Vertrag
des Reiseveranstalters mit der Fluggesellschaft als Vertrag zug. des Reisenden,
konludenter Verzicht auf Einwendungserhalt nach § 334 BGB
BGH, Urt. v. 17.1.1985
Fundstelle:
BGHZ 93, 271 ff
Amtl. Leitsätze:
a) Ein zwischen einer Fluggesellschaft
und einem Reiseveranstalter abgeschlossener Chartervertrag kann als
Vertrag zugunsten Dritter für den Reisenden einen Anspruch auf
Beförderung gegen die Fluggesellschaft begründen.
b) Die Fluggesellschaft kann gegenüber dem Anspruch des Reisenden auf
Beförderung nicht einwenden, der Reiseveranstalter habe den Preis für
den Charterflug nicht bezahlt.
Tatbestand:
Die Beklagte - eine Fluggesellschaft - vercharterte
an die Firma T. Plätze eines für 9./16. Dezember 1980 vorgesehenen
Fluges von Frankfurt am Main nach Santa Lucia (Antillen, Karibik) und zurück.
Einen Teil dieser Plätze überließ die Firma T. der Firma
O. Fernreisen GmbH - einem Reisebüro - für Flugpauschalreisen.
Am 15. Dezember 1980 stellte die Firma T. ihre Zahlungen ein.
Am 16. Dezember 1980 verweigerten Mitarbeiter
der Beklagten Frau H., die bei der Firma O. für sich und ihren Begleiter
vom 9. bis 16. Dezember 1980 eine Flugreise nach Santa Lucia gebucht hatte,
den Rückflug nach Frankfurt am Main. Als Begründung gaben sie
an, die Firma T. habe den Flug nicht bezahlt. Frau H. und ihr Begleiter
flogen daraufhin mit einer anderen Fluggesellschaft zurück. Die entstandenen
Kosten in Höhe von 1783,60 US-Dollar nebst Zinsen machte Frau H. erfolgreich
im Klageweg gegen die Firma O. geltend.
Die Klägerin - eine Versicherungs-AG - erstattete
der Firma O. die durch den Rechtsstreit entstandene Hauptsacheforderung
nebst Zinsen in Höhe von 4575,64 DM sowie Anwalts- und Gerichtskosten
in Höhe von 1397,32 DM. Den Gesamtbetrag in Höhe von 5972,96
DM nebst Zinsen verlangt sie nunmehr von der Beklagten. Landgericht und
Oberlandesgericht haben der Klage in Höhe von 4575,69 DM nebst Zinsen
stattgegeben. Die - zugelassene - Revision hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, durch
den Chartervertrag zwischen der Firma T. und der Beklagten sei ein echter
Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB geschlossen worden.
Frau H. habe deshalb einen Beförderungsanspruch gegen die Beklagte
erworben. Durch die Verweigerung der Beförderung habe sich die Beklagte
gegenüber Frau H. nach § 325 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig
gemacht. Abweichend von § 334 BGB habe sie die ihr gegenüber
der Firma T. wegen der ausstehenden Zahlungen mögliche Einrede des
nicht erfüllten Vertrags nicht gegen Frau H. erheben können.
Denn im Verhältnis des Vercharterers zu dem begünstigten Reisenden
sei von einem stillschweigenden Ausschluß der Einrede nicht erbrachter
Zahlung des Charterentgelts auszugehen, weil der Reisende damit rechne,
einen einredefreien Beförderungsanspruch gegen die Fluggesellschaft
erworben zu haben.
Die Beklagte habe mit der Firma O. gegenüber
Frau H. in einem Gesamtschuldverhältnis gestanden. Da die Firma O.
den Schadensersatzanspruch der Frau H. befriedigt habe, sei dieser Anspruch
gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf die Firma O. übergegangen.
Zwar hafteten beide Gesamtschuldner grundsätzlich nach gleichen Teilen.
Im Streitfall sei jedoch § 254 BGB entsprechend heranzuziehen. Die
Beklagte müsse deshalb den Schaden allein tragen, weil sie durch die
Beförderungsverweigerung die Ursache dafür gesetzt habe, daß
der Kundin H. weitere Beförderungskosten entstanden seien. Die Firma
O. habe gegen die Beklagte daher einen Anspruch in Höhe der an Frau
H. geleisteten Zahlung. Dieser Anspruch sei auf die Klägerin übergegangen.
Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
1. Frau H. stand aufgrund des zwischen ihr und
der Firma O. als Reiseveranstalter abgeschlossenen Reisevertrags ein Anspruch
auf Beförderung von Frankfurt am Main nach Santa Lucia und zurück
gegen die Firma O. zu (§ 651a Abs. 1 BGB). Dieser Beförderungsanspruch
richtete sich - wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt - auch gegen
die Beklagte. Zwar bestanden zwischen Frau H. und der Beklagten keine vertraglichen
Beziehungen. Insbesondere trat die Reiseveranstalterin Firma O. nicht als
Vertreter der Beklagten auf. Frau H. hatte jedoch mit Abschluß des
Reisevertrags für sich und ihren Begleiter zugleich zwei der von der
Beklagten an die Firma T. vercharterten Flug-Plätze gebucht. Der zwischen
der Beklagten und der Firma T. abgeschlossene Chartervertrag stellt einen
Vertrag zugunsten Frau H.`s auf Beförderung dar (vgl. BGHZ 52, 194,201/202;
LG Frankfurt am Main NJW 1983,52; Ballhaus in BGB-RGRK 12. Aufl. §
328 Rdn. 50; MünchKomm/ Gottwald § 328 Rdn. 39; Schwenk BB 1970,282,284).
a) Ein solcher Vertrag zugunsten Frau H.'s kann
entgegen der Auffassung der Revision - nicht deshalb verneint werden, weil
der Chartervertrag keine Agentur-Klausel enthält, die Flugscheine
von der Firma T. und nicht von der Beklagten ausgestellt wurden und der
Beklagten die zu befördernden Personen nicht bekannt waren. Zwar trifft
es zu, daß in BGHZ 52, 194,202 und in dem dieser Entscheidung folgenden
Schrifttum (vgl. Ballhaus aaO; Schwenk aaO) der »agent«-Klausel,
wonach der Chartervertrag sowohl im eigenen Namen des Charterers als auch
für die einzelnen beförderten Fluggäste geschlossen wird,
für die Annahme eines Vertrags zugunsten Dritter besondere Bedeutung
beigemessen wird. Für die rechtliche Einordnung des Chartervertrags
als Vertrag zugunsten Dritter ist eine solche Klausel jedoch nicht von
ausschlaggebender Bedeutung. Auch ist nicht entscheidend, welche Stelle
die Flugscheine ausstellt.
Im Chartervertrag verpflichtet sich der Vercharterer,
Plätze in den von ihm geplanten Flügen dem Charterer zur Verfügung
zu stellen. Ihm ist bekannt, daß die zu befördernden Personen
regelmäßig erst nach Abschluß des Chartervertrags von
dem Charterer oder - wie hier - von einem dazu bevollmächtigten Dritten
aufgrund eines abgeschlossenen Reisevertrags bestimmt werden. Der nach
§ 328 Abs. 2 BGB maßgebende Zweck des Chartervertrags ist es
daher, Fluggäste zu befördern, die durch Ausstellung eines auf
ihren Namen lautenden Flugscheins von dem Charterer oder dem Dritten dem
Vercharterer benannt werden. Auf diesen Vertragszweck ist auch der Wille
der Vertragschließenden gerichtet. Es ist deshalb sachgerecht, für
die (zur Zeit des Chartervertragsabschlusses regelmäßig noch
unbekannten) Fluggäste, in deren Interesse der Chartervertrag abgeschlossen
wurde, einen unmittelbaren vertraglichen Anspruch auf Beförderung
gegen den Vercharterer auch dann anzunehmen, wenn der Chartervertrag keine
Agentur-Klausel enthält und die Flugscheine nicht vom Vercharterer
selbst ausgestellt werden.
b) Entgegen der Ansicht der Revision spricht auch
die Vorschrift des § 651a BGB nicht gegen die Annahme eines Vertrags
zugunsten Dritter. Zwar steht dem Reisenden, der einen Reisevertrag abgeschlossen
hat, nach § 651a BGB grundsätzlich nur der Reiseveranstalter
als Vertragspartner gegenüber. Dabei kann sich der Reiseveranstalter
der für die Ausführung einzelner Reiseleistungen hinzugezogenen
Leistungsträger als Erfüllungsgehilfen bedienen. Diese nur das
Verhältnis zwischen Reiseveranstalter und Reisendem betreffende Regelung
schließt jedoch nicht aus, daß dem Reisenden aufgrund besonderer
Vertragsgestaltung neben dem Anspruch gegen den Reiseveranstalter auch
gegen Leistungsträger Ansprüche zustehen können. Mit Recht
hält es die im Schrifttum überwiegend vertretene Auffassung daher
für möglich, den Vertrag zwischen Reiseveranstalter und Leistungsträger
als Vertrag zugunsten Dritter anzusehen, der dem Reisenden unmittelbar
Ansprüche gegen den Leistungsträger gewährt (vgl. Beuthien
in Studienkommentar zum BGB 2. Aufl. § 651a Anm. 3; Brox JA 1979,493,494;
Erman/Seiler, BGB i Aufl. § 651a Rdn. 11; MünchKomm/Löwe,
vor § 651a Rdn. 15; Palandt/Heinrichs, BGB 43. Aufl. § 328 Anm.
3b; Palandt/Thomas aaO § 651a Anm. 4; aA Larenz VersR 1980,689,693;
Staudinger/Schwerdtner, BGB 12. Aufl. § 651a Rdn. 27 f.; vgl. auch
Bartl, Reiserecht 2. Aufl. Rdn. 269).
c) Schließlich wird es auch allein der Interessenlage
gerecht, in dem Chartervertrag einen Vertrag zugunsten des Reisenden zu
erblicken. Gerade bei Flugpauschalreisen ist der Reisende - wie der Streitfall
zeigt - in besonderem Maße auf die Leistung des Vercharterers angewiesen.
Sein Interesse an einer möglichst ungestörten Reise gebietet
es daher, den ihm zustehenden Beförderungsanspruch nicht nur gegen
den Reiseveranstalter, sondern auch gegen die Fluggesellschaft geltend
machen zu können. Das Interesse des Vercharterers, lediglich dem Reiseveranstalter
zur Leistung verpflichtet zu sein, wiegt dem gegenüber gering.
2. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen,
daß aufgrund des Chartervertrags im Verhältnis zwischen Frau
H. und der Beklagten § 334 BGB ausgeschlossen worden ist. Mit Recht
nimmt es daher an, daß die Beklagte gegenüber dem Beförderungsanspruch
der Frau H. nicht die Einrede des von der Firma T. nicht erfüllten
Vertrags entgegenhalten konnte.
a) Die Vorschrift des § 334 BGB, wonach dem
Versprechenden Einwendungen aus dem Deckungsverhältnis auch gegenüber
dem Dritten zustehen, kann - auch stillschweigend - abbedungen werden (vgl.
Gottwald aaO § 334 Rdn. 2). Insbesondere kann sich aus der Natur des
Deckungsverhältnisses ergeben, daß der Schuldner nicht alle
Einwendungen aus diesem Verhältnis dem Dritten entgegensetzen kann
(vgl. BGH NJW 1980,450; LG Frankfurt am Main NJW 1983,52,53; Palandt/Heinrichs
aaO § 334 Anm. 1; Staudinger/Kaduk aaO § 334 Rdn. 8).
So ist es hier. Die Beklagte schloß den
Chartervertrag mit der Firma T. - einem Reiseveranstalter -, die wiederum
die gecharterten Flug-Plätze der Firma O. - ebenfalls einem Reiseveranstalter
- überließ. Sie mußte deshalb damit rechnen, daß
über diese Plätze aufgrund von Reiseverträgen verfügt
wird, die von den Reiseveranstaltern mit Reisenden abgeschlossen worden
sind, und die Reisenden den im Reisepreis eingeschlossenen Flugpreis bereits
vor Antritt der Reise bezahlen würden, gleichviel, ob sie dazu verpflichtet
sind oder nicht. Die Beklagte war auch damit einverstanden, daß für
die von ihr vercharterten Plätze Flugscheine von der Firma T. ausgegeben
werden. Dann aber mußte ihr - wie das Berufungsgericht mit Recht
annimmt - auch bewußt gewesen sein, daß die eine Flugpauschalreise
buchenden Reisenden, die die besondere rechtliche Gestaltung des Beförderungsvertrags
nicht kennen, von einem einredefreien Beförderungsanspruch gegen die
Beklagte ausgingen und ausgehen durften. Als Vercharterer konnte die Beklagte
daher die Einrede des nicht erfüllten Chartervertrags nicht Frau H.
entgegenhalten. Es fällt vielmehr in ihren Risikobereich, dafür
zu sorgen, daß Zahlungen, die die Reisenden für den Flug leisten,
rechtzeitig an sie gelangen.
b) Der Auffassung der Revision, es wäre Aufgabe
der Firma O. gewesen, den Erwartungen ihrer Kunden Rechnung zu tragen und
entsprechende Vereinbarungen mit der Beklagten zu treffen, kann nicht gefolgt
werden. Der von der Beklagten mit der Firma T. abgeschlossene Chartervertrag
ist ein Vertrag zugunsten der Flugreisenden. Die Interessen der Flugreisenden
waren deshalb - wie oben ausgeführt - hinreichend geschützt;
weitere Abreden zwischen der Firma O. und der Beklagten waren nicht geboten.
Auch Frau H. als Kundin der Firma O durfte darauf vertrauen, daß
die Beklagte sie befördern würde, wenn sie selbst den Reisepreis
entrichtet hatte.
c) Die Beklagte konnte auch aus anderen Gründen
nicht die Beförderungsleistung gegenüber Frau H. verweigern.
Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, daß sich die Beklagte im
Verhältnis zu Frau H. nicht auf eine angeblich von der Firma T. vorgenommene
Überbuchung berufen konnte. Auch wenn die Behauptung der Beklagten
zutrifft, einerseits habe die Firma T. ständig Überbuchungen
vorgenommen, andererseits seien am 16. Dezember 1980 in Santa Lucia von
ihr eine Reihe von Fluggästen der Firma T. angenommen worden, ist
damit nicht dargetan, daß gerade Frau H. wegen einer Überbuchung
nicht befördert werden konnte. Mit Recht weist das Berufungsgericht
in diesem Zusammenhang daraufhin, daß Frau H. nicht mit dieser Begründung,
sondern wegen des von der Firma T. angeblich nicht bezahlten Flugpreises
zurückgewiesen worden ist.
3. Aufgrund der von der Beklagten zu Unrecht verweigerten
Rückbeförderung stand Frau H. gemäß § 651 f BGB
ein Schadensersatzanspruch gegen die Firma O. zu; denn diese hat als Reiseveranstalter
das Verschulden der Beklagten als ihres Erfüllungsgehilfen zu vertreten.
Daneben hatte Frau H. aufgrund des von der Beklagten verletzten, zu ihren
Gunsten abgeschlossenen Chartervertrags einen Schadensersatzanspruch gemäß
§ 325 BGB gegen die Beklagte. Da insoweit - wie das Berufungsgericht
mit Recht annimmt - die Beklagte und die Firma O. als Gesamtschuldner haften
und die Firma O. inzwischen Frau H. befriedigt hat, ist der Anspruch gegen
die Beklagte gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf die Firma O. übergegangen.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte
sei im Verhältnis zur Firma O. nicht nur zur Leistung eines Anteils,
sondern in entsprechender Anwendung des § 254 BGB zur Leistung in
vollem Umfang verpflichtet, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Mit der
unberechtigten Verweigerung der Rückbeförderung hat die Beklagte
die zusätzlich entstandenen Beförderungskosten für Frau
H. verursacht. Eine Schadensverursachung durch die Firma O. ist demgegenüber
nicht ersichtlich. Sie ist ihrer Verpflichtung, Frau H. zurückzubefördern,
durch Inanspruchnahme der gecharterten Flug-Plätze nachgekommen. Darüberhinaus
war es ihr nicht möglich, die Beklagte zur Erfüllung ihrer Beförderungspflicht
anzuhalten. Es ist daher sachgerecht, daß die Beklagte nach dem Maß
der Verursachung den entstandenen Schaden in vollem Umfang zu tragen hat
(vgl. Senatsurteil BGHZ 59,97,103 m. Nachw.).
4. Die Klägerin hat der Firma O. - ihrer
Versicherungsnehmerin - den durch die Inanspruchnahme seitens der Frau
H. entstandenen Schaden ersetzt. Gemäß § 67 Abs. 1 Satz
1 VVG ist deshalb der Anspruch der Frau H. gegen die Beklagte auf die Klägerin
übergegangen.