Unanwendbarkeit von § 193 BGB (Fristablauf an Sonn- und Feiertagen) auf
Kündigungsfristen
BGH, Urteil
vom 17. Februar 2005 - III ZR 172/04
Fundstelle:
NJW 2005, 1354
BGHZ 162, 175
Amtl. Leitsatz:
§ 193 BGB ist auf Kündigungsfristen weder
unmittelbar noch entsprechend anwendbar (Fortführung von BGHZ 59, 265).
Tatbestand:
Die Klägerin unterhält eine deutsche Basketball-Mannschaft, die am
Spielbetrieb der Bundesliga teilnimmt; die Beklagte ist ein
Telekommunikationsunternehmen, das inzwischen seinen operativen Betrieb
eingestellt hat. Unter dem 11./15. Oktober 2001 schlossen die Parteien einen
Werbevertrag, der in Ziffer VIII über die Vertragsdauer folgende
Bestimmungen enthält:
"a) Die
Laufzeit dieses Vertrags beginnt mit seiner Unterzeichnung durch beide
Parteien und läuft für die Saison 2001/2002 und 2002/2003, d.h. für die
Zeit bis zum 30. Juni 2003.
b) Beide Parteien erhalten allerdings die Möglichkeit, den Vertrag bis
zum 30.04.2002 mit einer Frist von einem Monat ohne Angabe von Gründen
schriftlich zu kündigen. Sollte diese Kündigung ausgesprochen werden,
endet der Vertrag bereits mit dem Ende der Spielzeit 2001/2002."
Mit Schreiben
vom 27. März 2002 kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis. Seinerzeit
fielen die Osterfeiertage auf den 31. März und 1. April. Zwischen den
Parteien ist streitig, ob der Klägerin das Kündigungsschreiben schon am
Karsamstag, dem 30. März 2002, oder frühestens am folgenden Dienstag, dem 2.
April 2002, zugegangen ist.
Die Vorinstanzen haben eine Kündigung auch noch am 2. April 2002 für
rechtzeitig gehalten und die auf Zahlung eines Teils der Vergütung für die
Saison 2002/2003 in Höhe von 84.100 € einschließlich Mehrwertsteuer
gerichtete Klage abgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen
Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VuR 2004, 266 (mit zustimmender
Anmerkung des vorinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten)
veröffentlicht ist, läßt es wie das Landgericht dahinstehen, ob das
Kündigungsschreiben der Beklagten schon am 30. März 2002 bei der Klägerin
eingegangen ist. Es hält in zumindest analoger Anwendung des § 193 BGB auch
einen Zugang noch am nächsten auf das Fristende (31. März 2002) folgenden
Werktag für wirksam. Bei Kündigungserklärungen sei - abhängig vom jeweiligen
Vertragstypus - nach der Schutzbedürftigkeit des Adressaten zu
unterscheiden. Im Streitfall handele es sich um einen Werbevertrag zwischen
gleichberechtigten Vertragspartnern, deren Position sich nicht mit
derjenigen eines Arbeitgebers/ Arbeitnehmers oder Vermieters/Mieters
gleichsetzen lasse. Eine Schutzbedürftigkeit wie in diesen Fallgruppen sei
hier nicht gegeben. Auf die Frage, ob der Klägerin die Berufung auf einen
verspäteten Zugang der Kündigung gemäß § 242 BGB wegen widersprüchlichen
Verhaltens zu versagen sei, weil sie diesen Umstand nicht während der auf
die Kündigung folgenden Vertragsverhandlungen zwischen den Parteien erwähnt
und ihn erst im Prozeß geltend gemacht habe, komme es nicht an.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. § 193
BGB gilt, soweit keine abweichende gesetzliche oder vertragliche Regelung
besteht, insgesamt nicht für Kündigungsfristen.
1. Nach § 193 BGB kann eine an einem bestimmten Tage oder innerhalb einer
Frist abzugebende Willenserklärung noch am nächsten Werktag abgegeben
werden, wenn der bestimmte Tag oder der letzte Tag der Frist auf einen
Sonntag, einen staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder einen
Sonnabend fällt. Die Anwendung dieser Vorschrift auf bei
Kündigungserklärungen einzuhaltende Fristen ist umstritten. Überwiegend hat
sich eine nach Vertragsformen differenzierende Kasuistik herausgebildet,
während bei den hiervon nicht erfaßten Verträgen nach dem Schutzzweck der
Kündigungsfrist unterschieden werden soll.
Für Arbeitsverträge verneint das Bundesarbeitsgericht - nach ursprünglich
gegenteiliger Auffassung im Anschluß an die Rechtsprechung des
Reichsarbeitsgerichts (BAGE 20, 8 = AP Nr. 2 zu § 66 HGB mit ablehnender
Anmerkung Herschel; RAGE 4, 139, 140 ff.; 16, 125, 126 f.) - eine Anwendung
des § 193 BGB, unabhängig davon, wie lang die Kündigungsfrist ist und ob sie
auf Gesetz, Kollektivvertrag oder Einzelvereinbarung beruht (BAGE 22, 304 =
AP Nr. 1 zu § 193 BGB mit zustimmender Anmerkung Hueck = SAE 1971, 13 mit
zustimmender Anmerkung Beuthien; DB 1977, 639). Dem sind die übrige
Rechtsprechung und die Fachliteratur gefolgt (vgl. nur LAG Düsseldorf DB
1960, 1218, 1219; LAG Köln NZA-RR 2002, 355, 356; Staudinger/Repgen, BGB,
Neubearb. 2004, § 193 Rn. 14). Dieser Auffassung hat sich auch der VII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für das Handelsvertreterrecht
angeschlossen (BGHZ 59, 265).
In Miet- und Pachtverhältnissen soll wegen der Schutzfunktion der dort
bestimmten Kündigungsfristen die Auslegungsregel des § 193 BGB nach
überwiegender Ansicht gleichfalls nicht gelten (Bamberger/Roth/Henrich, BGB,
§ 193 Rn. 4; Erman/H. Palm, BGB, 11. Aufl., § 193 Rn. 2; Soergel/Niedenführ,
BGB, 13. Aufl., § 193 Rn. 9; Staudinger/Repgen, aaO für den Fall, daß durch
die Kündigung eine gesetzliche Schutzfrist ausgelöst werde). Dem entgegen
hat das Reichsgericht in solchen Fallgestaltungen die Anwendung des § 193
BGB gebilligt (RG JW 1907, 705; so auch LG Kiel WuM 1994, 542, 543). Der
Bundesgerichtshof hat sich hierzu noch nicht geäußert; das Urteil des VIII.
Zivilsenats vom 16. Oktober 1974 (VIII ZR 74/73 - NJW 1975, 40) betrifft
nicht eine Kündigung im technischen Sinne, sondern die Ablehnung einer ohne
"Kündigung" eintretenden Vertragsverlängerung.
Bei Versicherungsverträgen entspricht die Anwendung der Vorschrift auf der
Grundlage älterer Entscheidungen der Instanzgerichte heute offenbar
allgemeiner Meinung (LG Köln VersR 1953, 185; AG Hamburg VersR 1951, 125; AG
München VersR 1951, 204, 205; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 8
Rn. 7; Staudinger/Repgen, aaO; a.A. AG Osnabrück Recht 1942 Nr. 1703).
Für andere Vertragsverhältnisse, wie hier, will die Kommentarliteratur
demgegenüber überwiegend danach unterscheiden, ob die Einhaltung der
Kündigungsfrist dem Schutz des Adressaten dient oder ob dies zu verneinen
ist (Nachweise oben bei Mietverträgen; s. ferner Jauernig, BGB, 11. Aufl., §
193 Rn. 1; MünchKomm/Grothe, BGB, 4. Aufl., § 193 Rn. 7; a.A.
Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 193 Rn. 3: keine Anwendung der
Bestimmung bei Kündigungsfristen).
2. Der erkennende Senat schließt sich wie bereits der VII. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs (BGHZ 59, 265) den überzeugenden Gründen gegen eine
Geltung des § 193 BGB für Kündigungsfristen in BAGE 22, 304, 305 ff. an. Er
hält über diese beiden Entscheidungen hinaus im Interesse der Rechtsklarheit
und Rechtssicherheit eine Ausdehnung der dort entwickelten Grundsätze auf
alle Kündigungsfristen ohne Rücksicht auf die Natur der in Rede stehenden
Verträge und die Frage einer besonderen Schutzbedürftigkeit des
Kündigungsempfängers für geboten.
a) Eine unmittelbare Anwendung des § 193 BGB auf Kündigungsfristen
scheidet aus. Wenn mit einer Frist von einem Monat zu einem bestimmten
Tag gekündigt werden kann, bedeutet dies weder, daß die Willenserklärung an
einem bestimmten Tag abzugeben ist, noch, daß die Kündigung innerhalb einer
Frist abgegeben werden müßte, wie es das Gesetz voraussetzt. Die Zeit vor
Beginn der Kündigungsfrist ist selbst keine Frist, weil sie keinen
Anfangszeitpunkt, sondern nur einen Endtermin hat (BAGE 20, 8, 11; 22, 304,
305 f.; BGHZ 59, 265, 267). Auch der Beginn des Vertragsverhältnisses läßt
sich nicht als Anfangstermin in diesem Sinne ansehen (so aber RG JW 1907,
705).
b) Eine entsprechende Anwendung des § 193 BGB kommt ebenfalls nicht in
Betracht. Die Bestimmung dient dem Schutz und den Interessen desjenigen, der
die Willenserklärung abzugeben hat. Wer innerhalb einer Frist eine
Erklärung abgeben muß - wie etwa den Widerruf seiner Vertragserklärung (§
355 BGB) -, soll davor bewahrt werden, daß das ihm zustehende Recht, die
Frist bis zum letzten Tag auszunutzen, wegen der Arbeits- und Behördenruhe
am Wochenende und an den Feiertagen verkürzt wird. Demgegenüber dient
entgegen Teilen der Kommentarliteratur die Verpflichtung zur Einhaltung
bestimmter Kündigungsfristen stets dem Schutz des Kündigungsgegners. Dieser
soll sich rechtzeitig auf die Beendigung des Vertragsverhältnisses
einstellen können; insofern sind alle zu seinen Gunsten bestehenden Fristen,
auch soweit es sich um vertraglich vereinbarte Fristen handelt,
Mindestfristen, die ihm ungekürzt zur Verfügung stehen sollen. Davon
abgesehen ist es auch methodisch nicht möglich, eine Vorschrift, die
denjenigen, der eine Willenserklärung abzugeben hat, vor einer
Fristverkürzung schützen soll, zu Lasten des Empfängers einer Kündigung
entsprechend anzuwenden mit der Folge, daß im Ergebnis die zur Verfügung
stehende (Kündigungs-)Frist nicht verlängert, sondern - im ungünstigsten
Falle sogar wesentlich - verkürzt wird (BAGE 22, 304, 308 ff.; BGHZ 59,
265, 267; Herschel, Anmerkung zu BAG AP Nr. 2 zu § 66 HGB; Hueck, Anmerkung
zu BAG AP Nr. 1 zu § 193 BGB).
Ausnahmen hiervon je nach Interessenlage und fehlender besonderer
Schutzbedürftigkeit des Kündigungsempfängers, gemessen an der Art des
Vertragsverhältnisses oder der Länge der einzelnen Kündigungsfristen, sind
nicht angebracht. Dies würde ein beträchtliches Maß an Unsicherheit mit
sich bringen, während gerade Fristbestimmungen klar überschaubar und leicht
handhabbar sein müssen. Damit würde die erforderliche Rechtssicherheit durch
schwer berechenbare und nicht selten erst in einem Rechtsstreit zu klärende
Billigkeitserwägungen ersetzt (BAG aaO S. 311; BGHZ aaO S. 268). So wäre
etwa bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht ohne weiteres einsichtig,
warum der Vermieter einer Sache - das gilt beispielsweise auch für die
Vermietung von Werbeflächen - vor einer Verkürzung der ihm gegenüber
einzuhaltenden Kündigungsfrist geschützt sein sollte, wie es das
Berufungsgericht offenbar im Auge hat, der Anbieter sonstiger
Werbemaßnahmen, wie hier, bei kaum abweichender Interessenlage dagegen
nicht.
III. Mit der gegebenen Begründung kann das Berufungsurteil danach nicht
bestehen bleiben.
Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar
(§ 561 ZPO). Widersprüchliches Verhalten, wie es die Beklagte der Klägerin
vorwirft, verstößt nicht ohne weiteres gegen die Grundsätze von Treu und
Glauben (§ 242 BGB). Insbesondere bleibt es der Partei grundsätzlich
unbenommen, von einer Rechtsansicht, die sie bei vorausgegangenen
Vertragsverhandlungen eingenommen hat, nach Einleitung eines Rechtsstreits
abzurük-ken. Rechtsmißbräuchlich ist nach ständiger Rechtsprechung
widersprüchliches Verhalten vielmehr erst dann, wenn dadurch für den anderen
Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere
besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BGH,
Urteil vom 5. Juni 1997 - X ZR 73/95 - NJW 1997, 3377, 3379 f.; Urteil vom
17. März 2004 - VIII ZR 161/03 - WM 2004, 1219, 1221; Urteil vom 14.
September 2004
- XI ZR 248/03 - ZIP 2004, 2273, 2275). Nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts besteht hierfür kein Anhalt.
Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen weiteren
Feststellungen nachholen kann.
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