Eheschließungsstatut (Art. 13 EGBGB): Verbot der Mehrehe (§ 1306 BGB) als zweiseitiges Ehehindernis; Grundsatz des ärgeren Rechts


OLG Zweibrücken, Urt. v. 21.11.2003, 2 UF 51/03


Fundstelle:

FamRZ 2004, 950


Amtl. Leitsätze:

1. Die in Pakistan ohne Erlaubnis des Schiedsgerichts geschlossene Ehe eines bereits verheirateten pakistanischen Muslims mit einer Deutschen ist wirksam, unterliegt aber nach deutschem Recht der Aufhebung wegen Bigamie.
2. Zur Bedeutung der Ablehnung einer Legalisation der Heiratsurkunde durch die Botschaft.
 


Zum Sachverhalt:

Die ASt., deutsche Staatsangehörige, erstrebt die Aufhebung ihrer 1996 mit dem AGg. in Pakistan geschlossenen Ehe. Der AGg. ist pakistanischer Staatsangehöriger und Moslem. Er war zum Zeitpunkt der von den Parteien behaupteten Eheschließung bereits mit einer Pakistanin namens Z. verheiratet. Diese Ehe wurde 1998 geschieden.
Aus dem Verhältnis der Parteien sind zwei Kinder, geb. 1996 und 2001, hervorgegangen.
Eine von den Parteien begehrte Legalisation ihrer Heiratsurkunde hat die Deutsche Botschaft in Islamabad abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage beim VerwG ist ohne Erfolg geblieben.
Die ASt. hat geltend gemacht, die mit dem AGg. in Pakistan geschlossene Ehe sei aufzuheben, da dieser im Zeitpunkt der Eheschließung mit einer dritten Person verheiratet gewesen sei.
Das FamG hat den Eheaufhebungsantrag abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der ASt.

Aus den Gründen:

Die Berufung führt zum Erfolg. Aufgrund der ergänzenden Feststellungen im Berufungsverfahren steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Parteien am 28. 1. 1996 in S./Pakistan eine Ehe geschlossen haben, die wegen Verstoßes gegen § 1306 BGB - Verbot der Doppelehe - aufzuheben ist, weil der AGg. zum damaligen Zeitpunkt mit der pakistan. Staatsangehörigen Z. verheiratet war.

1. Die als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt aus § 606a I Nr. l und Nr. 2 ZPO. Die ASt. ist deutsche Staatsangehörige. Darüber hinaus ist nach Lage der Dinge davon auszugehen, dass beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. Sie leben in der Bundesrepublik Deutschland. Der AGg. .war für eine Firma in N./Deutschland beruflich tätig. Auch wenn das Arbeitsverhältnis nunmehr gekündigt ist, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er sich zum maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung nicht dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätte.
2. ...
3. Entgegen der Ansicht der Berufung ist für die vom Senat zu treffende Entscheidung unerheblich, dass der AGg., anders als noch in erster Instanz, nunmehr ebenfalls die Auffassung vertritt, die in Pakistan geschlossene Ehe sei aufzuheben. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob das Erstgericht die Eheschließung der Parteien im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig dargestellt hat, wie die Berufung meint. Denn für Ehesachen i. S. des § 606 ZPO gilt nach § 616 I ZPO grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz. Gemäß § 617 ZPO kommt danach insbesondere kein Anerkenntnis in Betracht. Auch führt das Geständnis als zugestehende Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung des Gegners nicht gemäß § 288 ZPO dazu, dass das Gericht an die zugestandene Tatsache gebunden ist. Der Umstand kann nur im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 BGB Bedeutung finden (vgl. zusammenfassend: Staudinger/Kuppel, BGB, 2000, Vorbern, zu §§ 1313 ff. Rz. 33, m. w. N.).
Im Übrigen bestimmen nicht allein die Parteien über die Beschaffung, die Feststellungsbedürftigkeit und die Feststellung des Prozessstoffes; vielmehr kann das Gericht auch gegen den Willen der Parteien im Rahmen der Parteianträge und des Streitgegenstands die entscheidungserheblichen Tatsachen berücksichtigen. Nach § 616 II ZPO gilt zwar auch für Aufhebungsklagen, dass das Gericht solche Tatsachen nicht verwerten darf, wenn sie das Begehren eines Ehegatten auf Aufhebung der Ehe stützen (sog. ehefeindliche Tatsachen) und der Ehegatte der Verwertung widerspricht. Ein dahin gehender Widerspruch liegt aber nicht vor, sodass dahinstehen kann, ob die Einschränkung im Fall einer Doppelehe überhaupt Anwendung findet (vgl. dazu BGH, FamRZ 1980, 879, 880; Baum-bach/Albers, ZPO, 62. Aufl., § 616 Rz. 4 a. E.).
4. Nach den auf vorgenannter Grundlage getroffenen Feststellungen ist die zwischen den Parteien am 28.1.1996 in Pakistan geschlossene Ehe gemäß §§ 1314, 1306, 1316 BGB auf Antrag der Ehefrau aufzuheben. Für die Frage, ob ein Mangel bei der Eheschließung die Wirksamkeit berührt und Aufhebbarkeit (Anfechtbarkeit, Vernichtbarkeit oder absolute Nichtigkeit) Folge des Mangels ist, ist gemäß Art. 13 I EGBGB auf die Heimatrechte der Staaten abzustellen, denen jeder Verlobte zum Zeitpunkt der Eheschließung angehörte
(vgl. BGH, FamRZ 1991, 300, 302; 1997, 542, 543; OLG Nürnberg, FamRZ 1998, 1109 = NJW-RR 1998, 2 ff.; OLG Koblenz, IPRax 1996, 278, 279; OLG Oldenburg, IPRax 2001, 143; Gerhardt /Rausch, FA-FamR, 4. Aufl., Kap. 15 Rz. 54, 59).
Sofern die Parteien - wie hier - verschiedene Staatsangehörigkeiten besitzen und das Recht für die Doppelehe unterschiedliche Folgen statuiert, gilt, dass bei Verschiedenheit der Wirkung eines Eheverbots das „ärgere" Recht entscheidet (BGH, FamRZ 1991, 300, 303; OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Oldenburg, a.a.O.; Palandt/Heldrich, BGB, 63. Aufl., Art. 13 EGBGB Rz. 14).
Das ist hier das deutsche Recht. Dazu gilt:
a) Für die ASt. als deutsche Staatsangehörige beurteilt sich die begehrte Aufhebung nach §§ 1303 ff. BGB. Nach dem Vorbringen der Parteien soll die Ehe in Pakistan zwar schon i. J. 1996, also zeitlich vor dem In-Kraft-Treten des Eheschließungsrechtsgesetzes (EheschlRG) am 1. 7. 1998, geschlossen worden sein. Gleichwohl ist nach deutschem Recht für das Verbot der Doppelehe nicht auf § 20 EheG a. F. mit der Folge der Nichtigkeit, sondern auf § 1314 I i.V. mit § 1306 BGB abzustellen, wonach eine Ehe im Fall der Doppelehe aufgehoben werden kann. Ausweislich der Übergangsvorschrift des Art. 226 EGBGB ist nämlich auch auf vor dem 1. 7. 1998 geschlossene Ehen grundsätzlich das neue Recht anzuwenden. Die Voraussetzungen für die Ausnahme gemäß Art. 226 I und II EGBGB liegen ersichtlich nicht vor. Auch nach § 20 EheG a. F. hätte die Ehe als „Doppelehe" keinen Bestand haben können. Des Weiteren ist das Aufhebungsverfahren nicht vor dem 1. 7. 1998, sondern erst 2002 anhängig gemacht worden.
b) Entgegen der Auffassung des FamG kann eine Aufhebung gemäß §§ 1314 I, 1306 BGB nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass zwischen den Parteien ein von Anfang an vorn Recht nicht als Ehe anerkannter Zustand (sog. Nichtehe) vorgelegen habe. Insoweit sind nach Beiziehung der Akten und Anhörung der Parteien die vom FamG gehegten Zweifel insgesamt ausgeräumt. Was zunächst das Datum der Eheschließung betrifft, beruht die Abweichung des Sachvortrags vom Inhalt der Urkunden offensichtlich auf einem Schreib- bzw. Informationsversehen. Sämtliche Urkunden - darunter auch die in den von der Verwaltungsbehörde überlassenen Akten befindliche Original-Heiratsurkunde - weisen als Heiratsdatum nicht den 22., sondern den 28. 1. 1996 aus. Sowohl in dem vorausgegangenen Verfahren auf Feststellung der Ehenichtigkeit als auch in dem Verwaltungsrechtsstreit ist dementsprechend als Datum der Eheschließung „28. 1. 1996" aufgeführt. Schließlich hat auch die ASt. gegenüber dem Senat bekundet, dass an diesem Tag tatsächlich eine Trauung in Pakistan stattgefunden hat. Irgendwelche Umstände, die Anlass dafür sein könnten, eine Heirat vorzutäuschen, sind nicht ersichtlich.
Für die Frage, ob die Parteien in Pakistan eine wirksame Ehe eingegangen sind, ist schließlich unerheblich, dass die Botschaft in Islamabad eine Legalisation der Heiratsurkunde abgelehnt hat. Denn dies geschah, wie das VerwG mit Beschluss v. 20. 7. 1999 ausgeführt hat, weil die Heiratsurkunde mangels Hinweises auf die bereits bestehende Ehe mit Z. inhaltlich unrichtig war. Damit ist in keiner Weise über die Nichtigkeit bzw. Gültigkeit der Ehe der Parteien entschieden.
c) Der danach anwendbare § 1306 BGB enthält als selbstverständliche Konsequenz des das deutsche Eherecht tragenden Grundsatzes der Einehe ein Verbot der Doppelehe. Dieses Verbot, von dem es keine Befreiung gibt, ist zweiseitig und richtet sich auch gegen den Teil, der nicht bereits verheiratet ist. Ein lediger Inländer - wie hier die ASt. - darf daher die Ehe mit einem verheirateten Ausländer auch dann nicht eingehen, wenn dessen Heimatrecht das Eheverbot der Doppelehe nicht kennt (vgl. MünchKomm/Müller-Gindullis, BGB, 4. Aufl., § 1306 Rz. 1; Gerhardt /Rausch, a. a. O., Rz. 54). Dass der AGg. vor der Eheschließung am 28.1. 1996 bereits verheiratet war, hat er selbst in seiner Anhörung vor dem Senat glaubhaft bekundet. In der pakistan. Heiratsurkunde ist zwar die Vorehe nicht angegeben. Die Richtigkeit der Angaben des AGg. wird aber durch die im Verwaltungsverfahren zu den Akten gereichte eidesstattliche Versicherung seiner ersten Ehefrau Z. bestätigt. Dass diese Ehe nachträglich geschieden wurde, ändert nichts an der Aufhebbarkeit der später mit der ASt. geschlossenen Ehe; insbesondere liegen die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 1315 II Nr. l BGB nicht vor (vgl. noch zu § 20 EheG a. F. BGH, FamRZ 1980, 879, 880; Palandt/ Brudermüller, a. a. O., § 1306 Rz. 7).
d) Was das für den AGg. anzuwendende Recht betrifft, ist er pakistan. Staatsangehöriger und Moslem
(vgl. zur Bedeutung der Religion Bergmann/Ferid/Henrich/Weishaupt, Int. Ehe- und Kindschaftsrecht, „Pakistan", Stand 1.1. 2003, S. 38).
Sowohl nach sunnitischem als auch schiitischem Recht darf der moslemische Ehemann mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet sein, solange diese nicht untereinander blutsverwandt, milchverwandt oder verschwägert sind (Bergmann/Ferid, a. a. O., S. 42). Allerdings setzt See. 6 „Muslim Family Law Ordinance" (im Folgenden: MFLO) voraus, dass eine weitere Ehe der vorherigen schriftlichen Erlaubnis des Schiedsgerichts bedarf. Nach dem Vorbringen des AGg. hat hier lediglich seine erste Ehefrau der Eheschließung mit der ASt. zugestimmt. Den vorgelegten Urkunden lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass anlässlich der Heirat die Vorehe des AGg. zur Sprache gekommen wäre. Im Gegenteil enthält die Heiratsurkunde unter Ziffer 21 keinen Vermerk über das Bestehen oder Nichtbestehen einer weiteren Ehe des AGg. Das Fehlen der nach pakistan. Recht vorgeschriebenen Erlaubnis des Schiedsgerichts hat jedoch auf die Wirksamkeit der Ehe des AGg. mit der ASt. keine Auswirkung. Für Mehrehen ohne Erlaubnis gilt nämlich, dass See. 6 MFLO lediglich als Formvorschrift angesehen wird, deren Verletzung zwar strafrechtliche Konsequenzen mit sich bringen kann, jedoch gegenüber dem Islamrecht keinen zwingenden Charakter hat und daher die weitere Eheschließung gültig sein lässt (vgl. Bergmann/Ferid, a. a. O., S. 44; zum Vorrang des muslimischen Rechts S. 29). Außerdem gilt, dass bereits längeres Zusammenleben von Mann und Frau - wovon hier nach Lage der Dinge auszugehen ist - die Vermutung einer gültigen Eheschließung begründet (vgl. Bergmann/Ferid, a. a. O., S. 40).
5. Demzufolge bestimmt sich die Rechtsfolge (Aufhebung der Ehe gemäß §§ 1314 I, 1306 BGB) nach deutschem als dem „ärgeren" Recht, sodass auf die Berufung dem Antrag stattzugeben und die in Pakistan geschlossene Ehe der Parteien aufzuheben ist. Daneben ist eine Regelung des Umgangsrechts, wie erstinstanzlich beantragt und noch nicht entschieden, nicht veranlasst; denn die Verbundvorschriften sind im Aufhebungsverfahren nicht anwendbar (vgl. Staudinger/Klippel, a. a. O., Vorbem. zu §§ 1313 ff. Rz. 37 ff., m. w. N zu Rechtsprechung und Literatur).