Mehrehe,
Eheschließungsstatut (Art. 13 EGBGB) und ordre public-Vorbehalt (Art.
6 EGBGB)
AG Hanau v. 7.6.2002, 60 F
1451/01 E1
Fundstelle:
FamRZ 2004, 949
Eigener Leitsatz:
Auch wenn das Heimatrecht beider Ehegatten die
Mehrehe erlaubt, kann diese im Inland nach Art. 6 EGBGB nach deutschem Recht
(§§ 1314, 1306 BGB) aufgehoben werden, wenn die erste Ehe mit einem
deutschen Staatsangehörigen besteht und der Lebensmittelpunkt der
Beteiligten im Inland liegt.
Zum Sachverhalt:
Der AGg. zu l, ursprünglich
marokkanischer Staatsangehöriger, seit 22. 1. 2001 Deutscher, hat am 15. 9.
2000 mit der AGg. zu 2, die die marokk. Staatsangehörigkeit besitzt, in
M./Marokko die Ehe geschlossen.
Zu diesem Zeitpunkt war der AGg. zu l noch mit K. B. verheiratet, mit der er
am 29. 10. 1992 in B. die Ehe geschlossen hatte.
Diese Ehe wurde durch Urteil des AmtsG v. 22. 1. 2001, rechtskräftig seit
dem 6. 3. 2001, geschieden.
Der dem Scheidungsurteil zugrunde liegende Scheidungsantrag der Ehefrau war
am 20. 10. 2000, also erst nach Schließung der zweiten Ehe, beim AmtsG
eingegangen.
Der AGg. zu l und die AGg. zu 2 haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland.
Das Regierungspräsidium hat als zuständige Behörde i. S. des § 1316 I Nr. l
BGB (Verordnung v. 22. 12. 1999, GVB1 2000 I 26) die Aufhebung der Ehe der
AGg. für den deutschen Rechtsbereich beantragt.
Es macht geltend, die Wirkungen dieser Ehe hätten überwiegend Inlandsbezug,
da sie im Inland gelebt werde. Es handele sich um eine bigamische Ehe, da
zum Zeitpunkt ihrer Eingehung die Ehe des AGg. zu l mit K. B. noch bestanden
habe.
Es macht geltend, das Monogamieprinzip sei Bestandteil des deutschen ordre
public, welcher dem ausländischen Eheschließungsstatut vorgehe, das hier die
Mehr-Ehe zulasse.
Es wendet sich gegen die Anwendung des Art. 13 I EGBGB ohne
ordre-public-Vorbehalt, da andernfalls deutsche Ehepartnerinnen die nach
ausländischem Heimatrecht wirksame Schließung polygamer Ehen nicht
verhindern könnten.
Entscheidungsgründe:
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist das angerufene Gericht
international zuständig, da der AGg. zu l deutscher Staatsangehöriger ist (§
606a I Nr. l ZPO). Im Übrigen haben beide AGg. ihren gewöhnlichen Aufenthalt
im Inland (§ 606a I Nr. 2 ZPO).
Der Eheaufhebungsantrag ist begründet.
Gemäß Art. 13 I EGBGB beurteilt sich die Aufhebbarkeit einer Ehe nach dem
Recht des Staates, dem der Eheschließende bei Eheschließung angehört.
Das über Art. 13 I EGBGB berufene Recht entscheidet nicht nur über die
Voraussetzungen einer erst vorzunehmenden Eheschließung, sondern auch über
die Folgen eines Verstoßes (Palandt/Heldrich, BGB, 59. Aufl., Art. 13 EGBGB
Rz. 1).
Da beide AGg. bei Eheschließung marokk. Staatsangehörige waren, wäre
demzufolge marokk. Recht anzuwenden. Dieses lässt die Mehr-Ehe zu.
Nach Auffassung des Gerichts steht diesem Ergebnis jedoch Art. 6 EGBGB
entgegen.
Nach dieser Vorschrift ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht
anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis fuhrt, das mit
wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar
ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den
Grundrechten unvereinbar ist.
Diese Vorschrift kann im vorliegenden Fall nicht außer Acht gelassen werden,
da die Eheschließung der AGg., obwohl im Ausland vorgenommen, von Anfang an
einen engen Inlandsbezug hatte.
Der AGg. zu l lebte schon lange Zeit vor Eheschließung im Inland.
In engem zeitlichen Zusammenhang mit der Eheschließung beantragte er die
deutsche Staatsangehörigkeit (Eheschließung: 15. 9. 2000, Aushändigung der
Einbürgerungsurkunde: 7. 9. 2001).
Die Ehe sollte im Inland gelebt werden und wird hier auch gelebt.
Da aber - so die Auffassung des Gerichts - Art. 6 I GG auch als
institutionelle Garantie der Ein-Ehe begriffen werden muss (so auch Ganz,
StAZ 1997, 142), ist die hiesige Rechtsordnung - jedenfalls unter Umständen
wie den vorliegenden - durch die Eheschließung der AGg. in einem Umfang
berührt, dass es geboten erscheint, ihr hier die Anerkennung zu versagen,
und zwar auch angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen Rechtskraft der
Scheidung der ersten Ehe des AGg. zu l.
Die in diesem Zusammenhang von der Antrag stellenden Behörde geäußerten
Befürchtungen, dass sich deutsche Ehepartnerinnen andernfalls einer legalen
mit ihrem Ehemann verheirateten Zweit-Frau gegenübersehen könnten, werden
geteilt.
Die Frage, ob die Ehe der Parteien der AGg. aufzuheben ist, ist somit nach
deutschem Recht zu beurteilen.
Gemäß § 1314 I BGB kann eine Ehe aufgehoben werden, wenn sie entgegen § 1306
BGB geschlossen worden ist. § 1306 BGB verbietet eine Eheschließung, wenn
zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und
einer dritten Person eine Ehe besteht.
§ 1315 II Nr. l BGB steht im vorliegenden Fall einer Aufhebung nicht
entgegen, da der Antrag auf Scheidung der ersten Ehe des AGg. zu l erst nach
Schließung der zweiten Ehe gestellt wurde.
Ebenso wenig steht einer Aufhebung § 1316 III BGB entgegen. Nach dieser
Vorschrift soll ein Aufhebungsantrag u. a. dann unterbleiben, wenn die
Aufhebung für einen Ehegatten eine so schwere Härte darstellen würde, dass
die Aufrechterhaltung der Ehe ausnahmsweise geboten erscheint.
Diesbezügliche Härtegründe sind weder dargetan noch ersichtlich. Nach allem
war dem Aufhebungsantrag somit stattzugeben.
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