Testierfähigkeit nach § 2229 IV BGB bei Wahnvorstellungen
BayObLG v.
17.8.2004 - l Z BR 53/04
Fundstelle:
FamRZ 2005, 658
Leitsatz:
1. Zur Beurteilung der Frage der
Testierfahigkeit bei paranoiden Wahnvorstellungen, aufgrund derer der
Erblasser davon überzeugt ist, seine Ehefrau und gemeinsame Söhne wollten
ihn töten, und diese von der Erbfolge ausgeschlossen hat (Fortführung von
BayObLGZ 1999, 205 = FamRZ 2000, 701).
2. Zum Beweiswert der Feststellung des Urkundsnotars, er habe sich von der
Testierfahigkeit des Erblassers überzeugt.
Gründe:
I. Der Erblasser ist i. J. 2001 im Alter von 90 Jahren verstorben. Er war
seit 1939 mit der Beteiligten zu l verheiratet. Aus der Ehe stammen drei
Söhne, die Bet. zu 2 bis 4. Die Bet. zu 5 ist eine örtliche Kirchengemeinde.
Mit notariellem Testament v. 28.6.1944 haben sich die Ehegatten gegenseitig
als Alleinerben eingesetzt.
Am 14.8.1997 hat der Erblasser ein not. Testament errichtet, in dem er den
Sohn des Bet. zu 4, ersatzweise den Bet. zu 4 und dessen Abkömmlinge, als
Alleinerben eingesetzt hat. Weiter hat er bestimmt:
„Meine Ehefrau und meine
Söhne . . . (- Bet. zu 2 und 3) schließe ich von jeglicher Erbfolge aus,
soweit diese als Ersatzerben irgendwie zum Zuge kommen sollten."
Mit not. Urkunde v. 26.3.1998
hat der Erblasser die im gemeinschaftlichen Testament v. 28.6.1944
enthaltenen Verfügungen widerrufen; die Urkunde wurde der Bet. zu l am
3.4.1998 zugestellt.
Ebenfalls am 26.3.1998 hat der Erblasser ein not. Testament errichtet, mit
dem er die letztwillige Verfugung v. 14. 8. 1997 aufgehoben und die Bet. zu
5, eine Kirchengemeinde, zur Alleinerbin eingesetzt hat. Weiter hat er
bestimmt:
„Meine Ehefrau und meine
Söhne . . . (= Bet. zu 2 und 3) schließe ich von jeglicher Erbfolge aus,
soweit diese als Ersatzerben irgendwie zum Zuge kommen sollten."
Der Erblasser befand sich 1993
und 1996 wegen Verfolgungsvorstellungen in stationärer psychiatrischer
Behandlung. Durch Beschluss des VormG v. 2. 3. 1999 und 20. 7. 1999 wurden
nach Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens zwei Betreuer zur
Vertretung des prozessunfähigen Erblassers in mehreren Rechtsstreiten
bestellt. Der psychiatrische Sachverständige hat in seinem Gutachten v. 14.
2. 1999 festgestellt, der Erblasser leide an einem organischen Psychosyndrom
vom Ausprägungsgrad einer organischen Wesensänderung; Erinnerungs- und
Merkfähigkeit, Kritik- und Urteilsfähigkeit und die Realitätskontrolle seien
erheblich beeinträchtigt, er sei nicht in der Lage, einen Prozess zu führen.
Die Betreuung wurde nach Beendigung der gerichtlichen Verfahren mit
Beschluss des VormG v. 5. 1. 2001 aufgehoben.
Die Bet. zu 5 hat, gestützt auf das Testament v. 26. 3. 1998, mit
Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten die Erteilung eines Erbscheins
als Alleinerbin beantragt. Die Bet. zu l bis 4 sind dem Antrag
entgegengetreten. Sie halten die letztwilligen Verfügungen des Erblassers
von 1997 und 1998 für unwirksam, weil er nicht testierfähig gewesen sei. Der
Erblasser habe an einem krankhaften Verfolgungswahn gelitten und seine
Familienangehörigen beschuldigt, sie wollten ihn mit Stromschlägen oder Gift
umbringen. Diese Wahnvorstellungen habe er auch in seinen Tagebüchern
festgehalten.
Das AG hat mit Beschluss v. 17. 3. 2003 die Erteilung eines Erbscheins
angekündigt, der die Bet. zu 5 als Alleinerbin ausweist. Auf die Beschwerde
der Bet. zu 1, 2 und 4 hat das LG ein weiteres Gutachten des
Sachverständigen eingeholt.
Das LG hat mit Beschluss v. 13. 4. 2004 die Beschwerden zurückgewiesen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Bet. zu l mit der weiteren
Beschwerde.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig und auch begründet. Es fuhrt zur Aufhebung
der Entscheidungen der Vorinstanzen und Zurückverweisung der Sache an das
AG.
Das LG hat wie schon das AG die Testierfahigkeit des Erblassers hinsichtlich
der dem Vorbescheid zugrunde liegenden Verfügung v. 26. 3. 1998 bejaht. Die
Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit nach § 2229 IV BGB
gegeben sind, ist im Wesentlichen tatsächlicher Natur. Das
Rechtsbeschwerdegericht hat die Feststellung des LG, der Erblasser sei bei
Errichtung des Testaments testierfähig gewesen, daraufhin zu überprüfen, ob
das LG Verfahrensvorschriften verletzt, den maßgeblichen Sachverhalt
ausreichend erforscht (§§ 12 FGG, 2358 BGB), bei der Erörterung des
Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und
hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und feststehende
Erfahrungssätze verstoßen hat, ferner ob die Beweisanforderungen
vernachlässigt oder überspannt worden sind (BayObLGZ 1995, 383, 388 = FamRZ
1996, 566; BayObLG, FamRZ 1999, 819).
Solche Fehler liegen vor. Die Entscheidung des LG gibt ebenso wie der
Beschluss des AG und die Gutachten des Sachverständigen zu Zweifeln Anlass,
ob ein zutreffender Begriff der Testierfahigkeit zugrunde gelegt wurde;
jedenfalls fehlt es an der hinreichenden Berücksichtigung konkreter, für die
Beurteilung der Testierfähigkeit wesentlicher Umstände.
a) Nach § 2229 IV BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen
krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen
Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm
abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht
mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung
der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes
Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst
werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, vielmehr von diesen
krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen
und der Willensbildung braucht nicht darin zutage zu treten, dass der
Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines
Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letzten
Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag; sie kann
sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer
letztwilligen Verfugung — hier bezogen auf die konkret betroffenen Personen,
nämlich die nächsten Angehörigen des Erblassers — entscheidend zu
beeinflussen. Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage
ist, sich über die für und gegen die sittliche Berechtigung seiner
letztwilligen Verfugung sprechenden Gründe ein klares, von Wahnideen nicht
gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen
etwaiger interessierter Dritter zu handeln (std. Rspr.; vgl. BGH, FamRZ
1958, 127, 128; BayObLGZ 1962, 219, 223 f. = FamRZ 1962, 538 [LS.]; 1999,
205, 210 = FamRZ 2000, 701; aus psychiatrischer Sicht vgl. Cording, Die
Begutachtung der Testier(un)-fähigkeit in: Fortschritte der Neurologie und
Psychiatrie 2004, 147 — 159).
Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine
Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von
krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte (BayObLGZ 1999, 205, 120
f. = FamRZ 2000, 701).
b) Der Sachverständige und ihm folgend die Vorinstanzen haben entscheidend
darauf abgestellt, dass der Erblasser „zu der Vorstellung fähig war, ein
Testament errichten zu wollen und dessen Inhalt zu bestimmen". Sie haben
sich jedoch nicht damit auseinander gesetzt, dass nach den Feststellungen
des Sachverständigen der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung der
Testamente von der paranoiden Wahnvorstellung beherrscht war, seine Ehefrau
und seine Söhne trachteten ihm nach dem Leben. Andererseits ist wesentlicher
Inhalt der letztwilligen Verfügung v. 26. 3. 1998, dass die Ehefrau und zwei
Söhne ausdrücklich von jeder Erbfolge ausgeschlossen werden. Insbesondere
Wahnvorstellungen, die sich auf nächste Angehörige und als (testamentarische
oder gesetzliche) Erben in Betracht kommende Personen beziehen, sind - wie
der Senat wiederholt entschieden hat - geeignet, das freie Urteil darüber
unmöglich zu machen, ob die Enterbung dieser und die Einsetzung anderer
Personen als Erben gerechtfertigt ist (BayObLGZ 1962, 219, 224 = FamRZ 1962,
538 [LS.]; BayObLGZ 1999, 205, 211 = FamRZ 2000, 701).
aa) Das von der Bet. zu 1 vorgelegte Tagebuch des Erblassers, das den
Zeitraum vom 1.1. 1996 bis 9. 2. 1997 umfasst, enthält neben Beobachtungen
zum Wetter und alltäglichen Geschehnissen über den gesamten Zeitraum hinweg
zahlreiche Eintragungen zu den nach der Vorstellung des Erblassers
stattfindenden Mordplänen und Mordversuchen der Angehörigen. …
Der Sachverständige hat diese Tagebucheintragungen als zusätzlichen Beleg
für das diagnostizierte organische Psychosyndrom mit paranoider Symptomatik
angesehen.
bb) Das LG hat ebenso wie das AG verkannt, dass die Feststellungen des
Sachverständigen zu der geistigen Erkrankung des Erblassers und insbesondere
den paranoiden Wahnvorstellungen bezüglich der Angehörigen ernsthafte
Zweifel an der Testierfahigkeit gerade bei Errichtung der letztwilligen
Verfügungen v. 26. 3. 1998 nahe legen, mit der Ehefrau und Söhne von jeder
Erbfolge ausgeschlossen wurden. Der Erblasser war ersichtlich aufgrund der
krankhaften Wahnvorstellungen davon überzeugt, dass seine Ehefrau im
Zusammenwirken mit dem Sohn ihm nach dem Leben trachte und bereits zur
Ausführung ihrer Mordpläne bei einem im Ort praktizierenden Arzt Giftgas
beschafft habe, mit dem ihn sein Sohn angegriffen habe. Nach den Darlegungen
des Sachverständigen bestand dieses paranoide Syndrom auch zum Zeitpunkt der
Abfassung der Testamente von 1997 und 1998. Wenn der Erblasser jedoch
wahnhaft davon überzeugt war, seine Ehefrau und seine Söhne wollten ihn
umbringen, drängt es sich auf, dass er aufgrund dieser wahnhaften
Vorstellung auch nicht in der Lage war, sich ein klares Urteil über die für
und gegen die sittliche Berechtigung seiner letztwilligen Verfügung
sprechenden Gründe zu bilden. Vielmehr liegt es nahe, dass er diese Personen
gerade deshalb enterbt hat, weil er von der wahnhaften Vorstellung
beherrscht war, sie trachteten ihm nach dem Leben. Mit dieser für die
Beurteilung der Testierfähigkeit im konkreten Fall entscheidenden Frage
setzt sich der Sachverständigen nicht auseinander. Wenn dem Erblasser ein
von Wahnvorstellungen freies Urteil über die Enterbung seiner Angehörigen
unmöglich war, kann die Testierfähigkeit nicht mit der Begründung bejaht
werden, er habe den Inhalt eines Testaments als solches und die darin
enthaltene Erbeinsetzung der Bet. zu 5 zu erfassen vermocht (vgl. BayObLGZ
1999, 205, 211 = FamRZ 2000, 701).
c) Rechtsfehlerhaft ist ferner die Auffassung des LG, es könne schon deshalb
von Testierfähigkeit ausgehen, weil die beurkundenden Notare jeweils in der
Urkunde festgehalten haben, sie seien aufgrund der Verhandlung mit dem
Erblasser von dessen Testierfahigkeit überzeugt. Zwar kann bei einem
ordnungsgemäß errichteten öffentlichen Testament in dem nach § 28 BeurkG
vorgesehenen Vermerk des Notars über seine Wahrnehmungen bezüglich der
Testierfähigkeit ein Indiz liegen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1997, 1026 = FGPrax
1997, 68, 69; Staudinger/Baumann, BGB, 13. Aufl., § 2229 Rz. 47). Eine
solche Feststellung des Urkundsnotars ist jedoch nicht geeignet, schon gar
nicht ohne eine Beweiserhebung über ihr Zustandekommen, aufgrund konkreter
Umstände begründete Zweifel an der Testierfähigkeit zu entkräften, zumal
wenn — wie hier - eine psychische Erkrankung des Erblassers bereits durch
den Sachverständigen festgestellt ist. Auch wenn der Erblasser anlässlich
der Beurkundung seiner letztwilligen Verfügungen keine Wahnvorstellungen
geäußert haben sollte, rechtfertigt das nicht den Schluss, dass sie nicht
vorhanden waren.
3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen können deshalb keinen Bestand haben.
Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da die Frage der Testierfähigkeit
nicht hinreichend geklärt und weitere Aufklärung möglich und notwendig ist.
Er verweist die Sache zu erneuter Behandlung und Entscheidung an das NachlG
zurück, da Beschwerde- und erstinstanzliche Entscheidung auf dem gleichen
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