BGHZ 60, 319: Fahrlässige Falschangaben über mängelbegründende Eigenschaften, Konkurrenz §§ 459 ff BGB zur c.i.c. ("Seegrundstück-Fall")
 


Leitsatz:

Fahrlässige Angaben oder Nichtangaben des Verkäufers über Eigenschaften der Kaufsache begründen keinen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo. Die Haftung des Verkäufers für Eigenschaften der Kaufsache bestimmt sich - abgesehen vom Falle des Mangelfolgeschadens - allein nach den Gewährleistungsvorschriften der §§ 459 ff BGB.


Sachverhalt:

Der Kläger hat vom Beklagten ein Grundstück gekauft, das mit einem gemieteten Uferstreifen von ein und derselben Hecke eingefriedet war. Er wirft dem Beklagten vor, diesen Umstand verschwiegen zu haben. Der Tatrichter hat Arglist verneint. Die Übereignung ist unmöglich geworden, weil die Bodenverkehrsgenehmigung versagt worden ist. Der Beklagte ist zur Herausgabe des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des Grundstücks verurteilt. Der Kläger begehrt außerdem Ersatz der Zinsen, die er für die Beschaffung des Kaufpreises aufgewendet hat

Aus den Gründen:

Es mag auf sich beruhen, ob der Beklagte unter den festgestellten näheren Umständen verpflichtet gewesen wäre, möglichen Irrtümern des Klägers über Lage und Begrenzung des Kaufgrundstücks vorzubeugen, weil die Hecke fremden Grund und Boden einschloß, oder ob es Sache des Klägers gewesen wäre, sich vor dem Kauf über die Grenzen des Grundstücks zu unterrichten. Die vom Berufungsrichter vermißte Aufklärung betraf die Frage, ob das Grundstück an den See stoße, mithin eine Eigenschaft der Kaufsache. Auf fahrlässige Angaben oder Nichtangaben des Verkäufers über Eigenschaften der verkauften Sache kann aber ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens (des Interesses am Nichtzustandekommen der vertraglichen Bindung), wie ihn der Kläger erhebt, nicht gegründet werden. Vielmehr bestimmt sich die Haftung des Verkäufers für Eigenschaften der Sache - sieht man von dem Falle eines Mangelfolgeschadens an anderen Rechtsgütern des Käufers (positive Vertragsverletzung) ab - allein nach den Gewährleistungsvorschriften der §§ 459 ff BGB: der Käufer kann seine Vertragserklärung nach Gefahrübergang nicht mehr wegen Irrtums über eine Eigenschaft der Kaufsache anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB) und sich nicht darauf berufen, daß eine bestimmte Eigenschaft für beide Teile Geschäftsgrundlage des Vertrages gewesen sei (RGZ 135,339,346; BGHZ 34,32; vgl. auch BGH WM 1971,1016); Schadensersatz sieht § 463 BGB nur bei unrichtiger Zusicherung und bei arglistigem Verschweigen oder arglistiger Vorspiegelung von Sacheigenschaften vor.
Die Auffassung, daß das Gewährschaftsrecht der §§ 459 ff BGB eine Haftung für fahrlässige Angaben oder Nichtangaben des Verkäufers über Eigenschaften der Kaufsache ausschließe, hat das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung vertreten (statt vieler: RGZ 135,339,346; 161,330,337). Sie wird durchweg auch von den Kommentaren zum Bürgerlichen Gesetzbuch geteilt (statt vieler: Staudinger, 11. Aufl. Rdz. 19 vor § 459; aA Erman, 5. Aufl. § 276 Rdz. 114, wonach die Haftung für culpa in contrahendo wiedereintreten soll, wenn der Vertrauensschaden den Nichterfüllungsschaden übersteigt).
Der Bundesgerichtshof hat die Frage wiederholt offen gelassen oder nur beiläufig behandelt (Zusammenstellung in BGH NJW 1970,653,655). Der erkennende Senat teilt die Auffassung des Reichsgerichts. Die im Schrifttum dagegen erhobenen Einwendungen (vgl. Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht 15. Aufl. S. 453; Larenz, Schuldrecht 10. Aufl. Bd. 2 S. 62; Diederichsen BB 1965,401) überzeugen ihn nicht.
Die §§ 459 ff BGB enthalten eine ins einzelne gehende Regelung für den Fall, daß die Kaufsache bestimmte für den Käufer wichtige Eigenschaften nicht besitzt. § 463 Satz 2 BGB regelt einen Tatbestand des Verschuldens vor oder bei Vertragsschluß durch Nichtangabe oder Angabe von Sacheigenschaften; die Vorschrift knüpft Rechtsfolgen aber nur an eine Arglist des Verkäufers. Die §§ 462,467 BGB sehen eine Rückabwicklung des Kaufvertrages mit Rücksicht auf bestimmte Eigenschaften der Kaufsache vor und schließen eine Haftung des Verkäufers für die Vertragskosten des Käufers und eine Verzinsung des entrichteten Kaufpreises ein. Ähnliche Forderungen erhebt der Kläger. Die Wandlungsvorschriften bestimmen aber die Voraussetzungen der Rückabwicklung anders und deren Umfang enger, als dies für eine Verschuldenshaftung auf den Vertrauensschaden in Betracht käme. Fahrlässigkeit des Verkäufers bei der Unterrichtung des Käufers über die Eigenschaften der Kaufsache führt als solche nach diesen Bestimmungen, auch wenn sie den Kaufentschluß mitverursacht hat, weder zur Rückabwicklung des Vertrages noch zu einer Schadensersatzhaftung auf das Erfüllungs- oder auf das Vertrauensinteresse. Es kann nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe außer Betracht gelassen, daß auch Fahrlässigkeit des Verkäufers in diesem Punkte zu einem für den Käufer unerwünschten Vertrage führen kann, oder er habe es der Rechtsprechung überlassen wollen, neben der gesetzlichen Verkäuferhaftung für Gebrauchstauglichkeit und zugesicherte Eigenschaften aus allgemeinen Grundsätzen eine Haftung für Jahrlässige Angabe oder Nichtangabe von Mängeln oder sonstigen Eigenschaften der Kaufsache zu entwickeln. Dies kann um so weniger angenommen werden, als die Rechtsprechung bald nach dem Inkrafttreten des Gewährleistungsrechts die Frage, ob die Verkäuferhaftung einer Ergänzung fähig sei (vgl. RGZ 52,18), und die allgemeinere Frage, wieweit Vertragspartner für ein Verschulden bei den Vertragsverhandlungen einzustehen haben (vgl. RG JW 1912,743), wiederaufgreifen mußte.
Die besondere Regelung der §§ 459 ff BGB bringt die Interessen des Verkäufers an einer sicheren und schnellen Abwicklung des Kaufs und die des Käufers am Erwerb einer seinen Vorstellungen entsprechenden Kaufsache zum Ausgleich. Dabei räumt sie dem Käufer eine günstige Stellung ein, wenn sie den Verkäufer für Brauchbarkeit der Sache und zugesicherte Eigenschaften auch ohne Verschulden haften läßt (§§ 462,463 S. 1 BGB). Andererseits schließt sie Schadensersatz wegen fahrlässiger Angabe von Eigenschaften, die nicht zum Gegenstande einer Zusicherung gemacht werden, und wegen fahrlässiger Nichtangabe von Sacheigenschaften, die nicht den gewöhnlichen oder vertraglich vorausgesetzten Gebrauch beeinträchtigen, den Käufer aber aus anderen Gründen vom Kaufe abhalten könnten, aus. Diese Folgerung beruht nicht auf einem Umkehrschluß aus § 463 BGB; vielmehr bestimmen und begrenzen die Vorschriften des Gewährschaftsrechts in ihrer Gesamtheit die Haftung des Verkäufers für Eigenschaften der Sache. Es handelt sich deshalb auch nicht darum, daß eine einzelne Vorschrift des Gewährschaftsrechts wie § 463 BGB lediglich dazu bestimmt sei, eine anderweit begründete Haftung auf den Vertrauensschaden zur Haftung auf das Erfüllungsinteresse zu »verschärfen«. Ebensowenig kann der weitere Ausbau der Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen in anderer Richtung eine Aufgabe der von Rechtsprechung und Kommentaren durchweg anerkannten Grenzen der Sachmängelhaftung rechtfertigen.
Für die Klage ist demnach nichts daraus herzuleiten, daß der Beklagte einem möglichen Irrtum des Klägers über Lage und Grenzen des Kaufgrundstücks nicht vorgebeugt hat.
Ob ein Zurückbehaltungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB), wie es dem Beklagten zusteht, ebenso wie andere verzögerliche Einreden den Eintritt des Verzuges hindert (RGZ 126,280, 285) oder ob es dazu vom Schuldner geltend gemacht werden muß (RGZ 77,436,438), braucht hier nicht grundsätzlich entschieden zu werden. Denn jedenfalls erübrigt sich die Einrede, wenn ihre Abwendung durch den Gläubiger im Wege der Sicherheitsleistung (§ 273 Abs. 3 BGB) nicht in Frage steht. Der Kläger hatte dem Zurückbehaltungsrecht des Beklagten in seinem Prozeßantrage voll Rechnung getragen. Er hatte weder Sicherheit für die Erfüllung der ihm obliegenden Leistungen erbracht und auf Zahlung geklagt, noch hatte er auf Zahlung geklagt und abgewartet, ob der Beklagte die Einrede erhebe, um dann Sicherheit zu leisten. Sein Antrag besagte, daß ?r für die eigenen Verpflichtungen nicht Sicherheit leisten, sondern sie Zug um Zug gegen die Erfüllung der Klageforderung erbringen wollte. Mit diesem Antrage übernahm er das Risiko, daß eine Zuvielforderung den Beklagten berechtigte, den Kaufpreis weiter einzubehalten.
Aus diesem Grunde stehen dem Kläger auch keine Verzugs- und Prozeßzinsen zu (BGHZ 55, 198).



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