Gleichbehandlung - Entgelt von Universitätsprofessoren
- Mittelbare Diskriminierung - Dienstalterszulage - Haftung eines Mitgliedstaats
für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Mitgliedstaat zuzurechnende Verstöße
gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind - Einem nationalen Gericht zuzurechnende
Verstöße
EuGH, Urteil v. 30.09.2003, Rs. C-224/01 - Köbler / Österreich
Leitsätze
1. Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden verpflichtet sind, die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, ist auch dann anwendbar, wenn der fragliche Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht, sofern die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Bei der Entscheidung darüber, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, muss das zuständige nationale Gericht, wenn sich der Verstoß aus einer letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung ergibt, unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion prüfen, ob dieser Verstoß offenkundig ist. Es ist Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen Schadensersatz zuständig ist.
2. Die Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und 7 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sind dahin auszulegen, dass sie untersagen, eine besondere Dienstalterszulage, die nach der vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 1998 vertretenen Auslegung eine Treueprämie darstellt, nach Maßgabe einer Bestimmung wie des § 50a des Gehaltsgesetzes 1956 in der Fassung von 1997 zu gewähren.
3. Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, wie er sich unter den Umständen des Ausgangsverfahrens aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 1998 ergibt, ist nicht offenkundig, wie es nach Gemeinschaftsrecht Voraussetzung der Haftung eines Mitgliedstaats für eine Entscheidung eines seiner letztinstanzlichen Gerichte ist.
Gründe
Urteil
1.
Mit Beschluss vom 7. Mai 2001, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen
am 6. Juni 2001, hat das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gemäß Artikel
234 EG fünf Fragen nach der Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung
jetzt Artikel 39 EG) und der sich u. a. aus den Urteilen vom 5. März 1996 in den
Rechtssachen C-46/93 und C-48/93 (Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg.
1996, I-1029) und vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-54/96 (Dorsch
Consult, Slg. 1997, I-4961) ergebenden Rechtsprechung des Gerichtshofes zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer Schadensersatzklage, die Gerhard
Köbler (im Folgenden: Kläger) gegen die Republik Österreich wegen Verstoßes
gegen eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift durch ein Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs - des obersten Verwaltungsgerichts - erhoben hat.
Rechtlicher Rahmen
3.
§ 48 Absatz 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (BGBl 1956/54) in der Fassung von
1997 (BGBl I 1997/109, im Folgenden: GG) sieht vor:
Soweit es zur Gewinnung eines Wissenschaftlers oder Künstlers aus dem In-
oder Ausland notwendig ist, kann der Bundespräsident bei der Ernennung zum
Universitätsprofessor (§ 21 des Bundesgesetzes über die Organisation der
Universitäten, BGBl. Nr. 805/1993 - UOG 1993) oder zum Ordentlichen
Universitäts(Hochschul)professor ein höheres als das nach § 48 Abs. 2 gebührende
Gehalt gewähren.
4.
§ 50a Absatz 1 GG bestimmt:
Einem Universitätsprofessor (§ 21 UOG 1993) und einem Ordentlichen
Universitäts.(Hochschul)professor, der eine fünfzehnjährige Dienstzeit in dieser
Verwendungsgruppe im Dienststand an österreichischen Universitäten (Hochschulen)
aufweist und vier Jahre im Dienststand im Bezug der Dienstalterszulage gemäß §
50 Abs. 4 gestanden ist, gebührt ab dem Zusammentreffen beider Voraussetzungen
eine ruhegenussfähige besondere Dienstalterszulage in der Höhe der
Dienstalterszulage gemäß § 50 Abs. 4.
Das Ausgangsverfahren
5.
Der Kläger steht seit dem 1. März 1986 als ordentlicher
Universitätsprofessor in Innsbruck (Österreich) in einem öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnis zum österreichischen Staat. Bei seiner Ernennung wurden ihm die
Bezüge eines ordentlichen Universitätsprofessors der Gehaltsstufe 10 zuzüglich
der normalen Dienstalterszulage eingeräumt.
6.
Mit Schreiben vom 28. Februar 1996 beantragte er die Zuerkennung der
besonderen Dienstalterszulage für Universitätsprofessoren nach § 50a GG. Er
machte geltend, dass er zwar keine fünfzehnjährige Dienstzeit als Professor an
österreichischen Universitäten, sehr wohl aber eine entsprechende Dienstzeit
unter Berücksichtigung seiner Tätigkeit an Universitäten in anderen
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft aufzuweisen habe. Das Erfordernis der
fünfzehnjährigen Dienstzeit ausschließlich an österreichischen Universitäten -
ohne Berücksichtigung der Dienstzeit an Universitäten anderer Mitgliedstaaten -
stelle nach dem Beitritt Österreichs zur Gemeinschaft eine
gemeinschaftsrechtlich nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung dar.
7.
Im Rechtsstreit, zu dem dieses Begehren des Klägers führte, richtete der
österreichische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Oktober 1997 ein
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof, das unter der Nummer C-382/97 in
das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen wurde.
8.
Mit Schreiben vom 11. März 1998 ersuchte der Kanzler des Gerichtshofes den
Verwaltungsgerichtshof um Mitteilung, ob es im Hinblick auf das Urteil
Schöning-Kougebetopoulou vom 15. Januar 1998 (C-15/96, Slg. 1998, I-47) noch für
notwendig erachtet werde, das Vorabentscheidungsersuchen aufrechtzuerhalten.
9.
Mit Beschluss vom 25. März 1998 forderte der Verwaltungsgerichtshof die
Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits auf, sich zum Ersuchen des
Gerichtshofes zu äußern, und führte aus, dass er vorläufig davon ausgehe, dass
die den Gegenstand des fraglichen Vorabentscheidungsverfahrens bildende
Rechtsfrage zugunsten des Klägers gelöst worden sei.
10.
Mit Beschluss vom 24. Juni 1998 nahm der Verwaltungsgerichtshof sein
Vorabentscheidungsersuchen zurück und wies mit Urteil vom selben Tag die
Beschwerde des Klägers mit der Begründung ab, die besondere Dienstalterszulage
stelle eine Treueprämie dar, die eine Abweichung von den
gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer
sachlich rechtfertige.
11.
In diesem Urteil vom 24. Juni 1998 heißt es u. a.:
... Der Verwaltungsgerichtshof ist in seinem Beschluss vom 22. Oktober 1997,
mit dem das Vorabentscheidungsersuchen gestellt wurde, davon ausgegangen, dass
der .besonderen Dienstalterszulage für ordentliche Universitätsprofessoren weder
der Charakter einer Treueprämie noch einer Belohnung zukommt, sondern dass es
sich um einen Bezugsbestandteil im Rahmen des Vorrückungssystems handelt.
Diese im Verhältnis zu den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens
nicht verbindlich geäußerte Rechtsauffassung wird nicht aufrechterhalten.
...
Daraus ist ersichtlich, dass die besondere Dienstalterszulage gemäß § 50a GG
1956 nicht von der im Rahmen des Berufungsverfahrens vorzunehmenden
.Marktwertbildung erfasst ist, sondern ihr Ziel darin zu sehen ist,
Wissenschaftlern, die sich auf einem sehr mobilen Arbeitsmarkt bewegen, einen
positiven Anreiz zu einem Karriereverlauf an österreichischen Universitäten zu
bieten. Sie kann daher nicht Bestandteil der regelhaften Besoldung sein und
sieht wegen ihrer Widmung als Treueprämie als Anspruchsvoraussetzung eine
bestimmte Dauer der Dienstleistung als ordentlicher Universitätsprofessor an
österreichischen Universitäten vor. Dieser Bedeutung steht die Konstruktion der
besonderen Dienstalterszulage als Bestandteil des Monatsbezuges und der damit
verbundene Dauercharakter dieser Treueprämie nicht entscheidend entgegen.
Da in Österreich - soweit dem im Beschwerdefall Bedeutung zukommt -
ausschließlich der Bund als Rechtsträger von Universitäten auftritt, gilt die
Regelung des § 50a GG 1956 - im Gegensatz zur Situation, die dem Urteil des EuGH
vom 15. Jänner 1998 [Schöning-Kougebetopoulou] in Deutschland zugrunde lag - nur
für einen Arbeitgeber. Die vom Beschwerdeführer geforderte Berücksichtigung der
Einrechnung von Vordienstzeiten erfolgt im Rahmen des .Marktwertes bei den
Berufungsverhandlungen. Die - weitere - Berücksichtigung solcher Vordienstzeiten
für die besondere Dienstalterszulage ist auch bei österreichischen
Wissenschaftlern, die nach einer Tätigkeit im Ausland wieder in Österreich
lehren, nicht vorgesehen und wäre dem vom EuGH als Rechtfertigung einer an sich
gegen das Diskriminierungsverbot verstoßenden Regelung entsprechenden Gedanken
der Honorierung der langjährigen Treue zu einem Dienstgeber widersprechend.
Da es sich bei dem in Frage stehenden vermeintlichen Anspruch des
Beschwerdeführers auf eine besondere Dienstalterszulage nach § 50a GG 1956 um
eine gesetzlich vorgesehene Treueprämie handelt und eine solche Regelung aus den
dargelegten Gründen vom EuGH als Rechtfertigung einer in einem gewissen
Spannungsverhältnis zum Diskriminierungsverbot stehenden Regelung anerkannt
wird, erweist sich die auf die Verletzung dieses Diskriminierungsverbotes
aufgebaute Beschwerde als unbegründet; sie war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG
abzuweisen ...
12.
Der Kläger erhob beim vorlegenden Gericht Klage gegen die Republik
Österreich auf Ersatz des ihm durch die Nichtauszahlung einer besonderen
Dienstalterszulage entstandenen Schadens. Er trug vor, das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 1998 widerspreche den unmittelbar
anwendbaren Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, wie sie der Gerichtshof in den
Urteilen ausgelegt habe, in denen er festgestellt habe, dass eine besondere
Dienstalterszulage keine Treueprämie darstelle.
13.
Die Republik Österreich führte aus, dass das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 1998 dem unmittelbar anwendbaren
Gemeinschaftsrecht nicht widerspreche. Außerdem könne aus einer Entscheidung
eines letztinstanzlichen Gerichts kein Staatshaftungsanspruch abgeleitet werden.
Die Vorlagefragen
14.
Da das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien der Ansicht ist, dass die
Auslegung des Gemeinschaftsrechts in der bei ihm anhängigen Rechtssache
ungewiss, für den Erlass seiner Entscheidung aber erforderlich sei, hat es
beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach es für die
Auslösung der Staatshaftung wegen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht
gleichgültig ist, welches Organ eines Mitgliedstaats diese Verletzung zu
vertreten hat (z. B. Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame), auch auf jenen
Fall anzuwenden, wenn es sich bei dem angeblich gemeinschaftsrechtswidrigen
Organverhalten um ein Erkenntnis eines Höchstgerichts eines Mitgliedstaats
handelt, wie im vorliegenden Fall um den Verwaltungsgerichtshof?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach es Sache der Rechtsordnung
jedes Mitgliedstaats ist, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von
Rechtsstreitigkeiten zuständig ist, in denen es um individuelle, auf dem
Gemeinschaftsrecht beruhende Rechte geht (z. B. Urteil Dorsch Consult), auch auf
jenen Fall anzuwenden, wenn es sich bei dem angeblich
gemeinschaftsrechtswidrigen Organverhalten um das Urteil eines Höchstgerichts
eines Mitgliedstaats handelt, wie im vorliegenden Fall um den
Verwaltungsgerichtshof?
3. Falls die Frage 2 bejaht wird:
Widerspricht die im oben dargestellten Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
geäußerte Rechtsmeinung, wonach es sich bei der besonderen Dienstalterszulage um
eine Art Treueprämie handele, einer Norm des unmittelbar anwendbaren
Gemeinschaftsrechts, insbesondere dem mittelbaren Diskriminierungsverbot des
Artikels 48 EG-Vertrag und der dazu ergangenen einschlägigen und gefestigten
Rechtsprechung des Gerichtshofes?
4. Falls die Frage 3 bejaht wird:
Handelt es sich bei dieser verletzten Norm des unmittelbar anwendbaren
Gemeinschaftsrechts um eine solche, die für die im Ausgangsverfahren klagende
Partei ein subjektives Recht begründet?
5. Falls die Frage 4 bejaht wird:
Verfügt der Europäische Gerichtshof aufgrund des Inhalts des
Vorabentscheidungsersuchens über alle Informationen, um selbst beurteilen zu
können, ob der Verwaltungsgerichtshof im geschilderten Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens den ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum
offenkundig und erheblich überschritten hat, oder überlässt er die Beantwortung
dieser Frage dem vorlegenden österreichischen Gericht?
Zur ersten und zur zweiten Frage
15.
Mit den ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das
vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz
von Schäden, die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das
Gemeinschaftsrecht entstehen, verpflichtet sind, auch dann anwendbar ist, wenn
der gerügte Verstoß aus einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts
folgt, und ob es gegebenenfalls Sache der Rechtsordnung der einzelnen
Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von
Rechtsstreitigkeiten über diesen Schadensersatz zuständig ist.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
16.
Der Kläger, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die
Kommission sind der Auffassung, dass ein einem Gericht zuzurechnender Fehler die
Haftung eines Mitgliedstaats wegen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht
auslösen kann. Nach Ansicht beider Regierungen und der Kommission ist diese
Haftung jedoch zu begrenzen und verschiedenen einschränkenden Voraussetzungen zu
unterwerfen, die zu den im Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame bereits
aufgestellten hinzukämen.
17.
Hierzu machen die deutsche und die niederländische Regierung geltend, dass
ein hinreichend qualifizierter Verstoß im Sinne dieses Urteils nur dann
vorliege, wenn eine gerichtliche Entscheidung in besonderer Weise erheblich und
offensichtlich gegen das geltende Gemeinschaftsrecht verstoße. In besonderer
Weise erheblich und offensichtlich ist ein Rechtsverstoß eines Gerichts nach
Ansicht der deutschen Regierung nur dann, wenn die Auslegung oder die
Nichtanwendung des Gemeinschaftsrechts zum einen objektiv unvertretbar erscheine
und zum anderen subjektiv als vorsätzlicher Verstoß anzusehen sei. Diese
restriktiven Maßstäbe seien zum Schutz des Grundsatzes der Rechtskraft wie auch
der richterlichen Unabhängigkeit geboten. Darüber hinaus entspreche eine
Beschränkung der Staatshaftung für fehlerhafte Gerichtsentscheidungen einem
allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsatz
im Sinne des Artikels 288 EG.
18.
Die deutsche und die niederländische Regierung nehmen an, die Haftung des
Mitgliedstaats müsse auf gerichtliche Entscheidungen beschränkt bleiben, gegen
die es kein Rechtsmittel gebe, insbesondere weil Artikel 234 EG eine
Vorlagepflicht nur für die Gerichte vorsehe, die solche Entscheidungen erließen.
Die niederländische Regierung ist der Ansicht, dass die Staatshaftung auf Fälle
eines offenkundigen und schwerwiegenden Verstoßes gegen diese Vorlagepflicht
beschränkt werden müsse.
19.
Die Kommission macht geltend, dass eine Beschränkung der Staatshaftung für
gerichtliche Entscheidungen in allen Mitgliedstaaten bestehe und dass diese
notwendig sei, um die Rechtskraft von Endentscheidungen und damit den
Rechtsfrieden zu gewährleisten. Sie befürwortet daher, einen hinreichend
qualifizierten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht nur dann anzunehmen, wenn das
nationale Gericht seine Befugnisse ganz offenkundig überschreite oder das
Gemeinschaftsrecht in seiner Bedeutung und Tragweite ganz offenkundig verkenne.
Im vorliegenden Fall sei der geltend gemachte Rechtsirrtum des
Verwaltungsgerichtshofs entschuldbar und diese Entschuldbarkeit sei eines der
Kriterien dafür, keine hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung anzunehmen
(vgl. Urteil vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C-424/97, Haim, Slg. 2000,
I-5123, Randnr. 43).
20.
Die Republik Österreich und die österreichische Regierung (im Folgenden
einheitlich: Republik Österreich) sowie die französische Regierung und die
Regierung des Vereinigten Königreichs tragen vor, dass ein Mitgliedstaat nicht
für den Verstoß eines Gerichts gegen Gemeinschaftsrecht hafte. Sie stützen diese
Ansicht auf die Rechtskraft von Entscheidungen, den Grundsatz der
Rechtssicherheit, die richterliche Unabhängigkeit, die Stellung der Judikative
in der Gemeinschaftsrechtsordnung sowie den Vergleich mit den Verfahren vor dem
Gerichtshof zur Begründung der Haftung der Gemeinschaft nach Artikel 288 EG.
21.
Die Republik Österreich macht insbesondere geltend, dass die erneute
Überprüfung der Rechtsmeinung eines letztinstanzlichen Gerichts mit der Funktion
dieses Gerichts unvereinbar sei, da dessen Entscheidungen den Streitfall
endgültig bereinigen sollten. Da sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem
Urteil vom 24. Juni 1998 ausführlich mit dem Gemeinschaftsrecht
auseinandergesetzt habe, stehe der Ausschluss einer weiteren Klagemöglichkeit
vor einem österreichischen Gericht in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht.
Darüber hinaus dürften die Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats
nicht von denjenigen abweichen, die für die Haftung der Gemeinschaft unter
vergleichbaren Umständen gälten. Da Artikel 288 Absatz 2 EG nicht auf einen
Verstoß des Gerichtshofes gegen Gemeinschaftsrecht Anwendung finden könne, da
dieser in einem solchen Fall zur Entscheidung über Schäden, die er selbst
verursacht hätte, berufen wäre und damit gleichzeitig als Richter und als Partei
aufträte, könnten Mitgliedstaaten auch nicht für Schäden haften, die ein
letztinstanzliches Gericht verursacht habe.
22.
Überdies bezwecke Artikel 234 EG nicht, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.
Denn im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof könnten
die Parteien des Ausgangsverfahrens die Vorlagefragen weder ändern noch für
gegenstandslos erklären lassen (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1965 in der
Rechtssache 44/65, Singer, Slg. 1965, 1268). Ferner könne nur der Verstoß gegen
eine Bestimmung, die dem Einzelnen Rechte verleihe, gegebenenfalls zu einer
Haftung des Mitgliedstaats führen. Ein Verstoß gegen Artikel 234 EG durch ein
letztinstanzliches Gericht könne sie daher nicht begründen.
23.
Die französische Regierung führt aus, dass die Anerkennung eines
Ersatzanspruchs wegen angeblich fehlerhafter Anwendung des Gemeinschaftsrechts
in einer rechtskräftigen Entscheidung eines nationalen Gerichts dem Grundsatz
der Rechtskraft widerspreche, wie ihn der Gerichtshof in seinem Urteil vom 1.
Juni 1999 in der Rechtssache C-126/97 (Eco Swiss, Slg. 1999, I-3055) anerkannt
habe. Insbesondere sei der Grundsatz der Unantastbarkeit der Rechtskraft in den
auf den Vorrang der Gesetze und die Einhaltung gerichtlicher Entscheidungen
gestützten Rechtssystemen von grundlegender Bedeutung. Dieser Gesetzesvorrang
und die Einhaltung gerichtlicher Entscheidungen würden jedoch durch die
Anerkennung der Staatshaftung für Verstöße eines Gerichts gegen
Gemeinschaftsrecht in Frage gestellt.
24.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, dass eine Haftungsklage
gegen die Krone wegen gerichtlicher Entscheidungen grundsätzlich nicht möglich
sei, abgesehen von Ausnahmen u. a. bei einem Verstoß gegen ein durch die am 4.
November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) geschütztes Grundrecht.
Der dem Prinzip der Staatshaftung zugrunde liegende Grundsatz des wirksamen
Schutzes der Rechte, die das Gemeinschaftsrecht verleihe, gelte nicht
uneingeschränkt; das zeigten die Ausschlussfristen. Dieser Grundsatz könne somit
nur in seltenen Fällen und nur im Hinblick auf bestimmte, genau definierte
Entscheidungen nationaler Gerichte eine Schadensersatzklage gegen den Staat
begründen. Deshalb sei der Gewinn, der sich aus der Anerkennung eines
Schadensersatzanspruchs wegen einer fehlerhaften Gerichtsentscheidung ziehen
lasse, gering. Dieser Gewinn müsse gegen bestimmte überragende Belange abgewogen
werden.
25.
Zu nennen seien, erstens, die Grundsätze der Rechtssicherheit und der
Rechtskraft. Das Gesetz verhindere, dass wegen derselben Streitfragen - außer im
Wege eines Rechtsmittels - noch einmal prozessiert werde. Dies geschehe zum
Schutz der Interessen der obsiegenden Partei und diene dem allgemeinen Interesse
an Rechtssicherheit. Der Gerichtshof habe sich in der Vergangenheit dafür
ausgesprochen, den Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes zugunsten der
grundlegende[n] Prinzipien des nationalen Rechtssystems, wie [desjenigen] der
Rechtssicherheit und [desjenigen] daraus abgeleitete[n] Prinzip[s] der Beachtung
der Rechtskraft, zu beschränken (Urteil Eco Swiss, Randnrn. 43 bis 48). Die
Anerkennung der Staatshaftung für judikatives Unrecht würde zu einem rechtlichen
Durcheinander führen und die Prozessparteien in Unsicherheit bezüglich ihrer
Rechtsposition lassen.
26.
Die Autorität und das Ansehen der Justiz würden, zweitens, geschmälert, wenn
ein Justizirrtum zu einem Schadensersatzanspruch führen könnte. Die
Unabhängigkeit der Justiz stelle, drittens, einen elementaren Grundsatz der
Verfassungsordnung aller Mitgliedstaaten dar, der aber niemals als
selbstverständlich betrachtet werden könne. Die Anerkennung einer Haftung des
Staates für Rechtsprechungsakte könnte diese Unabhängigkeit in Frage stellen.
27.
Kehrseite der den innerstaatlichen Gerichten eingeräumten Befugnis,
gemeinschaftsrechtliche Sachverhalte selbst zu entscheiden, sei, viertens, dass
gelegentliche Fehlentscheidungen nationaler Gerichte, gegen die es kein
Rechtsmittel gebe und die nicht auf andere Weise korrigiert werden könnten,
hingenommen werden müssten. Dieser Nachteil sei aber immer als hinnehmbar
erachtet worden. Würde die Staatshaftung durch einen Fehler der Justiz ausgelöst
und müsste sich der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens dazu
äußern, so müsste er sich nicht nur zur Richtigkeit von Entscheidungen
nationaler oberster Gerichte, sondern auch zur Schwere und Entschuldbarkeit
eines diesen Gerichten unterlaufenen Fehlers äußern. Das hätte für die
außerordentlich bedeutungsvollen Beziehungen zwischen dem Gerichtshof und den
nationalen Gerichten offenkundig negative Folgen.
28.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht, fünftens, geltend, dass es
schwierig sein könnte, ein für die Entscheidung über solche Staatshaftungsfälle
zuständiges Gericht zu bestimmen. Das gelte insbesondere im Vereinigten
Königreich wegen des einheitlichen Gerichtssystems und der strikten Anwendung
der Stare-decisis-Doktrin. Wenn die Staatshaftung durch eine Fehlentscheidung
der Judikative ausgelöst werden könne, müsste zudem, sechstens, die Haftung der
Gemeinschaft für Fehler der Gemeinschaftsgerichte in gleicher Weise und unter
denselben Voraussetzungen begründet werden.
29.
Spezifisch zur zweiten Vorlagefrage tragen der Kläger sowie die
österreichische und die deutsche Regierung vor, dass es Sache der Rechtsordnung
jedes Mitgliedstaats sei, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von
Rechtsstreitigkeiten zuständig sei, in denen es um individuelle, auf dem
Gemeinschaftsrecht beruhende Rechte gehe. Diese Frage sei daher zu bejahen.
Antwort des Gerichtshofes
Zum Grundsatz der Staatshaftung
30.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat,
dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem
Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht
entstehen, aus dem Wesen des EG-Vertrags folgt (Urteile vom 19. November 1991 in
den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr.
35, Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der
Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38,
vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553,
Randnr. 24, vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94 und
C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, vom 2.
April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998,
I-1531, Randnr. 106, und Haim, Randnr. 26).
31.
Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass dieser Grundsatz für jeden
Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht unabhängig davon gilt,
welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß
begangen hat (Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 32, vom 1.
Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62, und
Haim, Randnr. 27).
32.
Im Völkerrecht wird der Staat, dessen Haftung wegen Verstoßes gegen eine
völkerrechtliche Verpflichtung ausgelöst wird, als Einheit betrachtet, ohne dass
danach unterschieden würde, ob der schadensverursachende Verstoß der
Legislative, der Judikative oder der Exekutive zuzurechnen ist. Dasselbe muss
erst recht in der Gemeinschaftsrechtsordnung gelten, da alle staatlichen
Instanzen einschließlich der Legislative bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die
vom Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Normen, die die Situation des Einzelnen
unmittelbar regeln, zu beachten haben (Urteil Brasserie du pêcheur und
Factortame, Randnr. 34).
33.
In Anbetracht der entscheidenden Rolle, die die Judikative beim Schutz der
dem Einzelnen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zustehenden Rechte
spielt, wäre die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen beeinträchtigt und der
Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne unter
bestimmten Voraussetzungen dann keine Entschädigung erlangen könnte, wenn seine
Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der
einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats
zuzurechnen ist.
34.
Hierbei ist von Belang, dass ein letztinstanzliches Gericht definitionsgemäß
die letzte Instanz ist, vor der der Einzelne die ihm aufgrund des
Gemeinschaftsrechts zustehenden Rechte geltend machen kann. Da eine durch eine
rechtskräftige Entscheidung eines solchen Gerichts erfolgte Verletzung dieser
Rechte regelmäßig nicht rückgängig gemacht werden kann, darf dem Einzelnen nicht
die Befugnis genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Wege
den gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen.
35.
Im Übrigen ist ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit
Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können,
insbesondere deshalb nach Artikel 234 EG zur Anrufung des Gerichtshofes
verpflichtet, um zu verhindern, dass dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht
verliehene Rechte verletzt werden.
36.
Demnach verlangt der Schutz der Rechte des Einzelnen, der sich auf das
Gemeinschaftsrecht beruft, zwingend, dass diesem das Recht zustehen muss, vor
einem nationalen Gericht den Ersatz des Schadens zu verlangen, der auf die
Verletzung seiner Rechte durch eine Entscheidung eines letztinstanzlichen
Gerichts zurückzuführen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Brasserie du pêcheur
und Factortame, Randnr. 35).
37.
Einige Regierungen, die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens Erklärungen
eingereicht haben, haben geltend gemacht, dass der Grundsatz der Haftung des
Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das
Gemeinschaftsrecht entstehen, nicht auf Entscheidungen eines nationalen
letztinstanzlichen Gerichts Anwendung finden könne. Sie haben sich u. a. auf den
Grundsatz der Rechtssicherheit, insbesondere die Rechtskraft, auf die
richterliche Unabhängigkeit und Autorität sowie auf das Fehlen eines für die
Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten über die Staatshaftung aufgrund solcher
Entscheidungen zuständigen Gerichts berufen.
38.
Hierzu ist festzustellen, dass die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft
nicht zu bestreiten ist (Urteil Eco Swiss, Randnr. 46). Zur Gewährleistung des
Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer
geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf
der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene
Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können.
39.
Die Anerkennung des Grundsatzes der Staatshaftung für Entscheidungen
letztinstanzlicher Gerichte stellt jedoch die Rechtskraft einer solchen
Entscheidung nicht in Frage. Ein Verfahren zur Feststellung der Haftung des
Staates hat nicht denselben Gegenstand und nicht zwangsläufig dieselben Parteien
wie das Verfahren, das zur rechtskräftigen Entscheidung geführt hat. Obsiegt
nämlich der Kläger mit einer Haftungsklage gegen den Staat, so erlangt er dessen
Verurteilung zum Ersatz des entstandenen Schadens, aber nicht zwangsläufig die
Aufhebung der Rechtskraft der Gerichtsentscheidung, die den Schaden verursacht
hat. Jedenfalls verlangt der der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnende
Grundsatz der Staatshaftung eine solche Entschädigung, nicht aber die Abänderung
der schadensbegründenden Gerichtsentscheidung.
40.
Der Grundsatz der Rechtskraft steht demnach der Anerkennung der Haftung des
Staates für letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen nicht entgegen.
41.
Auch dem Vorbringen zur richterlichen Unabhängigkeit und Autorität kann
nicht gefolgt werden.
42.
Was die richterliche Unabhängigkeit betrifft, so geht es bei dem genannten
Haftungsgrundsatz nicht um die persönliche Haftung des Richters, sondern um die
des Staates. Es ist nicht ersichtlich, dass die Unabhängigkeit eines
letztinstanzlichen Gerichts durch die Möglichkeit, unter bestimmten
Voraussetzungen die Haftung des Staates für gemeinschaftsrechtswidrige
Gerichtsentscheidungen feststellen zu lassen, gefährdet würde.
43.
Zum Vorbringen, die Autorität eines letztinstanzlichen Gerichts könnte
dadurch geschmälert werden, dass seine rechtskräftigen Entscheidungen implizit
in einem Verfahren gerügt werden könnten, das die Feststellung der Haftung des
Staates für diese Entscheidungen ermöglicht, ist zu bemerken, dass das Bestehen
eines Rechtswegs, der unter bestimmten Voraussetzungen die Wiedergutmachung der
nachteiligen Auswirkungen einer fehlerhaften Gerichtsentscheidung ermöglicht,
auch als Bekräftigung der Qualität einer Rechtsordnung und damit schließlich
auch der Autorität der Judikative angesehen werden kann.
44.
Mehrere Regierungen haben außerdem vorgetragen, dass die Schwierigkeit, ein
Gericht zu bestimmen, das für Rechtsstreitigkeiten über den Ersatz von aufgrund
von Entscheidungen eines letztinstanzlichen Gerichts entstandenen Schäden
zuständig sei, ein Hindernis für die Anwendung des Grundsatzes der Staatshaftung
für solche Entscheidungen darstelle.
45.
Da der der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnende Grundsatz der
Staatshaftung aus Gründen namentlich des Schutzes der dem Einzelnen durch das
Gemeinschaftsrecht eingeräumten Rechte auch für Entscheidungen eines
letztinstanzlichen Gerichts gelten muss, ist es Sache der Mitgliedstaaten, es
den Betroffenen zu ermöglichen, sich auf diesen Grundsatz zu berufen, indem sie
ihnen einen geeigneten Rechtsweg zur Verfügung stellen. Die Durchführung dieses
Grundsatzes darf nicht durch das Fehlen eines zuständigen Gerichts verhindert
werden.
46.
Nach ständiger Rechtsprechung ist es mangels einer gemeinschaftsrechtlichen
Regelung Sache der nationalen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die
zuständigen Gerichte zu bestimmen und das Verfahren für die Klagen
auszugestalten, die den vollen Schutz der dem Einzelnen aus dem
Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (vgl. Urteile vom
16. Dezember 1976 in der Rechtssache 33/76, Rewe, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5,
und in der Rechtssache 45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, Randnr. 13, vom 27.
Februar 1980 in der Rechtssache 68/79, Just, Slg. 1980, 501, Randnr. 25,
Francovich u. a., Randnr. 42, und vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache
C-312/93, Peterbroeck, Slg. 1995, I-4599, Randnr. 12).
47.
Unter dem Vorbehalt, dass die Mitgliedstaaten für den wirksamen Schutz der
individuellen, aus der Gemeinschaftsrechtsordnung hergeleiteten Rechte in jedem
Einzelfall verantwortlich sind, ist es nicht Aufgabe des Gerichtshofes, bei der
Lösung von Zuständigkeitsfragen mitzuwirken, die die Qualifizierung einer
bestimmten, auf dem Gemeinschaftsrecht beruhenden Rechtslage im Bereich der
nationalen Gerichtsbarkeit aufwirft (Urteile vom 18. Januar 1996 in der
Rechtssache C-446/93, SEIM, Slg. 1996, I-73, Randnr. 32, und Dorsch Consult,
Randnr. 40).
48.
Hinzu kommt, dass Erwägungen im Zusammenhang mit der Achtung des Grundsatzes
der Rechtskraft oder der richterlichen Unabhängigkeit in den nationalen
Rechtsordnungen zwar zu - bisweilen erheblichen - Beschränkungen der Befugnis,
die Haftung des Staates für durch fehlerhafte Gerichtsentscheidungen verursachte
Schäden feststellen zu lassen, geführt haben, dass diese Erwägungen diese
Befugnis aber nicht völlig ausschließen konnten. Die Geltung des Grundsatzes der
Staatshaftung für Gerichtsentscheidungen ist nämlich - wie der Generalanwalt in
den Nummern 77 bis 82 seiner Schlussanträge ausgeführt hat - in der einen oder
anderen Form den meisten Mitgliedstaaten bekannt, wenn auch unter engen und
verschiedenartigen Voraussetzungen.
49.
Weiter kann auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte insbesondere
nach Artikel 41 EMRK einen Staat, der ein Grundrecht verletzt hat, zur
Entschädigung der verletzten Partei verpflichten. Nach der Rechtsprechung dieses
Gerichtshofs kann er eine solche Entschädigung auch zusprechen, wenn die
Verletzung auf einer Entscheidung eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts
beruht (vgl. EGMR, Urteil Dulaurans/Frankreich vom 21. März 2000, noch nicht
veröffentlicht).
50.
Nach alledem ist der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von
Schäden verpflichtet sind, die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende
Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, auch dann anwendbar, wenn der
fragliche Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts
besteht. Es ist Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu
bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über
diesen Schadensersatz zuständig ist.
Zu den Voraussetzungen der Staatshaftung
51.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes muss ein Mitgliedstaat Schäden,
die einem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind,
ersetzen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: Die verletzte Rechtsnorm
bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend
qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende
Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein
unmittelbarer Kausalzusammenhang (Urteil Haim, Randnr. 36).
52.
Das gilt auch für die Haftung des Staates für Schäden, die durch eine
gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung eines nationalen letztinstanzlichen
Gerichts verursacht wurden.
53.
Was des Näheren die zweite dieser Voraussetzungen und ihre Anwendung bei der
Prüfung einer Haftung des Staates für eine Entscheidung eines nationalen
letztinstanzlichen Gerichts angeht, so sind - wie auch die Mitgliedstaaten
vorgetragen haben, die in dieser Rechtssache Erklärungen eingereicht haben - die
Besonderheit der richterlichen Funktion sowie die berechtigten Belange der
Rechtssicherheit zu berücksichtigen. Der Staat haftet für eine solche
gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung nur in dem Ausnahmefall, dass das
Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen hat.
54.
Bei der Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss das
mit einer Schadensersatzklage befasste nationale Gericht alle Gesichtspunkte des
Einzelfalls berücksichtigen.
55.
Zu diesen Gesichtspunkten gehören u. a. das Maß an Klarheit und Präzision
der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes, die
Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, gegebenenfalls die Stellungnahme eines
Gemeinschaftsorgans sowie die Verletzung der Vorlagepflicht nach Artikel 234
Absatz 3 EG durch das in Rede stehende Gericht.
56.
Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist jedenfalls dann hinreichend
qualifiziert, wenn die fragliche Entscheidung die einschlägige Rechtsprechung
des Gerichtshofes offenkundig verkennt (vgl. in diesem Sinne Urteil Brasserie du
pêcheur und Factortame, Randnr. 57).
57.
Die drei in Randnummer 51 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen
sind erforderlich und ausreichend, um einen Entschädigungsanspruch des Einzelnen
zu begründen, schließen aber nicht aus, dass der Staat nach nationalem Recht
unter weniger strengen Voraussetzungen haftet (vgl. Urteil Brasserie du pêcheur
und Factortame, Randnr. 66).
58.
Vorbehaltlich des Anspruchs auf Entschädigung, der bei Erfüllung dieser
Voraussetzungen seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht hat, hat der
Staat die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen
Haftungsrechts zu beheben, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht
festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen
Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet
sein dürfen, dass sie die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich machen
oder übermäßig erschweren (Urteile Francovich u. a., Randnrn. 41 bis 43, und
Norbrook Laboratories, Randnr. 111).
59.
Nach alledem sind die ersten beiden Fragen dahin zu beantworten, dass der
Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden verpflichtet sind,
die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das
Gemeinschaftsrecht entstehen, auch dann anwendbar ist, wenn der fragliche
Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht, sofern
die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu
verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß
und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang
besteht. Bei der Entscheidung darüber, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert
ist, muss das zuständige nationale Gericht, wenn sich der Verstoß aus einer
letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung ergibt, unter Berücksichtigung der
Besonderheit der richterlichen Funktion prüfen, ob dieser Verstoß offenkundig
ist. Es ist Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu bestimmen,
welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen
Schadensersatz zuständig ist.
Zur dritten Frage
60.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach ständiger
Rechtsprechung im Rahmen der Anwendung des Artikels 234 EG nicht befugt ist,
über die Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift mit dem
Gemeinschaftsrecht zu entscheiden. Er kann aber aus den Fragen des vorlegenden
Gerichts unter Berücksichtigung des von diesem mitgeteilten Sachverhalts das
herausschälen, was die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft, um diesem
Gericht die Lösung der ihm vorliegenden Rechtsfrage zu ermöglichen (vgl. u. a.
Urteil vom 3. März 1994 in den Rechtssachen C-332/92, C-333/92 und C-335/92,
Eurico Italia u. a., Slg. 1994, I-711, Randnr. 19).
61.
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die
Artikel 48 EG-Vertrag und 7 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates
vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der
Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) dahin auszulegen sind, dass sie es untersagen,
eine besondere Dienstalterszulage, die nach der vom Verwaltungsgerichtshof in
seinem Urteil vom 24. Juni 1998 vertretenen Auslegung eine Treueprämie
darstellt, nach Maßgabe einer Bestimmung wie der des § 50a GG zu gewähren.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
62.
Der Kläger macht zunächst geltend, dass die besondere Dienstalterszulage
nach § 50a GG keine Treueprämie, sondern einen gewöhnlichen Gehaltsbestandteil
darstelle, wie der Verwaltungsgerichtshof ursprünglich auch festgestellt habe.
Außerdem sei bis zum Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 1998 kein
österreichisches Gericht davon ausgegangen, dass es sich bei dieser Zulage um
eine Treueprämie handele.
63.
Selbst wenn diese Zulage jedoch eine Treueprämie sei und eine solche Prämie
eine mittelbare Diskriminierung rechtfertigen könnte, gebe es keine einheitliche
und gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofes zu diesem Thema. Folglich habe
der Verwaltungsgerichtshof dadurch, dass er sein Vorabentscheidungsersuchen
zurückgezogen und seine Entscheidung autonom gefällt habe, seine Kompetenzen
überschritten, weil die Auslegung und Definition gemeinschaftsrechtlicher
Begriffe in die ausschließliche Kompetenz des Gerichthofes fielen.
64.
Schließlich sei eine Rechtfertigung der ihm gegenüber ausgeübten mittelbaren
Diskriminierung in Anbetracht der Voraussetzungen für die Gewährung der
besonderen Dienstalterszulage ausgeschlossen. Diese stehe dem Antragsteller
unabhängig davon zu, an welcher österreichischen Universität er beschäftigt
gewesen sei, und verlange nicht einmal, dass er während der fünfzehnjährigen
Beschäftigungsdauer durchgehend innerhalb ein und derselben Fachrichtung tätig
gewesen sei.
65.
Da der Gerichtshof das innerstaatliche Recht nicht auslegen könne, ist die
dritte Vorlagefrage nach Ansicht der Republik Österreich dahin zu verstehen,
dass das vorlegende Gericht die Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag begehre.
Diese Vorschrift stehe einem Besoldungssystem, das die Berücksichtigung von bei
anderen in- oder ausländischen Dienstgebern erworbenen Qualifikationen im Wege
der Einstufung von Stellenbewerbern ermögliche und das daneben eine als
Treueprämie zu qualifizierende Zulage vorsehe, deren Bezug an eine bestimmte
Dienstzeit beim selben Dienstgeber geknüpft sei, nicht entgegen.
66.
Da der Kläger als ordentlicher Universitätsprofessor in einem
öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehe, sei sein Dienstherr der
österreichische Staat. Folglich bleibe der Dienstherr der gleiche, wenn der
Professor von einer österreichischen Universität an eine andere wechsle. In
Österreich gebe es auch Privatuniversitäten. Die dort lehrenden Professoren
seien Arbeitnehmer dieser Einrichtungen und nicht des Staates, so dass ihre
Arbeitsbeziehungen nicht den Bestimmungen des GG unterlägen.
67.
Die Kommission macht geltend, dass § 50a GG unter Verstoß gegen Artikel 48
EG-Vertrag zwischen an österreichischen Universitäten und an Universitäten
anderer Mitgliedstaaten abgelegten Dienstzeiten diskriminiere.
68.
Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Endurteil die Tragweite des
Urteils Schöning-Kougebetopoulou verkannt. Angesichts neuer offener
Auslegungsfragen aus der Sicht des nationalen Rechts hätte er das
Vorabentscheidungsersuchen in abgeänderter Form fortführen müssen. Der
Gerichtshof habe niemals ausdrücklich festgestellt, dass eine Treueprämie als
Rechtfertigungsgrund für eine Arbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten
diskriminierende Norm dienen könne.
69.
Darüber hinaus könne die im Ausgangsfall in Rede stehende besondere
Dienstalterszulage, selbst wenn sie als Treueprämie anzusehen wäre, eine
Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht rechtfertigen. Das
Gemeinschaftsrecht verwehre es einem Arbeitgeber grundsätzlich nicht,
qualifizierte Arbeitnehmer dadurch an das Unternehmen zu binden, dass er
Mitarbeitern Lohnerhöhungen oder Zuschläge auszahle, die an die Dauer der
Tätigkeit im Unternehmen gebunden seien. Die Treueprämie des § 50a GG zeichne
sich im Gegensatz zu Treueprämien, die nur auf der Ebene der einzelnen
Unternehmen wirkten, dadurch aus, dass sie auf der Ebene des betreffenden
Mitgliedstaats im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten wirke und dadurch
unmittelbare Auswirkungen auf die Freizügigkeit der Professoren habe. Außerdem
stünden die einzelnen österreichischen Universitäten nicht nur in Wettbewerb mit
den Universitäten anderer Mitgliedstaaten, sondern auch untereinander. In
letzterem Rahmen zeitige die genannte Vorschrift jedoch keine Auswirkungen.
Antwort des Gerichtshofes
70.
Die besondere Dienstalterszulage, die der österreichische Staat als
Arbeitgeber den Universitätsprofessoren nach § 50a GG gewährt, stellt einen
finanziellen Vorteil dar, der zum Grundgehalt, das sich bereits nach dem
Dienstalter richtet, hinzu kommt. Ein Universitätsprofessor erhält diese Zulage,
wenn er mindestens 15 Jahre Dienstzeit an einer österreichischen Universität
aufweist und zudem seit mindestens 4 Jahren die normale Dienstalterszulage
bezieht.
71.
Demnach schließt § 50a GG jede Möglichkeit aus, bei der Gewährung der
besonderen Dienstalterszulage Dienstzeiten zu berücksichtigen, die ein
Universitätsprofessor in einem anderen Mitgliedstaat als der Republik Österreich
geleistet hat.
72.
Eine solche Regelung kann die Freizügigkeit der Arbeitnehmer unter zwei
Gesichtspunkten behindern.
73.
Zum einen benachteiligt sie Wanderarbeitnehmer aus anderen Mitgliedstaaten
als der Republik Österreich, da Dienstzeiten, die diese als
Universitätsprofessoren in diesen Mitgliedstaaten abgeleistet haben, nur deshalb
nicht anerkannt werden, weil sie nicht an einer österreichischen Universität
abgeleistet wurden (in diesem Sinne, eine vergleichbare griechische Vorschrift
betreffend, Urteil vom 12. März 1998 in der Rechtssache C-187/96,
Kommission/Griechenland, Slg. 1998, I-1095, Randnrn. 20 und 21).
74.
Zum anderen behindert diese unbedingte Weigerung, in anderen Mitgliedstaaten
als der Republik Österreich abgeleistete Dienstzeiten eines
Universitätsprofessors anzuerkennen, die Freizügigkeit der in Österreich
ansässigen Arbeitnehmer, da sie diese davon abhalten kann, das Land zu
verlassen, um von ihren Freizügigkeitsrechten Gebrauch zu machen. Denn bei einer
Rückkehr nach Österreich würden ihre Beschäftigungsjahre als
Universitätsprofessor in einem anderen Mitgliedstaat, d. h. in Ausübung einer
vergleichbaren Tätigkeit, für die besondere Dienstalterszulage nach § 50a GG
nicht berücksichtigt.
75.
Diesen Erwägungen steht entgegen dem Vorbringen der Republik Österreich
nicht entgegen, dass das Gehalt von zugewanderten Universitätsprofessoren
aufgrund des § 48 Absatz 3 GG, wonach ihnen ein höheres Grundgehalt gewährt
werden könne, um die Einstellung von an ausländischen Universitäten tätigen
Professoren zu fördern, oftmals höher sei als dasjenige, das Professoren an
österreichischen Universitäten - auch unter Berücksichtigung der besonderen
Dienstalterszulage - bezögen.
76.
Zum einen schafft § 48 Absatz 3 GG nämlich nur eine Chance und gewährleistet
nicht, dass der an einer ausländischen Universität tätige Professor mit seiner
Ernennung zum Professor an einer österreichischen Universität ein höheres Gehalt
als die Professoren an österreichischen Universitäten mit gleicher
Berufserfahrung bezieht. Zum anderen ist die Ergänzung des Gehalts, die nach §
48 Absatz 3 GG bei der Einstellung angeboten werden kann, ganz anderer Natur als
die besondere Dienstalterszulage. Diese Vorschrift gleicht demnach die durch §
50a GG bewirkte Ungleichbehandlung der zugewanderten Universitätsprofessoren
gegenüber den Professoren an österreichischen Universitäten nicht aus, was zu
einer Beeinträchtigung der durch Artikel 48 EG-Vertrag verbürgten Freizügigkeit
der Arbeitnehmer führt.
77.
Eine Maßnahme wie die Gewährung der besonderen Dienstalterszulage nach § 50a
GG beeinträchtigt folglich die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, was gemäß Artikel
48 EG-Vertrag und Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 grundsätzlich
untersagt ist. Eine solche Maßnahme wäre nur dann zulässig, wenn sie einen mit
dem EG-Vertrag vereinbaren legitimen Zweck verfolgte und aus zwingenden Gründen
des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre. Zudem müsste ihre Durchführung zur
Erreichung des verfolgten Zweckes geeignet sein, und dürfte nicht über das
hierzu Erforderliche hinausgehen (vgl. u. a. Urteile vom 31. März 1993 in der
Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32, vom 30. November 1995
in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, und vom 15.
Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr.
104).
78.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 24. Juni 1998
entschieden, dass die in § 50a GG vorgesehene besondere Dienstalterszulage nach
nationalem Recht eine Prämie darstelle, die die Treue der an österreichischen
Universitäten tätigen Professoren gegenüber ihrem einzigen Dienstherrn, d. h.
dem österreichischen Staat, honorieren solle.
79.
Es ist daher zu prüfen, ob daraus, dass diese Zulage nach nationalem Recht
eine Treueprämie darstellt, für das Gemeinschaftsrecht gefolgert werden kann,
dass sie auf einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses beruht, der die mit
ihr verbundene Beeinträchtigung der Freizügigkeit rechtfertigen kann.
80.
Hierzu ist vorab festzuhalten, dass der Gerichtshof bisher noch nicht
entschieden hat, ob eine Treueprämie eine Beeinträchtigung der Freizügigkeit der
Arbeitnehmer rechtfertigen kann.
81.
In den Randnummern 27 des Urteils Schöning-Kougebetopoulou und 49 des
Urteils vom 30. November 2000 in der Rechtssache C-195/98 (Österreichischer
Gewerkschaftsbund, Slg. 2000, I-10497) hat der Gerichtshof das entsprechende
Vorbringen der deutschen bzw. der österreichischen Regierung zurückgewiesen. Der
Gerichtshof hat dort nämlich festgestellt, dass die in Rede stehende Regelung
nicht geeignet sei, die Treue eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber
zu honorieren, weil der Gehaltszuschlag, den der Arbeitnehmer für sein
Dienstalter erhalte, sich nach den bei einer Mehrzahl von Arbeitgebern
geleisteten Dienstjahren richte. Da der Gehaltszuschlag in den diesen Urteilen
zugrunde liegenden Rechtssachen keine Treueprämie darstellte, brauchte der
Gerichtshof nicht zu prüfen, ob eine solche Prämie für sich allein eine
Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer rechtfertigen könnte.
82.
Im vorliegenden Fall hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24.
Juni 1998 entschieden, dass die in § 50a GG vorgesehene besondere
Dienstalterszulage die Treue des Arbeitnehmers gegenüber einem einzigen
Arbeitgeber honoriere.
83.
Zwar ist nicht auszuschließen, dass das Ziel der Bindung der Arbeitnehmer an
ihre Arbeitgeber im Rahmen einer Politik der Forschung und der Hochschullehre
einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt. Angesichts der
besonderen Merkmale der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme kann die
mit ihr verbundene Beeinträchtigung jedoch nicht mit diesem Ziel gerechtfertigt
werden.
84.
Zum einen sind alle Professoren an öffentlichen österreichischen
Universitäten zwar Arbeitnehmer eines einzigen Arbeitgebers, nämlich des
österreichischen Staates, jedoch bei verschiedenen Universitäten beschäftigt.
Auf dem Arbeitsmarkt für Universitätsprofessoren stehen die einzelnen
österreichischen Universitäten aber nicht nur mit den Universitäten anderer
Mitgliedstaaten, sondern auch untereinander im Wettbewerb. In letzterem Rahmen
ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme nicht geeignet, die Treue
eines Professors gegenüber der österreichischen Universität, bei der er
beschäftigt ist, zu fördern.
85.
Zum anderen soll die besondere Dienstalterszulage zwar die Treue der
Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber honorieren, sie entlohnt aber letztlich
Professoren an österreichischen Universitäten, die ihren Beruf weiterhin in
Österreich ausüben. Diese Zulage kann sich damit auf die Entscheidung dieser
Professoren für eine Beschäftigung an einer österreichischen Universität oder an
der Universität eines anderen Mitgliedstaats auswirken.
86.
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende besondere Dienstalterszulage
bewirkt daher nicht nur eine Honorierung der Treue des Arbeitnehmers gegenüber
seinem Arbeitgeber. Sie führt auch zu einer Abschottung des Arbeitsmarkts für
Universitätsprofessoren in Österreich und widerspricht dem Wesen der
Freizügigkeit der Arbeitnehmer.
87.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine Maßnahme wie die besondere
Dienstalterszulage nach § 50a GG die Freizügigkeit der Arbeitnehmer
beeinträchtigt, ohne durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses
gerechtfertigt zu sein.
88.
Demnach ist auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass die Artikel 48
EG-Vertrag und 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68 dahin auszulegen sind, dass
sie es untersagen, eine besondere Dienstalterszulage, die nach der vom
Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 1998 vertretenen Auslegung
eine Treueprämie darstellt, nach Maßgabe einer Bestimmung wie des § 50a GG zu
gewähren.
Zur vierten und zur fünften Frage
89.
Mit der vierten und der fünften Frage, die gemeinsam zu behandeln sind,
möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Mitgliedstaat im vorliegenden Fall
für eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Urteil des
Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 1998 haftet.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
90.
Zur vierten Frage tragen der Kläger, die deutsche Regierung und die
Kommission vor, dass Artikel 48 EG-Vertrag unmittelbar anwendbar sei und
subjektive Rechte für den Einzelnen begründe, die die nationalen Behörden und
Gerichte zu schützen hätten.
91.
Die Republik Österreich führt aus, dass die vierte Frage nur zu beantworten
wäre, wenn der Gerichtshof die vorangehenden Fragen nicht im von ihr
vorgeschlagenen Sinne beantworte. Da die vierte Frage nur für den Fall der
Bejahung der - ihrer Ansicht nach unzulässigen - dritten Frage gestellt worden
sei, schlägt sie dem Gerichtshof vor, diese vierte Frage unbeantwortet zu
lassen. Im Übrigen sei die Frage unklar, da der Vorlagebeschluss hierzu keine
Begründung enthalte.
92.
Die fünfte Frage ist nach Auffassung des Klägers zu bejahen, weil der
Gerichtshof über alle Elemente verfüge, die ihm erlaubten, selbst zu
entscheiden, ob der Verwaltungsgerichtshof im Ausgangsverfahren den ihm zur
Verfügung stehenden Ermessensspielraum offenkundig und erheblich überschritten
habe.
93.
Die Republik Österreich ist der Ansicht, dass es den nationalen Gerichten
obliege, die Kriterien für die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden
anzuwenden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht
entstanden seien.
94.
Für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage, ob die Haftung der Republik
Österreich begründet sei, selbst beantworten sollte, führt sie jedoch, erstens,
aus, dass Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt: Artikel 234 EG) nicht bezwecke, dem
Einzelnen Rechte zu verleihen. Diese Haftungsvoraussetzung sei daher nicht
erfüllt.
95.
Unstreitig sei, zweitens, dass den nationalen Gerichten bei der Frage, ob
sie im Rahmen eines bei ihnen anhängigen Rechtsstreits ein
Vorabentscheidungsverfahren einleiten sollten oder nicht, ein weites Ermessen
zukomme. Da der Gerichtshof in seinem Urteil Schöning-Kougebetopoulou
festgestellt habe, dass Treueprämien nicht grundsätzlich den Bestimmungen über
die Arbeitnehmerfreizügigkeit widersprächen, sei der Verwaltungsgerichtshof zu
Recht zu dem Schluss gelangt, dass er in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit die
gemeinschaftsrechtlichen Fragen selbst entscheiden könne.
96.
Sollte der Gerichtshof feststellen, dass der Verwaltungsgerichtshof in
seinem Urteil vom 24. Juni 1998 gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen habe, so
könne, drittens, das Verhalten dieses Gerichts jedenfalls nicht als
qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht eingestuft werden.
97.
Die Rücknahme der an den Gerichtshof gerichteten Vorlage durch den
Verwaltungsgerichtshof könne, viertens, keinesfalls kausal für den vom Kläger
konkret geltend gemachten Schaden sein. Einer derartigen Argumentation liege
nämlich die völlig unzulässige Annahme zugrunde, dass eine Vorabentscheidung des
Gerichtshofes im Fall der Aufrechterhaltung des Vorabentscheidungsersuchens
zwangsläufig die Rechtsansicht des Klägers bestätigt hätte. Mit anderen Worten
würde dies bedeuten, dass der Schaden in Form der Nichtauszahlung der besonderen
Dienstalterszulage für den Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 28. Februar 2001
nicht eingetreten wäre, wenn das Vorabentscheidungsverfahren aufrechterhalten
worden wäre und zu einer Entscheidung des Gerichtshofs geführt hätte. Eine
derartige Präjudizierung der Entscheidung des Gerichtshofes in einem
Vorabentscheidungsverfahren im Sinne des Vorbringens einer Partei sei weder
möglich noch sei es zulässig, darauf gestützt einen Schaden geltend zu machen.
98.
Die deutsche Regierung trägt vor, dass die Feststellung, ob die
Voraussetzungen der Haftung des Mitgliedstaats erfüllt seien, dem zuständigen
nationalen Gericht obliege.
99.
Nach Ansicht der Kommission haftet der Mitgliedstaat im Ausgangsverfahren
nicht. Denn obwohl der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 1998
das Urteil Schöning-Kougebetopoulou falsch ausgelegt habe und durch seine
Feststellung, dass § 50a GG nicht gegen Gemeinschaftsrecht verstoße, gegen
Artikel 48 EG-Vertrag verstoßen habe, sei dieser Verstoß in gewisser Weise
entschuldbar.
Antwort des Gerichtshofes
100.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes obliegt die Anwendung der
Kriterien für die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die Einzelnen durch
Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, entsprechend den vom
Gerichtshof entwickelten Leitlinien (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame,
Randnr. 58) grundsätzlich den nationalen Gerichten (Urteil Brasserie du pêcheur
und Factortame, Randnr. 55 bis 57, British Telecommunications, Randnr. 411, vom
17. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Denkavit
u. a., Slg. 1996, I-5063, Randnr. 49, und Konle, Randnr. 58).
101.
In der vorliegenden Rechtssache verfügt der Gerichtshof jedoch über alle
Angaben, um feststellen zu können, ob die Voraussetzungen für die Haftung des
Mitgliedstaats gegeben sind.
Der Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht
102.
Die Gemeinschaftsrechtsnormen, deren Verletzung im Ausgangsverfahren in Rede
steht, sind, wie aus der Antwort auf die dritte Frage hervorgeht, die Artikel 48
EG-Vertrag und 7 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1612/68. Diese Vorschriften ziehen
die Folgerung aus dem elementaren Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer
in der Gemeinschaft und verbieten jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende
unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten insbesondere
bei der Entlohnung.
103.
Diese Vorschriften bezwecken unbestreitbar, dem Einzelnen Rechte zu
verleihen.
Der hinreichend qualifizierte Verstoß
104.
Vorab ist an den Ablauf des Verfahrens zu erinnern, das zum Urteil des
Verwaltungsgerichtshof vom 24. Juni 1998 geführt hat.
105.
In dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zwischen dem Kläger und dem
Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst wegen dessen Weigerung, dem
Kläger die besondere Dienstalterszulage nach § 50a GG zu gewähren, legte der
Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof mit Beschluss vom 22. Oktober 1997, der
unter der Nummer C-382/97 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs
eingetragen wurde, eine Frage nach der Auslegung des Artikels 48 EG-Vertrag und
der Artikel 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1612/68 zur Vorabentscheidung vor.
106.
Der Verwaltungsgerichtshof führte in diesem Beschluss u. a. aus, dass es für
die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von entscheidender
Bedeutung sei, ob es dem durch Artikel 48 EGV geprägten Gemeinschaftsrecht
widerspreche, wenn der österreichische Gesetzgeber die besondere
Dienstalterszulage für ordentliche Universitätsprofessoren, der weder der
Charakter einer Treueprämie noch einer Belohnung zukomme, sondern die einen
Bezugsbestandteil im Rahmen des Vorrückungssystems darstelle, von einer
15-jährigen Dienstzeit an einer österreichischen Universität abhängig mache.
107.
Zunächst ist festzustellen, dass aus diesem Vorlagebeschluss eindeutig
hervorgeht, dass der Verwaltungsgerichtshof seinerzeit der Ansicht war, dass
diese besondere Dienstalterszulage nach nationalem Recht keine Treueprämie
darstelle.
108.
Sodann trug die österreichische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen
in der Rechtssache C-382/97 lediglich vor, dass die dort vorgesehene besondere
Dienstalterszulage eine Treueprämie darstelle, um darzutun, dass § 50a GG keinen
Verstoß gegen den in Artikel 48 EG-Vertrag verankerten Grundsatz der
Freizügigkeit der Arbeitnehmer darstelle.
109.
Schließlich hatte der Gerichtshof in den Randnummern 22 und 23 seines
Urteils Schöning-Kougebetopoulou bereits entschieden, dass eine Maßnahme, die
jede Möglichkeit einer Berücksichtigung von im öffentlichen Dienst eines anderen
Mitgliedstaats zurückgelegten vergleichbaren Beschäftigungszeiten ausschließt,
gegen Artikel 48 EG-Vertrag verstößt.
110.
Da der Gerichtshof zum einen bereits entschieden hatte, dass eine solche
Maßnahme gegen diese Vertragsbestimmung verstößt, und zum anderen die einzige
von der österreichischen Regierung vorgetragene Rechtfertigung in Anbetracht des
Vorlagebeschlusses nicht sachdienlich war, übermittelte der Kanzler des
Gerichtshofes dem Verwaltungsgerichtshof mit Schreiben vom 11. März 1998 das
Urteil Schöning-Kougebetopoulou, so dass dieser prüfen konnte, ob er über die
Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts verfügte, die er für die
Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigte, und ersuchte ihn um
Mitteilung, ob er es im Hinblick auf dieses Urteil noch für notwendig erachte,
das Vorabentscheidungsersuchen aufrechtzuerhalten.
111.
Mit Verfügung vom 25. März 1998 gab der Verwaltungsgerichtshof den Parteien
des bei ihm anhängigen Rechtsstreits Gelegenheit, zur Anfrage des Kanzlers des
Gerichtshofes Stellung zu nehmen. Dabei stellte er vorläufig fest, dass die im
betreffenden Vorabentscheidungsverfahren anhängig gemachte Rechtsfrage zugunsten
des Klägers gelöst worden sei.
112.
Mit Beschluss vom 24. Juni 1998 nahm der Verwaltungsgerichtshof sein
Vorabentscheidungsersuchen zurück, da die Aufrechterhaltung dieses Ersuchens für
die Entscheidung des Rechtsstreits nicht mehr erforderlich sei. Er wies darauf
hin, dass die im vorliegenden Fall entscheidende Frage laute, ob es sich bei der
besonderen Dienstalterszulage um eine Treueprämie handele, und dass diese im
Rahmen des nationalen Rechts zu beantworten sei.
113.
Hierzu führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 1998
aus, dass er in seinem Beschluss vom 22. Oktober 1997, mit dem das
Vorabentscheidungsersuchen gestellt wurde, davon ausgegangen sei, dass der
besonderen Dienstalterszulage für ordentliche Universitätsprofessoren weder der
Charakter einer Treueprämie noch einer Belohnung zukomme und dass diese im
Verhältnis zu den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht
verbindlich geäußerte Rechtsauffassung nicht aufrechterhalten werde. Der
Verwaltungsgerichtshof gelangt nämlich in diesem Urteil zu dem Schluss, dass
diese Zulage sehr wohl eine Treueprämie darstelle.
114.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Verwaltungsgerichtshof die
Klassifizierung der besonderen Dienstalterszulage nach nationalem Recht
abgeändert hat, nachdem ihn der Kanzler des Gerichtshofes um Mitteilung ersucht
hatte, ob er sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle.
115.
Infolge dieser Umklassifizierung der in § 50a GG vorgesehenen besonderen
Dienstalterszulage wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Klägers
ab. In seinem Urteil vom 24. Juni 1998 leitete er nämlich aus dem Urteil
Schöning-Kougebetopoulou ab, dass diese Zulage, da sie als Treueprämie zu
qualifizieren sei, auch dann gerechtfertigt sein könne, wenn sie an sich gegen
das Diskriminierungsverbot des Artikels 48 EG-Vertrag verstoße.
116.
Wie sich aus den Randnummern 80 und 82 des vorliegenden Urteils ergibt, hat
sich der Gerichtshof im Urteil Schöning-Kougebetopoulou zur Frage, ob und unter
welchen Voraussetzungen eine mit einer Treueprämie einhergehende Beschränkung
der Arbeitnehmerfreizügigkeit gerechtfertigt sein könnte, nicht geäußert. Die
Erwägungen, die der Verwaltungsgerichtshof aus diesem Urteil abgeleitet hat,
beruhen daher auf einer irrigen Auslegung des Urteils.
117.
Da der Verwaltungsgerichtshof somit zum einen seine Auslegung des nationalen
Rechts durch Klassifizierung der in § 50a GG vorgesehenen Maßnahme als
Treueprämie änderte, nachdem ihm das Urteil Schöning-Kougebetopoulou übersandt
worden war, und der Gerichtshof sich zum anderen noch nicht zu der Frage
geäußert hatte, ob eine mit einer Treueprämie einhergehende Beschränkung der
Arbeitnehmerfreizügigkeit gerechtfertigt sein könnte, hätte der
Verwaltungsgerichtshof sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten müssen.
118.
Der Verwaltungsgerichtshof durfte nämlich nicht davon ausgehen, dass sich
die Lösung der Rechtsfrage einer gesicherten Rechtsprechung des Gerichtshofes
entnehmen oder keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel lasse (vgl. Urteil
vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache 283/81, CILFIT u. a., Slg. 1982, 3415,
Randnrn. 14 und 16). Er war daher nach Artikel 177 Absatz 3 EG-Vertrag
verpflichtet, sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechtzuerhalten.
119.
Wie sich aus der Antwort auf die dritte Frage ergibt, geht mit einer
Maßnahme wie der in § 50a GG vorgesehenen besonderen Dienstalterszulage, selbst
wenn sie als Treueprämie qualifiziert werden kann, eine Beeinträchtigung der
Freizügigkeit der Arbeitnehmer einher, die gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.
Infolgedessen hat der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Urteil vom 24. Juni 1998
gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen.
120.
Es ist somit unter Berücksichtigung der nach den Randnummern 55 und 56 des
vorliegenden Urteils zu berücksichtigenden Gesichtspunkte zu prüfen, ob dieser
Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht offenkundig ist.
121.
Hierzu ist, erstens, festzustellen, dass der Verstoß gegen die
gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der Antwort auf die dritte
Frage sind, an sich nicht als offenkundig eingestuft werden kann.
122.
Das Gemeinschaftsrecht regelt nämlich die Frage, ob eine Maßnahme wie eine
Treueprämie, die den Arbeitnehmer an seinen Arbeitgeber bindet, aber zugleich
die Arbeitnehmerfreizügigkeit beeinträchtigt, gerechtfertigt und somit mit dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar sein kann, nicht ausdrücklich. Diese Frage war auch
in der Rechtsprechung des Gerichtshofes noch nicht beantwortet worden. Darüber
hinaus lag die Antwort nicht auf der Hand.
123.
Diesem Schluss steht, zweitens, nicht entgegen, dass der
Verwaltungsgerichtshof, wie in Randnummer 118 des vorliegenden Urteils
ausgeführt, sein Vorabentscheidungsersuchen hätte aufrechterhalten müssen. Der
Verwaltungsgerichtshof hatte im vorliegenden Fall nämlich beschlossen, das
Vorabentscheidungsersuchen zurückzunehmen, weil er angenommen hatte, dass die
Antwort auf die zu entscheidende Frage des Gemeinschaftsrechts bereits im Urteil
Schöning-Kougebetopoulou gegeben worden sei. Aufgrund der irrigen Auslegung
dieses Urteils hielt es der Verwaltungsgerichtshof nicht mehr für erforderlich,
dem Gerichtshof diese Auslegungsfrage vorzulegen.
124.
In Anbetracht der Umstände dieses Falles ist daher nicht davon auszugehen,
dass der in Randnummer 119 des vorliegenden Urteils festgestellte Verstoß
offenkundig und somit hinreichend qualifiziert ist.
125.
Hinzuzufügen ist, dass diese Antwort die Verpflichtungen unberührt lässt,
die sich für den betreffenden Mitgliedstaat aus der Antwort des Gerichtshofes
auf die dritte Frage ergeben.
126.
Die vierte und die fünfte Frage sind somit dahin zu beantworten, dass ein
Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, wie er sich unter den Umständen des
Ausgangsverfahrens aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni 1998
ergibt, nicht offenkundig ist, wie es nach Gemeinschaftsrecht Voraussetzung der
Haftung eines Mitgliedstaats für eine Entscheidung eines seiner
letztinstanzlichen Gerichte ist.
Kosten
127.
Die Auslagen der österreichischen, der deutschen, der französischen und der
niederländischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der
Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom 7.
Mai 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden
verpflichtet sind, die einem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen
das Gemeinschaftsrecht entstehen, ist auch dann anwendbar, wenn der fragliche
Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht, sofern
die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu
verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß
und dem dem Einzelnen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang
besteht. Bei der Entscheidung darüber, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert
ist, muss das zuständige nationale Gericht, wenn sich der Verstoß aus einer
letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung ergibt, unter Berücksichtigung der
Besonderheit der richterlichen Funktion prüfen, ob dieser Verstoß offenkundig
ist. Es ist Sache der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu bestimmen,
welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen
Schadensersatz zuständig ist.
2. Die Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und 7 Absatz
1 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die
Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft sind dahin auszulegen,
dass sie untersagen, eine besondere Dienstalterszulage, die nach der vom
österreichischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 24. Juni 1998
vertretenen Auslegung eine Treueprämie darstellt, nach Maßgabe einer Bestimmung
wie des § 50a des Gehaltsgesetzes 1956 in der Fassung von 1997 zu gewähren.
3. Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, wie er sich unter den Umständen
des Ausgangsverfahrens aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. Juni
1998 ergibt, ist nicht offenkundig, wie es nach Gemeinschaftsrecht Voraussetzung
der Haftung eines Mitgliedstaats für eine Entscheidung eines seiner
letztinstanzlichen Gerichte ist.
Rodríguez Iglesias
Puissochet
Wathelet
Schintgen
Timmermans
Gulmann
Edward
La Pergola
Jann
Skouris
Macken
Colneric
von Bahr
Cunha Rodrigues
Rosas
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. September 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
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