Voraussetzungen der Testamentsaufhebung nach § 2258 BGB durch widersprechende Verfügung; Widerrufsfiktion bei Rücknahme aus amtlicher Verwahrung (§ 2256 I BGB)


BayObLG, Beschluß v. 15.11.1988 - BReg. 1a Z 55/88


Fundstelle:

FamRZ 1989, 441


Amtl. Leitsätze:

1. Bei der Einsetzung derselben Person als Alleinerbe zunächst in einem privatschriftlichen und später in einem gemeinschaftlichen notariellen Testament mit zusätzlichen Regelungen, die die Einsetzung als Alleinerbe bei einem Vorversterben des Erblassers nicht berühren, liegt ein inhaltlicher Widerspruch nicht vor.
2. Ohne weitere Anhaltspunkte für einen entsprechenden Erblasserwillen soll in diesem Fall die spätere Verfügung auch nicht ausschließlich und allein gelten.


Zentrale Probleme:

Soweit Testamente gleichlautend sind, beeinflussen sie sich in ihre Geltung nicht, weil § 2258 BGB einen inhaltlichen Widerspruch voraussetzt. Wird dann - wie hier - das zweite, teilweise gleichlautende Testament (durch Rücknahme aus der amtlichen Verwahrung, Widerrufsfiktion nach § 2256 I BGB) widerrufen, so stellt sich das Problem des "Widerrufs des Widerrufs" (§ 2257 BGB) nicht, sondern die erste Verfügung bleibt, da nie widerrufen, auf alle Fälle wirksam.

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Aus den Gründen:


I. Der Beteiligte zu 1 ist der Ehemann der Erblasserin, der Bet. zu 2 ihr Sohn aus erster Ehe. Auf Antrag beider Bet. erteilte das AmtsG am 17. 9. 1986 einen gemeinschaftlichen [gem.] Erbschein, in dem die Bet. zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/2 ausgewiesen waren. An den Bet. zu 1 wurde am 18. 9. 1986 eine Ausfertigung, an den Bet. zu 2 eine beglaubigte Kopie des Erbscheins hinausgegeben. Mit Anwaltsschriftsatz v. 21. 10. 1987 legte der Bet. zu 1 dem AmtsG ein von der Erblasserin hinterlassenes handgeschriebenes Schriftstück mit folgendem Wortlaut vor:

Letztwillige Verfügung:

Ich ... (= Mädchenname der Erbl.)

setze zu meinem Alleinerben ein

Herrn ... (= Bet. zu 1).

Nachdem die Erblasserin am 30. 7. 1980 mit dem Bet. zu 1 die Ehe geschlossen hatte, errichteten die Eheleute am 1. 12. 1980 vor einem Notar in M. ein gem. Testament mit unter anderem folgenden Wortlaut:

I. Wir ...
sind in der Verfügung über unseren dereinstigen Nachlaß weder durch ein gemeinschaftliches Testament noch durch einen Erbvertrag beschränkt.
II. Wir setzen uns gegenseitig zu unseren alleinigen Erben ein. Beim Ableben des Zuerstversterbenden bleiben mithin andere Personen als der Überlebende, die pflichtteilsberechtigt sind oder noch werden, auf ihr gesetzliches Pflichtteilsrecht beschränkt.
III. Für den Fall unseres gleichzeitigen Ablebens setzen wir beide zum jeweiligen Erben ein das Bayerische Rote Kreuz, Körperschaft des öffentlichen Rechts, ich die Ehefrau setze das Bayerische Rote Kreuz auch für den Fall zum Erben ein, daß ich der Längerlebende bin, jedoch sind die Erbeinsetzungen in dieser Ziffer im Verhältnis zu der gegenseitigen Erbeinsetzung in Ziffer II nicht wechselbezüglich.
Ich der Ehemann setze das Bayerische Rote Kreuz ebenfalls für den Fall, daß ich der Längerlebende bin, zum alleinigen Erben ein, aber auch diese Erbeinsetzung ist nicht wechselbezüglich im Verhältnis zu den sonstigen Verfügungen.
IV.Wir tragen die Kosten und ersuchen um Fertigung einer gemeinschaftlichen beglaubigten Abschrift und um Zurückbehaltung einer weiteren beglaubigten Abschrift bei der Urkundensammlung des Notars, die nicht verschlossen zu werden braucht.
Den Reinwert unseres Vermögens beziffern wir auf 260 000 DM.
V. Die Befugnis eines jeden von uns abweichend von Ziffer III von Todes wegen zu verfügen, ist in keiner Weise beschränkt.
...

Dieses Testament nahmen die Eheleute am 11. 7. 1985 aus der amtlichen Verwahrung zurück.

Mit Beschluß v. 17. 3. 1988 zog das AmtsG den am 17. 9. 1986 erteilten gem. Erbschein als unrichtig ein. Maßgeblich für die Erbfolge sei das nachträglich vorgelegte, undatierte handschriftliche Testament, in dem der Bet. zu 1 als Alleinerbe bestimmt werde. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Bet. zu 2 hat das LG mit Beschluß v. 6. 7. 1988 "verworfen". Das für die Erbfolge maßgebliche undatierte handschriftliche Testament sei durch die spätere Errichtung des gem. notariellen Testaments nicht widerrufen und durch die Entnahme dieses Testaments aus der amtlichen Verwahrung auch nicht unwirksam geworden.

Gegen diese Entscheidung hat der Bet. zu 2 mit Anwaltschriftsatz v. 28. 7. 1988 weitere Beschwerde eingelegt. Das LG habe nicht berücksichtigt, daß die Erblasserin eine ausschließliche und alleinige Geltung des gem. notariellen Testaments gewollt habe und daher ihr früheres handschriftliches Testament zu diesem in Widerspruch stehe. Der Bet. zu 1 tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Die ihm erteilte Ausfertigung des Erbscheins v. 19. 9. 1986 hatte der Bet. zu 1 am 5. 11. 1987 an das Nachlaßgericht zurückgegeben. Gemäß seinem Antrag v. 20. 10. 1987 hatte ihm das Nachlaßgericht am 20. 7. 1988 einen Erbschein als Alleinerbe erteilt. Eine Ausfertigung wurde an ihn hinausgegeben.


II. 1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. ... (wird ausgeführt)

3. Die weitere Beschwerde ist unbegründet, weil das LG ohne Rechtsfehler entschieden hat (§ 27 FGG, § 550 ZPO).
a) ...
b) Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, daß der gem. Erbschein vom Nachlaßgericht einzuziehen war. Eine zur Einziehung verpflichtende Unrichtigkeit des Erbscheins i. S. von § 2361 I S. 1 BGB liegt insbesondere dann vor, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins dieses Inhalts schon ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich nicht mehr vorhanden sind (allgemeine Meinung: BayObLGZ 1982, 474, 475 = FamRZ 1983, 838; BayObLG, Rpfleger 1988, 413). Der Erbschein ist einzuziehen, wenn er aus tatsächlichen Gründen nicht mehr mit einem solchen Inhalt erteilt werden dürfte, falls das Nachlaßgericht jetzt gemäß § 2359 BGB über die Erteilung zu entscheiden hätte. Für die Einziehung genügt es, wenn nach Durchführung der gebotenen Ermittlungen (§ 2361 III BGB, § 12 FGG) die gemäß § 2359 BGB erforderliche Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit des Erbscheins über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist (BayObLGZ 1982, 474, 475, m. w. N. = FamRZ 1983, 838). Wenn nach durchgeführter Einziehung des Erbscheins ein neues Zeugnis desselben Inhalts erteilt werden soll, ist darüber hinaus erforderlich, daß das Nachlaßgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet (§ 2359 BGB).

c) Der Erbschein v. 17. 9. 1986 war unrichtig, weil der Bet. zu 1 durch das undatierte handschriftliche Testament als Alleinerbe eingesetzt war. Ohne Rechtsfehler ist das LG davon ausgegangen, daß dieses handschriftliche Testament formgültig errichtet (§ 2247 I BGB) ist.

Das später, am 1. 12. 1980 wirksam errichtete gem. notarielle Testament (§§ 2265, 2231 Nr. 1, 2232, 2258 a BGB) enthält keinen inhaltlichen Widerspruch zu dem früheren Testament und hat dieses deswegen nicht aufgehoben (§ 2258 I BGB). Zutreffend hat das LG festgestellt, daß die Erblasserin sowohl in ihrem handschriftlichen undatierten Testament, als auch in Ziffer II des gem. notariellen Testaments den Bet. zu 1 als ihren Alleinerben bestimmt hat. Lediglich für den Fall des gleichzeitigen Ablebens und für den Fall, daß sie den Ehemann überlebt, wurden in dem späteren Testament zusätzliche Regelungen getroffen, welche die Erbeinsetzung des Bet. zu 1 bei Vorversterben der Erblasserin aber nicht berührten.

Auch bei inhaltlicher Vereinbarkeit mehrerer letztwilliger Verfügungen kann ein Widerspruch dann bestehen, wenn dem durch Auslegung zu ermittelnden Erblasserwillen zufolge die spätere Verfügung eine ausschließliche und alleinige Geltung haben sollte (Soergel/Harder, BGB, 11. Aufl., § 2258 Rz. 3; Staudinger/Firsching, BGB, 12. Aufl., § 2258 Rz. 9; MünchKomm/Burkart, BGB, § 2258 Rz. 6). In der Regel ist davon auszugehen, daß bei gleichem Inhalt der nacheinander errichteten letztwilligen Verfügungen die frühere wirksam bleibt und das Erbrecht auf jedem einzelnen Testament beruht. Das frühere Testament wird nur dann durch das spätere aufgehoben, wenn der Wille des Erblassers dahin ging, durch spätere letztwillige Verfügung die Erbfolge abschließend und umfassend (ausschließlich) zu regeln, wobei es nicht darauf ankommt, ob er an seine frühere Verfügung überhaupt gedacht hat (vgl. BGH, LM, BGB § 2258 Nr. 1; BGH, FamRZ 1981, 1173 = NJW 1981, 2745, 2746; BGH, FamRZ 1985, 175 = NJW 1985, 969; BGH, NJW 1986, 2571, 2572; BayObLG, NJW 1965, 1276, 1277).

Die Frage, ob das spätere Testament ausschließlich Geltung zu beanspruchen hat, wird besonders eingehender Prüfung gerade bei einem gem. Testament bedürfen, in dem der eine Ehegatte Verfügungen trifft, die mit seinem früheren Testament inhaltlich übereinstimmen (vgl. BayObLG, a.a.O.).

Einen solchen Widerspruch hat das LG zu Recht nicht gesehen. Das gem. notarielle Testament enthält hinsichtlich der Erbeinsetzung des Bet. zu 1 durch die Erblasserin keine andere Regelung als ihr früheres handschriftliches Testament. Das frühere Testament wurde durch die zusätzlichen Regelungen der späteren letztwilligen Verfügung lediglich erweitert und ergänzt, nicht aber in der Erbeinsetzung des Bet. zu 1 irgendwie berührt. Dem späteren gem. notariellen Testament ist insoweit keine abschließende, ausschließlich wirkende, sondern lediglich eine wiederholende Regelung zu entnehmen.

d) Rechtsfehlerfei ist das LG davon ausgegangen, daß durch die Rücknahme des gem. notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung durch die Erblasserin und den Bet. zu 1 dieses als widerrufen gilt (§ 2256 I S. 1 BGB) mit der Folge, daß die Erbfolge sich nach dem wirksam gebliebenen früheren handschriftlichen Testament richtete, das den Bet. zu 1 als alleinigen Erben bestimmte.

aa) Dafür, daß die Erblasserin mit der Rücknahme des gem. notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung auch ihr früheres handschriftliches Testament hätte widerrufen wollen, findet sich keine gesetzliche Grundlage (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 47. Aufl., § 2253 Anm. 3). Das LG konnte es daher zu Recht dahingestellt sein lassen, ob die wirtschaftliche Lage des Bet. zu 1 nach der Eheschließung mit der Erblasserin sich so verbessert hatte, daß die Erblasserin für seine Einsetzung als Alleinerbe keine Notwendigkeit mehr sehen mußte. Gleiches gilt für die vorgetragenen Veränderungen im Verhältnis der Erblasserin zum Bet. zu 2, ihrem Sohn aus erster Ehe.

bb) Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, daß der Bet. zu 1 zunächst nichts von dem privatschriftlichen Testament wußte, das auch von der Erblasserin möglicherweise vergessen, unter anderen Unterlagen aufbewahrt und daher erst später aufgefunden wurde. In diesen Umständen, insbesondere in dieser Art der Aufbewahrung, liegt kein Widerruf gemäß § 2255 S. 1 BGB, denn damit sind weder Veränderungen an der Testamentsurkunde selbst vorgenommen worden, noch kann in der gewählten Art der Aufbewahrung eine Vernichtung des Testaments gesehen werden (vgl. Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 2255 Anm. 2; vgl. auch OLG Hamm, Rpfleger 1983, 401, 402).

cc) Da das frühere Testament wirksam geblieben ist, kann § 2258 II BGB keine Anwendung finden. Nach dieser gesetzlichen Auslegungsregel käme es darauf an, ob der Erblasser im Zeitpunkt des Widerrufs des notariell beurkundeten Testaments den Willen hatte, die Wirksamkeit des privatschriftlichen Testaments nicht wiederherzustellen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., S. 401). Die Bestimmung setzt damit die Unwirksamkeit dieses Testaments durch frühere Aufhebung voraus. § 2258 II BGB betrifft nicht den Fall, daß ein früheres Testament ungeachtet eines späteren wirksam geblieben ist.