnt. Der Antragsteller hat innerhalb eines Monats bei dem Oberlandesgericht auf gerichtliche Entscheidung angetragen.
II.
Das Oberlandesgericht hält den Bescheid des Oberlandesgerichtspräsidenten für rechtmäßig. Es meint, die begehrte Befreiung könne nicht erteilt werden, weil nach dem für den Antragsteller maßgebenden jüdischen Eherecht Ehen zwischen Juden und Nichtjuden verboten seien und mithin nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB das Eheverbot der Religionsverschiedenheit der beabsichtigten Eheschließung entgegenstehe. Daß eine trotz dieses Eheverbots außerhalb Israels geschlossene Ehe in diesem Staat nachträglich toleriert und faktisch als rechtsgültig behandelt werde, vermöge die Geltung des Verbots nicht in Zweifel zu ziehen. Auch gegen Art. 30 EGBGB verstoße das Eheverbot nicht.
An dieser Entscheidung sieht sich das Oberlandesgericht zunächst gehindert durch einen Beschluß des Oberlandesgerichts in Karlsruhe vom 6. Mai 1965 (VA 3/65), in dem bei einem gleich- gelagerten Sachverhalt der Oberlandesgerichtspräsident angewiesen wurde, den israelischen, der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörenden Verlobten von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses zu befreien, weil die außerhalb Israels geschlossene Ehe ungeachtet des Verstoßes gegen das Eheverbot von den Zivilbehörden in Israel als gültig behandelt werde; nur darauf könne es bei der Entscheidung, ob Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses zu erteilen sei, ankommen. Außerdem hat das Oberlandesgericht in München in einem Beschluß vom 1. Juni 1970 - 9 VA 4/70 (FamRZ 1970,656), der ebenfalls die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses betraf, ausgesprochen, daß das Eheverbot der Religionsverschiedenheit, weil es gegen die Freiheit des religiösen Bekenntnisses verstoße, in Deutschland nach Art. 30 EGBGB nicht mehr anerkannt werden könne. Das Oberlandesgericht hat deshalb die Sache nach § 29 Abs. 1 Satz 2 EGGVG dem Bundesgerichtshof vorgelegt (FamRZ 1971,26).
Die Voraussetzungen für die Vorlage nach dieser Bestimmung sind gegeben. Der genannte Beschluß des Oberlandesgerichts in Karlsruhe ist auf Grund des § 23 EGGVG ergangen und beruht auf einer Rechtsauffassung, die von dem vorlegenden Oberlandesgericht nicht gebilligt wird und für die Entscheidung erheblich ist. Es kann auf sich beruhen, ob die Vorlage darüber hinaus auch deshalb erforderlich ist, weil das vorlegende Gericht von der Ansicht des Oberlandesgerichts in München in seinem Beschluß vom 1. Juni 1970 über die Anwendbarkeit des Art. 30 EGBGB auf das Eheverbot der Religionsverschiedenheit abweichen will. Dem könnte entgegenstehen, daß diese Entscheidung selbst ein Vorlagebeschluß an den Bundesgerichtshof war und daß das damalige Verfahren sich erledigt hat, ohne daß eine Entscheidung in der Sache ergangen ist.
III.
Die Versagung der Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses ist ein nach § 23 EGGVG gerichtlich nachprüfbarer Justizverwaltungsakt (BGHZ 41,136, 138). Mit dem dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung macht der Antragsteller geltend, er sei durch die Ablehnung der Befreiung in seinem Recht, mit Frau K. die Ehe einzugehen, verletzt (§ 24 Abs. 1 EGGVG). Der Antrag ist auch frist- und formgerecht gestellt (§ 26 Abs. 1 EGGVG).
IV.
1. Eine Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses durch den Oberlandesgerichtspräsidenten kommt außer in anderen besonderen Fällen bei Staatenlosen und Angehörigen solcher Staaten in Betracht, deren innere Behörden keine Ehefähigkeitszeugnisse ausstellen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EheG). Innere Behörden Israels erteilen keine Ehefähigkeitszeugnisse (Rdschr. d. BM d. I. vom 22. Juli 1955, StAZ 1955,204; Bergmann, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht 3. Aufl. Bd. III Israel 1967,9, auch dort Fußn. 1). Insoweit liegen die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch den Oberlandesgerichtspräsidenten vor.
2. Die Aufgabe, die der Oberlandesgerichtspräsident bei der Entscheidung über die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses zu erfüllen hat, wird bisweilen dahin umschrieben, er habe zu prüfen, ob durch die Eheschließung in den Heimatstaaten beider Verlobter eine voll gültige Ehe entstehe (BGHZ 41,136, 140; Hoffmann/Stephan EheG 2. Aufl. 1968, § 10 Anm. 29; BGB-RGRK 10./11. Aufl. 1961, § 10 EheG Anm. 36). Das ist aber ungenau, denn die Befreiung kommt auch dann nicht in Betracht, wenn der Eheschließung nach dem Heimatrecht des Antragstellers ein Eheverbot entgegensteht, dessen Nichtbeachtung die Gültigkeit der Ehe nach diesem Recht nicht beeinträchtigt (KG FamRZ 1961, 480, 482; BGB-RGRK § 10 EheG Anm. 37; Beyer StAZ 1957, 29, 33). Denn wie schon der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 EGBGB ergibt, beurteilt sich nach dem Heimatrecht des ausländischen Verlobten nicht nur die Gültigkeit der Ehe, sondern der gesamte Bereich der Eingehung der Ehe.
Die Heirat kann dem Ausländer in Deutschland, außer wenn die Voraussetzungen des Art. 30 EGBGB vorliegen, in keinem Fall ermöglicht werden, in dem das Heimatrecht die Ehe verbietet; welche Folgerungen aus einer Verletzung des Verbots gezogen werden, ist nicht erheblich. Entscheidend ist vielmehr, daß der Heimatstaat dem Verlobten die Eheschließung nicht gestattet. Da der Oberlandesgerichtspräsident die Funktion der inneren Behörde des Heimatlandes übernimmt, die in den Fällen des § 10 Abs. 1 EheG das Ehefähigkeitszeugnis ausstellt (BGHZ 46,87, 93; Gernhuber FamRecht 1964,91), ist er gehalten, auch beim Vorliegen aufschiebender Ehehindernisse des ausländischen Rechts die Befreiung zu verweigern. Das verkennt das Oberlandesgericht in Karlsruhe in dem erwähnten Beschluß vom 6. Mai 1965, der Anlaß zur Vorlage gegeben hat. Richtiger wird die dem Oberlandesgerichtspräsidenten obliegende Aufgabe deshalb dahin umschrieben, er habe zu prüfen, ob sich aus dem Heimatrecht des Antragstellers ein der Eheschließung entgegenstehendes Eheverbot ergebe (Staudinger/Dietz BGB 10./11. Aufl. 1968, § 10 EheG Anm. 154,157).
3. Die Ansicht, der Oberlandesgerichtspräsident dürfe ausnahmsweise die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auch dann verweigern, wenn nach dem ausländischen Recht kein Eheverbot bestehe, wird überwiegend abgelehnt (KG FamRZ 1961, 480, 483; Hoffmann/Stephan § 10 Anm. 30; Staudinger/Dietz § 10 EheG Anm. 154; Dölle FamRecht. Bd. I 1964,152; Gernhuber 91; Gamillschegg Göttinger Festschrift für OLG Celle 1961, 61, 63; Beyer StAZ 1957, 29, 32; aA OLG Celle NJW 1962, 1160, 1161, BGB-RGRK § 10 EheG Anm. 36, Guggumos StAZ 1964, 54, 55). Der herrschenden Ansicht ist zuzustimmen. Für sie spricht, daß die Befreiung kein Gnadenakt, sondern ein Justizverwaltungsakt ist und daß es auf eine Vermehrung der Ehehindernisse hinauskäme, wenn der Oberlandesgerichtspräsident sich trotz des Fehlens von Eheverboten der Eheschließung sollte widersetzen können. Überdies ist die früher bestehende Vorschrift, daß bei der Entscheidung über die Befreiung die gesamten Verhältnisse der Verlobten zu berücksichtigen seien (§ 8 Abs. 2 Satz 1 1. DVO - EheG a. F., § 8 Abs. 2 Satz 1 AVO - EheG BrZ a. F., Art. 5 VI § 8 Abs. 2 Satz 1 saarl. RAG a.F.), durch Art. 9 I Nr. 11,25 und 27 des Familienrechtsänderungsgesetzes vom 11. August 1961 (RGBl I 1221) aufgehoben worden.
4. Es ist also zunächst erheblich, ob ein aus dem Heimatrecht des Antragstellers hervorgehendes Eheverbot der Eheschließung mit Frau K. entgegensteht.
Auszugehen ist davon, daß das israelische internationale Privatrecht nicht auf die deutsche oder eine andere Rechtsordnung zurückverweist oder weiterverweist. Nach Art. 64 der Palestine Order in Council 1922 in der Fassung von 1935 und 1947 (Bergmann 9) ist in Angelegenheiten, die den Personenstand von Ausländern betreffen, in der Regel das persönliche Recht des Ausländers anzuwenden, und dieses persönliche Recht ist sein Heimatrecht, soweit es nicht auf das Recht des Wohnsitzes verweist. Ob auch für israelische Staatsangehörige jüdischer Religion nach dem Recht des Staates Israel deren Heimatrecht maßgebend ist oder nicht vielmehr das Domizilprinzip gilt (Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, mitgeteilt bei Ferid/Kegel/Zweigert Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht 1967 und 1968, 1970, 209, 214), mag dahinstehen. In jedem Fall ist hier das für den in Tel Aviv wohnenden Kläger maßgebende materielle Eherecht des Staates Israel anwendbar.
5. Im Staat Israel gibt es kein für alle Staatsangehörigen einheitliches Eherecht. Nach Art. 1 des staatlichen Gesetzes betreffend die Zuständigkeit der Rabbinatsgerichte, durch das die Palestine Order in Council 1922 in der Fassung von 1935 und 1947 geändert wurde, soweit sie für die Juden galt (Bergmann 9 Fußn. 2,25 Fußn. 1), erfolgt die Eheschließung von Juden in Israel nach dem jüdischen religiösen Gesetz. Diese Bestimmung betrifft nach herrschender israelischer Ansicht nicht nur die Form der Eheschließung, sondern enthält eine materiellrechtliche Norm für diese; insbesondere wird auch wegen des Vorliegens von Eheverboten auf das jüdische religiöse Recht verwiesen (Freudenheim Staatsordnung Israels 1963,109). Ein sich aus diesem für einen Juden israelischer Staatsangehörigkeit ergeben des Eheverbot steht demnach auch nach staatlichem Recht der Eingehung der Ehe entgegen.
Nach dem jüdischen Recht ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren ist oder zum Judentum übertritt (Scheftelowitz Religiöses Eherecht im Staat 1970, 37, 178). Der Antragsteller ist Jude im Sinne dieser Vorschriften und fällt also unter die die Eheschließung regelnden Vorschriften des jüdischen religiösen Rechts. Nach diesem Recht ist eine Ehe zwischen einem jüdischen und einem nichtjüdischen Partner nichtig, und zwar derart, daß sie als Nichtehe gilt (Bergmann 19; Scheftelowitz 178). Einem israelischen Staatsangehörigen jüdischer Religion ist es mithin nach seinem Heimatrecht verboten, die Ehe mit einem Partner einzugehen, der einer nichtjüdischen oder keiner Religionsgemeinschaft angehört.
Doch wird von den staatlichen Behörden und Gerichten in Israel eine im Ausland vorgenommene Eheschließung offenbar auch dann als gültig anerkannt, wenn dort ein israelischer Staatsangehöriger jüdischer Religion eine Person mit einer anderen Religionszugehörigkeit geheiratet hat (Bergmann 8 Fußn. 1; Scheftelowitz 179; ferner das in dieser Sache eingegangene Schreiben der Botschaft des Staates Israel in Bad Godesberg vom 29. Mai 1970; zweifelnd Gutachten bei Ferid/Kegel/Zweigert 209,218).
6. Da der israelische Staat eine außerhalb seines Bereichs von einem Juden israelischer Staatsangehörigkeit geschlossene religiöse Mischehe offenbar anerkennt, sind Zweifel an dem Bestehen des Eheverbots überhaupt erhoben worden (Erman/Arndt BGB 4. Aufl. 1967, Art. 30 EG Anm. 4 b). Sie sind nicht berechtigt. Wenn der israelische Staat die Umgehung des in seinem Bereich geltenden Eheverbots durch Eheschließungen im Ausland duldet, indem er sich mit den dort geschlossenen Ehen abfindet und sie als solche behandelt, so ändert das nichts daran, daß das Eheverbot für die israelischen Staatsangehörigen jüdischer Religion gilt, solange das staatliche Recht insoweit die religiösen Vorschriften maßgebend sein läßt. Man könnte allenfalls fragen, ob das Eheverbot räumlich beschränkt ist und nur für Eheschließungen gilt, die im israelischen Staatsgebiet vollzogen werden. Doch kann das dahingestellt bleiben, da bei der gegebenen Sachlage dem Eheverbot auch dann, wenn es nach dem israelischen Recht für die außerhalb Israels geschlossenen Ehen gelten sollte, nach Art. 30 EGBGB die Beachtung versagt werden müßte.
7. Die Frage, ob das ausländische Eheverbot der Religionsverschiedenheit nach dieser Vorschrift unberücksichtigt zu bleiben hat, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum unterschiedlich beantwortet worden.
Das Reichsgericht hat den nicht mehr geltenden § 64 des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs, der die Ehe zwischen Christen und Nichtchristen verbot, zunächst deshalb als gültig bezeichnet, weil die Vorschrift sich nicht gegen die einer bestimmten Religion angehörenden Personen richte (RGZ 132, 416, 418). In der nationalsozialistischen Zeit hat das Reichsgericht die Anwendung des § 64 ABGB als geeignet bezeichnet, die damals vom deutschen Gesetzgeber verfolgten rassischen Zielsetzungen zu fördern (RGZ 148, 383, 384). Dieses Urteil gibt mithin für die jetzt zu treffende Entscheidung nichts her. Ferner hat das Oberlandesgericht in Karlsruhe im Jahre 1917 angenommen, daß der Anwendung des nach dem früheren russischen Recht bestehenden Verbots der Ehe zwischen Christen und Nichtchristen Art. 30 EGBGB nichts entgegenstehe (OLGRspr. 35, 358, 359). In Anschluß an die Ausführungen von Beer (NiemeyersZ 1909, 1, 16) heißt es dort, es würde eher ein Mangel an Neutralität und eine Intoleranz gegenüber einem Staat mit religiösem Eherecht bedeuten, wenn man seine Vorschriften bloß wegen ihres religiösen Charakters nicht anerkennen wollte. In neuerer Zeit hat das Oberlandesgericht in Oldenburg dem nach iranischem Recht bestehenden Verbot einer Ehe zwischen einer Muselmanin und einem Nichtmuselmanen Beachtung geschenkt (StAZ 1969, 40, 41). Es hat dabei im Anschluß an Neuhaus (FamRZ 1964, 609, 612) das gesellschaftliche und damit rechtliche Gewicht religiöser Vorstellungen im Heimatland des Ausländers sowie die Tatsache berücksichtigt, daß national gemischte Ehen ohnehin größeren Spannungen ausgesetzt seien, daß deshalb eine solche Ehe bei Nichtbeachtung eines trennenden Ehehindernisses des anderen Staates als sogenannte hinkende Ehe noch besonders gefährdet wäre (ähnlich Neuhaus StAZ 1965, 279, 280,281 mit dem weiteren Hinweis, daß eine verschärfte Anwendung der Vorbehaltsklausel nicht in die gegenwärtige Zeit der zunehmenden internationalen Verflechtungen passen würde). Im Schrifttum haben sich für die Beachtung des Eheverbots der Religionsverschiedenheit ferner ausgesprochen Staudinger/ Raape BGB 9. Aufl. 1931 Art. 13 EG Anm. III 2 a, Palandt/ Lauterbach BGB 30. Aufl. 1971 Art. 13 EG Anm. 4 b, Serick in Festgabe für Gutzwiller 1959, 395, 404, Gamillscheg in Festschrift für Nipperdey Bd. I 1965, 323, 335, Henrich StAZ 1966, 301, 302.
Dem stehen Entscheidungen und Schrifttumsäußerungen gegenüber, nach denen das Eheverbot der Religionsverschiedenheit gemäß Art. 30 EGBGB unanwendbar sein soll. Zu nennen ist zunächst eine Entscheidung des Oberlandesgerichts in Hamburg aus dem Jahre 1908 (NiemeyersZ 1908, 541, 543), die den § 64 des österreichischen ABGB betrifft und in der auf das Gesetz des Norddeutschen Bundes, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung, vom 3. Juli 1869 (BGBl 292) Bezug genommen wird sowie auf Art. 2 Abs. 3 des Haager Eheschließungsabkommens vom 12. Juni 1902 (RGBl 1904,221). Das Oberlandesgericht in München (FamRZ 1970,656) hat dieselbe Auffassung unter Berufung auf den Grundsatz der Freiheit des religiösen Bekenntnisses unter anderem bestätigt gefunden durch die die völlige Freiheit der Ehegattenwahl fordernde Präambel des Übereinkommens über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen vom 10. Dezember 1962, dem die Bundesrepublik beigetreten ist (Gesetz vom 7. Februar 1969 BGBl II 161; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit dem 7. Oktober 1969, Bek. vom 17. Februar 1970, BGBl. II 110). Als Disqualifizierung der Bekenntnisfremden, die durch das Gesetz vom 3. Juli 1869 untersagt sei, hat Neumeyer (StAZ 1925, 313, 318) das auf religiöser Grundlage entwickelte Eheverbot der Religionsverschiedenheit bezeichnet. In neuerer Zeit haben andere Schriftsteller zur Begründung ihrer Auffassung, das Eheverbot der Religionsverschiedenheit dürfe in der Bundesrepublik nicht beachtet werden, den Art. 3 Abs. 3 GG (Mergenthaler StAZ 1965,134) oder Art. 4 Abs. 1 GG (Staudinger/Dietz § 10 EheG Anm. 149; Stöcker StAZ 1968, 33, 40) herangezogen. Stöcker betont, daß dem Eheverbot jedes rational zugängliche und damit im Sinn des Art. 30 EGBGB zweckhafte Element fehle. Außerdem wird das Eheverbot verworfen von Frankenstein IPR 1926 Bd. I, 213, Lewald IPR 1931,32, Martin Wolff IPR 1954,190, Ferid StAZ 1954, 19, 20, Erman/ Marquordt Art. 13 EGBGB Anm. 12, SoergeI/Siebert/Kegel BGB 10. Aufl. 1970 Art. 13 EG Anm. 111.
Bisweilen wird das Eheverbot der Religionsverschiedenheit für unverbindlich gehalten, wenn eine starke Bindung eines Beteiligten oder beider Beteiligter an den deutschen Rechtskreis besteht oder die entgegen dem Verbot geschlossene Ehe im Heimatstaat des Verlobten, für den das Verbot gilt, toleriert wird (OLG München FamRZ 1970, 409, 410; Erman/Arndt Art. 30 EGBGB Anm. 4 b; Nußbaum IPR 1932,133; Wengler JZ 1964, 621, 623).
Man wird sagen können, daß in der Zeit bis zum Ende des zweiten Weltkrieges vor allem in der Praxis die Auffassung überwog, das Eheverbot der Religionsverschiedenheit sei zu beachten. Die jahrzehntelange Übung des preußischen Justizministeriums ging ; jedenfalls dahin (Bericht eines Beauftragten des Justizministers an den Landtagsausschuß für das Rechtswesen vom 22. Oktober 1929, Drucks. d. Preuß. Landtags 3. Wahlperiode Nr. 3725 S. 3269, mitgeteilt in RabelsZ 1930, 390, 398). Dem entspricht es, daß vor dem Abschluß des Haager Eheschließungsabkommens der deutsche Vertreter bei der Besprechung der Frage, ob einzelne Vertragsstaaten es mit der garantierten Religionsfreiheit für vereinbar hielten, die Eheschließung aus Gründen religiöser Natur zu versagen, betonte, Deutschland könne sich verpflichten, alle durch die Gesetze der Vertragsgenossen vorgesehenen Ehehindernisse zu respektieren (mitgeteilt bei Beer NiemeyersZ 1909,1. 20 und RabelsZ 1930, 390, 399).
Doch können die damaligen Auffassungen nicht ohne weiteres Geltung auch für die Gegenwart beanspruchen.
Bereits in Art. 2 Abs. 3 und Art. 3 des Haager Eheschließungsabkommens, dem Deutschland seinerzeit beigetreten ist, werden gewisse Vorbehalte gegenüber dem Eheverbot der Religionsverschiedenheit deutlich, wenn es auch nicht angängig ist, die Bestimmungen eines internationalen Abkommens, die auf einem zwischen den damaligen Vertragsstaaten geschlossenen Kompromiß beruhen, zur Auslegung der innerstaatlichen Rechtsordnung heranzuziehen (Beer NiemeyersZ 1909, 1, 18). Bedeutsamer in diesem Zusammenhang ist das Übereinkommen vom 10. Dezember 1962 über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen, dem die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls beigetreten ist, um sich in den Kreis der Staaten einzureihen, die an der Sicherung der menschlichen Grundrechte und Grundfreiheiten mitwirken wollen (Denkschrift zu dem Übereinkommen, BT-Drucks. V/1805,22). In der Präambel des Übereinkommens ist auf Art. 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verwiesen, in dem das Recht volljähriger Männer und Frauen festgestellt wird, ohne Beschränkung durch Rasse, Staatsangehörigkeit oder Religion zu heiraten und eine Familie zu gründen. Durch ihren Beitritt zu dem Übereinkommen, dem die gesetzgebenden Organe zugestimmt haben, hat sich die Bundesrepublik Deutschland zu diesem Recht und damit dazu bekannt, daß religiöse Erwägungen bei der Ermöglichung der Eheschließung durch den Staat grundsätzlich auszuscheiden haben.
Dem auf religiöser Grundlage beruhenden Eheverbot des jüdischen Rechts liegt eine gewisse Separierung der Anhänger der jüdischen Religionsgemeinschaft gegenüber Andersgläubigen zugrunde, die von ihren eigenen Zielsetzungen her verstanden werden muß. In einer Rechtsgemeinschaft, in der ein derartiges Eheverbot geltendes Recht ist, beruht anders als im deutschen Rechtsbereich das Gemeinschaftsleben auf einer einheitlichen religiösen Grundlage. In der gemeinsamen Grundüberzeugung findet dort ein solches die Freiheit des einzelnen beeinträchtigendes Verbot seine Rechtfertigung. Man wird nicht sagen können, daß dem Eheverbot der Religionsverschiedenheit nur die Sorge um das Seelenheil der Glaubensanhänger zugrunde liege; es handelt sich um eine Schutzvorschrift auch für die religiöse Gemeinschaft selbst, die eine eigene geistige Kraft im Leben der Völker darstellt und darstellen will. In sie ist der einzelne eingegliedert, von ihr wird er umfaßt und getragen, und ihren Geboten hat er sich nach der Rechtsüberzeugung der Anhänger der Gemeinschaft zu fügen. In einem solchen Eheverbot ist keine Verletzung der Unantastbarkeit der Menschenwürde, des Gleichheitssatzes oder des Grundsatzes der Unverletzlichkeit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1,3, Art. 4 Abs. 1 GG) zu finden.
Wohl aber steht ein solches Eheverbot im Widerspruch zu den Bestimmungen des Art. 33 Abs. 3 und des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1,2 WRV und den mit diesen Vorschriften verfolgten Zwecken (Wengler JZ 1964, 621, 623; Erwin Fischer NJW 1964, 1323, 1324). Danach ist der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte unabhängig von dem religiösen Bekenntnis und werden die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Dem Staat ist es demnach verwehrt, bürgerliche Rechte unter Gesichtspunkten der Religionszugehörigkeit seiner Bürger einzuschränken. Dabei handelt es sich um ein für unsere Rechtsordnung grundlegendes Prinzip, das im allgemeinen Rechtsbewußtsein verankert ist und dessen Geltung auch im internationalen Rechtsbereich immer mehr anerkannt wird. Gilt das im ausländischen Recht enthaltene Eheverbot auch in erster Linie für den Ausländer, so ist doch zu beachten, daß die Versagung der Eheschließung eine den deutschen Verlobten stark treffende Beschränkung seiner bürgerlichen Freiheit darstellen würde, die nur aus sehr gewichtigen Gründen hingenommen werden könnte.
Die Vorschrift des Art. 30 EGBGB greift ein, wenn im Einzelfall das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in einem so schwerwiegenden Widerspruch steht, daß die Anwendung des ausländischen Rechts als untragbar angesehen werden muß (BGHZ 50,370, 376; 54,123, 130; 54,132, 140). Nur unter diesen Voraussetzungen führt auch ein Widerspruch des ausländischen Rechts zu verfassungsrechtlichen Grundsätzen des eigenen Rechtsbereichs dazu, daß das ausländische Recht außer Anwendung bleibt (BGHZ 42,7, 12; 54,123, 129; 54,132, 140). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Es wäre nach den das deutsche Recht beherrschenden Grundsätzen untragbar, wenn ein deutscher Staatsangehöriger deshalb gehindert wäre, mit seinem Verlobten in der Bundesrepublik Deutschland die Ehe einzugehen, weil beide verschiedener Religionszugehörigkeit sind.
Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß national gemischte Ehen von vornherein größeren Gefährdungen ausgesetzt seien. Die Eheschließung steht im freien Willen der Verlobten, und die mit ihr verbundenen Gefährdungen müssen die Verlobten in eigener Verantwortung auf sich nehmen. Der Senat vermag dem Umstand, daß der ausländische Ehegatte sich möglicherweise in seinem Heimatland von der Ehe und den mit ihr verbundenen Pflichten lossagen kann, und daß dadurch für den deutschen Ehegatten und die Kinder erhebliche Schwierigkeiten eintreten können, kein so großes Gewicht beizulegen, wie es der frühere IV. Zivilsenat bei einem insoweit vergleichbaren Sachverhalt getan hat (BGHZ 41,136, 145). Auf der anderen Seite kann es auch zu erheblichen Mißhelligkeiten führen, wenn den Verlobten die Möglichkeit einer Eheschließung mit Gültigkeit wenigstens für den eigenen Rechtsbereich verschlossen bleibt. Im übrigen besteht hier für den Antragsteller und seine Verlobte kaum die besondere Gefährdung, die darin liegen könnte, daß die Ehe im Heimatstaat des einen Beteiligten von den staatlichen Dienststellen nicht anerkannt wird.
V.
Die von dem Antragsteller begehrte Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses darf nach alledem nicht wegen des jüdischen Eheverbots der Religionsverschiedenheit versagt werden.
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