Sachverständigenhaftung
nach § 839a BGB bei unrichtigem Wertgutachten im
Zwangsversteigerungsverfahren: Begriff des "Beteiligten", Kausalität
BGH, Urteil vom 9. März
2006 - III ZR 143/05
Fundstelle:
NJW 2006, 1733
BGHZ 166, 313
Amtl. Leitsatz:
Zur
Sachverständigenhaftung des Wertgutachters gegenüber dem Ersteigerer im
Zwangsversteigerungsverfahren.
Tatbestand:
Das Amtsgericht Köln beauftragte in einem Zwangsversteigerungsverfahren,
betreffend das mit einem Mehrfamilienwohnhaus bebaute Grundstück Köln, H.
16, den Beklagten, einen von der Industrie- und Handelskammer zu Köln
öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die
Wertermittlung von bebauten und unbebauten Grundstücken, mit der
Verkehrswertfeststellung. Der Sachverständige gelangte in seinem Gutachten
vom 5. September 2002 zu einem Verkehrswert von 655.000 €; in dieser Höhe
wurde der Wert vom Gericht festgesetzt.
Im Versteigerungstermin vom 16. Mai 2003 blieben die Kläger Meistbietende.
Ihnen wurde das Grundstück - zu je % Anteil - für den zu zahlenden Betrag
von 555.000 € zugeschlagen.
Die Kläger werfen dem Beklagten vor, ihm seien bei der Wertermittlung Fehler
unterlaufen, indem er grob fahrlässig übersehen habe, dass das Grundstück
nur über sechs (statt acht) Stellplätze verfüge und dass ein Teil des
Grundstücks mit einem Nachbarhaus überbaut sei. Sie machen geltend, bei
Offenlegung dieser Gegebenheiten hätten sie das Objekt zu einem geringeren
Betrag ersteigern können. Sie nehmen den Beklagten auf Ersatz des
Differenzbetrages, den sie zuletzt auf 8.473,32 € beziffert haben, nebst
Zinsen in Anspruch. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren
weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Zutreffend haben beide Vorinstanzen als Grundlage für den
streitgegenständlichen Schadensersatzanspruch die Vorschrift des § 839a BGB
in Betracht gezogen. Durch Art. 2 Nr. 5 des Zweiten Gesetzes zur Änderung
schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I S. 2674)
ist mit § 839a BGB eine eigenständige, systematisch im Umfeld der
Amtshaftung angesiedelte Anspruchsgrundlage für die Haftung des
gerichtlichen Sachverständigen geschaffen worden (in Kraft seit dem 1.
August 2002), die in ihrem Anwendungsbereich dessen bisherige allgemeine
Deliktshaftung ersetzt (s. wegen deren Einzelheiten Staudinger/Wurm BGB
Westlaw.de-Aktualisierung 2005, WLDE 2005 - 2000926, § 839a Rn. 3-5).
Aufgrund dieser Neuregelung ist ein vom Gericht ernannter Sachverständiger,
der vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet,
zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch
eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht.
§ 839a BGB erfordert somit einen zweiaktigen Geschehensablauf, nämlich ein
unrichtiges Gutachten, das Eingang in eine unrichtige gerichtliche
Entscheidung gefunden hat, die ihrerseits den Schaden herbeiführt
(Wagner/Thole VersR 2004, 275, 278; Staudinger/Wurm aaO Rn. 7).
2. Mit Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die
Kläger als Meistbietende hier "Verfahrensbeteiligte" im Sinne des § 839a BGB
gewesen sind (vgl. in diesem Sinne auch BGH, Urteil vom 20. Mai 2003 - VI ZR
312/03 = VersR 2003, 1049, 1050). Zwar zählten sie nicht zu den nach § 9 ZVG
am Verfahren förmlich Beteiligten; indessen ist es zulässig und geboten,
den Beteiligtenbegriff im Sinne des § 839a BGB über eine formalisierte,
streng prozessrechtliche Betrachtung hinaus zu erweitern
(Staudinger/Wurm aaO Rn. 24).
a) Für das hier in Rede stehende Verfahren der Zwangsversteigerung kann
insoweit auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die von der
Rechtsprechung zu der Frage entwickelt worden sind, wie im Rahmen der bei
der gerichtlichen Wertfestsetzung wahrzunehmenden Amtspflichten der Kreis
der geschützten "Dritten" im Sinne der Amtshaftung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34
GG) zu bestimmen ist. Insoweit hat der Senat insbesondere bereits
entschieden, dass diese Amtspflichten zugunsten des Ersteigerers
drittgerichtet sein können. Es mag zwar zutreffen, dass die gerichtliche
Wertermittlung und -festsetzung in erster Linie einer Verschleuderung des
Grundbesitzes entgegenwirken und die Einhaltung der Untergrenze von 7/10 des
Grundstückswerts gewährleisten soll.
Dies schließt es jedoch nicht aus, dass auch die Interessen des Ersteigerers
geschützt werden, und zwar nicht nur im Wege eines bloßen Reflexes, sondern
durch Einbeziehung in die insoweit bestehenden drittgerichteten
Amtspflichten. Der Ersteigerer darf, selbst wenn ihm keine
Mängelgewährleistungsansprüche zustehen, in schutzwürdiger Weise darauf
vertrauen, dass das Gericht bei der Festsetzung des Grundstückswerts, die
die Grundlage für die Höhe des Gebots bildet, mit der erforderlichen
Sorgfalt verfahren ist (Senatsurteil vom 6. Februar 2003 - III ZR 44/02 =
VersR 2003, 1535, 1536 m.w.N.).
b) Diese Grundsätze hat der Senat auf die Haftung des vom Gericht mit der
Wertermittlung beauftragten Gutachterausschusses übertragen, die sich -
anders als hier, wo es um die Haftung eines privaten
Grundstückssachverständigen geht - nicht nach § 839a BGB, sondern nach
Amtshaftungsgrundsätzen richtet. Der Senat hat dazu entschieden, dass in dem
gleichen Umfang wie die vom Gericht selbst bei der Wertfestsetzung
wahrzunehmenden Amtspflichten auch diejenigen des mit der Wertermittlung
beauftragten Gutachterausschusses drittgerichtet sind (Senatsurteil vom 6.
Februar 2003 aaO). Der Senat sieht keine durchgreifenden Bedenken
dagegen, die Gesichtspunkte, die für die Einbeziehung des Ersteigerers in
den Kreis der amtshaftungsrechtlich geschützten Dritten maßgeblich sind, für
die hier zu beurteilende Frage heranzuziehen, ob der Ersteigerer
Verfahrensbeteiligter im Sinne der Sachverständigenhaftung nach § 839a BGB
ist (a.A. Wagner/Thole aaO S. 277 f). Insbesondere begründet die hier
in Rede stehende Wertermittlung durch einen privaten Sachverständigen in
gleicher Weise ein schutzwürdiges Vertrauen des Ersteigerers zumindest
dahin, dass bei der Ermittlung ihrer Grundlagen sachgemäß und korrekt
verfahren ist.
3. Als schadensstiftende gerichtliche Entscheidung, die auf dem Gutachten
beruht, kommt hier der Zuschlagsbeschluss in Betracht, durch den die Kläger
nicht nur das Eigentum an dem Grundstück erworben haben (§ 90 ZVG), sondern
im Gegenzug mit der Verpflichtung zur Zahlung des Betrages von 555.000 €
belastet worden sind.
a) Vollzieht sich die gerichtliche Entscheidungsfindung über mehrere Stufen,
von denen die jeweils folgende auf der vorangegangenen aufbaut, so kann
haftungsbegründende Entscheidung nicht nur diejenige auf der Stufe sein, auf
der das Sachverständigengutachten eingeholt worden ist, sondern auch die
folgende Endentscheidung. Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung auf der
vorangegangenen Stufe einer selbständigen Anfechtbarkeit mit Rechtsmitteln
unterlegen hatte (Staudinger/Wurm aaO Rn. 17). Dies bedeutet, dass die
Wirkung des Gutachtens sich nicht nur in der Wertfestsetzung erschöpfte,
sondern über diese hinaus den weiteren Gang des Verfahrens bis zur Erteilung
des Zuschlages beeinflusste.
b) Das Berufungsgericht meint, der Unterschied zum klassischen Fall des §
839a BGB - aufgrund eines falschen Gutachtens ergehe ein falsches Urteil,
durch das ein (Vermögens-)Schaden entstehe - liege bei der hier zu
beurteilenden Konstellation darin, dass das Wertgutachten im
Zwangsversteigerungsverfahren nicht Grundlage einer staatlichen
Zwangsentscheidung sei, sondern der Betroffene aufgrund des Gutachtens eine
eigene wirtschaftliche Entscheidung treffe, die sich als falsch
herausstelle. Insoweit entspreche die Interessenlage dem Fall, dass die
Parteien sich auf der Basis eines - unrichtigen - Gutachtens verglichen,
etwa über die Höhe von Nachbesserungskosten. Für diesen Fall habe der
Gesetzgeber die Haftung aber gerade ausgeschlossen, und zwar mit der
Begründung, dass hier "der Nachweis, dass dieses Gutachten auf die
Motivation der Parteien eingewirkt habe, auch nur schwer zu erbringen" wäre.
c) Diese Betrachtungsweise vermag der Senat nicht zu teilen. Es ist
zwar richtig, dass nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/7752 S. 28)
von der Ersatzpflicht Fälle anderweitiger Erledigung ausgeschlossen sind,
namentlich, dass sich die Parteien unter dem Eindruck des unrichtigen
Gutachtens vergleichen. Im Schrifttum wird erwogen, diesen Grundsatz auch
auf sonstige Fälle der nichtstreitigen Erledigung des Verfahrens, etwa
Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, Anerkenntnis, Verzicht, Flucht in die
Säumnis, zu übertragen (Staudinger/Wurm Rn. 19-21). Die Gemeinsamkeit dieser
Fallgestaltungen liegt jedoch darin, dass die betroffenen Parteien von ihrem
bisherigen Rechtsschutzbegehren Abstand nehmen und auf eine streitige
Gerichtsentscheidung verzichten. Im vorliegenden Fall ist es demgegenüber
so, dass die Bieter auf der Grundlage des Gutachtens ihr Ziel, das
Grundstück zu ersteigern, im Wettbewerb miteinander weiterverfolgen.
Dementsprechend ist es gerechtfertigt, den Zuschlag auch gegenüber dem
Meistbietenden, nicht anders als gegenüber dem Gläubiger oder dem Schuldner,
als die gerichtliche Streitentscheidung zu betrachten.
4. Zu dem ersatzfähigen Schaden gehört jeder durch das unrichtige
Gutachten und die darauf beruhende gerichtliche Entscheidung adäquat
verursachte und in den Schutzbereich der verletzten Sachverständigenpflicht
fallende Vermögensschaden (Staudinger/Wurm Rn. 25). Der zu leistende
Schadensersatz soll die Vermögenslage herstellen, die bei pflichtgemäßem
Verhalten des Sachverständigen eingetreten wäre, d.h. hier: wenn der
Grundstückswert korrekt ermittelt worden wäre. Dies bedeutet, dass der
Geschädigte - entgegen einer missverständlichen Formulierung im Senatsurteil
vom 6. Februar 2003 (aaO) - nicht lediglich einen Anspruch darauf hat, so
gestellt zu werden, als hätte er das Objekt nicht ersteigert. Dies ist zwar
eine denkbare, aber nicht die einzige Möglichkeit der Schadensberechnung.
Vielmehr bleibt es dem Geschädigten vom Ansatz her unbenommen, geltend zu
machen, dass er bei korrekter Wertfestsetzung das Grundstück zu einem
niedrigeren Meistgebot hätte ersteigern können. Den Differenzbetrag kann er
als Schadensersatz beanspruchen. Dies gilt auch dann, wenn das zum Zuge
gekommene Meistgebot - wie hier -unter dem Verkehrswert liegt. Der Umstand,
dass der Geschädigte möglicherweise eine objektiv adäquate Gegenleistung
erhalten hat, schließt es nicht aus, dass er bei korrekter Wertfestsetzung
mit einem noch geringeren Gebot hätte zum Zuge kommen können und die
Mehraufwendungen damit erspart hätte.
5. Das Berufungsurteil kann daher mit der ihm gegebenen Begründung nicht
bestehen bleiben. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus
folgerichtig - nicht geprüft, ob die vom Beklagten vorgenommene
Wertermittlung überhaupt objektiv unrichtig gewesen ist und ob dem Beklagten
gegebenenfalls grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Erforderlichenfalls sind
weitere Feststellungen dazu zu treffen, ob die Kläger das Grundstück zu
einem niedrigeren Meistgebot ersteigert hätten. Die insoweit im Rahmen des §
287 ZPO an die Darlegungs- und Beweislast der Kläger zu stellenden
Anforderungen müssen um so strenger sein, je geringer die Differenz zwischen
den vom Sachverständigen ermittelten und dem von den Klägern für zutreffend
gehaltenen Verkehrswert ist und je deutlicher das zum Zuge gekommene
Meistgebot unter diesen Werten liegt. Lag - wie im Streitfall - das
Meistgebot 100.000 € unter dem festgesetzten Verkehrswert von 655.000 € und
lag weiter - so die Behauptung der Kläger - der wirkliche Verkehrswert
weniger als 2 v.H. unter dem vom Beklagten ermittelten Wert, ist es
unwahrscheinlich, dass sich diese geringe Abweichung überhaupt auf die Höhe
der Gebote ausgewirkt hat. Aber auch insoweit darf der tatrichterlichen
Würdigung nicht vorgegriffen werden.
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