BGH, Urteil v. 27.10.1968 - II ZR 103/86
Amtlicher Leitsatz
Wer aus einem Wechsel als Vertreter ohne Vertretungsmacht in Anspruch genommen wird, muß darlegen und beweisen, daß er bevollmächtigt war, den Wechsel für den Vertretenen zu zeichnen.
Fundstelle:
BGHZ 99, 50 ff.
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin ist legitimierte Inhaberin eines am 7. Mai 1984 ausgestellten, am 7. August 1984 zahlbaren Wechsels über 100 000 DM. Bezogene ist die Finanzberatung GmbH E. & M. Der verklagte Gerd M., der bei der Bezogenen tätig und zu 24 % an ihr als Gesellschafter beteiligt war, hat den Annahmevermerk für die Bezogene unter Verwendung des Firmenstempels mit seinem Namen gezeichnet. Der Wechsel ging mangels Zahlung zu Protest. Die Klägerin nimmt den Beklagten persönlich aus dem Wechsel auf Zahlung der Wechselsumme nebst Zinsen und Unkosten in Anspruch, weil die Bezogene die Bezahlung des Wechsels mit der Begründung verweigert, der Beklagte habe keine Vollmacht gehabt, den Wechsel in ihrem Namen anzunehmen. Als vollmachtloser Vertreter hafte der Beklagte gemäß Art. 8 WG selbst wechselmäßig. Der Beklagte hat behauptet, er sei von dem alleinigen Geschäftsführer E. der Bezogenen zur Annahme des Wechsels bevollmächtigt worden. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.
Aus den Gründen:
1.Das Berufungsgericht hat die Anspruchsgrundlage für die Klage zutreffend in Art. 8 WG gesehen. Nach dieser Vorschrift haftet selbst wechselmäßig, wer auf einen Wechsel seine Unterschrift als Vertreter eines anderen setzt, ohne hierzu ermächtigt zu sein. Voraussetzung für diesen Anspruch ist der Mangel der Vertretungsmacht. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts läßt sich aufgrund der Beweisaufnahme nicht feststellen, ob der alleinige Geschäftsführer E. der Bezogenen dem Beklagten Vollmacht erteilt hat, den eingeklagten Wechsel zu zeichnen. Da diese Beweiswürdigung keine Rechtsfehler erkennen läßt und auch von der Revision nicht angegriffen wird, ist bei der weiteren rechtlichen Prüfung in der Revisionsinstanz davon auszugehen, daß nicht mehr festgestellt werden kann, ob der Beklagte Vollmacht zur Zeichnung des Akzepts hatte oder nicht. Bei dieser Sachlage hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob nach Art. 8 WG die Klägerin als Wechselgläubigerin beweisen muß, daß der verklagte Vertreter keine Vollmacht hatte, oder ob diesen die Beweislast für das Bestehen der Vollmacht trifft. Liegt die Beweislast bei der Klägerin, muß die Klage abgewiesen werden, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auszuschließen ist, daß der Beklagte bevollmächtigt war. Umgekehrt hat die Klage Erfolg, wenn der Beklagte seine Bevollmächtigung darlegen und beweisen muß, weil er diesen Beweis nicht führen kann.
a) In Rechtsprechung und Rechtslehre ist die Frage nach der Beweislastverteilung in Art. 8 WG umstritten. Nach einer Auffassung ist der Wechselgläubiger für die fehlende Vertretungsmacht zwar beweispflichtig, jedoch hat - da es sich um einen negativen Beweis handelt - der verklagte Vertreter darzulegen, worauf er seine Vertretungsmacht stützt (Baumbach/Hefermehl, Wechsel- und Scheckgesetz, 15. Aufl. Rz. 8; Baumgärtel/ Laumen, Handbuch der Beweislast im Privatrecht Bd. I BGB § 179 Fußn. 6; Liesecke WM 1972, 1208; Rilk, Das Wechselgesetz, 1933, S. 43; Quassowski-Albrecht, WechselG, 1934, Art. 8 Rz. 13). Nach anderer Ansicht ist der Mangel der Vertretungsmacht zwar Voraussetzung für den Anspruch gegen den Vertreter, gleichwohl trifft aber diesen die Beweislast für die Vertretungsmacht (eingehend Reinicke DB 1971, 805; Jacobi, Wechsel und Scheckrecht S. 244; Staub/Stranz, Wechselordnung 9. Aufl., 1921, Art. 95 Anm. 12; Staub/Stranz, WechselG 12. Aufl. Art. 8 Anm. 13; Stranz, Wechselrecht 14. Aufl., 1952, Art. 8 Anm. 8; OLG Köln WM 1984, 1050). Diese Meinung verdient den Vorzug.
b) Zwar spricht der Wortlaut von Art. 8 WG für die Beweislast des Wechselgläubigers. Anders als in § 179 BGB, in dem die Beweislast für das Vorliegen der Vertretungsmacht dem Vertreter auferlegt wird, ist nach der Wortfassung des Art. 8 WG die fehlende Vollmacht Voraussetzung des Anspruchs gegen den Vertreter. Dies würde es nahelegen, dem Wechselgläubiger die Beweislast für die fehlende Vollmacht aufzuerlegen. Eine solche Auslegung stünde jedoch nicht mit dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift im Einklang. Danach soll der Zeichner des Wechsels Gewähr dafür bieten, daß eine wechselmäßige Verpflichtung dessen, den er zu vertreten vorgibt, zustande kommt; er haftet daher selber, wenn der angegebene Wechselschuldner nicht existiert oder nicht richtig vertreten wird (BGHZ 59, 179, 186; 61, 59, 69). Aus dem gleichen Grunde legt das Bürgerliche Gesetzbuch in § 179 dem Vertreter die Beweislast für das Bestehen der Vertretungsmacht auf (vgl. Reinicke aa0 S. 806). Jacobi (aaO) weist zutreffend darauf hin, daß dem Gläubiger mit Art. 8 WG wenig gedient wäre, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht zu beweisen hätte, da regelmäßig über diese nur zwischen Vertretenem und Vertreter verhandelt wird. Bei der vorliegenden Fallgestaltung, bei der sich nicht mehr feststellen läßt, ob der Vertreter Vertretungsmacht hatte oder nicht, würde der Wechselgläubiger, wenn ihn die Beweislast auch für den Anspruch aus Art. 8 WG träfe, leer ausgehen. Keinem Zweifel unterliegt, daß er im Rechtsstreit gegen den Vertretenen die Vollmacht des Vertreters nachweisen müßte. Da er dazu nicht imstande ist, würde die Klage abgewiesen werden. Das gleiche Schicksal hätte die Klage gegen den Vertreter, weil dem Wechselgläubiger hier der Nachweis der fehlenden Vollmacht ebenfalls nicht gelingen würde. Dieses Ergebnis läßt sich auch nicht durch eine Streitverkündigung vermeiden, weil bei einem »non liquet« für den Nachprozeß keine Bindungswirkung entsteht (BGHZ 85, 252). Aus diesem Grunde ist Sinn und Zweck des Art. 8 WG auch nicht damit Genüge getan, daß man dem verklagten Vertreter die Darlegungslast zuweist und damit dem Wechselgläubiger den Nachweis, daß die Vertretungsmacht fehlte, überhaupt erst ermöglicht, weil auch damit das vorstehend aufgezeichnete Ergebnis im Falle einer Beweislastentscheidung nicht vermieden werden kann. Es ist deshalb geboten, die Wertung, die dem § 179 Abs. 1 BGB zugrunde liegt, auch bei der Auslegung des Art. 8 WG zu berücksichtigen (vgl. Reinicke aaO) und die Darlegungs- und Beweislast dem verklagten Vertreter aufzuerlegen, daß er zur Zeichnung des Wechsels bevollmächtigt war.
c) Für dieses Ergebnis kann auch die Entstehungsgeschichte herangezogen werden. Art. 8 WG ist wortgleich mit der entsprechenden Vorschrift des Genfer Einheitlichen Wechselgesetzes. Bei Art. 8 WG haben sich die Haager Konferenzen und ihnen folgend die Genfer Konferenz der Entscheidung der Deutschen Wechselordnung, Art. 95, angeschlossen (Kupka, Das Einheitliche Wechselrecht der Genfer Verträge S. 29). Art. 95 WO lautet, soweit er hier interessiert: »Wer eine Wechselerklärung als Bevollmächtigter eines anderen unterzeichnet, ohne dazu Vollmacht zu haben, haftet persönlich in gleicher Weise, wie der angebliche Machtgeber gehaftet haben würde, wenn die Vollmacht erteilt gewesen wäre.« Trotz des auch hier entgegenstehenden Wortlauts ist in Rechtsprechung und Lehre, wenn auch nicht einhellig, damals die Auffassung vertreten worden, daß der Beklagte das Vorhandensein der Vollmacht einzuwenden und zu beweisen habe, weil dies dem Vorbild des § 179 BGB entspreche (Staub/Stranz, WechselO 9. Aufl. Art. 95 Anm. 12). Auch das Reichsgericht hat dem Vertreter den Nachweis der Vollmacht auferlegt (RG JW 1902, 365). Was nun die Auslegung jener Bestimmungen des Genfer Einheitlichen Wechselgesetzes betrifft, die einer der früheren nationalen Wechselrechtsordnungen entstammen, so ist mit Recht betont worden, daß solche Bestimmungen, selbst wenn sie wörtlich übernommen wurden, innerhalb des neuen Einheitlichen Gesetzes nicht notwendig in jeder Beziehung dieselbe Bedeutung und Tragweite behalten, die sie im Rahmen ihrer Ursprungsordnung aus deren Terminologie und aus dem organischen Zusammenhang mit deren anderen Normen empfangen haben. Im Zweifel ist jedoch anzunehmen, daß der gleichlautende Rechtssatz in seinem ursprünglichen Verständnis rezipiert worden ist (Hupka aaO S. 9, 10, vgl. dazu auch das Senatsurteil BGHZ 21, 155, 159). Gewichtige Gründe, die ein anderes Verständnis des Art. 8 WG hinsichtlich der Beweislast des Vertreters gegenüber Art. 95 WO erfordern würden, sind nicht ersichtlich. Aus diesem Grund kann auch die von Liesecke (aaO) hervorgehobene Tatsache, daß die Corte di Cassazione dem klagenden Wechselinhaber die Beweislast auferlegt, auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der möglichst einheitlichen Auslegung des Genfer Einheitlichen Wechselgesetzes zu keinem anderen Ergebnis führen.