IZPR: Internationale Zuständigkeit analog § 23
ZPO; Erforderlichkeit eines Inlandsbezugs
BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2012
- III ZR 282/11 - OLG Frankfurt/Main
Fundstelle:
NJW 2013, 386
Amtl. Leitsatz:
Als hinreichender
Inlandsbezug für die Anwendung des § 23 ZPO ist der Wohnsitz des Klägers in
Deutschland anzusehen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 24. November
1988 - III ZR 150/87, NJW 1989, 1431).
Gründe:
I.
1 Der Kläger verlangt von der Beklagten, einer internationalen
Ratingagentur, Schadensersatz wegen des Erwerbs von Zertifikaten, deren
Emittentin die niederländische L. B.V. war. Hierbei handelt es sich um eine
Tochter- beziehungsweise Enkelgesellschaft der L. Inc., New York, über deren
Vermögen am 15. September 2008 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der
Emissionsprospekt enthielt die Angabe, dass sowohl der Emittentin als auch
der L. Inc. durch die beklagte Ratingagentur eine Kreditwürdigkeit von A+
bescheinigt worden. Die Beurteilung der Kreditwürdigkeit erfolgte aufgrund
eines zwischen der Beklagten und der Emittentin abgeschlossenen Vertrags,
der dem Recht des Staates New York unterlag.
2 Der Kläger hat vor dem Landgericht Frankfurt am Main Klage auf
Zahlung von Schadensersatz erhoben und die Zuständigkeit aus § 23 ZPO
hergeleitet. Das Landgericht hat die Klage unter einer Adresse in
Frankfurt am Main zugestellt, die im Internetauftritt der Beklagten als
"Office" bezeichnet wird. Die entsprechenden Geschäftsräume werden von einer
Schwestergesellschaft der Beklagten genutzt.
3 Das Landgericht hat die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der
Klage angeordnet und die Klage als unzulässig abgewiesen, weil es sich für
örtlich unzuständig gehalten hat. Insbesondere ergebe sich auch aus § 23 ZPO
keine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
4 Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das Urteil des
Landgerichts aufgehoben und die Klage für zulässig erklärt.
5 Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Berufungsgerichts hat
die Beklagte Beschwerde eingelegt.
II.
6 Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat in der Sache
Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, im Gegensatz zur Auffassung des
Landgerichts sei die Klage zulässig. Ob - wie erstinstanzlich zunächst von
der Beklagten in Zweifel gezogen - die Klage wirksam gemäß § 178 ZPO
zugestellt worden sei, könne dahingestellt bleiben. Die Beklagte habe sich
auf die Klage insoweit rügelos eingelassen (§ 295 ZPO). Zudem habe die
Beklagte diesen Mangel gekannt, sei in der mündlichen Verhandlung erschienen
und habe ausweislich des Verhandlungsprotokolls diesen Aspekt dennoch nicht
ausdrücklich gerügt. Dieser Punkt sei im Laufe des Verfahrens nicht näher
thematisiert und insbesondere von der Beklagten nicht mehr zum Gegenstand
des Berufungsverfahrens gemacht worden. Entsprechend könne auch nicht von
einer konklu-dent erklärten Rüge in der mündlichen Verhandlung ausgegangen
werden. Damit trete die Rechtsfolge des § 295 ZPO ein. Die etwaige
Verletzung der mangelnden Klagezustellung könne nicht mehr gerügt werden.
8 Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main ergebe sich
aus § 23 ZPO. Die Beklagte habe im Inland befindliches Vermögen. Dieses sei
auch im Blick ein auf etwaig zu vollstreckendes Urteil nicht unangemessen
gering. Weiter sei auch der erforderliche Inlandsbezug gegeben, weil der
Kläger seinen Aufenthalt und Wohnsitz in Deutschland innehabe und darüber
hinaus noch deutscher Staatsbürger sei.
III.
9 Die Revision ist zuzulassen und begründet, weil das angegriffene Urteil
die Beklagte in ihrem Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103
Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Das Urteil ist daher
nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen.
10 1. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, das
Berufungsgericht habe das Recht der Beklagten auf Gewährung rechtlichen
Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, in dem es von einer wirksamen
Zustellung der Klageschrift als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage
ausgegangen sei.
11 Mit seiner Begründung, die Beklagte habe sich in erster Instanz zur Sache
eingelassen, ohne die Rüge der fehlenden Klagezustellung zu erheben (§ 295
ZPO), setzt sich das Berufungsgericht über zentrales Vorbringen des
Beklagten hinweg. Gleiches gilt für die Annahme, die Frage der wirksamen
Klagezustellung sei nicht mehr zum Gegenstand des Berufungsverfahrens
gemacht worden.
12 a) Die Beklagte hat bereits vor der eigentlichen Klageerwiderung mit
Schriftsatz vom 9. August 2010 beanstandet, dass der "Scheinbeklagten" die
Klage nicht wirksam zugestellt worden sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 25.
August 2010 hat sie mitgeteilt, dass sie an ihrer Auffassung zur
Unwirksamkeit der Zustellung festhalte, sich jedoch im Hinblick auf die vom
Gericht geäußerte gegenteilige Meinung zur fehlenden Zuständigkeit des
Gerichts sowie vorsorglich zur Sache äußern werde. Die Schriftsätze der
Beklagten bieten mithin keinen Anhalt dafür, dass die Beklagte ihre Rüge
fallengelassen hat.
13 Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, dass die Beklagte
ausweislich des Verhandlungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung die
Rüge nicht ausdrücklich erhoben habe, übersieht es bereits, dass das
Landgericht im Tatbestand seines Urteils festgestellt hat, dass nach
Auffassung der Beklagten die die Klage nicht ordnungsgemäß zugestellt worden
sei. Des Weiteren lässt das Berufungsgericht außer Acht, dass nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Zweifel mit der
Antragstellung in der mündlichen Verhandlung eine Bezugnahme der Parteien
auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden ist
(BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 281 mwN).
Vorliegend ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem
Landgericht, dass Schriftsätze übergeben, Schriftsatznachlässe beantragt und
gewährt worden sind sowie die Rechtslage erörtert worden ist. Sodann hat der
Beklagtenvertreter die Abweisung der Klage als unzulässig beantragt. Des
Weiteren ist zu berücksichtigen, dass in diesem Termin abgesondert allein
über die Zulässigkeit der Klage verhandelt worden ist. Der Ablauf der
mündlichen Verhandlung lässt danach keinen Zweifel daran aufkommen, dass
sämtliche Zulässigkeitsrügen zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemacht geworden sind. Davon ist auch das Landgericht ausgegangen. Von einer
rügelosen Einlassung nach § 295 ZPO kann daher keine Rede sein.
14 b) Die Rüge der Zulässigkeit der Klage ist auch in der Berufungsinstanz
nicht fallengelassen worden. Die Beklagte hat im Berufungsverfahren ihr
Vorbringen wiederholt, dass sie in Deutschland weder ihren Sitz noch eine
Niederlassung habe und es in Frankfurt am Main auch keinen "Scheinsitz"
beziehungsweise keine "Scheinniederlassung" gebe. Dieser Sachvortrag ist
nicht nur für die Frage der - vom Landgericht verneinten - örtlichen
Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main, sondern auch für die Frage
der Wirksamkeit der Klagezustellung relevant. Die Beklagte hat zugleich die
Abweisung der Klage als unzulässig weiterverfolgt und insoweit die
Zurückweisung der Berufung beantragt. Die in erster Instanz vorgetragenen
Rügen zur Zulässigkeit der Klage waren damit auch Gegenstand des
Berufungsverfahrens. Mit dem zulässigen Rechtsmittel der Berufung gelangt
grundsätzlich der gesamte aus den Akten ersichtliche Sachvortrag erster
Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz. Das gilt auch für solches
Vorbringen, das vom Gericht erster Instanz für unerheblich gehalten worden
ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2010 - IX ZR 160/09, NJW-RR 2010, 1286
Rn. 10).
15 2. Da das Berufungsgericht zur Frage der wirksamen Klagezustellung nicht
die erforderlichen Feststellungen getroffen hat, ist das Urteil aufzuheben
und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
16 Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die
Rügen der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Annahme des Berufungsgerichts,
die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus § 23
ZPO, nicht durchgreifen. Insoweit beanstandet die
Nichtzulassungsbeschwerde allein, dass der inländische Wohnsitz des Klägers
nicht ausreichend sei, den für § 23 ZPO notwendigen Inlandsbezug zu bejahen.
Zwar trifft es zu, dass nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs eine Anwendung des § 23 ZPO nur in Betracht kommt, wenn
der Rechtsstreit einen über die Vermögensbelegenheit hinausgehenden
Inlandsbezug aufweist (Urteil vom 2. Juli 1991 - IX ZR 206/90, BGHZ
115, 90, 94 ff). Bei der Frage, welche Anforderungen insoweit zu
stellen sind, ist aber die Entstehungsgeschichte der Norm in den Blick zu
nehmen. Danach sollte mit der Regelung in § 24 CPO von 1877 (seit der
Novelle von 1898: § 23), - von der Überlegung getragen, Ausländern mit im
Inland gelegenem Vermögen könnten andernfalls nicht verklagt werden - ein
Auffanggerichtsstand für klagende Inländer, und zwar ohne Rücksicht auf ihre
Staatsangehörigkeit, geschaffen werden (BGH aaO). Demgemäß
hat das Reichsgericht den Gedanken des Inländerschutzes bei der Anwendung
des § 23 ZPO hervorgehoben (vgl. RGZ 6, 400, 403, 405).
Ausgehend von diesen Überlegungen hat der Senat bereits den Wohnsitz des
Klägers im Inland als ausreichend für die Anwendung des § 23 ZPO und damit
als hinreichenden Inlandsbezug anerkannt (Senatsurteil vom 24.
November 1988 - III ZR 150/87, NJW 1989, 1431). Von dieser
Senatsrechtsprechung abzuweichen, gibt der vorliegende Sachverhalt keinen
Anhalt, zumal der Kläger nicht nur seinen Wohnsitz im Inland hat, sondern
auch deutscher Staatsangehöriger ist.
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