Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung -
Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen
EuGH, Urteil vom 10.4.1984 - Rs. 14/83 -
(v. Colson u. Kamann)
Fundstellen:
EuGH Slg. 1984, 1891
NJW 1984, 2021
NZA 1984, 145
BB 1984, 1231
DB 1984, 1042, 1297
Leitsätze:
1. Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag belässt zwar den Mitgliedstaaten die Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung der Richtlinie, doch lässt diese Freiheit die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten.
Die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäss Artikel 5 EWG-Vertrag, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer art zu treffen, obliegen allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Daraus folgt, dass das nationale Gericht bei der Anwendung des nationalen Rechts, insbeso
ndere auch der Vorschriften eines speziell zur Durchführung einer Richtlinie erlassenen Gesetzes, dieses nationale recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hat , um das in Artikel 189 Absatz 3 genannte Ziel zu erreichen.
2. Die Richtlinie 76/207 schreibt nicht vor, als Sanktion für eine wegen des Geschlechts erfolgte
Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung den Arbeitgeber, der Urheber der
Diskriminierung ist, zum Abschluß eines Arbeitsvertrages mit dem diskriminierten Bewerber zu
verpflichten.
Die Richtlinie begründet hinsichtlich der Sanktionen für eine etwaige Diskriminierung keine
unbedingte und hinreichend bestimmte Verpflichtung, auf die sich ein einzelner mangels
rechtzeitig erlassener Durchführungsmaßnahmen berufen könnte, um aufgrund der Richtlinie
eine bestimmte Wiedergutmachung zu erlangen, wenn eine solche Rechtsfolge nach den
nationalen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen oder zugelassen ist.
Die Richtlinie 76/207 überlässt es zwar den Mitgliedstaaten, die Sanktion für einen Verstoß
gegen das Diskriminierungsverbot unter den verschiedenen Möglichkeiten auszuwählen, die zur
Verwirklichung des Ziels der Richtlinie geeignet sind; entscheidet sich ein Mitgliedstaat jedoch
dafür, als Sanktion für einen Verstoß gegen dieses Verbot eine Entschädigung zu gewähren, so
muß diese jedenfalls, damit ihre Wirksamkeit und ihre abschreckende Wirkung gewährleistet
sind, in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen und somit über einen
rein symbolischen Schadensersatz wie etwa die bloße Erstattung der Bewerbungskosten
hinausgehen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, das zur Durchführung der Richtlinie
erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale
Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts
auszulegen und anzuwenden.
Gründe
1 Das Arbeitsgericht Hamm hat mit Beschluss vom 6. Dezember 1982, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Januar 1983, gemäss Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere fragen nach der Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen
Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (Abl. L 39, S. 40) zur Vorhabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Diplom-Sozialarbeiterinnen, Sabine von Colson und Elisabeth Kamann, und dem Land Nordrhein-Westfalen. Wie sich aus den Gründen des Vorlagebeschlusses ergibt, lehnte die Justizvollzugsanstalt Werl, in die nur männliche Gefangene aufgenommen werden und für die das Land Nordrhein-Westfalen zuständig ist, die Einstellung der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens wegen ihres Geschlechts ab. Die für Einstellungen zuständigen Beamten hätten ihr
e Ablehnung der Einstellung der Klägerinnen damit begründet, dass die Einstellung von weiblichen Bewerbern für derartige Anstalten problematisch und risikoreich sei; Sie hätten aus diesen gründen männliche Bewerber vorgezogen, obwohl diese schlechter qualifiziert gewesen seien.
3 Das vorlegende Gericht hält die Diskriminierung für erwiesen; nach seiner Ansicht kommt als
Sanktion für eine bei der Einstellung begangene Diskriminierung nach deutschem Recht nur der Ersatz
des Vertrauensschadens in Betracht, d. h. des Schadens, der den diskriminierten Bewerbern dadurch
entstanden ist, daß sie darauf vertraut haben, das Arbeitsverhältnis werde ohne Diskriminierung
begründet. Ein derartiger Schadensersatz ist in § 611a Absatz 2 BGB vorgesehen.
4 Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber im Falle eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
beim Zugang zur Beschäftigung "zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der Arbeitnehmer dadurch
erleidet, daß er darauf vertraut, die Begründung des Arbeitsverhältnisses werde nicht wegen eines
solchen Verstoßes unterbleiben". Diese Vorschrift dient der Umsetzung der genannten Richtlinie
76/207 des Rates.
5 Das vorlegende Gericht ist deshalb der Auffassung, daß es nur auf Erstattung der
von der Klägerin von Colson in Zusammenhang mit ihrer Bewerbung aufgewandten Fahrtkosten (7,20
DM) erkennen kann und die Klagen im übrigen abweisen muß.
6 Um jedoch die auf Gemeinschaftsebene geltenden Rechtsvorschriften für den Fall der Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung
festzustellen, hat das nationale Gericht dem Gerichtshof folgende Fragen
vorgelegt:
"1. Folgt aus den Bestimmungen der Richtlinie des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur
Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die
Arbeitsbedingungen (76/207/EWG), daß eine Diskriminierung wegen des Geschlechts beim Zugang
zu einer Beschäftigung (Nichtabschluß des Arbeitsvertrages wegen des Geschlechts des
Bewerbers/Bevorzugung eines anderen Bewerbers wegen dessen Geschlechts) dadurch sanktioniert
werden muß, daß der diskriminierende Arbeitgeber zum Abschluß eines Arbeitsvertrages mit dem
diskriminierten Bewerber verpflichtet wird?
2. Falls Frage 1) grundsätzlich bejaht wird:
a) Gilt die Sanktion, Verpflichtung zum Abschluß eines Arbeitsvertrages "nur dann, wenn über die
Feststellung der Tatsache, daß der Arbeitgeber seine Auswahlentscheidung subjektiv nach
Geschlechtskriterien getroffen hat, hinaus festgestellt werden kann, daß der diskriminierte Bewerber
objektiv -- nach zulässigen Auswahlkriterien -- für den Arbeitsplatz besser qualifiziert ist als der
jeweilige Bewerber, mit dem der Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde?
b) Oder ist der Arbeitgeber auch dann zur Einstellung des diskriminierten Bewerbers verpflichtet,
wenn zwar festgestellt werden kann, daß der Arbeitgeber subjektiv seine Auswahlentscheidung nach
Geschlechtskriterien getroffen hat, objektiv aber der diskriminierte und der bevorzugte Bewerber
gleichermaßen qualifiziert sind?
c) Ist schließlich ein Einstellungsanspruch des diskriminierten Bewerbers auch dann begründet, wenn
der diskriminierte Bewerber zwar objektiv schlechter qualifiziert ist als der bevorzugte Bewerber, aber
feststeht, daß der Arbeitgeber subjektiv den diskriminierten Bewerber wegen seines Geschlechts von
vornherein von der Auswahlentscheidung nach zulässigen Kriterien ausgenommen hat?
3. Falls es im Sinne der Fragen 2a) - c) auf die objektive Qualifikation der Bewerber ankommt: Ist
diese voll justitiabel und welche Kriterien und prozessualen Darlegungs- und Beweislastregeln sind
bei ihrer Feststellung anwendbar?
4. Falls Frage 1) grundsätzlich bejaht wird:
Hätte in einem Fall, daß bei mehr als zwei Bewerbern für einen Arbeitsplatz mehr als eine Person aus
Geschlechtsgründen von vornherein nicht in die Auswahlentscheidung nach zulässigen Kriterien mit
einbezogen wird, jede dieser Personen den Anspruch auf Abschluß eines Arbeitsvertrages?
Müßte das Gericht hier eventuell eine eigene Auswahlentscheidung unter den diskriminierten
Bewerbern treffen?
Welche Sanktion wäre sonst materiell-rechtlich gegeben, falls die Frage in Satz 1) verneint wird?
5. Falls Frage 1) grundsätzlich verneint wird:
Welche Sanktion hat dann bei einer festgestellten Diskriminierung beim Zugang zu einer
Beschäftigung nach den Vorschriften der Richtlinie 76/207/EWG zu erfolgen?
Ist dabei nach den Fragen 2 a) - c) zu differenzieren?
6. Ist die Richtlinie 76/207/EWG in der Auslegung, die der Gerichtshof dieser in Beantwortung der
eben gestellten Fragen gibt, in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht?"
7 Mit diesen Fragen soll vor allem geklärt werden, ob die Richtlinie 76/207 die Mitgliedstaaten
verpflichtet, für Fälle der Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung besondere Rechtsfolgen
oder Sanktionen vorzusehen, (Fragen 1 bis 5) und ob sich die einzelnen gegebenenfalls mangels
rechtzeitiger Umsetzung der Richtlinie in die nationale Rechtsordnung vor den nationalen Gerichten
auf die Richtlinie berufen können (Frage 6).
a) Zur ersten Frage:
8 Die erste Frage des nationalen Gerichts geht im Wesentlichen dahin, ob die Richtlinie 76/207
vorschreibt, als Sanktion für eine wegen des Geschlechts erfolgten Diskriminierung beim Zugang zur
Beschäftigung den Arbeitgeber, der Urheber der Diskriminierung ist, zum Abschluß eines
Arbeitsvertrags mit dem diskriminierten Bewerber zu verpflichten.
9 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ergibt sich aus den Begründungserwägungen und dem
Wortlaut der Richtlinie selbst, daß sie den Erlaß von Rechtsvorschriften verlange, die von wirksamen
Sanktionen begleitet seien; wirksam sei aber nur eine Naturalrestitution, die zur Einstellung der
diskriminierten Personen führe.
10 Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind der Ansicht, § 611a Absatz 2 BGB schließe dadurch,
daß er den Entschädigungsanspruch auf den Vertrauensschaden beschränke, die nach den allgemeinen
Rechtsvorschriften bestehenden Schadensersatzmöglichkeiten aus. Die Richtlinie 76/207 verpflichte
die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Diskriminierungen für die Zukunft zu
verhindern. Es müsse daher zumindest angenommen werden, daß § 611a Absatz 2 außer Betracht zu
bleiben habe. Das hätte für den Arbeitgeber die Verpflichtung zur Folge, einen Arbeitsvertrag mit dem
diskriminierten Bewerber abzuschließen.
11 Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist sich zwar der Notwendigkeit einer wirksamen
Umsetzung der Richtlinie bewußt, legt aber Nachdruck darauf, daß jedem Mitgliedstaat nach Artikel
189 Absatz 3 EWG-Vertrag ein Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Verletzung
des Gleichbehandlungsgrundsatzes zustehe. Im übrigen hätten die deutschen Gerichte die Möglichkeit,
ausgehend vom nationalen Privatrecht und unter Beachtung des Inhalts der Richtlinie angemessene
Lösungen zu erarbeiten, die dem Grundsatz der Gleichbehandlung, aber auch den Interessen aller
Beteiligten gerecht würden. Schließlich genüge eine spürbare Rechtsfolge, um den Grundsatz der
Gleichbehandlung durchzusetzen, und diese Rechtsfolge dürfe nur für diejenigen Fälle vorgesehen
werden, in denen der diskriminierte Bewerber für den betreffenden Arbeitsplatz besser qualifiziert sei
als andere Bewerber, nicht aber für die Fälle, in denen die Bewerber über eine gleiche Qualifikation
verfügten.
12 Die dänische Regierung ist der Ansicht, die Richtlinie habe den Mitgliedstaaten absichtlich die Wahl der geeigneten Sanktionen nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Verhältnisse und ihrer Rechtssysteme überlassen. Die Mitgliedstaaten müssten bei Verstößen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung die gleichen Sanktionen vorsehen wie bei entsprechenden Verstößen gegen innerstaatliche Vorschriften verwandter Rechtsbereiche, die nicht gemeinschaftsrechtlich geregelt seien.
13 Die Regierung des vereinigten Königreichs ist ebenfalls der Auffassung, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, die Maßnahmen auszuwählen, die sie zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der Richtlinie für geeignet hielten. Die Richtlinie mache keine angaben über die von den Mitgliedstaaten zu treffenden Maßnahmen, und die dem Gerichtshof vorgelegten fragen zeigten selbst deutlich die Schwierigkeiten, die bei der Bestimmung der geeigneten Maßnahmen aufträten.
14 Nach Ansicht der Kommission der europäischen Gemeinschaften will die Richtlinie zwar den Mitgliedstaaten die Auswahl und Festlegung der Sanktionen überlassen, gleichwohl müsse ihre Umsetzung jedoch im Ergebnis wirksam sein. Der Grundsatz der wirksamen Umsetzung der Richtlinie gebiete es, die Sanktionen so auszugestalten, dass sie für den diskriminierten Bewerber eine angemessene Widergutmachung und für den Arbeitgeber ein ernstzunehmendes Druckmittel darstellte, durch das er zur Beachtung des Gleichbeh
andlungsgrundsatzes angehalten werde. Eine nationale Regelung, die lediglich einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gebe, reiche nicht aus, um die Beachtung dieses Grundsatzes zu gewährleisten.
15 Nach Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag ist "die Richtlinie ... für jeden Mitgliedstaat, an den sie
gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überläßt jedoch den innerstaatlichen
Stellen die Wahl der Form und der Mittel". Zwar beläßt diese Bestimmung den Mitgliedstaaten die
Freiheit bei der Wahl der Mittel und Wege zur Durchführung der Richtlinie, doch läßt diese
Freiheit die Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten unberührt, im Rahmen ihrer
nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige
Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung zu gewährleisten.
16 Folglich ist zu prüfen, ob die Richtlinie 76/207 die Mitgliedstaaten verpflichtet, für Verstöße gegen
den Grundsatz der Gleichbehandlung beim Zugang zur Beschäftigung bestimmte Rechtsfolgen oder
Sanktionen vorzusehen.
17 Die Richtlinie hat zum Ziel, in den Mitgliedstaaten den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern
und Frauen insbesondere dadurch zu verwirklichen, daß den Arbeitnehmern beiderlei Geschlechts
tatsächliche Chancengleichheit beim Zugang zur Beschäftigung gewährleistet wird. Zu diesem
Zweck definiert Artikel 2 den Grundsatz der Gleichbehandlung und seine Grenzen, während Artikel 3
Absatz 1 dessen Tragweite speziell hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung präzisiert. Nach
Artikel 3 Absatz 2 Buchstabe a treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um
sicherzustellen, daß die Rechts- und Verwaltungsvorschriften beseitigt werden, die mit dem Grundsatz
der Gleichbehandlung unvereinbar sind.
18 Artikel 6 verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Erlaß der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die
notwendig sind, damit jeder, der sich durch eine Diskriminierung für beschwert hält, "seine Rechte
gerichtlich geltend machen kann". Aus dieser Bestimmung folgt, daß die Mitgliedstaaten
verpflichtet sind, Maßnahmen zu ergreifen, die hinreichend wirksam sind, um das Ziel der
Richtlinie zu erreichen und dafür Sorge zu tragen, daß die Betroffenen sich vor den nationalen
Gerichten tatsächlich auf diese Maßnahmen berufen können. Zu solchen Maßnahmen könnten
zum Beispiel Vorschriften gehören, die den Arbeitgeber zur Einstellung des diskriminierten
Bewerbers verpflichten oder eine angemessene finanzielle Entschädigung gewähren und die
gegebenenfalls durch eine Bußgeldregelung verstärkt werden. Allerdings schreibt die Richtlinie
keine bestimmte Sanktion vor, sondern beläßt den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter
den verschiedenen, zur Verwirklichung ihrer Zielsetzung geeigneten Lösungen.
19 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Richtlinie 76/207 nicht vorschreibt, als Sanktion
für eine wegen des Geschlechts erfolgte Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung den
Arbeitgeber, der Urheber der Diskriminierung ist, zum Abschluß eines Arbeitsvertrages mit dem
diskriminierten Bewerber zu verpflichten.
b) Zu den Fragen 2 bis 4:
20 Da die Fragen 2 bis 4 nur für den Fall einer Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einstellung des
diskriminierten Bewerbers gestellt sind, erübrigt sich ihre Beantwortung.
c) Zur fünften und sechsten Frage:
21 Mit seiner fünften Frage möchte das nationale Gericht vom Gerichtshof im wesentlichen wissen, ob
der Richtlinie für Fälle der Diskriminierung eine andere Sanktion als der Anspruch auf Abschluß eines
Arbeitsvertrags entnommen werden kann. Die sechste Frage geht dahin, ob sich verletzte Personen vor
nationalen Gerichten auf die Richtlinie entsprechend der Auslegung, die ihr gegeben werden muß,
berufen können.
22 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß wirkliche Chancengleichheit nicht ohne eine
geeignete Sanktionsregelung erreicht werden kann. Diese Folgerung ergibt sich nicht nur aus
der Zielsetzung der Richtlinie selbst, sondern insbesondere aus ihrem Artikel 6, der dadurch, daß
er den Bewerbern um einen Arbeitsplatz, die diskriminiert worden sind, ein Klagerecht einräumt,
anerkennt, daß ihnen Rechte zustehen, die sie vor Gericht geltend machen können.
23 Auch wenn eine vollständige Durchführung der Richtlinie nicht -- wie in der Antwort auf die erste
Frage festgestellt -- eine bestimmte Sanktion für Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot erfordert,
so setzt sie doch voraus, daß diese Sanktion geeignet ist, einen tatsächlichen und wirksamen
Rechtsschutz zu gewährleisten. Sie muß ferner eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber
dem Arbeitgeber haben. Entscheidet sich der Mitgliedstaat dafür, als Sanktion für den Verstoß
gegen das Diskriminierungsverbot eine Entschädigung zu gewähren, so muß diese deshalb
jedenfalls in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen.
24 Folglich würde eine nationale Rechtsvorschrift, die die Schadensersatzansprüche von Personen, die
Opfer einer Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung wurden, auf eine rein symbolische
Entschädigung wie etwa die Erstattung ihrer Bewerbungskosten beschränkt, den Erfordernissen
einer wirksamen Umsetzung der Richtlinie nicht gerecht.
25 Die Art der in der Bundesrepublik Deutschland für Fälle der Diskriminierung beim Zugang zur
Beschäftigung vorgesehenen Sanktionen und insbesondere die Frage, ob § 611a Absatz 2 BGB die
sich aus den allgemeinen Rechtsvorschriften ergebenden Schadensersatzmöglichkeiten ausschließt, ist
vor dem Gerichtshof ausführlich erörtert worden. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat
hierzu in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, diese Bestimmung schließe die Anwendung der
allgemeinen Schadensersatzvorschriften nicht notwendig aus. Es ist allein Sache des nationalen
Gerichts, über diese Frage der Auslegung seines nationalen Rechts zu entscheiden.
26 Allerdings ist klarzustellen, daß die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der
Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der
Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung
geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher
Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegen, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den
Gerichten. Daraus folgt, daß das nationale Gericht bei der Anwendung des nationalen Rechts,
insbesondere auch der Vorschriften eines speziell zur Durchführung der Richtlinie 76/207
erlassenen Gesetzes, dieses nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der
Richtlinie auszulegen hat, um das in Artikel 189 Absatz 3 genannte Ziel zu erreichen.
27 Dagegen begründet die Richtlinie, wie sich aus den vorangehenden Erwägungen ergibt, hinsichtlich
der Sanktionen für eine etwaige Diskriminierung keine unbedingte und hinreichend bestimmte
Verpflichtung, auf die sich ein einzelner mangels rechtzeitig erlassener
Durchführungsmaßnahmen berufen könnte, um aufgrund der Richtlinie eine bestimmte
Wiedergutmachung zu erlangen, wenn eine solche Rechtsfolge nach den nationalen
Rechtsvorschriften nicht vorgesehen oder zugelassen ist.
28 Es muß aber dem nationalen Gericht gegenüber betont werden, daß die Richtlinie 76/207 es zwar den
Mitgliedstaaten überläßt, die Sanktion für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot unter den
verschiedenen Möglichkeiten auszuwählen, die zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie geeignet
sind; entscheidet sich ein Mitgliedstaat jedoch dafür, als Sanktion für einen Verstoß gegen dieses
Verbot eine Entschädigung zu gewähren, so muß diese jedenfalls, damit ihre Wirksamkeit und ihre
abschreckende Wirkung gewährleistet sind, in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen
Schaden stehen und somit über einen rein symbolischen Schadensersatz wie etwa die bloße Erstattung
der Bewerbungskosten hinausgehen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, das zur Durchführung
der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm
das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des
Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden.
Kosten
29 Die Auslagen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, Dänemarks und des vereinigten Königreichs sowie die Auslagen der Kommission der europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
Hat
der Gerichtshof
auf die ihm vom Arbeitsgericht Hamm mit Beschluss vom 6. Dezember 1982 vorgelegten Frage für Recht erkannt:
1. Die Richtlinie 76/207 schreibt nicht vor, als Sanktion für eine wegen des Geschlechts erfolgte Diskriminierung beim Zugang zur Beschäftigung den Arbeitgeber, der Urheber der Diskriminierung ist, zum Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem diskriminierten Bewerber zu verpflichten.
2. Die Richtlinie begründet hinsichtlich der Sanktionen für eine etwaige Diskriminierung keine unbedingte und hinreichend bestimmte Verpflichtung, auf die sich ein einzelner mangels rechtzeitig erlassener Durchführungsmaßnahmen berufen könnte, um aufgrund der Richtlinie eine bestimmte Widergutmachung zu erlangen, wenn eine solche Rechtsfolge nach den nationalen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen oder zugelassen ist.
3. Die Richtlinie 76/207 überlässt es zwar den Mitgliedstaaten, die Sanktion für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot unter den verschiedenen Möglichkeiten auszuwählen, die zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie geeignet sind; entscheidet sich ein Mitgliedstaat jedoch dafür, als Sanktion für einen Verstoß gegen dieses Verbot eine Entschädigung zu gewähren, so muss diese jedenfalls, damit ihre Wirksamkeit und ihre abschreckende Wirkung gewährleistet sind, in einem angemessenen Verhältnis zu
dem erlittenen Schaden stehen und somit über einen rein symbolischen Schadensersatz wie etwa die bloße Erstattung der Bewerbungskosten hinausgehen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, das zur Durchführung der Richtlinie erlassene Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt , in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden.
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