Repräsentantenhaftung nach § 31 BGB; Haftung aus
c.i.c. (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB) für schädigenden Eigengeschäfte eines
selbständigen Handelsvertreters; Einschränkung der Haftung nach dem
Schutzzweck vorvertraglicher Pflichten
BGH, Urteil vom 14. März 2013 - III
ZR 296/11 - OLG München
Fundstelle:
NJW 2013, 3366
BGHZ 196, 340
Amtl. Leitsatz:
a) Zur Repräsentantenhaftung einer
Anlageberatungsgesellschaft für einen von ihr mit der Anlageberatung und
-vermittlung betrauten selbständigen Handelsvertreter, wenn dieser
Anlagegeschäfte im eigenen Namen tätigt.
b) Einer Anlageberatungsgesellschaft obliegt zum Schutz der Rechtsgüter
ihrer Kunden gemäß § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB grundsätzlich die
Pflicht, nur solche Handelsvertreter mit der Anlageberatung zu betrauen, von
deren Zuverlässigkeit sie sich auf der Grundlage eines polizeilichen
Führungszeugnisses überzeugt hat. Diese Pflicht umfasst auch den Schutz der
Kunden vor solchen Schäden, die ihnen von dem einschlägig wegen Betrugs
vorbestraften Handelsvertreter durch den Abschluss von kriminellen
Eigengeschäften zugefügt werden.
c) Die Dauer der Schutzwirkung einer solchen Pflicht bestimmt sich nach den
Umständen des Einzelfalls; sie endet spätestens mit Ablauf der
Tilgungsfristen nach Maßgabe des Bundeszentralregistergesetzes.
Zentrale Probleme:
Eine wichtige Entscheidung zur Haftung aus c.i.c.
sowie zur Haftung für Repräsentanten nach § 31 BGB, die deshalb auch für
BGHZ vorgesehen ist: Ein freier Handelsvertreter eine
Anlageberatungsgesellschaft "verkauft" Kunden auf eigenen Namen eine
Geldanlage und betrügt sie dabei. Der Senat behandelt zunächst eine
Zurechnung nach § 31 BGB. Hier finden sich grundsätzliche Ausführungen zur
sog. Repräsentantenhaftung analog § 31 BGB. Sie scheitert hier sowohl an der
fehlenden Eigenschaft als "Repräsentant", d.h. einer leitenden Stellung,
also auch an der Tatsache, dass die Schädigung nicht "in Ausführung" dieser
Funktion erfolgt ist (die dortige Argumentation gilt übrigens auch für eine
Haftung für den Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB). Bleibt eine Haftung
aus culpa in contrahendo (§§ 280, 311 II, 241 II BGB): Kernargumentation:
Durch das Betreten eines von der Beratungsgesellschaft unterhaltenden Büros
entsteht zwischen dieser und dem (potentiellen) Kunden ein Schuldverhältnis
nach §§ 311 II Nr. 2, 241 II BGB. Indem die Beratungsgesellschaft dort
schuldhaft einen vorbestraften Anlagebetrüger beschäftigt, verletzt sie eine
Schutzpflicht gegenüber Kunden, die das Büro betreten (s. dazu bei Tz.
19 ff). Kurz: Ebenso wie der Inhaber eines Ladenlokals
eine Schutzpflicht dahingehend hat, dass der Kunde bei ihm zB nicht durch
herunterfallende Waren verletzt wird, hat er uU auch eine solche
dahingehend, dass der Kunde nicht von den dort beschäftigten Personen
betrogen wird. Dabei ist der Schutzbereich aber abzugrenzen (s. dazu auch
BGH NJW 2001, 962): Zwar erstrecken sich diese Schutzpflichten in der
Regel nur auf die "anzubahnenden" Verträge und die Tätigkeit der
ausgewählten Person bei der Anbahnung dieser Verträge, d.h. es liegt
grundsätzlich nicht im Schutzbereich der genannten Pflichten, (potenzielle)
Vertragspartner vor jeglichen Schäden zu bewahren, die ihnen durch die
ausgewählte Person unabhängig von dem Vertragsverhältnis oder der
Vertragsanbahnungssituation, das heißt nur gelegentlich der
Vertragsanbahnung zugefügt werden können. Für den Fall der fehlerhaften
Personalauswahl sieht der Senat das aber anders, wenn die "durch die
fehlerhafte Personalauswahl geschaffene Gefahrensituation" erfahrungsgemäß
und typischerweise auch zu Schäden der Kunden führen kann, die ihnen durch
die ausgewählte Person zwar nicht bei der Anbahnung von Verträgen mit dem
schutzpflichtigen Unternehmen, aber innerhalb der in der Anbahnungssituation
bestehenden Vertrauenssphäre zugefügt werden.
©sl 2013
Tatbestand:
1 Die Kläger machen gegen die beklagte
D. V. AG wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten und unter dem
Gesichtspunkt der Repräsentantenhaftung Schadensersatzansprüche im
Zusammenhang mit zwei Vermögensanlageverträgen geltend, die sie am 1.
Dezember 2001 und 14. Juli 2002 mit dem Handelsvertreter G. F. geschlossen
haben.
2 Die Beklagte gehört zur A. Versicherung. Sie hat mit dieser sowie deren
Muttergesellschaft G. und anderen konzernzugehörigen Gesellschaften
Handelsvertreterverträge geschlossen, aufgrund derer sie für diese
Gesellschaften Versicherungsverträge und Kapitalanlagen aller Art
vermittelt. Die Beklagte ist in hierarchisch aufgebaute Unterorganisationen
- sogenannte Direktionen - strukturiert. Die einer Direktion zugeordneten
Partner - sogenannte Vermögensberater - sind selbständige Handelsvertreter.
Sie vermitteln für die Beklagte Produkte der genannten
Partnergesellschaften.
3 Zu diesen Handelsvertretern zählte - jedenfalls ab 1998 bis zu seinem Tod
im Jahr 2007 - auch G. F. , dem für seine Tätigkeit von der Beklagten
verschiedene Werbemittel, insbesondere ein Briefpapier mit dem Logo der
Beklagten zur Verfügung gestellt wurden. F. war am 25. August 1993 zu einer
zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung und am 11. Januar 1995 zu einer
weiteren Freiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung, jeweils unter anderem
wegen Betruges in mehreren Fällen verurteilt worden. Der Beklagten, die
entgegen ihrer Einstellungspolitik in diesem Fall kein polizeiliches
Führungszeugnis eingeholt hatte, war dies nicht bekannt. Im Februar 2001
wurde F. in einer Broschüre der Beklagten als "Gruppenleiter des Monats"
vorgestellt. Er firmierte in I. unter der Bezeichnung "D. V. -
G. F. ".
4 Nach dem Vortrag der Kläger unterzeichneten diese am 1. Dezember 2001
(Kläger zu 2) und am 14. Juli 2002 (Kläger zu 1 und 2) in den mit
zahlreichen Werbemitteln und Emblemen der Beklagten ausgestatteten
Büroräumen des G. F. sogenannte "Gelbe Verträge". In den Verträgen wurden
die Kläger als Kunden und F. als Anleger aufgeführt; sie wiesen im rechten
Teil der Kopfzeile das Logo der Beklagten auf. Inhaltlich versprach
F. den Klägern darin jeweils eine in einem bestimmten Anlagezeitraum mit
jährlich 10,65 % beziehungsweise 10,85 % zu verzinsende Anlage.
Dabei sollte das ihm nach dem Vortrag der Kläger bar übergebene Geld auf ein
Sonderkonto der S. Bank eingezahlt werden. Bei dieser Bank konnten
nach seinem Tod keine Gelder und Konten für den Verstorbenen festgestellt
werden.
5 Das Landgericht hat die auf Zahlung von insgesamt 48.514,86 € nebst Zinsen
sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. In
der Berufungsinstanz haben die Kläger die Klage erweitert. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Kläger unter Abweisung (auch) der
erweiterten Klage zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision
verfolgen die Kläger ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
6 Die Revision der Kläger hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des
Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
7 Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen den Klägern Ansprüche gegen
die Beklagte weder aus Vertrag oder Delikt noch wegen einer vorvertraglichen
Pflichtverletzung zu.
8 Eine Haftung der Beklagten im Wege der Zurechnung des Verhaltens des F.
analog §§ 30, 31 BGB komme nicht in Betracht, da dieser nicht als
Repräsentant der Beklagten tätig gewesen sei. Er sei weder inkassobefugt
noch abschlussberechtigt gewesen. Auch habe er innerhalb der Struktur der
Beklagten weder eine wesensmäßige Funktion gehabt noch sei er als
Führungskraft geführt worden. Die Handlungen des F. seien der Beklagten im
Wege der Repräsentantenhaftung auch deshalb nicht zuzurechnen, weil sie
nicht "in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen" begangen worden
seien. Beim Abschluss von Anlageverträgen im eigenen Namen, mit eigener
Haftung und mit freier Hand bei der Geldanlage - also Anlage ohne
Vermittlung von Produkten der Beklagten - handele ein Vermögensberater für
jeden Außenstehenden erkennbar außerhalb des allgemeinen Rahmens der ihm
übertragenen Aufgaben.
9 Eine Haftung der Beklagten aus culpa in contrahendo scheide aus, da der
Beklagten keine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit den Anlageverträgen
aus den Jahren 2001 und 2002 zum Vorwurf gemacht werden könne. Zwar bestehe
für eine Vermögensberatungsgesellschaft wie die Beklagte grundsätzlich die
Pflicht, gemäß ihrer selbst propagierten Einstellungspolitik jedenfalls
dann, wenn sie einen einschlägig vorbestraften Vermögensberater beschäftige,
potentielle Kunden auf das damit einhergehende "Gefahrenrisiko" hinzuweisen,
da sie diese dessen Einfluss ausgesetzt habe. Eine solche Hinweispflicht
habe jedoch vorliegend nach Ablauf der in Bezug auf die Verurteilung des F.
vom 25. August 1993 gemäß § 34 BZRG geltenden siebenjährigen Tilgungsfrist
und damit spätestens seit Ende August 2000 nicht mehr bestanden. Ab diesem
Zeitpunkt hätte die Vorstrafe nicht mehr in einem Führungszeugnis erscheinen
dürfen; danach sollte sie mithin keine nachteiligen Folgen mehr für den
Verurteilten und Weiterungen bezüglich Dritter zeitigen. Die
streitgegenständlichen Verträge seien nach diesem Zeitpunkt geschlossen
worden. Vorkontakte beziehungsweise Vorverträge vor diesem Zeitraum hätten
die Kläger nicht nachgewiesen.
II.
10 Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang
stand.
11 1. Nach den insoweit rechtsfehlerfreien und von der Revision auch
nicht angegriffenen Ausführungen des Berufungsgerichts kommt eine Zurechnung
des (betrügerischen) Fehlverhaltens des F. nur unter dem Aspekt der
Repräsentantenhaftung analog §§ 30, 31 BGB in Betracht. Das
Berufungsgericht hat allerdings zu Recht und mit zutreffender Begründung
eine Repräsentantenhaftung der Beklagten verneint.
12 a) Nach § 31 BGB ist die juristische Person für den Schaden
verantwortlich, den ein Organ oder ein anderer verfassungsmäßig berufener
Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen
begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.
Über den Wortlaut der §§ 30, 31 BGB hinaus hat die Rechtsprechung eine
Repräsentantenhaftung für solche Personen entwickelt, denen durch die
allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige
Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen
Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im
Rechtsverkehr repräsentieren (vgl. nur BGH, Urteil vom 30. Oktober
1967 - VII ZR 82/65, BGHZ 49, 19, 21 f; Senat, Urteile vom 5. März 1998 -
III ZR 183/96, NJW 1998, 1854, 1856 mwN und vom 10. Februar 2005 - III ZR
258/04, WM 2005, 701, 704; MünchKommBGB/ Reuter, 6. Aufl., § 31 Rn. 20 ff).
Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu
entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es
nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des "Vertreters" in der
Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende
rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Entscheidend ist bei
selbständigen Handelsvertretern vor allem, ob der Vertreter
Abschlussvollmachten und Inkassobefugnisse besitzt oder sonst eine in der
Hierarchie des Unternehmens herausgehobene Position als Führungskraft inne
hat (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1967 aaO; Senat, Urteile vom 5.
März 1998 und 10. Februar 2005, jeweils aaO).
13 b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist eine Repräsentantenstellung des
F. in Bezug auf die Beklagte nicht gegeben.
14 F. übte laut des (von den Klägern vorgelegten) VermögensberaterVertrags
vom 25. Mai / 28. Juni 2007 seine Vermittlungstätigkeit für die Beklagte als
ein Handelsvertreter "in der Stufe eines Agenturleiter-Probe (AL-P) oder
einer höheren Stufe" aus. Selbst als Regionalgeschäftsstellenleiter - diese
Position bekleidete er nach dem Vortrag der Beklagten noch nicht in den
Jahren 2001 bis 2003 - befand er sich ausweislich der in dem
VermögensberaterVertrag unter Ziffer VI. abgebildeten Hierarchie erst auf
der zweiten von insgesamt sieben "Vermögensberater-Stufen". Zudem war er
gemäß Ziffer II. des Vermögensberater-Vertrags ausdrücklich nicht befugt,
"Zahlungen von oder an Kunden auch nur zur bloßen Weiterleitung
entgegenzunehmen" und "die Annahme, Ablehnung oder Verlängerung von
Versicherungs- bzw. Bausparanträgen zu erklären". Das Fehlen einer
Abschlussvollmacht und jeglicher Inkassobefugnisse spricht indes nach der
vorstehend dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deutlich
gegen eine Repräsentantenstellung des F. . Auch ist weder ersichtlich noch
festgestellt, dass ihm zum Zeitpunkt der Anlageverträge vom 1. Dezember 2001
und 14. Juli 2002 weitergehende Befugnisse zustanden als nach dem (späteren)
Vermögensberater-Vertrag vom 25. Mai /
28. Juni 2007.
15 Die Außendarstellung des F. rechtfertigt keine hiervon abweichende
Wertung. Die von der Revision angeführten Umstände, F. habe die
"Regionalgeschäftsstelle für D. V. - G. F. " geführt, er habe fünf
Mitarbeitern vorgestanden und sei im Februar 2001 als "Gruppenleiter des
Monats" der Beklagten geehrt worden, begründen eine Repräsentantenstellung
nicht. Insbesondere lassen sie nicht erkennen, dass F. bedeutsame,
wesensmäßige oder gar Führungsfunktionen der Beklagten wahrnahm. Allein das
Auftreten des Handelsvertreters unter der Bezeichnung der Gesellschaft,
deren Produkte er vermittelt, und unter Hinzusetzen seines Namens begründet
noch nicht eine solche Stellung. Auch ist weder ersichtlich noch
festgestellt, dass der - auf der zweiten von sieben Hierarchiestufen
angesiedelte - Regionalgeschäftsstelle, selbst wenn sie von F. bereits im
Zeitraum der Anlageverträge vom 1. Dezember 2001 und 14. Juli 2002 betrieben
worden sein sollte, eine solch hervorgehobene Position zukam, dass der
Rechtsverkehr F. als den (Haupt-)"Repräsentanten" der Beklagten im Raum
I. hätte wahrnehmen müssen.
16 c) Unabhängig von der - zu verneinenden - Repräsentantenstellung des F.
scheidet eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen der
Repräsentantenhaftung auch deshalb aus, weil die den Schaden der
Kläger verursachenden Handlungen des F. nicht "in Ausführung der ihm
zustehenden Verrichtungen" begangen wurden und daher der Beklagten nicht
entsprechend §§ 30, 31 BGB zuzurechnen sind.
17 In Ausführung der zustehenden Verrichtungen geschieht eine
Handlung, die noch in den Kreis der Maßnahmen fällt, welche die Ausführung
der dem Vertreter zustehenden Verrichtungen darstellen. Es muss ein enger
objektiver Zusammenhang mit diesen Maßnahmen bestehen (ständige
Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteile vom 30. Oktober 1967 - VII ZR 82/65, BGHZ
49, 19, 23; vom 8. Juli 1986 - VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148, 151 f und vom 13.
Januar 1987 - VI ZR 303/85, BGHZ 99, 298, 300). Auch eine
vorsätzliche Überschreitung des Auftrags, ein Missbrauch der Vollmacht
schließen die Haftung nicht aus, so lange der Handelnde sich aus Sicht des
Außenstehenden nicht so weit von seinem Aufgabenkreis entfernt, dass der
allgemeine Rahmen der ihm übertragenen Obliegenheiten überschritten
erscheint (BGH, Urteile vom 30. Oktober 1967, 8. Juli 1986 und vom
13. Januar 1987, jew. aaO mwN).
18 Indes handelt, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt
hat, ein für ein Vermögensberatungs- oder
Kapitalanlagevermittlungs-Unternehmen gewerblich tätiger Handelsvertreter
bei Abschluss von Anlageverträgen im eigenen Namen, mit eigener Haftung und
mit freier Hand bei der Geldanlage auch für einen Außenstehenden erkennbar
nicht mehr im Rahmen seines Aufgabenkreises als Handelsvertreter.
Dieser wird bestimmt durch die Beratung zu und die Vermittlung von
Anlagegeschäften im Auftrag und im Interesse des Unternehmens (vgl. § 86
Abs. 1 HGB), das selbst wiederum ein Handelsvertreter sein kann (vgl. § 84
Abs. 3 HGB). Dazu gehört nicht der Abschluss von Anlageverträgen im eigenen
Namen und mit eigener Haftung. Ein solches Eigengeschäft des
Vermögensberaters lässt einen inneren Zusammenhang mit dem allgemeinen
Rahmen der ihm übertragenen Geschäfte nicht mehr erkennen.
Es erfolgt nur bei Gelegenheit, nicht aber in Ausführung der
ihm zustehenden Verrichtungen und begründet kein schützenswertes Vertrauen
des Geschädigten in ein Handeln des F. als Repräsentant der Beklagten. Eine
Repräsentantenhaftung der Beklagten wird hierdurch nicht begründet.
19 2.
Nach den bisherigen Feststellungen kommt jedoch eine Haftung der
Beklagten nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo in Betracht, die
seit dem 1. Januar 2002 in § 241 Abs. 2 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB kodifiziert
sind (vgl. Art. 1 Nr. 4, 13 des Gesetzes zur Modernisierung des
Schuldrechts vom 26. November 2001, BGBl. I S. 3138).
20 a) Auf der Grundlage des revisionsrechtlich zugrunde zu legenden
Klägervortrags bestand zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis,
das die Beklagte zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen
der Kläger verpflichtete. Ein solches Schuldverhältnis entsteht auch durch
die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine
etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur
Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm
diese anvertraut. Hierfür ist es ausreichend, wenn ein potenzieller Kunde
zur Anbahnung geschäftlicher Kontakte das Geschäftslokal eines Unternehmens
aufsucht. Für die Rechtslage vor dem 1. Januar 2002 ergibt sich
dies aus den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur culpa in
contrahendo (vgl. nur BGH, Urteile vom 26. September 1961 - VI ZR 92/61, NJW
1962, 31, 32 und vom 28. Januar 1976 - VIII ZR 246/74, BGHZ 66, 51, 54 f),
für die Rechtslage ab dem 1. Januar 2002 unmittelbar aus § 241 Abs. 2 i.V.m.
§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 311 Rn.
23).
21 Die Kläger haben vorgetragen, sie hätten vor Abschluss der Anlageverträge
vom 1. Dezember 2001 und 14. Juli 2002 das Büro des F. aufgesucht. Dieser
habe die Regionalgeschäftsstelle der Beklagten in I. geleitet und dort unter
"D. V. - G. F. " firmiert. In dieser Form sei seine Tätigkeit im
Einverständnis mit der Beklagten nach außen durch Werbemaßnahmen,
Beschilderungen, Briefpapier und Visitenkarten beworben worden. In seinem
Büro hätten sich Ordner, Akten und Werbegeschenke mit Aufschriften der
Beklagten befunden.
22 Auf der Grundlage dieses - revisionsrechtlich zugrunde zu legenden
-Vortrags handelte es sich bei den Büroräumen des G. F. um ein
Geschäftslokal der Beklagten. Der Umstand, dass die Räumlichkeiten nicht von
der Beklagten, sondern von F. als selbständigem Handelsvertreter angemietet
worden waren, ist in dem vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung.
Grundlegend für die Haftung aus culpa in contrahendo ist das
vertragsähnliche Vertrauensverhältnis, das entsteht, wenn sich der später
Geschädigte zum Zweck von Vertragsverhandlungen in den Einflussbereich des
anderen Teils begibt (BGH, Urteil vom 28. Januar 1976 aaO mwN;
Palandt/Grüneberg aaO Rn. 11 mwN). Maßgeblich ist daher nicht, wer
Eigentümer oder Mieter des Geschäftslokals ist. Entscheidend ist vielmehr,
wem nach der Außendarstellung des Geschäftslokals dieses zuzurechnen ist,
das heißt in wessen Einflussbereich sich der Kunde aus seiner Sicht begibt
und wem er dort in der Situation der Vertragsanbahnung seine Rechtsgüter
anvertraut. Danach handelte es sich bei den von F. angemieteten
Räumlichkeiten in Anbetracht der nach dem Klägervortrag dort zahlreich
vorhandenen Hinweise auf eine Geschäftstätigkeit für die Beklagte um deren
Geschäftslokal. Mit dem Betreten dieses Geschäftslokals vor Abschluss der
Anlageverträge vom 1. Dezember 2001 und vom 14. Juli 2002 wurde zwischen den
Parteien ein Vertragsanbahnungsverhältnis im vorgenannten Sinn begründet.
23 Etwas anderes könnte zwar dann anzunehmen sein, wenn die Kläger,
als sie die Büroräume des F. betraten, bereits entschlossen waren,
ausschließlich mit F. persönlich zu kontrahieren und nicht über ihn - als
deren Vertreter - einen Anlageberatungs- oder einen Auskunftsvertrag mit der
Beklagten zu schließen. Mangels entsprechender Feststellungen des
Berufungsgerichts kann hiervon indes nicht ausgegangen werden.
24 b) Der Beklagten oblag zum Schutz der Rechtsgüter ihrer Kunden
nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo die vorvertragliche Pflicht,
nur solche Handelsvertreter mit der Vermittlung von Anlageverträgen zu
betrauen, von deren Zuverlässigkeit sie sich auf der Grundlage eines
polizeilichen Führungszeugnisses überzeugt hatte.
25 aa) Umfang und Inhalt vorvertraglicher Schutzpflichten sind nicht
einheitlich für alle Schuldverhältnisse bestimmbar. Sie hängen vielmehr vom
Zweck des Schuldverhältnisses, der Verkehrssitte und den Anforderungen des
redlichen Geschäftsverkehrs ab (vgl.
BGH, Urteil vom 30. September
2009 - VIII ZR 238/08, NJW 2010, 1135 Rn. 15;
Palandt/Grüneberg aaO § 241 Rn. 7). Dabei ist zu berücksichtigen,
dass Verkehrssicherungspflichten innerhalb eines Vertragsverhältnisses
zugleich Vertragspflichten sind (Palandt/Grüneberg aaO § 280 Rn. 28
mwN). Nichts anderes gilt für vorvertragliche Schutzpflichten im
Sinne der Grundsätze der culpa in contrahendo. Auch zu ihrer Bestimmung
können Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden.
26 bb) Begründet die Tätigkeit eines Unternehmens typischerweise erhöhte
Gefahren für die Rechtsgüter anderer, können sich hieraus besondere
Pflichten des Unternehmens bei der Auswahl der Personen ergeben, die von ihm
mit der Wahrnehmung der entsprechenden Aufgaben betraut werden. Ihrem Wesen
nach handelt es sich dabei um eine dem Unternehmen selbst unmittelbar
obliegende Verkehrssicherungspflicht. So muss sich der Geschäftsherr
von der Zuverlässigkeit seines Verrichtungsgehilfen überzeugen, wenn die
Tätigkeit, die ihm übertragen wird, mit Gefahren für das Eigentum Dritter
verbunden ist (BGH, Urteil vom 8. Oktober 2002 - VI ZR 182/01, NJW
2003, 288, 289 f). Bei Einstellung eines Lastzugfahrers hat sich der
Firmeninhaber in Anbetracht der hohen von einem Lastzug ausgehenden Gefahren
auch über etwaige Vorstrafen des Lastzugfahrers zu erkundigen (BGH,
Urteil vom 7. Juni 1966 - VI ZR 130/65, VersR 1966, 929, 930; MünchKommBGB/Wagner,
5. Aufl., § 831 Rn. 38; zur Erkundigungspflicht des Geschäftsherrn
betreffend die Vorstrafen des Türstehers einer Diskothek vgl. OLG Hamm,
Urteil vom 1. Oktober 1998 - 27 U 43/98, juris Rn. 24). Im Rahmen
eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags stellt es eine Pflichtverletzung des
"Verleihers" dar, wenn er den als Buchhalter vermittelten Arbeitnehmer nicht
zur Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses veranlasst (BGH,
Urteil vom 13. Mai 1975 - VI ZR 247/73, NJW 1975, 1695, 1696 f).
27 Auch die Anlagevermittlung und -beratung ist ein Bereich, der - im
Hinblick auf das Vermögen der Anleger - ein erhöhtes Gefahrenpotenzial
aufweist. Die Kunden des Anlageberaters sind angesichts des häufig zwischen
ihnen und dem Anlageberater bestehenden großen Kompetenz- und
Informationsgefälles in besonderem Maße auf die Seriosität der Beratung und
die persönliche Zuverlässigkeit des Beraters angewiesen. Zugleich legen sie
im Vertrauen hierauf nicht selten einen erheblichen Teil ihres Vermögens "in
die Hände" des Beraters, indem sie seinem Rat folgen. Die damit gegebene
besondere Vertrauensempfindlichkeit der Anlageberatung erfordert daher neben
der notwendigen Sachkunde auch die Zuverlässigkeit und Integrität der
hiermit betrauten Person. Aus diesem Grund darf nach der durch das
Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5. April 2011 (BGBl. I
S. 528) in das Gesetz eingefügten Vorschrift des § 34d Abs. 1 Satz 1 WpHG
ein Wertpapierdienstleistungsunter-nehmen einen Mitarbeiter nur dann mit der
Anlageberatung betrauen, wenn dieser sachkundig ist und über die für die
Tätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit verfügt (vgl. Gesetzesbegründung zu
§ 34d WpHG, BT-Drucks. 17/3628 S. 22). Nach § 6 der
WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung vom 21. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3116)
hat die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 34d Abs. 1 Satz 1 WpHG in der
Regel nicht, wer in den letzten fünf Jahren vor Beginn einer
anzeigepflichtigen Tätigkeit wegen eines Verbrechens oder wegen Diebstahls,
Unterschlagung, Erpressung, Betruges, Untreue, Geldwäsche,
Urkundenfälschung, Hehlerei, Wuchers, einer Insolvenzstraftat, einer
Steuerhinterziehung oder aufgrund des § 38 WpHG rechtskräftig verurteilt
worden ist.
28 Nach Auffassung des Senats ist - unabhängig vom sachlichen und zeitlichen
Geltungsbereich der vorgenannten Normen - die diesen Vorschriften zugrunde
liegende Wertung des Gesetz- und Verordnungsgebers, dass durch einschlägige
Vorstrafen die Zuverlässigkeit des Mitarbeiters eines Wertpapier-dienstleistungsunternehmens
entscheidend in Frage gestellt wird, Ausdruck einer für den gesamten Bereich
der Anlageberatung und Anlagevermittlung anzustellenden Interessenbewertung
und -abwägung. Vermögens- und Anlageberater haben gegenüber den
(potenziellen) Anlegern und deren Vermögen eine Schlüsselposition inne, die
in diesem für Vermögensstraftaten anfälligen Bereich ihre Zuverlässigkeit
und Integrität in besonderem Maße erfordert. Beratungsgesellschaften, die
Handelsvertreter mit der Anlageberatung und -vermittlung betrauen, haben
daher im Rahmen der ihnen gegenüber ihren Kunden obliegenden vertraglichen
und vorvertraglichen Schutzpflichten - in den Grenzen der Zumutbarkeit -
Erkundigungen zu einschlägigen Vorstrafen des Handelsvertreters einzuholen.
Hierzu gehört im Regelfall die an den Handelsvertreter gerichtete
Aufforderung zur Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses. Ergeben
sich aus dem polizeilichen Führungszeugnis einschlägige Vorstrafen - etwa
wegen Betruges - oder verweigert der Handelsvertreter die Vorlage eines
polizeilichen Führungszeugnisses, darf er grundsätzlich nicht mit der
Anlagevermittlung und -beratung betraut werden.
29 c) Im Schutzbereich der Pflicht zur Einholung eines polizeilichen
Führungszeugnisses lagen - auf der Grundlage des Klägervortrags - in der
vorliegenden Fallkonstellation auch solche Schäden der Kläger, die ihnen von
F. durch den Abschluss von betrügerischen (Kapitalanlage-)Eigengeschäften
zugefügt wurden.
30 aa) Zwar ist nicht nur für das Vertrags-
und Deliktsrecht, sondern auch für den Bereich vorvertraglicher
Schuldverhältnisse anerkannt, dass der Verstoß gegen eine Rechtspflicht mit
begrenztem Schutzzweck nur zum Ersatz der Schäden verpflichtet, deren
Eintritt die Einhaltung der Pflicht verhindern sollte (BGH,
Urteil vom 19. Dezember 2000 - XI ZR 349/99, NJW 2001, 962, 963 mwN).
Der Schutzzweck von Pflichten bei der Auswahl von Personen, die mit
gefahrenträchtigen Tätigkeiten betraut werden, besteht darin, den
(künftigen) Vertragspartner vor Schäden zu bewahren, die dadurch entstehen
können, dass dieser im Rahmen der Anbahnung oder Durchführung des Vertrags
seine Rechtsgüter der Einwirkungsmöglichkeit der ausgewählten Person
aussetzt (zum Prinzip des allgemeinen Rechtsgüterschutzes als
Grundlage der Haftung aus culpa in contrahendo vgl. MünchKommBGB/Emmerich,
6. Aufl., § 311 Rn. 42). Die im Fall eines
Vertragsanbahnungsverhältnisses bestehenden Schutzpflichten erstrecken sich
daher in der Regel nur auf die "anzubahnenden" Verträge und die Tätigkeit
der ausgewählten Person bei der Anbahnung dieser Verträge. Dagegen liegt es
grundsätzlich nicht im Schutzbereich der genannten Pflichten, (potenzielle)
Vertragspartner vor jeglichen Schäden zu bewahren, die ihnen durch die
ausgewählte Person unabhängig von dem Vertragsverhältnis oder der
Vertragsanbahnungssituation, das heißt nur gelegentlich der
Vertragsanbahnung zugefügt werden können.
31 bb) Eine solche Begrenzung des Schutzbereichs der Pflichten bei
der Auswahl von Personen, deren Einfluss und Einwirkungsmöglichkeit die
Rechtsgüter des Kunden ausgesetzt werden, ist indes dann nicht
gerechtfertigt, wenn die Pflichtverletzung in der durch die fehlerhafte
Personalauswahl geschaffenen Gefahrensituation erfahrungsgemäß und
typischerweise auch zu Schäden der Kunden führen kann, die ihnen durch die
ausgewählte Person zwar nicht bei der Anbahnung von Verträgen mit dem
schutzpflichtigen Unternehmen, aber innerhalb der in der Anbahnungssituation
bestehenden Vertrauenssphäre und anlässlich dieser Gelegenheit durch den
Abschluss von "einschlägigen" - das heißt mit den eigentlich anzubahnenden
"Fremdgeschäften" vergleichbaren und daher regelmäßig (auch) durch das
Vertrauen in die Seriosität und die Kompetenz des Unternehmens beförderten -
Eigengeschäften mit der ausgewählten Person zugefügt werden.
32 Eine derartige Situation ist insbesondere gegeben, wenn ein
Anlageberatungsunternehmen einen einschlägig wegen Betruges vorbestraften
Handelsvertreter mit Tätigkeiten der Anlageberatung und -vermittlung
betraut, ohne sich von ihm zuvor ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen
zu lassen. Es besteht - auch aus Sicht des Unternehmers - ein hinreichender
Grund für die Annahme, dass ein vorbestrafter Betrüger, der unter seinem
organisatorischen Dach erneut die Gelegenheit erhält, sein bisheriges
kriminelles Verhalten fortzusetzen, dies nicht nur im Hinblick auf
Vermittlungsgeschäfte für das Unternehmen, sondern - unter Ausnutzung des
ihm von dem Unternehmen mit Wirkung auf potenzielle Kunden eröffneten
Einfluss- und Tätigkeitsbereichs - auch im Wege von betrügerischen
Eigengeschäften tun wird (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1970 - VI ZR 1/69, NJW
1970, 1314: Haftung der Inhaberin eines Maklerbüros wegen Schädigung der
Kunden durch ein kriminelles Eigengeschäft des wegen verschiedener
Vermögensdelikte mehrfach vorbestraften "Geschäftsführers" des Maklerbüros).
Die inhaltliche Nähe der Straftaten des Handelsvertreters zum Geschäftsfeld
des Unternehmers und die durch den Unternehmer geschaffene Gefahr ihrer
Fortsetzung in seinem Organisationsbereich gebieten in diesem Fall eine
Ausweitung des Schutzbereichs der vorgenannten Auswahlpflichten auf
kriminelle, (potenzielle) Vertragspartner des Unternehmers schädigende
Eigengeschäfte des Vertreters. Eine Differenzierung zwischen Schäden, die
dem Anleger durch die ausgewählte Person im Rahmen der mit oder für das
Anlageberatungsunternehmen anzubahnenden Verträge zugefügt werden, und
solchen Schäden, die ihnen innerhalb des Organisationsbereichs des
Unternehmens und der von ihm geschaffenen Vertrauenssphäre durch
Eigengeschäfte der ausgewählten Person zugefügt werden, ist in solchen
Fällen sachlich nicht gerechtfertigt.
33 d) Die Beklagte hat, als sie (spätestens) im Jahr 1998 das
Handelsvertreterverhältnis mit F. begründete, ohne sich von ihm ein
polizeiliches Führungszeugnis vorlegen zu lassen, gegen die ihr (auch) den
Klägern gegenüber obliegende Schutzpflicht zur Einholung eines polizeilichen
Führungszeugnisses verstoßen. Aus einem zu diesem Zeitpunkt eingeholten
polizeilichen Führungszeugnis hätten sich die einschlägigen Vorstrafen des
F. (noch) ergeben, die
- was letztlich die Beklagte nicht anders sieht - angesichts ihres Gewichts
dazu geführt hätten, dass die Beklagte F. nicht mit der Anlagevermittlung
und -beratung betraut hätte. Der zeitliche Wirkungsbereich dieser
Schutzpflicht umfasste vorliegend - entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts - auch den Zeitraum der Jahre 2001 und 2002, in dem die
streitgegenständlichen Anlageverträge vom 1. Dezember 2001 und 14. Juli 2002
zwischen den Klägern und F. geschlossen wurden.
34 aa) Allerdings ist - mit dem Berufungsgericht - davon auszugehen, dass
die Schutzwirkung einer Pflicht zur Einholung eines polizeilichen
Führungszeugnisses betreffend einen für die Vermögensberatung auszuwählenden
Handelsvertreter und - daraus folgend - zur Ablehnung des vorbestraften
Bewerbers zeitlich nicht unbegrenzt besteht. Anleger, die sich lange Zeit
nach Begehung der Straftaten und Begründung des
Handelsvertreterverhältnisses in dem Geschäftslokal der
Beratungsgesellschaft in eine Vertragsanbahnungssituation begeben, sind
nicht mehr von dem Schutzbereich der vorgenannten Pflicht umfasst.
35 bb) Zu Recht hat das Berufungsgericht bei der Bemessung des Zeitraums der
Schutzwirkung der Pflicht der Beklagten zur Einholung eines polizeilichen
Führungszeugnisses die Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes
herangezogen. Entgegen seiner Auffassung stellt jedoch die in §§ 33, 34 Abs.
1 Nr. 3, Abs. 3, §§ 36, 38 BZRG geregelte Frist betreffend die Aufnahme von
Vorstrafen in das polizeiliche Führungszeugnis nicht die absolute Grenze
dar, bis zu der Erkenntnisse aus einem eingeholten Führungszeugnis zum
Nachteil des Bewerbers verwendet werden dürfen; diese Grenze wird vielmehr
(erst) durch die Tilgungsfristen nach §§ 45 ff BZRG gezogen.
36 (1) Das Bundeszentralregistergesetz unterscheidet zwischen den Fristen,
die die Aufnahme von Vorstrafen in das polizeiliche Führungszeugnis
betreffen (§§ 33, 34, 36, 38 BZRG), einerseits und denjenigen, die die
Tilgung der Eintragungen in das Bundeszentralregister zum Gegenstand haben
(Tilgungsfristen gemäß §§ 45 ff BZRG), andererseits. Nach Ablauf der die
Aufnahme in das polizeiliche Führungszeugnis betreffenden Fristen darf sich
der Verurteilte zwar gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG als unbestraft bezeichnen;
auch braucht er den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu
offenbaren. Die Tat und die Verurteilung dürfen dem Betroffenen im
Rechtsverkehr gemäß dem in § 51 Abs. 1 BZRG bestimmten Verwertungsverbot
jedoch erst nach Ablauf der Tilgungsfristen gemäß §§ 45 ff BZRG nicht mehr
vorgehalten werden.
37 (2) Die Ausgestaltung der Regelungen über die Erteilung von
Führungszeugnissen beruht auf dem Gedanken einer schnellen
Wiedereingliederung von Straftätern in Beruf und Gesellschaft
(Resozialisierung; Hase, BZRG, § 30 Rn. 3; Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl., §
30 Rn. 7). Das Ziel der Resozialisierung von Straftätern ist indes stets mit
den Interessen Dritter und dem Schutz ihrer Rechtsgüter abzuwägen (vgl.
Götz/Tolzmann aaO). Aus dem Umstand, dass Vorstrafen ab einem bestimmten
Zeitpunkt nicht mehr in ein polizeiliches Führungszeugnis aufzunehmen sind,
folgt daher nicht ohne weiteres, dass die vor diesem Zeitpunkt durch
Einholung eines Führungszeugnisses erlangte Kenntnis von Vorstrafen danach
nicht mehr zum Schutz der Interessen Dritter verwertet werden kann und
gegebenenfalls sogar verwertet werden muss.
38 (3) Eine absolute zeitliche Grenze ergibt sich hinsichtlich der
vorgenannten Pflicht nur aus den für Eintragungen in das
Bundeszentralregister geltenden Tilgungsfristen nach §§ 45 ff BZRG und dem
aus ihnen folgenden umfassenden Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (vgl.
dazu Bücherl/Graf, BeckOK BZRG, § 51 Rn. 17 [2012]; Hase aaO § 51 Rn. 3;
Götz/Tolzmann aaO § 51 Rn. 7 ff). Diese Fristen waren vorliegend bei
Abschluss der Anlageverträge vom 1. Dezember 2001 und 14. Juli 2002 noch
nicht abgelaufen (vgl. § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG).
39 cc) Die Pflicht, grundsätzlich keinen Handelsvertreter mit der
Anlagevermittlung und -beratung zu betrauen, aus dessen polizeilichem
Führungszeugnis sich einschlägige Vorstrafen ergeben, dient dem Schutz
künftiger Kunden vor der Begehung von Vermögensdelikten des
Handelsvertreters zu ihrem Nachteil. Hieran ist die Schutzwirkung dieser
Pflicht auch in zeitlicher Hinsicht zu orientieren. Ihre Dauer bestimmt sich
dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Der Zeitraum der Schutzwirkung
kann etwa dann kürzer zu bemessen sein, wenn das Anlageberatungsunternehmen
den Handelsvertreter, den es trotz seiner aus dem polizeilichen
Führungszeugnis erkennbaren einschlägigen Vorstrafen mit der
Anlagevermittlung und -beratung betraut hat, über einen längeren Zeitraum
hinweg eingehend überwacht und Handlungen des Handelsvertreters zum Nachteil
der Anleger durch geeignete Kontrollmaßnahmen weitgehend ausschließt.
Derartige Maßnahmen können das Schutzniveau, dessen Einhaltung die verletzte
Pflicht gewährleisten sollte, auf andere, gleichwertige Weise wahren. Liegt
die pflichtwidrige Betrauung des Handelsvertreters mit der Anlagevermittlung
und -beratung erst verhältnismäßig kurze Zeit zurück, werden diese Maßnahmen
besonders umfassend sein müssen, um einen hinreichenden Schutz der Anleger
sicherzustellen. Sie können mit zunehmender Dauer des
Handelsvertreterverhältnisses und der daraus gewonnenen Erkenntnis der
Zuverlässigkeit des Handelsvertreters reduziert werden.
40 Vorliegend ist eine Kontrolle des F. durch die Beklagte im vorgenannten
Sinne weder ersichtlich noch festgestellt. Von einem Ausgleich des durch die
Pflichtverletzung bewirkten Schutzverlustes der Anleger durch anderweitige
Maßnahmen kann daher nicht ausgegangen werden. Dementsprechend wurde auch
die zeitliche Schutzwirkung der verletzten Pflicht nicht auf einen vor dem
Abschluss der streitgegenständlichen Verträge vom 1. Dezember 2001 und 14.
Juli 2002 liegenden Zeitraum begrenzt. Sie bestand vielmehr zum Zeitpunkt
der Vertragsschlüsse noch fort.
41 3. Nach alledem kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht
ausgeschlossen werden, dass die Beklagte gegen eine ihr zum Schutz (auch)
der Kläger bestehende Schutzpflicht verstoßen hat und den Klägern infolge
der Pflichtverletzung der Beklagten ein Vermögensschaden entstanden ist. Das
Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen.
42 Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil das
Berufungsgericht zu den streitgegenständlichen Anlageverträgen der Kläger
vom 1. Dezember 2001 und 14. Juli 2002, dem Vortrag der Kläger zu den
Umständen des Vertragsschlusses mit F. , der Bargeldübergabe an ihn in
seinem Büro und dem Verbleib der Anlagebeträge - von seinem Standpunkt aus
folgerichtig - keine Feststellungen getroffen hat und die Sache daher nicht
zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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