Anspruch auf Ersatz fiktiver Operationskosten?
BGH, Urteil v. 14.01.1986  - VI ZR 48/85 (Stuttgart) 
Fundstellen:

NJW 1986, 1538
BGHZ 97, 14
LM § 249 (Gb) BGB Nr. 25
MDR 1986, 486
JZ 1986, 638


Amtl. Leitzsatz:

Der Verletzte kann Zahlung der für eine Operation (hier: Narbenkorrektur) erforderlichen Kosten nur verlangen, wenn er die Absicht hat, die Operation durchführen zu lassen.



Zum Sachverhalt:

Die Kl. nimmt die Bekl. wegen der bei einem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen auf Schadensersatz in Anspruch. Zwischen den Parteien ist außer Streit, daß der Erstbekl. als Halter und Fahrer seines Pkw und die Zweitbekl. als Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs für den Schaden einzustehen haben. Der Rechtsstreit geht nur noch darum, ob die Kl. die voraussichtlichen Kosten für eine Korrektur von Narben am Unterbauch, die infolge einer unfallbedingten Dünndarmoperation zurückgeblieben sind, verlangen kann, obwohl sie sich bislang wegen des ungewissen Erfolges noch nicht zu dieser Operation hat entschließen können. Die Kosten einer solchen Narbenkorrektur hat sie auf der Grundlage eines von ihr eingeholten Privatgutachtens mit 10668 DM angegeben. Die Bekl. haben sich zur Übernahme der Kosten einer von der Kl. vorgenommenen operativen Narbenkorrektur bereiterklärt. Sie weigern sich jedoch, den verlangten Geldbetrag an die Kl. zu zahlen, weil diese ihrer Ansicht nach keinen Anspruch auf Zahlung lediglich fiktiver Kosten hat.
LG und OLG haben den Anspruch auf Zahlung der 10668 DM abgewiesen. Die - nur insoweit zugelassene - Revision der Kl. hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat die Zulassung der Revision in zulässiger Weise auf den materiellen Ersatzanspruch auf Zahlung der Kosten für eine Narbenkorrektur beschränkt. Insoweit handelt es sich um einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs (vgl. BGH, NJW 1984, 615 (insoweit in BGHZ 88, 85 nicht abgedruckt) m. w. Nachw.).
II. In der Sache geht das BerGer zutreffend davon aus, daß der Ersatzanspruch wegen der erlittenen Unfallverletzungen nach § 249 S. 2 BGB grundsätzlich auch Aufwendungen für die kosmetische Beseitigung einer unfallbedingten Narbe umfaßt, selbst wenn von ihr keine weiteren Funktionsstörungen ausgehen oder auch nur zu befürchten sind. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 3. 12. 1974 (BGHZ 63, 295 (296) = NJW 1975, 640) ausgeführt hat, sind dem Verletzten die Mittel zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um seine körperliche Integrität auch insoweit nach Möglichkeit wiederherzustellen. Das BerGer. ist jedoch aus folgenden Erwägungen der Auffassung, daß der Zahlungsanspruch der Kl. derzeit nicht begründet ist:
Nach § 249 S. 2 BGB könne der Geschädigte zwar statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Im Falle einer Körperverletzung setze dieser Anspruch aber die feste und erkennbare Absicht des Verletzten voraus, die ihm zugefügte Verletzung und/oder deren Folgen tatsächlich beheben zu lassen. Daran fehle es hier. Bei der Verletzung immaterieller Werte - wie bei Personenschäden - müsse man eine Zweckbindung der Herstellungskosten annehmen, wenn die Vorschrift des § 253 BGB nicht unterlaufen werden solle. Demgegenüber vertritt die Revision die Auffassung, der Verletzte sei in der Verwendung der ihm zur Verfügung gestellten Mittel völlig frei. Er müsse den für eine erforderliche Operation gezahlten Geldbetrag nicht zu diesem Zweck verwenden und könne deshalb auch Ersatz fiktiver Operationskosten verlangen.
Dem vermag der erkennende Senat - in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen - nicht zu folgen.
1. Bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeuges hat der Senat allerdings den Anspruch auf Ersatz sogenannter fiktiver Reparaturkosten im Grundsatz gebilligt (BGHZ 66, 239 = NJW 1976, 1396; BGH, VersR 1978, 182 (235); NJW 1985, 2469 = VersR 1985, 593; VersR 1985, 963). Entgegen der Auffassung der Revision hat er jedoch bei Personenschäden einen Anspruch des Geschädigten auf Ersatz fiktiver Kosten bisher noch nicht dem Grunde nach anerkannt. Die Entscheidung vom 3. 12. 1974 (BGHZ 63, 295 = NJW 1975, 640) besagt dazu nichts. Auch die Senatsentscheidung vom 29. 10. 1957 (NJW 1958, 627 = VersR 1958, 176) läßt sich in diesem Zusammenhang nur bedingt anführen. In ihr hat der Senat zwar die Kosten für ärztlich verordnete Stärkungsmittel als erstattungsfähig angesehen, obwohl der Verletzte sie wegen Geldmangels nicht hatte nehmen können. Der tragende Grund dieser Entscheidung war aber der Gesichtspunkt, daß der Schädiger nicht dadurch von der Verpflichtung zum Ersatz notwendiger Heilungskosten befreit werden soll, daß er durch Hinausschieben der Erfüllung eines begründeten Ersatzanspruchs den Verletzten außerstande gesetzt hat, sich notwendige Heil- oder Stärkungsmittel zu kaufen.
In der - veröffentlichten - Rechtsprechung der Instanzgerichte wird die Erstattungsfähigkeit von fiktiven Heilungskosten unterschiedlich behandelt. Während die OLGe Celle (VersR 1972, 468) und Stuttgart (VersR 1978, 188) dem Verletzten die üblichen Kosten einer Narbenkorrektur selbst dann zusprechen, wenn der Eingriff nicht durchgeführt wird, sieht das LG Stuttgart (NJW 1976, 1797) die Kosten einer notwendigen, aber nicht in Anspruch genommenen Krankenhausbehandlung als nicht erstattungsfähig an.
Auch im Schrifttum sind die Meinungen geteilt. Zum Teil wird sowohl bei Sachschäden als auch bei Personenschäden ein Anspruch auf Zahlung der Herstellungskosten nach § 249 S. 2 BGB auch dann bejaht, wenn der Geschädigte das Geld nicht zur Naturalrestitution verwenden will (so Palandt-Heinrichs, BGB, 44. Aufl., § 249 Anm. 2a; Deutsch, HaftungsR I, § 26 V 3; Larenz, SchuldR AT, 13. Aufl., § 28 I; Zeuner, in: Gedächtnisschr. f. Dietz, 1973, S. 120; Fleischmann, in: 20. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 1982, S. 275 f.). Andere Autoren fordern dagegen sowohl bei Sachschäden als auch bei Personenschäden eine enge Bindung dieses Geldanspruchs an die tatsächlich erfolgte Herstellung, indem sie entweder nur einen Erstattungsanspruch nach bewirkter Restitution anerkennen oder vor der Restitution dem Geschädigten lediglich einen zweckgebundenen Vorschuß gewähren, über den später abzurechnen und der gegebenenfalls zurückzuzahlen ist (Esser-Schmidt, SchuldR AT, 6. Aufl., § 32 I 2; Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 220 ff.; Schiemann, Argumente und Prinzipien bei der Fortbildung des SchadensR, 1981, S. 212 ff.; ders., DAR 1982, 309 ff.; Köhler, in: Festschr. f. Larenz, 1983, S. 363 ff.; Honsell-Harrer, JuS 1985, 161 ff.). Eine dritte Meinung schließlich differenziert zwischen Sachschäden und Personenschäden. Während sie bei Sachschäden auch einen  Ersatz "fiktiver" Herstellungskosten zuläßt, verneint sie diese Möglichkeit bei Personenschäden (Grunsky, in: MünchKomm. 2. Aufl., § 249 Rdnr. 18; Grunsky, NJW 1983, 2468 f.; Staudinger-Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdnrn. 226, 227; Medicus, DAR 1982, 356).
2. Grundlage des von der Kl. geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ist die Vorschrift des § 249 S. 2 BGB. Danach kann bei Verletzung einer Person und bei Beschädigung einer Sache der Geschädigte statt der nach § 249 S. 1 BGB geschuldeten Herstellung des früheren Zustandes "den dazu erforderlichen Geldbetrag" verlangen.
a) Diesen Anspruch auf Zahlung der erforderlichen Herstellungskosten hat der erkennende Senat seit der grundlegenden Entscheidung vom 23. 3. 1976 (BGHZ 66, 239 = NJW 1976, 1396) dem Geschädigten bei Beschädigung seines Kraftfahrzeugs auch dann zuerkannt, wenn er von vornherein gar nicht die Absicht hat, die Wiederherstellung des Fahrzeugs zu veranlassen, sondern sich anderweit behelfen, es etwa unrepariert fortbenutzen oder, wie in jenem Fall, beim Erwerb eines Neufahrzeugs unrepariert in Zahlung geben will. Die Rechtfertigung für diese Zubilligung "fiktiver" Reparaturkosten hat der Senat in der schon früher unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte (Prot. I 296, 297) von ihm bejahten Dispositionsfreiheit des Geschädigten gesehen (vgl. BGHZ 54, 82 (84 f.) = NJW 1970, 1454; BGHZ 61, 56 (58) = NJW 1973, 1647; BGHZ 61, 346 (347) = NJW 1974, 34; BGHZ 63, 182 (184) = NJW 1975, 160). Danach steht es dem Geschädigten grundsätzlich frei, ob er den gem. § 249 S. 2 BGB zur Herstellung erforderlichen Betrag wirklich diesem Zweck zuführen oder anderweitig verwenden will. Ob der Geschädigte den Entschluß zur anderweiten  Verwendung des Ersatzbetrages erst nach Erhalt des Geldes faßt oder ob er bereits vor der Zahlung entsprechend disponiert hat, macht dabei keinen Unterschied.
In allen Fällen, in denen der BGH diese Dispositionsfreiheit des Geschädigten bejaht hat, ging es um Schadensersatzansprüche wegen Sachbeschädigungen (BGHZ 61, 56 (58) = NJW 1973, 1647; BGHZ 61, 346 (347) = NJW 1974, 34; BGHZ 66, 239 (241) = NJW 1976, 1396; BGHZ 76, 216 (221) = NJW 1980, 1518; BGHZ 81, 385 (391) = NJW 1982, 98; BGH, NJW 1977, 1819; 1982, 1864  (1865) § . In derartigen Fällen geht die Entscheidung des Geschädigten darüber, wie er den Geldbetrag verwendet, und sein damit verbundener völliger oder teilweiser Verzicht auf die Herstellung, an der sich der Geldbetrag orientiert, wesensmäßig nicht über eine auf Umschichtung des Schadens in seinem Vermögen gerichtete Vermögensdisposition hinaus: Die Reparaturbedürftigkeit der beschädigten Sache schlägt sich allein im Vermögen des Geschädigten nieder, und sie bleibt allein hierin ausgedrückt, gleichgültig wie er sich wegen der Verwendung des Geldbetrages  entscheidet (vgl. BGHZ 66, 239 (244) = NJW 1976, 1396). Läßt er die Sache reparieren, wird er mit den hierfür erforderlichen Kosten belastet. Veräußert er die Sache unrepariert, so wird er einen entsprechend niedrigeren Verkaufserlös erzielen. Auch wenn er die Sache unrepariert weiterbenutzt, bleibt sein Vermögen insofern belastet, als der Wert der beschädigten Sache geringer ist als der der unbeschädigten. Mit der Zahlung der erforderlichen Reparaturkosten ist der Vermögensstand des Geschädigten wiederhergestellt (BGHZ 66, 239 (245) = NJW 1976, 1396). Wie der Geschädigte dann sein Vermögen konkret gestaltet, ob er die Sache repariert, sich eine neue kauft oder gänzlich andere Dispositionen trifft, ist seine Angelegenheit, die den Schädiger grundsätzlich nichts angeht.
b) Diese Dispositionsfreiheit des Geschädigten bezüglich des vom Schädiger zur Herstellung geschuldeten Geldbetrages läßt sich auf Personenschäden nicht übertragen. Insoweit wirkt sich aus, daß die Naturalrestitution, für die der Verletzte den Geldbetrag nach § 249 S. 2 BGB verlangen kann, hier auf Herstellung der körperlichen Integrität, mithin auf die Beseitigung eines Nichtvermögensschadens gerichtet ist, für den sich ein Verständnis, das im Verzicht des Verletzten auf Restitution lediglich eine mit dem Geldbetrag des § 249 S. 2 BGB zutreffend bewertete Vermögensdispositon sehen wollte, wesensmäßig verbietet. Der Entschließung des Verletzten, sich einer ärztlichen Behandlung - etwa wegen der damit verbundenen Risiken oder des zweifelhaften Erfolgs - nicht zu unterziehen, sondern mit der unbehandelten Verletzung weiterzuleben, betrifft eine andere Ebene als die Vermögensdisposition mit dem Geldbetrag des § 249 S. 2 BGB und ist prinzipiell ebensowenig kommensurabel wie die Verletzung selbst, mit der der Geschädigte belastet bleibt; hierfür gewährt ihm das Gesetz eine Geldentschädigung in Form des Schmerzensgeldes. Ebensowenig, wie der Verletzte vom Schädiger nach § 249 S. 2 BGB die Kosten einer (teureren) Operation verlangen kann, wenn er sich für die (billigere) konservative Behandlung entscheidet, kann er deshalb bei einem Verzicht auf jede Behandlung vom Schädiger Behandlungskosten für eine Restitution beanspruchen, die er gerade  nicht will. Wenn der Verletzte die Behandlungskosten verlangt, obwohl er die Behandlung nicht durchführen lassen will, so verlangt er in Wahrheit eine Entschädigung (Kompensation) für die fortdauernde Beeinträchtigung seiner Gesundheit. Eine derartige Kompensation billigt die Rechtsordnung dem Verletzten gem. § 253 BGB nur unter den Voraussetzungen des § 847 BGB zu. Wenn man dem Verletzten die fiktiven Kosten einer nicht durchgeführten Heilbehandlung zuerkennen wollte, so würde dies zu einer Umgehung des § 253 BGB führen. In den Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 847 BGB für die Gewährung eines Schmerzensgeldes nicht vorliegen, würde der Verletzte ein ihm nach dem Gesetz nicht zustehendes Schmerzensgeld erhalten, in anderen Fällen würde er ein ihm nach § 847 BGB zustehendes Schmerzensgeld in einer im Gesetz nicht vorgesehenen Weise aufbessern können. Aus den dargelegten Gründen kann es bei Personenschäden grundsätzlich keine Dispositionsfreiheit des Geschädigten bezüglich der Verwendung der Herstellungskosten geben. Die Herstellungskosten sind vielmehr im Bereich der Personenschäden zweckgebunden. Deshalb kann der Verletzte Behandlungskosten gem. § 249 S. 2 BGB nur verlangen, wenn er die Absicht hat, die Behandlung auch tatsächlich durchführen zu lassen.
3. In aller Regel wird sich diese Absicht ohne weiteres aus der Behandlungsbedürftigkeit der Verletzung und den zu ihrer Behandlung getroffenen Maßnahmen ergeben.
Im vorliegenden Fall hat das BerGer. indes nicht festzustellen vermocht, daß die Kl. die Narbenkorrektur vornehmen lassen will. Vor dem BerGer. hat die Kl. erklärt, sie habe sich noch nicht zu einer Narbenkorrektur entschlossen. Bei dieser Sachlage hat das BerGer. den Zahlungsanspruch der Kl. zu Recht als derzeit unbegründet angesehen. Solange die Kl. nicht die feste Absicht zur Durchführung der Operation hat und dies erforderlichenfalls nachweist, steht ihr ein Anspruch auf Zahlung der erforderlichen Operationskosten nicht zu.