Haftung aus pVV: Haftungsmaßstab bei Verletzung
einer Schutzpflicht; Reichweite der Haftungsmilderung des Schenkers nach §
521 BGB ("Kartoffelpülpe-Fall")
BGH, Urt. vom 20. November 1984
Fundstelle:
BGHZ 93, 23
NJW 1985, 794
Amtl. Leitsatz:
a) Die Haftungsmilderung des § 521 BGB greift
nicht ein, wo es um die Verletzung von Schutzpflichten geht, die nicht im
Zusammenhang mit dem Gegenstand der Schenkung stehen. Besteht ein derartiger
Zusammenhang, dann ist die Haftung gemäß § 521 BGB gemildert (offen gelassen
für Werbegeschenke).
b) Die Haftungsmilderung des § 521 BGB muß, soweit sie dem Schenker bei
Verletzung seiner vertraglichen oder vorvertraglichen Schutzpflichten zugute
kommt, auch auf Ansprüche des Beschenkten aus unerlaubter Handlung
durchschlagen (Anschluß an BGHZ 46,140,145; BGH NJW 1954,145).
Sachverhalt:
Der Kläger ist Landwirt. In seinem Stall standen im Dezember 1980 98
Bullen. Am 17. Dezember 1980 lieferte ein Fahrer der Beklagten auf dem Hof
des Klägers flüssige Kartoffelpülpe an. Der Kläger ließ davon soviel in die
Futtertröge der Bullenställe einfülIen, wie diese faßten, nämlich etwa 6,9
t. Nachdem die Bullen von der Pülpe gefressen hatten, erkrankten sie zum
Teil schwer. 40 Bullen verendeten oder mußten getötet werden; bei den
übrigen Tieren stellte sich eine geringere Gewichtszunahme ein als üblich,
sie erbrachten einen verminderten Verkaufserlös. Die Erkrankung beruhte auf
übermäßiger Säurebildung im Pansen der Tiere.
Die Pülpe stammte aus dem Betrieb der Beklagten. Diese stellt Kartoffelchips
her. Die dabei anfallenden Kartoffelreste werden erhitzt und mit Enzymen
versetzt. Dabei wird ein Großteil der Kartoffelstärke in Zucker umgewandelt
und die Masse verflüssigt.
Die Beklagte überließ die Pülpe gewöhnlich einem Schweinemastunternehmen, an
dem sie als Gesellschafterin beteiligt ist. Im Dezember 1980 konnte dieses
Unternehmen die damals anfallenden großen Pülpemengen nicht aufnehmen. Der
Geschäftsführer der Schweinemästerei, M., der zugleich Leiter eines
landwirtschaftlichen Beratungsringes ist, schlug deshalb der Beklagten vor,
den Überschuß nicht auf Ackern zu verteilen und unterzupflügen, sondern
Landwirten der Umgebung kostenlos anzubieten. Damit war die Beklagte
einverstanden. Darauf interessierte M. den Landwirt B., Mitglied des
genannten Beratungsringes, an0 der Pülpe als Bullenfutter. Dieser hatte nur
für eine Teilmenge Verwendung und veranlaßte die Lieferung eines weiteren
Teiles an den Kläger.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 83848 DM nebst Zinsen in
Anspruch. Er führt die Erkrankung der Tiere darauf zurück, daß die Pülpe mit
Enzymen behandelt war; unbehandelte Kartoffelpülpe sei auch in großen Mengen
als Bullenfutter geeignet. Die enzymatisierte Pülpe tauge dagegen nur als
Schweinefutter. Auf die Enzymbehandlung habe die Beklagte nicht hingewiesen.
Vielmehr habe M. auf B.'s Frage ausdrücklich erklärt, die Pülpe sei
unbehandelt.
Die Beklagte macht geltend, nicht sie, sondern M. habe dem Kläger die Pülpe
liefern lassen. Der Kläger habe sich den Schaden selbst zuzuschreiben, weil
M. B. darauf hingewiesen habe, zu Anfang dürften nur etwa 10 kg je Tier
täglich verfüttert werden. Der Kläger habe die gebotene Vorsicht bei der
Dosierung außer Acht gelassen; bei einer solchen Fütterungsart hätte auch
rohe Pülpe ohne Enzymzusätze die gleichen Folgen gehabt.
Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben;
das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte
keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Das Oberlandesgericht nimmt an, die Beklagte habe dem Kläger die Pülpe
geschenkt (§ 516 Abs. 1 BGB). Dagegen will die Revision darauf hinweisen, in
Wahrheit liege ein entgeltliches Geschäft vor: Es handele sich um ein
lästiges Abfallprodukt, dessen Beseitigung Kosten verursachen könne. Aus der
Sicht der Beklagten und nach ihrer Interessenlage stelle sich die Abnahme
als solche als Gegenleistung dar. Eine Handschenkung könne nicht angenommen
werden, weil die Parteien sich gegenseitig einen Dienst erwiesen hätten.
Auf diesen Gesichtspunkt ist das Berufungsgericht nicht eingegangen. Das ist
aber unschädlich. Denn für ein entgeltliches Geschäft über die
Kartoffelpülpe war vor dem Tatrichter nichts vorgetragen. Vielmehr hat der
Kläger die Pülpe ausdrücklich als »hochwertigen Abfall« bezeichnet und sogar
schon in der Klageschrift vorgetragen, es handele sich um einen
»unentgeltlichen Vertrag«. Unter diesen Umständen ist die Würdigung als
Schenkung rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Das Berufungsgericht ist weiter der Auffassung, die Beklagte brauche
gemäß § 521 BGB nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit einzustehen. Das
gelte auch im Rahmen des Deliktsrechts. Daß die Beklagte ihre
vorvertraglichen oder vertraglichen Schutzpflichten oder das Eigentum des
Klägers vorsätzlich verletzt habe, sei nicht behauptet; der Beklagten oder
ihren Erfüllungsgehilfen könne aber auch nicht vorgeworfen werden, grob
fahrlässig gehandelt zu haben. Zwar habe die Beklagte schon vor der
Lieferung gewußt, daß die Pülpe als Futter für Rindvieh habe verwendet
werden sollen. Da dieser Gedanke aber nicht von ihr, sondern von M.
ausgegangen sei, bei dem Fach- und Sachkunde habe vorausgesetzt werden
dürfen, sei es allenfalls ein verzeihlicher Fehler, daß sie eigene
Überlegungen und Nachforschungen über die Tauglichkeit enzymatisierter Pülpe
zur Rindermast nicht angestellt habe. Das gelte umso mehr, als sie bei den
möglichen Abnehmern mit ausreichender Qualifikation zur Beurteilung dieser
Frage habe rechnen dürfen.
Auch auf den Gesichtspunkt der Sachmängelhaftung könne die Klage nicht
gestützt werden. Die Pülpe sei für sich genommen nicht mangelhaft, sondern
nur bei fehlerhafter Dosierung schädlich gewesen; eine zugesicherte
Eigenschaft habe ihr nicht gefehlt.
Diese Begründung ist nicht vollständig. Bei ihr ist das Futtermittelgesetz
vom 2. Juli 1975 (BGBl I S. 1745 - FuttermittelG) nicht berücksichtigt. § 7
Abs. 3 FuttermittelG lautet:
»Macht der Veräußerer bei der Abgabe von Futtermitteln keine Angaben über
die Beschaffenheit, so übernimmt er damit die Gewähr für die handelsübliche
Reinheit und Unverdorbenheit.«
Diese Vorschrift stimmt wörtlich überein mit § 6 des Futtermittelgesetzes
vom 22. Dezember 1926 (RGBl I S. 525). Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofes (BGHZ 57,292) liegt die Bedeutung dieser Bestimmung im
wesentlichen darin, daß der Händler, wenn er bei der Abgabe keine
Beschaffenheitsangaben macht, damit die Eigenschaften »handelsübliche
Reinheit und Unverdorbenheit« im Sinne von § 459 Abs. 2 BGB zusichert. Für
die wortgleiche Vorschrift des § 7 Abs. 3 des Futtermittelgesetzes von 1975
gilt nichts anderes (vgl. BT-Drucks. 7/29905. 18; 7/3581 S. 4).
Daß es sich bei der Pülpe, die dem Kläger geliefert worden ist, um ein
Futtermittel in Sinne dieses Gesetzes handelt, ist nicht zweifelhaft.
Kartoffelpülpe ist in der Futtermittelverordnung vom 16. Juni 1966 (BGBl I
S. 1497) ausdrücklich als solches aufgeführt und von der Beklagten zum
Zwecke der Verfütterung sogar eigens aufbereitet und abgegeben worden. Bei
der Abgabe an den Kläger sind anscheinend keine Beschaffenheitsangaben
gemacht worden; etwaige Angaben hierzu gegenüber B. reichen nicht aus. Die
Vorschrift greift daher ein, falls die Beklagte als »Veräußerer« anzusehen
ist. Diese Frage kann aber offen bleiben, weil die Voraussetzungen einer
Haftung nach § 7 Abs. 3 FuttermittelG hier aus anderen Gründen nicht
vorliegen. Hier ist nichts dafür ersichtlich und insbesondere vom Kläger
nichts dafür vorgetragen, daß Kartoffelpülpe handelsüblich ohne Enzyme
geliefert wird. Zu solchem Vortrag hätte aller Anlaß bestanden, zumal der
Kläger sich vor dem Tatrichter selbst auf das Futtermittelgesetz berufen
hat.
3. Eine Sachmängelhaftung der Beklagten gemäß § 524 BGB scheidet schon
deshalb aus, weil die Pülpe nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an
sich nicht mangelhaft, sondern nur vorsichtig zu dosieren war. In Betracht
kommt eine vertragliche Haftung der Beklagten daher nur nach den Grundsätzen
der culpa in contrahendo oder der positiven Forderungsverletzung. Das hat
das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Aber auch ein derartiger Anspruch
steht dem Kläger nicht zu.
Die tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen es
allerdings nicht zu, einen solchen Anspruch schon mit der Begründung zu
verneinen, die Beklagte sei von vornherein nicht verpflichtet gewesen, auf
die Enzymbehandlung der Pülpe, auf deren Gefährlichkeit für Bullen und auf
die Notwendigkeit strenger Dosierung hinzuweisen, oder habe eine derartige
Pflicht jedenfalls nicht schuldhaft verletzt. Andererseits hat der
Berufungsrichter grobe Fahrlässigkeit der Beklagten ohne Rechtsverstoß
verneint. Er hat den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht verkannt. Die
in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge der Revision erachtet der
Senat für nicht begründet. Unter diesen Umständen kommt es darauf an, ob die
Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte hafte gemäß § 521 BGB nur für
Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, zutrifft.
Ob Haftungsmilderungen für einzelne Schuldverhältnisse auch dann
eingreifen, wenn es sich um die Verletzung von vorvertraglichen oder
vertraglichen Schutzpflichten handelt, die nicht an dem Erfüllungsinteresse
des Gläubigers ausgerichtet sind, sondern dem Integritätsinteresse
(Erhaltungsinteresse) des Vertragspartners dienen, ist bisher nicht
abschließend geklärt. Während z. B. Canaris JZ 1965,475,481) und
Kollhosser (MünchKomm § 521 Rdn. 6,7) eine Erstreckung des vertraglichen
Haftungsmaßstabs insoweit weitgehend befürworten, treten z. B. Thiele (JZ
1967,649), Gerhard (JuS 1970,597) und Schlechtriem (VersR 1973,581) für
differenzierende Lösungen ein. Dieser Tendenz folgt auch der erkennende
Senat. Er vertritt im Anschluß an die genannten Schriftsteller die
Auffassung, daß jedenfalls im Bereich des § 521 BGB Freigiebigkeit der einen
Seite nur zu den Vertragserwartungen des Begünstigten in Beziehung gesetzt
werden kann. Daher rechtfertigt die Großzügigkeit des Schenkers es nicht,
die Haftungsmilderung auch da eingreifen zu lassen, wo es um die Verletzung
von Schutzpflichten geht, die nicht im Zusammenhang mit dem
Vertragsgegenstand stehen (ähnlich Esser, Schuldrecht 11,4. Aufl. §
112 V 3; Eike Schmidt, Nachwort S. 159 zum Nachdruck von Ihering, Culpa in
contrahendo, und Staub, Die positiven Vertragsverletzungen).
Indessen besteht hier ein derartiger Zusammenhang; es handelt sich um einen
Schaden, der durch den »nach dem Vertrag vorausgesetzten« Verbrauch der
Pülpe entstanden ist. In diesem Bereich muß § 521 BGB nach der Auffassung
des Senats eingreifen. Dagegen hält er es nicht für gerechtfertigt,
mit Schlechtriem (Vertragsordnung und außervertragliche Haftung S. 332 ff.)
noch weiter zu gehen und den Schenker auch insoweit voll haften zu lassen
(vgl. auch Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts II, 12. Aufl. § 47 IIa). Für
eine solche Lösung mag zwar die Entstehungsgeschichte sprechen. Der
Vorläufer von § 521 BGB, § 442 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches
(E I), bezog sich auf das Schenkungsversprechen und meinte den durch das
Ausbleiben der versprochenen Leistung entstandenen Schaden. Darauf deuten
die Motive hin (Band II S. 296, § 442 Fn. 1). Auch die in der Kommission für
die zweite Lesung (Protokolle II S. 21) beschlossene Fassung ging in diese
Richtung. Die erst in der Redaktionskommission beschlossene endgültige
Fassung (Jakobs/Schubert, Die Beratungen des Bürgerlichen Gesetzbuches II S.
379) sollte möglicherweise keine sachliche Änderung herbeiführen. Im übrigen
wurde, worauf Schlechtriem (VersR 1973,581,586) zutreffend hingewiesen hat,
in der zweiten Kommission einem Antrag, § 551 E 1(= § 600 BGB) zu streichen,
weil im Fall der Ansteckung der Herde des Entleihers eine derartig
weitgehende Haftungsmilderung unangemessen sei, entgegengehalten, daß »dem
hervorgehobenen praktischen Bedürfnisse durch die Bestimmungen über
Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung genügt werde« (vgl. Protokolle II
270). Jedoch erscheinen diese Argumente dem Senat nicht als zwingend. Der
weitgefaßte Wortlaut der Vorschrift weist in die umgekehrte Richtung.
Überdies ließe sich bei der von Schlechtriem befürworteten Lösung ein
Wertungswiderspruch zu § 524 Abs. 1 BGB kaum vermeiden. Durch diese
Vorschrift ist die Haftung des Schenkers für Schäden, die dem Beschenkten
aus einem Fehler der verschenkten Sache entstehen, auf den Fall der Arglist
beschränkt. Damit wäre es nur schwer in Einklang zu bringen, wenn der
Schenker einer fehlerfreien - aber »gefährlichen« - Sache sogar für nur
leicht fahrlässige Verletzung seiner Hinweispflichten einzustehen hätte.
Dagegen ist es nach der Auffassung des Senats mit der Wertung des
Gesetzgebers durchaus vereinbar, wenn der Schenker, der sich von einer Sache
trennt und sie dem Beschenkten großzügig überläßt, für Schäden im Rahmen der
Vertragserwartungen des Beschenkten nur nach einem gemilderten Maßstab
haftet. Ob für Werbegeschenke, die nicht aus Großzügigkeit gemacht werden,
etwas anderes anzunehmen ist, kann hier offen bleiben.
4. Die Haftungsmilderung des § 521 BGB muß, wenn und soweit sie der
Beklagten bei der Verletzung ihrer vertraglichen und vorvertraglichen
Schutzpflichten zugute kommt, auch auf Ansprüche des Klägers aus unerlaubter
Handlung durchschlagen (BGHZ 46,140,145; BGH Urteil vom 20. Oktober 1953 - I
ZR 125/52 = NJW 1954,155).
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