Brieftestament und Testierwille


BayObLG, Beschluß v. 19.10.2000 - 1Z BR 87/00


Fundstelle:

BayObLGZ 2000 Nr. 61
FamRZ 2001, 944


Leitsatz:

Zu den Kriterien für das Vorliegen eines Testierwillens, wenn der Erblasser in einem Brief ausführt, daß er „für den Fall eines schnellen Todes seinen Besitz vererben möchte".


Aus den Gründen:

I. Der Erblasser war katholischer Pfarrer im Ruhestand.
Die Beteiligten [Bet.] zu 7 bis 18 sind Verwandte des Erblassers und kommen als gesetzliche Erben in Betracht. Die Bet. zu 1 bis 6 leiten ihre Erbenstellung aus einer letztwilligen Verfügung des Erblassers her.
Im Sommer 1996 hatte das Erzbischöfliche Ordinariat dem Erblasser einen Auszug aus seiner Personalakte übersandt und angefragt, ob die darin enthaltenen Personaldaten zutreffend seien. Der Erblasser antwortete hierauf mit eigenhändig geschriebenem und unterschriebenem Schreiben v. 29. 7. 1996. Dieses Schreiben umfaßt eine Seite und enthält in seinem ersten Teil Ausführungen des Erblassers zu seiner Personalakte. Der zweite Teil des Schreibens v. 29. 7. 1996 hat folgenden Wortlaut:

Zu erwähnen wäre noch, daß für den Fall eines schnellen Todes . . . (Erblasser) seinen Besitz der Kath. Kirche vererben mochte; z. B. Haus A-Straße an die Kath. Pfarrkirchenstiftung . . . (Bet. zu 2); Haus B an die Kath. Pfarrkirchenstiftung . . . (Bet. zu 1); Haus C an die Kath. Pfarrkirchenstiftung . . . (Bet. u 3) (dieses Haus möchte die Mieterfamilie gerne kaufen), Eigentumswohnung D-Straße 14 an die Pfarrkirchenstiftung . . . (Bet. zu 4); Haus E an die Pfarrkirchenstiftung . . . (Bet. zu 5). Etwaiges Geld an den Missions-Verein (Bet. zu 6).

Die Rückseite dieses Briefblattes weist außer dem Erzbischöflichen Ordinariat als Adressat die Wörter „Zu ergänzen" auf; diese Wörter sind durchgestrichen.

Im Nachlaß des Erblassers befand sich ein vom Erblasser eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schriftstück mit Datum 29.7.1996, das bis auf wenige Ausnahmen in Form und Inhalt mit dem an das Erzbischöfliche Ordinariat gesandten Schreiben wörtlich (mit drei kleinen Abweichungen) übereinstimmt.

Für Grundbuchberichtigungszwecke erteilte das Amtsgericht am 27. 2. 1998 einen Erbschein, wonach der Erblasser von den Bet. zu 1 bis 6 beerbt worden ist.

Auf Antrag der Bet. zu 7, die sich gegen die Wirksamkeit des Testaments v. 29. 7. 1996 gewandt hatte, zog das Amtsgericht diesen Erbschein wegen Unrichtigkeit ein. Am 30. 9. 1999 erteilte das Amtsgericht einen entsprechenden Erbschein; danach sei der Erblasser von den Bet. zu 7 bis 18 beerbt worden.

Auf die Beschwerde der Bet. zu 1, 2, 3 und 5 wies das LG das Amtsgericht an, den neuen Erbschein einzuziehen und einen dem eingezogenen Erbschein v. 27.2.1998 inhaltlich entsprechenden Erbschein neu zu erteilen.

Das Amtsgericht hat den Erbschein v. 30.9.1999 am 8. 6. 2000 als unrichtig eingezogen.

Gegen den Beschluß des LG richtet sich die weitere Beschwerde der Bet. zu 7.

II. Die zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet...

a) Grundsätzlich kann in einem vom Erblasser eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Brief der letzte Wille des Erblassers enthalten sein. Eine solche schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblassers kann allerdings, auch wenn sie den formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB genügt, nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernstlichen Testierwillen des Erblassers beruht. Daher muß außer Zweifel stehen, daß der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewußtsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden. Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen (BayObLG, FamRZ 1999, 534, 535, m.w.N.). An den Nachweis des Testierwillens sind bei einem Brieftestament strenge Anforderungen zu stellen. Gleichwohl muß die Annahme des Testierwillens nicht in dem Sinne zwingend sein, daß eine andere Auslegung von vornherein nicht in Betracht kommt. Dies hat das LG beachtet.

b) Die Feststellung des LG, bei dem Brief v. 29. 7. 1996 handele es sich um eine wirksame letztwillige Verfügung, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Das LG hat zutreffend auf die Umstände hingewiesen, die angesichts der konkreten Gestaltung der Urkunde für einen Testierwillen des Erblassers sprechen. In der Urkunde findet sich in unmittelbarem Zusammenhang mit dem verlautbarten Vererbungswillen der Hinweis auf den Fall eines schnellen Todes des Erblassers. Dies wird anschließend durch die vom Erblasser vorgenommene ins einzelne gehende Verteilung seines gesamten Vermögens präzisiert. Die Formulierung „vererben mochte" beruht, wie der Vergleich mit dem vom Erblasser gefertigten Entwurf des Schreibens bestätigt, von einem Schreibversehen, und lautet richtig „vererben möchte". Mit dem Wort „möchte" in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang wird nach allgemeinem Sprachgebrauch ein feststehender Wille ausgedrückt. Diese Formulierung ist nicht, wie die Rechtsbeschwerdeführer vortragen, lediglich als der Wunsch zu verstehen, in der Zukunft etwas zu tun, sondern läßt durchaus die Auslegung zu, der Erblasser habe im Bewußtsein eines möglicherweise schnellen Todes über sein gesamtes Vermögen eine rechtsverbindliche letztwillige Verfügung getroffen.
Das LG mußte bei seiner Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Testaments auch nicht deshalb zu einer anderen Auffassung hinsichtlich der Frage des ernstlichen Testierwillens des Erblassers gelangen, weil die Aufteilung der Vermögensgegenstände mit den Buchstaben „z. B." eingeleitet wird.
Für die Auslegung des Briefs v. 29. 7. 1996 konnte das LG insbesondere den dem Brief zugrundeliegenden Entwurf heranziehen. In diesem Entwurf hat der Erblasser nach seiner Grundsatzaussage, daß er seinen Besitz der katholischen Kirche vererben möchte, unter Voranstellung der Buchstaben „z. B." zunächst die Verteilung seines Erbes im einzelnen konzipiert, dabei aber bei seinen ersten Überlegungen das Haus B nicht in die Verteilung einbezogen. Mit dem Ergänzungsvermerk auf der Rückseite des Entwurfs hat der Erblasser dann sein Verteilungskonzept in der Weise ergänzt und abgeschlossen, daß das Haus B der Kath. Pfarrkirchenstiftung . . . zukommen solle. Nach Abschluß des zunächst beispielhaft im Entwurf erstellten und später ergänzten Verteilungskonzepts hat der Erblasser im Wege der Übertragung des Entwurfs in Reinschrift den schließlich an das Erzbischöfliche Ordinariat abgesandten Brief verfaßt.
Der Vergleich von Entwurf und Reinschrift zeigt, daß dem Erblasser bei der Abfassung dieser Texte einige Ungenauigkeiten unterlaufen sind. . . .
Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten stellt sich die Übernahme der Buchstaben „z. B." in die Reinschrift als ein sich in die sonstigen Ungenauigkeiten einfügendes Redaktionsversehen des Erblassers dar. Diesem ist es in seinem Bestreben, den Entwurf genau in Reinschrift zu übertragen, entgangen, daß bei der Reinschrift die Buchstaben „z. B." ebenso wie der Ergänzungsvermerk auf der Rückseite entbehrlich geworden sind.
Das LG mußte auch aus anderen außerhalb der Urkunde liegenden Umständen keine Zweifel am Testierwillen des Erblassers herleiten.
Das LG mußte sich auch nicht mit dem Inhalt des Schreibens des Erzbischöflichen Ordinariats v. 5. 8. 1996 auseinandersetzen, auf das in der Begründung der Rechtsbeschwerde wesentlich abgestellt wird. In diesem Brief, mit dem das Schreiben des Erblassers v. 29. 7. 1996 beantwortet wurde, ist wörtlich ausgeführt:

„ . . . In der Anlage finden Sie eine Kopie ihres ausführlichen Begleitschreibens, das neben der kleinen Berichtigung zum Personalbogen viele Angaben enthält, die unserer Meinung nach am besten in Ihrem Testament enthalten sein sollten.
Ich bitte Sie daher, die von Ihnen gemachten testamentarischen Angaben noch einmal schriftlich niederzulegen und das Testament Ihrem zuständigen Dekan für alle Fälle auszuhändigen. Ich denke, dies ist der korrekte Weg, der evtl. später auftretende Mißverständnisse von vornherein ausschließt."

Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerdeführer kann daraus, daß der Erblasser die Empfehlung des Erzbischöflichen Ordinariats offenbar nicht befolgt hat, nicht geschlossen werden, er habe weder bei Eingang des Schreibens v. 5. 8. 1996 noch am 29. 7. 1996 den Willen gehabt, eine testamentarische Regelung zu treffen. Da keine Erkenntnisse darüber vorliegen, welche Umstände dafür maßgebend waren, daß der Erblasser davon abgesehen hat, seine Angaben noch einmal schriftlich niederzulegen, kann aus der Unterlassung des Erblassers kein Schluß auf einen fehlenden Testierwillen bei Abfassung des hier relevanten Briefes v. 29. 7. 1996 gezogen werden.