Reichweite
einer Enterbung: Erstreckung auf die Abkömmlinge des Enterbten nur bei
entsprechendem Erblasserwillen
BayObLG v.
10.04.1989 - BReg. 1a Z 72/88)
Fundstelle:
FamRZ 1989, 1006
Leitsatz:
Wird ein gesetzlicher Erbe enterbt, so
treten dessen Abkömmlinge an seine Stelle, wenn nicht die Auslegung des
Testaments ergibt, daß die Ausschließung sich auch auf die Abkömmlinge
erstrecken soll.
Aus den
Gründen:
I. Der im Alter von 72 Jahren verstorbene Erblasser war geschieden und
kinderlos. Die Beteiligte [Bet.] zu 1 ist seine Schwester. Eine weitere
Schwester des Erblassers ist i. J. 1978 verstorben. Deren einziger Sohn H.
ist der Vater der 1961 geborenen Bet. zu 2. Nach dem Tod des Erblassers
wurden zwei handgeschriebene letztwillige Verfügungen mit im wesentlichen
gleichem Inhalt aufgefunden. Das eine der beiden Blätter hat Rechtsanwalt
J., der Verfahrensbevollmächtigte der Bet. zu 1, als einen von seiner Hand
stammenden Entwurf bezeichnet, den er für den Erblasser erstellt habe. Die
zweite Urkunde unterscheidet sich hiervon nur durch die Ortsangabe. Ihr Text
lautet:
Testament
Hiermit schließe ich ... Herrn H. von der gesetzlichen Erbfolge aus. ... den
17. Oktober 1980
Auf Grund dieses Testaments hat die Bet. zu 2 die Erteilung eines Erbscheins
beantragt, der sie neben der Bet. zu 1 als Miterbin zur Hälfte ausweisen
sollte. Die Bet. zu 1 ist diesem Antrag entgegengetreten und hat einen
Erbschein als Alleinerbin beantragt. Das Nachlaßgericht hat durch
Vorbescheid v. 8. 6. 1988 einen Erbschein gemäß dem Antrag der Bet. zu 1
angekündigt.
Gegen diesen Beschluß hat die Bet. zu 2 Beschwerde eingelegt und ihren
Erbscheinsantrag weiterverfolgt. Das LG hat durch Beschluß v. 29. 8. 1988
den Vorbescheid aufgehoben und das Nachlaßgericht angewiesen, einen
Erbschein des Inhalts zu erteilen, daß der Erblasser von der Bet. zu 1 und
der Bet. zu 2 als Miterbinnen zu je zur Hälfte beerbt worden sei. Das
Nachlaßgericht hat diesen Erbschein am 29. 9. 1988 bewilligt und
Ausfertigungen an beide Bet. hinausgegeben. Die Bet. zu 1 hat durch
Schriftsatz ihrer Verfahrenbevollmächtigten weitere Beschwerde gegen den
Beschluß des LG eingelegt. Die Bet. zu 2 tritt dem Rechtsmittel entgegen.
II. Die weitere Beschwerde ist mit dem Ziel der Einziehung des erteilten
Erbscheins (§ 2361 I S. 1 BGB) zulässig (BayObLGZ 1982, 236, 239, m. w. N.).
Sie ist jedoch nicht begründet.
1. ...
2. Das LG hat im Ergebnis zutreffend angenommen, daß die Bet. zu 2 den
Erblasser kraft Gesetzes zur Hälfte beerbt hat.
Das Testament v. 17. 10. 1980 enthält seinem Wortlaut nach nur eine negative
Verfügung i. S. des § 1938 BGB, nämlich die Bestimmung, daß der Vater der
Bet. zu 2, der als Neffe des Erblassers zu seinen gesetzlichen Erben zweiter
Ordnung gehört (§ 1925 I BGB), von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen
sein soll. Zutreffend hat das LG angenommen, die Enterbung eines Verwandten
der ersten drei Ordnungen erstrecke sich im Zweifel nicht auf dessen
Abkömmlinge, denn diese erben kraft selbständigen eigenen Rechts (§§ 1924
III, 1925 III S. 1, 1926 III S. 1 BGB), nicht kraft des Erbrechts ihres
Stammelternteils (BGH, FamRZ 1959, 149, 150, m. w. N.; Staudinger/Werner,
BGB, 12. Aufl., § 1924 Rz. 11, 19; MünchKomm/Leipold, BGB, § 1938 Rz. 4).
Die Abkömmlinge des von der Erbfolge Ausgeschlossenen treten daher an seine
Stelle, wenn dem Testament nicht im Weg der Auslegung ein anderer Wille zu
entnehmen ist allgemeine Meinung: BGH, a.a.O., S. 151; BayObLGZ 1965, 166,
176 und Rpfleger 1976, 290 [LS.]; MünchKomm/Leipold, a.a.O., § 1938 Rz. 4;
Palandt/Edenhofer, BGB, 48. Aufl., § 1938 Anm. 2).
...
bb) Die angefochtene Entscheidung beruht jedoch nicht auf der unzureichenden
Erforschung des Erblasserwillens. Das LG hat nämlich unterstellt, daß der
Erblasser nicht nur seinen Neffen, sondern dessen gesamten Stamm von der
Erbfolge habe ausschließen wollen, und geprüft, ob dieser Wille im Testament
wenigstens andeutungsweise zum Ausdruck gekommen ist. Diese Frage hat es
ohne Rechtsfehler verneint.
(1) Um formgültig i. S. des § 2247 BGB und damit wirksam gemäß § 125 BGB
erklärt zu sein, muß der Wille des Erblassers in der letztwilligen Verfügung
irgendwie zum Ausdruck kommen, wenn auch nur versteckt oder andeutungsweise
(BGHZ 80, 242, 245 = FamRZ 1981, 662; BGHZ 80, 246, 250 = FamRZ 1981, 767;
BayObLG, FamRZ 1988, 986 = NJW-RR 1988, 969, jeweils m. w. N.). Wenn der
wirkliche Wille des Erblassers nicht eine auch noch so geringe Grundlage in
einer formgerechten letztwilligen Verfügung gefunden hat, kann ihm keine
Geltung verschafft werden.
(2) Soweit das LG ausführt, das Testament v. 17. 10. 1980 enthalte keinen
Hinweis auf den Willen des Erblassers, den Stamm H. insgesamt von der
Erbfolge auszuschließen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Der Erblasser hat die Person seines Neffen mit Namen und Anschrift genau
bezeichnet und allein dessen Enterbung verfügt. Darüber hinaus enthält die
Testamentsurkunde weder einen Hinweis auf Abkömmlinge des Enterbten noch
eine Erklärung, wer an seiner Stelle am Nachlaß teilhaben soll. Ein auf die
Ausschließung von Abkömmlingen gerichteter Wille des Erblassers hat im
Testament daher keinen Niederschlag gefunden.
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