Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung, Ablehnung der horizontalen direkten Anwendbarkeit von Richtlinien -
Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen
EuGH , Urteil vom 14. Juli 1994. Rs. C-91/92 - PAOLA FACCINI DORI GEGEN RECREB SRL.
Fundstellen:
I-1994, S. 3325
NJW 1994, 2473
JZ 1995, 149
Leitsätze
1. Die Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 und Artikel 5 der Richtlinie 85/577
betreffend den Verbraucherschutz im Falle von ausserhalb von Geschäftsräumen
geschlossenen Verträgen sind in bezug auf die Bestimmung der Berechtigten und
die Mindestfrist, innerhalb deren der Rücktritt von einem ausserhalb der
Geschäftsräume geschlossenen Vertrag anzuzeigen ist, unbedingt und hinreichend
genau. Denn die Artikel 4 und 5 der Richtlinie lassen den Mitgliedstaaten zwar
einen gewissen Gestaltungsspielraum für den Verbraucherschutz im Falle
unterbliebener Belehrung durch den Gewerbetreibenden und zur Festlegung der
Frist und des Verfahrens für den Widerruf, doch schließt dieser
Gestaltungsspielraum nicht die Möglichkeit aus, Mindestrechte zu bestimmen, die
auf jeden Fall zugunsten der Verbraucher eingeführt werden müssen. 2. Die
Möglichkeit, sich gegenüber staatlichen Einrichtungen auf die Richtlinien zu
berufen, beruht darauf, daß die Richtlinie nach Artikel 189 des Vertrages für
jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist ° und nur für diesen ° verbindlich
ist, womit verhindert werden soll, daß der Staat aus seiner Nichtbeachtung des
Gemeinschaftsrechts Nutzen ziehen kann. Es wäre nämlich nicht hinnehmbar, daß
der Staat, dem der Gemeinschaftsgesetzgeber den Erlaß bestimmter Vorschriften
vorschreibt, mit denen seine Beziehungen ° oder die Beziehungen staatlicher
Einrichtungen ° zu den Bürgern geregelt und diesen bestimmte Rechte gewährt
werden sollen, sich auf die Nichterfüllung seiner Verpflichtungen berufen
könnte, um den Bürgern diese Rechte zu versagen. Eine Ausdehnung dieses
Grundsatzes auf den Bereich der Beziehungen zwischen den Bürgern hieße, der
Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der
Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die
Befugnis zum Erlaß von Verordnungen zugewiesen ist. Folglich kann ein
Bürger, wenn die Maßnahmen zur Umsetzung nicht innerhalb der vorgesehenen Frist
erlassen worden sind, sich nicht auf eine Richtlinie stützen, um zu behaupten,
er habe einen Anspruch gegen einen anderen, und um diesen vor einem nationalen
Gericht geltend zu machen. 3. Wenn die Maßnahmen zur Umsetzung der
Richtlinie 85/577 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von
Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen nicht innerhalb der darin vorgesehenen
Frist erlassen worden sind, kann der Verbraucher ein Widerrufsrecht gegenüber
dem Gewerbetreibenden, mit dem er außerhalb der Geschäftsräume einen Vertrag
geschlossen hat, nicht auf die Richtlinie selbst stützen und vor einem
nationalen Gericht geltend machen. 4. Die sich aus einer Richtlinie
ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu
erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag,
alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder
besonderer Art zu treffen, obliegen allen Trägern öffentlicher Gewalt in den
Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten.
Folglich muß ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationalen
Rechts ° gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene
Vorschriften handelt ° dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie
möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der
Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3
EWG-Vertrag nachzukommen. 5. Für den Fall, daß ein Mitgliedstaat seiner
Verpflichtung nach Artikel 189 Absatz 3 des Vertrages zur Umsetzung einer
Richtlinie nicht nachkommt und das von der Richtlinie vorgeschriebene Ziel nicht
im Wege der Auslegung des nationalen Rechts durch die Gerichte erreicht werden
kann, ist dieser Mitgliedstaat nach dem Gemeinschaftsrecht zum Ersatz der den
Bürgern durch die Nichtumsetzung einer Richtlinie verursachten Schäden
verpflichtet, sofern drei Voraussetzungen vorliegen: das von der Richtlinie
vorgeschriebene Ziel muß die Verleihung von Rechten an Bürger sein, der Inhalt
dieser Rechte muß auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können, und
zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem
entstandenen Schaden muß ein Kausalzusammenhang bestehen. In einem solchen Fall
hat das nationale Gericht den Anspruch der Geschädigten auf Schadensersatz im
Rahmen des nationalen Haftungsrechts sicherzustellen.
Gründe
1 Der Giudice conciliatore Florenz (Italien) hat mit Beschluß vom 24. Januar
1992, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 1992, gemäß Artikel 177
EWG-Vertrag eine Frage erstens nach der Auslegung der Richtlinie 85/577/EWG des
Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von
ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31;
nachstehend: Richtlinie über ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossene
Verträge) und zweitens nach der Möglichkeit, sich in einem Rechtsstreit zwischen
einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher auf diese Richtlinie zu berufen,
zur Vorabentscheidung vorgelegt. 2 Diese Frage stellt sich in einem
Rechtsstreit zwischen Paola Faccini Dori, wohnhaft in Monza, Italien, (im
folgenden: Klägerin) und der Recreb Srl (im folgenden: Beklagte). 3 Aus dem
Vorlagebeschluß geht hervor, daß die Interdiffusion Srl am 19. Januar 1989, ohne
daß die Kägerin zuvor an sie herangetreten war, im Hauptbahnhof von Mailand, d.
h. ausserhalb ihrer Geschäftsräume, einen Vertrag über einen Englischkurs im
Fernunterricht mit ihr abschloß. 4 Einige Tage später teilte die Klägerin
dieser Firma mit eingeschriebenem Brief vom 23. Januar 1989 mit, daß sie ihre
Bestellung widerrufe. Die Firma Interdiffusion antwortete ihr am 3. Juni 1989,
daß sie ihre Forderung an die Beklagte abgetreten habe. Am 24. Juni 1989
bestätigte die Klägerin der Beklagten schriftlich, daß sie ihre Annahmeerklärung
widerrufen habe; sie berief sich dabei insbesondere auf das Widerrufsrecht nach
der Richtlinie über ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge. 5
Mit dieser Richtlinie sollen ihren Begründungserwägungen zufolge der
Verbraucherschutz verbessert und die zwischen den nationalen Rechtsvorschriften
zum Verbraucherschutz bestehenden Unterschiede abgeschafft werden, die sich auf
das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken können. In ihrer vierten
Begründungserwägung heisst es, daß bei ausserhalb der Geschäftsräume
geschlossenen Verträgen die Initiative zu den Vertragsverhandlungen
normalerweise vom Gewerbetreibenden ausgehe und daß der Verbraucher darauf nicht
vorbereitet sei und so häufig überrascht werde. Er habe häufig keine
Möglichkeit, Qualität und Preis des Angebots mit anderen Angeboten zu
vergleichen. Derselben Begründungserwägung zufolge gibt es dieses
Überraschungsmoment nicht nur bei Haustürgeschäften, sondern auch bei anderen
Verträgen, die auf Initiative des Gewerbetreibenden ausserhalb seiner
Geschäftsräume abgeschlossen würden. Mit der Richtlinie soll daher nach ihrer
fünften Begründungserwägung dem Verbraucher das Recht eingeräumt werden,
innerhalb von mindestens sieben Tagen vom Vertrag zurückzutreten, um ihm die
Möglichkeit zu geben, die Verpflichtungen aus dem Vertrag zu überdenken. 6
Am 30. Juni 1989 beantragte die Beklagte bei dem Giudice conciliatore Florenz
(Italien), der Klägerin aufzugeben, den vereinbarten Betrag zuzueglich Zinsen
und Kosten an sie zu zahlen. 7 Mit Mahnbescheid vom 20. November 1989
forderte der Giudice conciliatore Florenz die Klägerin zur Zahlung dieser
Beträge auf. Diese legte gegen den Mahnbescheid beim selben Gericht Widerspruch
ein. Sie machte erneut geltend, daß sie von dem Vertrag entsprechend den
Voraussetzungen der Richtlinie zurückgetreten sei. 8 Es ist jedoch
unstreitig, daß Italien zu dieser Zeit keine Maßnahmen zur Umsetzung der
Richtlinie getroffen hatte, obwohl die Umsetzungsfrist am 23. Dezember 1987
abgelaufen war. Italien setzte die Richtlinie nämlich erst durch das Decreto
legislativo Nr. 50 vom 15. Januar 1992 (GURI, Supplemento ordinario Nr. 27 vom
3. Februar 1992, S. 24) um, das am 3. März 1992 in Kraft trat. 9 Für das
vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob es die Bestimmungen der Richtlinie
trotz fehlender Umsetzung durch Italien zur Zeit des Sachverhalts anwenden
könne. 10 Es hat daher dem Gerichtshof folgende Vorabentscheidungsfrage
vorgelegt: Ist die Richtlinie 85/577/EWG vom 20. Dezember 1985 als
hinreichend genau und detailliert anzusehen? Wenn ja, konnte sie in der Zeit
zwischen dem Ablauf der 24-Monatsfrist, die den Mitgliedstaaten gesetzt worden
war, um ihr nachzukommen, und dem Tag, an dem der italienische Staat ihr
nachgekommen ist, Wirkungen im Verhältnis zwischen dem Bürger und dem
italienischen Staat und im Verhältnis der Bürger untereinander entfalten? 11
Die Richtlinie über ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gibt
den Mitgliedstaaten auf, bestimmte Vorschriften zur Regelung der
Rechtsverhältnisse zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern zu erlassen.
Angesichts der Art des Rechtsstreits, in dem sich ein Verbraucher und ein
Gewerbetreibender gegenüberstehen, wirft die Frage des vorlegenden Gerichts zwei
Probleme auf, die getrennt zu prüfen sind. Zum einen geht es darum, ob die
Bestimmungen der Richtlinie, die das Widerrufsrecht betreffen, unbedingt und
hinreichend genau sind. Zum anderen geht es um die Möglichkeit, sich in
Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern auf eine Richtlinie zu berufen, die den
Mitgliedstaaten gerade den Erlaß bestimmter Vorschriften zur Regelung der
Rechtsverhältnisse zwischen Bürgern aufgibt und die nicht umgesetzt worden ist.
Zu der Frage, ob die Richtlinienbestimmungen über das Widerrufsrecht
unbedingt und hinreichend genau sind 12 Nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 gilt
die Richtlinie für Verträge, die zwischen einem Gewerbetreibenden, der Waren
liefert oder Dienstleistungen erbringt, und einem Verbraucher während eines vom
Gewerbetreibenden ausserhalb von dessen Geschäftsräumen organisierten Ausflugs
oder anläßlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden beim Verbraucher in seiner
Wohnung oder an seinem Arbeitsplatz, sofern der Besuch nicht auf ausdrücklichen
Wunsch des Verbrauchers erfolgt, geschlossen werden. 13 Nach Artikel 2 der
Richtlinie bedeutet "Verbraucher" eine natürliche Person, die bei den von dieser
Richtlinie erfassten Geschäften zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer
beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, und
"Gewerbetreibender" eine natürliche oder juristische Person, die beim Abschluß
des betreffenden Geschäfts im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen
Tätigkeit handelt. 14 Diese Bestimmungen sind so genau, daß das nationale
Gericht erkennen kann, wer aufgrund der Verpflichtungen Berechtigter und wer
Verpflichteter ist. Insoweit ist keine besondere Durchführungsmaßnahme
erforderlich. Das nationale Gericht kann sich darauf beschränken, nachzuprüfen,
ob der Vertrag unter den in der Richtlinie beschriebenen Umständen abgeschlossen
worden und ob er zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher im Sinne
der Richtlinie zustande gekommen ist. 15 Zum Schutz des Verbrauchers, der
einen Vertrag unter solchen Umständen geschlossen hat, bestimmt Artikel 4 der
Richtlinie, daß der Gewerbetreibende den Verbraucher schriftlich über sein
Widerrufsrecht zu belehren und dabei den Namen und die Anschrift einer Person
anzugeben hat, der gegenüber das Widerrufsrecht ausgeuebt werden kann. Im Fall
von Artikel 1 Absatz 1 ist diese Belehrung dem Verbraucher zum Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses auszuhändigen. Die Mitgliedstaaten haben dafür zu sorgen,
daß ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zum Schutz des
Verbrauchers vorsehen, wenn die fragliche Belehrung nicht erfolgt. 16
Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie schreibt ferner vor, daß der Verbraucher das
Recht haben muß, von der eingegangenen Verpflichtung zurückzutreten, indem er
dies innerhalb von mindestens sieben Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem ihn der
Gewerbetreibende entsprechend dem Verfahren und unter Beachtung der Bedingungen,
die im einzelstaatlichen Recht festgelegt sind, über seine Rechte belehrt hat,
anzeigt. Nach Absatz 2 bewirkt diese Rücktrittsanzeige, daß der Verbraucher aus
allen aus dem Vertrag erwachsenden Verpflichtungen entlassen ist. 17 Zwar
lassen die Artikel 4 und 5 den Mitgliedstaaten einen gewissen
Gestaltungsspielraum für den Verbraucherschutz im Falle unterbliebener Belehrung
durch den Gewerbetreibenden und zur Festlegung der Frist und des Verfahrens für
den Widerruf. Dies nimmt jedoch den Richtlinienbestimmungen, um die es im
Ausgangsverfahren geht, nichts von ihrer Genauigkeit und Unbedingtheit. Denn
dieser Gestaltungsspielraum schließt nicht die Möglichkeit aus, Mindestrechte zu
bestimmen. Insoweit ergibt sich aus Artikel 5, daß die Frist, innerhalb deren
der Rücktritt anzuzeigen ist, mindestens sieben Tage ab dem Zeitpunkt betragen
muß, zu dem der Verbraucher vom Gewerbetreibenden die geforderte Belehrung
erhalten hat. Es ist also möglich, den Mindestschutz zu bestimmen, der auf jeden
Fall eingeführt werden muß. 18 Was das erste mit der Vorlagefrage
aufgeworfene Problem angeht, ist dem vorlegenden Gericht daher zu antworten, daß
Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 und Artikel 5 der Richtlinie in bezug auf die
Bestimmung der Berechtigten und die Mindestfrist für die Anzeige des Rücktritts
unbedingt und hinreichend genau sind. Zu der Möglichkeit, sich in einem
Rechtsstreit zwischen einem Verbraucher und einem Gewerbetreibenden auf die
Richtlinienbestimmungen über das Widerrufsrecht zu berufen 19 Bei dem
zweiten vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Problem geht es genauer um die
Frage, ob der Verbraucher, wenn innerhalb der vorgesehenen Frist keine Maßnahmen
zur Umsetzung der Richtlinie erlassen worden sind, ein Widerrufsrecht gegenüber
dem Gewerbetreibenden, mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, auf die
Richtlinie selbst stützen und vor einem nationalen Gericht geltend machen kann.
20 Wie der Gerichtshof seit dem Urteil vom 26. Februar 1986 in der
Rechtssache 152/84 (Marshall, Slg. 1986, 723, Randnr. 48) in ständiger
Rechtsprechung ausgeführt hat, kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen
für einen Bürger begründen, so daß ihm gegenüber eine Berufung auf die
Richtlinie als solche nicht möglich ist. 21 Das vorlegende Gericht hat
darauf hingewiesen, daß die Beschränkung der Wirkungen unbedingter und
hinreichend genauer, aber nicht umgesetzter Richtlinien auf die Beziehungen
zwischen staatlichen Einrichtungen und Bürgern dazu führen würde, daß ein
normativer Akt diese Eigenschaft nur im Verhältnis zwischen bestimmten
Rechtssubjekten hätte; in der italienischen Rechtsordnung wie in der
Rechtsordnung jedes auf dem Grundsatz der Gesetzlichkeit beruhenden modernen
Staates sei der Staat jedoch ein Rechtssubjekt wie jedes andere. Wenn eine
Berufung auf die Richtlinie nur gegenüber dem Staat möglich wäre, so käme dies
einer Sanktion für den Nichterlaß der gesetzgeberischen Umsetzungsmaßnahmen
gleich, so als handelte es sich um eine rein privatrechtliche Beziehung. 22
Insoweit genügt der Hinweis, daß, wie sich aus dem Urteil vom 26. Februar 1986
(Marshall, a. a. O., Randnrn. 48 f.) ergibt, die Rechtsprechung zu der
Möglichkeit, sich gegenüber staatlichen Einrichtungen auf die Richtlinien zu
berufen, darauf beruht, daß die Richtlinie nach Artikel 189 "für jeden
Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist" ° und nur für diesen ° verbindlich ist.
Mit dieser Rechtsprechung soll verhindert werden, daß "der Staat aus seiner
Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen ziehen kann". 23 Es wäre
nämlich nicht hinnehmbar, daß der Staat, dem der Gemeinschaftsgesetzgeber den
Erlaß bestimmter Vorschriften vorschreibt, mit denen seine Beziehungen ° oder
die Beziehungen staatlicher Einrichtungen ° zu den Bürgern geregelt und diesen
bestimmte Rechte gewährt werden sollen, sich auf die Nichterfüllung seiner
Verpflichtungen berufen könnte, um den Bürgern diese Rechte zu versagen. So hat
der Gerichtshof die Möglichkeit bejaht, sich gegenüber dem Staat (oder
staatlichen Einrichtungen) auf einige Bestimmungen der Richtlinien über die
Vergabe öffentlicher Aufträge (vgl. Urteil vom 22. Juni 1989 in der Rechtssache
103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839) und der Richtlinien über die
Harmonisierung der Mehrwertsteuer (vgl. Urteil vom 19. Januar 1982 in der
Rechtssache 8/81, Becker, Slg. 1982, 53) zu berufen. 24 Eine Ausdehnung
dieser Rechtsprechung auf den Bereich der Beziehungen zwischen den Bürgern
hieße, der Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu
Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo
ihr die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen zugewiesen ist. 25 Folglich kann
der Verbraucher, wenn die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb
der vorgesehenen Frist erlassen worden sind, ein Widerrufsrecht gegenüber dem
Gewerbetreibenden, mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, nicht auf die
Richtlinie selbst stützen und vor einem nationalen Gericht geltend machen.
26 Zudem ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung seit dem
Urteil vom 10. April 1984 in der Rechtssache 14/83 (Von Colson und Kamann, Slg.
1984, 1891, Randnr. 26) die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung
der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die
Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag, alle zur Erfüllung
dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu
treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegen, und
zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Wie sich aus den
Urteilen des Gerichtshofes vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-106/89
(Marleasing, Slg. 1990, I-4135, Randnr. 8) und vom 16. Dezember 1993 in der
Rechtssache C-334/92 (Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911, Randnr. 20) ergibt, muß
ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts °
gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften
handelt ° dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am
Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie
verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 189 Absatz 3 EWG-Vertrag
nachzukommen. 27 Für den Fall, daß das von der Richtlinie vorgeschriebene
Ziel nicht im Wege der Auslegung erreicht werden kann, ist ausserdem darauf
hinzuweisen, daß das Gemeinschaftsrecht gemäß dem Urteil vom 19. November 1991
in den verbundenen Rechtssachen C-6/90 und C-9/90 (Francovich u. a., Slg. 1991,
I-5357, Randnr. 39) die Mitgliedstaaten zum Ersatz der den Bürgern durch die
Nichtumsetzung einer Richtlinie verursachten Schäden verpflichtet, sofern drei
Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muß Ziel der Richtlinie die Verleihung von
Rechten an Bürger sein. Sodann muß der Inhalt dieser Rechte auf der Grundlage
der Richtlinie bestimmt werden können. Schließlich muß ein Kausalzusammenhang
zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem
entstandenen Schaden bestehen. 28 Die Richtlinie über die ausserhalb von
Geschäftsräumen geschlossenen Verträge hat unbestreitbar die Verleihung von
Rechten an Bürger zum Ziel, und ebenso sicher steht fest, daß der Mindestinhalt
dieser Rechte allein auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden kann
(siehe Randnr. 17 dieses Urteils). 29 Läge also ein Schaden vor und wäre
dieser Schaden durch den Verstoß gegen die dem Mitgliedstaat auferlegte
Verpflichtung verursacht worden, so hätte das vorlegende Gericht den Anspruch
der geschädigten Verbraucher auf Schadensersatz im Rahmen des nationalen
Haftungsrechts sicherzustellen. 30 Was das zweite vom vorlegenden Gericht
aufgeworfene Problem angeht, ist demgemäß zu antworten, daß der Verbraucher,
wenn die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der vorgesehenen
Frist erlassen worden sind, ein Widerrufsrecht gegenüber dem Gewerbetreibenden,
mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, nicht auf die Richtlinie selbst
stützen und vor einem nationalen Gericht geltend machen kann. Das nationale
Gericht hat jedoch, wenn es vor oder nach der Richtlinie erlassene nationale
Rechtsvorschriften anwendet, deren Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und
Zweck der Richtlinie auszurichten.
Kosten
31 Die Auslagen der dänischen, der deutschen, der griechischen, der
französischen, der italienischen und der niederländischen Regierung, der
Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat DER GERICHTSHOF auf die ihm vom Giudice
conciliatore Florenz mit Beschluß vom 24. Januar 1992 vorgelegte Frage für Recht
erkannt: 1) Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 und Artikel 5 der Richtlinie
85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im
Falle von ausserhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sind in bezug
auf die Bestimmung der Berechtigten und die Mindestfrist für die Anzeige des
Rücktritts unbedingt und hinreichend genau. 2) Wenn die Maßnahmen zur
Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der vorgesehenen Frist erlassen worden
sind, kann der Verbraucher ein Widerrufsrecht gegenüber dem Gewerbetreibenden,
mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, nicht auf die Richtlinie selbst
stützen und vor einem nationalen Gericht geltend machen. Das nationale Gericht
hat jedoch, wenn es vor oder nach der Richtlinie erlassene nationale
Rechtsvorschriften anwendet, deren Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und
Zweck der Richtlinie auszurichten.
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