Anerkennungsrechtlicher ordre public bei
Schiedssprüchen (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 b ZPO); Offensichtlichkeitserfordernis
BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 -
III ZB 40/13 - OLG Celle
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Die Anerkennung oder Vollstreckung eines
Schiedsspruchs verstößt nur dann gegen die öffentliche Ordnung (ordre public),
wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des
deutschen Rechts "offensichtlich" unvereinbar ist.
b) Der ordre public erfasst elementare Grundlagen der Rechtsordnung
beziehungsweise eklatante Verstöße gegen die materielle Gerechtigkeit, wobei
nicht jeder Widerspruch selbst zu zwingenden Vorschriften des deutschen
Rechts genügt.
Zentrale Probleme:
Es geht in der Entscheidung um die Aufhebung von
Schiedssprüchen nach § 1059 II Nr. 2 b) ZPO. Die Ausführungen zum ordre
public sind aber allgemeiner Natur und daher auch von Interesse für das IPR
und das IZPR.
©sl 2014
Gründe:
1 Die von Gesetzes wegen statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 1065
Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 1 ZPO) Rechtsbeschwerde ist
unzulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO).
2 1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist das Oberlandesgericht
bei seiner Prüfung, ob die Anerkennung oder Vollstreckung des Schiedsspruchs
zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public)
widerspricht (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO), nicht von einem
unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Die Annahme des
Oberlandesgerichts, dass ein Widerspruch gegen den ordre public nur bei
"offensichtlicher" Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des
deutschen Rechts vorliege und daher der Einwand einer Verletzung des ordre
public nur in "extremen Ausnahmefällen" greife, ist zutreffend und
entspricht der Senatsrechtsprechung.
3 a) Soweit die Rechtsbeschwerde ihre abweichende Rechtsauffassung auf
ältere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs stützt (Urteile vom 12. Mai
1958 - VII ZR 436/56, BGHZ 27, 249; vom 23. April 1959 - VII ZR 2/58, BGHZ
30, 89, 97; vom 25. Oktober 1966 - KZR 7/65, BGHZ 46, 365, 367 f und vom 25.
Oktober 1983 - KZR 27/82, BGHZ 88, 314, 319), sind diese noch zu § 1041 Abs.
1 Nr. 2 ZPO in der Fassung vom 12. September 1950 (BGBl. S. 533) ergangen.
Danach konnte die Aufhebung beantragt werden, "wenn die Anerkennung des
Schiedsspruchs gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen
würde". Eine entsprechende Regelung enthielt § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
bezüglich der Versagung der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen
Schiedsspruchs. Insoweit wurde in diesen Entscheidungen die Frage einer
"offensichtlichen" Unvereinbarkeit nicht problematisiert; vielmehr heißt es
im Urteil vom 25. Oktober 1966 (aaO S. 370): "Ob die der Entscheidung des
Schiedsgerichts zugrunde liegende Rechtsauffassung ... auch von anderen
geteilt wird und deshalb zumindest .vertretbar' erscheint, ist unerheblich".
Geprüft wurde nur, was zu den "guten Sitten" beziehungsweise zur
"öffentlichen Ordnung" gehört.
4 b) Durch das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom
25. Juli 1986 (BGBl. I S. 1142) wurden dann allerdings unter anderem § 1041
Abs. 1 Nr. 2 und § 1044 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dahin geändert, dass die
Aufhebung eines (inländischen) Schiedsspruchs beziehungsweise die Versagung
der Vollstreckbarerklärung eines (ausländischen) Schiedsspruchs nur
auszusprechen ist, "wenn die Anerkennung des Schiedsspruchs zu einem
Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts
offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den
Grundrechten unvereinbar ist". Parallel zur Änderung im
Schiedsrecht wurde der ordre-public-Vorbehalt in Art. 6 EGBGB zur Anwendung
von Rechtsnormen eines anderen Staates und in § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zur
Anerkennung ausländischer Urteile entsprechend umformuliert. Nach
der Gesetzesbegründung sollte durch die Vorbehaltsklausel der "Kernbestand"
der inländischen Rechtsordnung geschützt werden, wobei in Anlehnung an die
neuere völkervertragliche Praxis, insbesondere an Art. 16 des
EG-Schuldvertragsübereinkommens vom 19. Juni 1980, der Vorbehalt des ordre
public durch den Zusatz "offensichtlich unvereinbar" bewusst eng und damit
einschränkend formuliert wurde (vgl. Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BR-Drucks. 222/83, S. 42 f, 88 f, 92).
5 Dementsprechend hat der Senat in seiner Rechtsprechung (vgl. nur Urteil
vom 12. Juli 1990 - III ZR 174/89, NJW 1990, 3210, 3211) darauf abgestellt,
ob der Schiedsspruch "offensichtlich" eine Norm verletzt, die die Grundlagen
des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens regelt, oder ob er
"offensichtlich" zu den deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen in einem
untragbaren Widerspruch steht. Hierbei hat der Senat betont, dass
eine bloße Verletzung des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts, nach
dem das Schiedsgericht entscheiden sollte, für einen solchen Verstoß nicht
ausreicht. Der Schiedsspruch ist nicht in allen Einzelheiten auf
seine materiell-rechtliche Richtigkeit hin zu überprüfen, sondern lediglich
darauf, ob er die elementaren Grundlagen der Rechtsordnung verletzt
beziehungsweise ein eklatanter Verstoß gegen die materielle Gerechtigkeit
vorliegt.
6 Hintergrund des "Offensichtlichkeitskriteriums'' ist dabei
letztlich das Verbot der révision au fond, das heißt das Verbot, eine
ausländische Entscheidung oder einen Schiedsspruch auf seine materielle
Richtigkeit zu überprüfen. Der Europäische Gerichtshof (vgl.
Urteile vom 28. März 2000, NJW 2000, 1853 Rn. 37 und vom 11. Mai 2000, NJW
2000, 2185 Rn. 30; jeweils zum entsprechenden ordre-public-Vorbehalt nach
Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ, der - anders als jetzt Art. 34 Nr. 1 EuGVVO - das Wort
"offensichtlich" nicht enthielt) hat diesen Zusammenhang wie folgt
umschrieben: "Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen
Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibt, muss es sich bei
diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung
des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort
als grundlegend anerkannten Rechts handeln."
7 c) Im Zuge des Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetzes vom 22. Dezember
1997 (BGBl. I S. 3224) ist dann allerdings unter anderem der inländische
ordre public in § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO neu gefasst worden. Die
Bestimmung lautet nunmehr, dass ein Schiedsspruch aufgehoben werden kann,
wenn das Gericht feststellt, dass "die Anerkennung oder Vollstreckung des
Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre
public) widerspricht". Das Kriterium der Offensichtlichkeit ist im Text
nicht mehr ausdrücklich angesprochen. Aus der Entstehungsgeschichte (vgl.
Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 13/5274 S. 59) ergibt sich
allerdings nichts dafür, dass der Gesetzgeber - zudem nur für das
Schiedsverfahren und nicht im Anwendungsbereich der unverändert gebliebenen
Art. 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO - insoweit etwas an der bisherigen
Rechtslage ändern wollte. Vielmehr hatte die Änderung sprachliche Gründe
(aaO); eine Inhaltskontrolle des Schiedsspruchs sollte jedoch ebenso wie
nach bisherigem Recht weiter ausgeschlossen bleiben (aaO S. 58 f). Ein
anderes Verständnis der Norm würde auch dem erklärten Willen des
Gesetzgebers zuwiderlaufen, durch das Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz
die Schiedsgerichtsbarkeit als "Alternative zur staatlichen Justiz"
beziehungsweise "als eine der staatlichen Gerichtsbarkeit im Prinzip
gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeit" zu stärken (aaO S. 1, 34).
8 Vor diesem Hintergrund hat der Senat (vgl. Beschluss vom 30. Oktober 2008
- III ZB 17/08, WM 2009, 573, 574) ausdrücklich festgestellt, dass auch nach
Inkrafttreten des Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetzes die Aufhebung eines
Schiedsspruchs voraussetzt, dass die Entscheidung zu einem Ergebnis
führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich
unvereinbar ist, der Schiedsspruch in diesem Sinn die elementaren Grundlagen
der Rechtsordnung verletzt, wobei nicht jeder Widerspruch der Entscheidung
selbst zu zwingenden Vorschriften des deutschen Rechts einen Verstoß gegen
den ordre public darstellt.
9 Hieran hält der Senat weiter fest. Insoweit ist ergänzend auch
anzumerken, dass das Offensichtlichkeitskriterium inzwischen durchgängig in
den neueren europäischen Regelungen zum ordre-public-Vorbehalt verwandt wird
(vgl. neben Art. 34 Nr. 1 EuGVVO nur Art. 22 Buchst. a, Art. 23
Buchst. a EuEheVO, Art. 24 Buchst. a EuUnterhVO, Art. 40 Buchst. a EuErbRVO
zur Anerkennung von Entscheidungen sowie Art. 21 Rom I-VO, Art. 26 Rom
II-VO, Art. 12 Rom III-VO, Art. 13 HUntProt, Art. 35 EuErbVO zur Anwendung
ausländischen Rechts; siehe auch § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG).
10 2. Das Oberlandesgericht hat damit nicht - schon gar nicht in
symptomatischer Weise - den Begriff des ordre public verkannt. Auch im
Übrigen liegen die von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe für eine
Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht vor. Abgesehen davon teilt der Senat
die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die Anerkennung und
Vollstreckung des Schiedsspruchs des Oberschiedsgerichts vom 27. Juni 2012
nicht zu einem Ergebnis führt, dass der öffentlichen Ordnung widerspricht (§
1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZPO). Auf eine weitere Begründung wird nach §
577 Abs. 6 Satz 2, 3 ZPO verzichtet.
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