Die pFV im öffentlichen
Recht: Analoge Anwendbarkeit der §§ 280 ff BGB in öffentlich-rechtlichen
Schuldverhältnissen
BGH, Urteil vom 8. März
2007 - III ZR 55/06
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Zu den Pflichten eines
Beregnungswasser für die Landwirtschaft bereitstellenden Wasser- und
Bodenverbands, nach einem Wasserrohrbruch Hilfsmaßnahmen zugunsten der
betroffenen Landwirte zu ergreifen.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung ist ein schönes Beispiele für die analoge
Anwendung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, also insbesondere der §§
280 ff BGB, im Rahmen öffentlich-rechtlicher Schuldverhältnisse. Diese
Regelungen sind nach der Rechtsprechung des BGH bei auf Dauer angelegten
öffentlich-rechtlichen Leistungsbeziehungen sinngemäß heranzuziehen, "wenn
ein besonderes, enges Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Verwaltung
begründet worden ist und mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein
Bedürfnis für eine angemessene Verteilung der Verantwortlichkeit innerhalb
des öffentlichen Rechts vorliegt."
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Kläger ist Landwirt und Mitglied des beklagten Wasser- und
Bodenverbands, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Zu den
satzungsmäßigen Aufgaben des Beklagten gehört es unter anderem, der
Landwirtschaft im Verbandsgebiet Beregnungswasser zur Verfügung zu stellen
und zu diesem Zweck Beregnungsanlagen herzustellen, zu betreiben und zu
unterhalten. Auch der Kläger bezieht zur Bewässerung seiner
landwirtschaftlichen Kulturen Wasser vom Beklagten.
2 Anfang September 2002 kam es zu einem Rohrbruch im Leitungsnetz des
Beklagten, so dass die Wasserzufuhr für einen Teilbereich etwa eine Woche
lang unterbrochen war. Betroffen waren auch die landwirtschaftlichen Flächen
des Klägers. Der Kläger richtete deswegen am 5. September 2002 ein
Faxschreiben an den Beklagten, in dem er erhebliche Schäden an Salat-,
Kohlrabi- und Blumenkohlpflanzungen anmeldete. Mit der Klage nimmt er den
Beklagten wegen der Schädigung von Jungpflanzen durch die Trockenphase auf
Schadensersatz in Höhe von 112.175 € nebst Zinsen in Anspruch.
3 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat sie
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und den Rechtsstreit zur
Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen.
Mit seiner - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision begehrt der
Beklagte Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
4 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
5 Das Oberlandesgericht lässt es dahinstehen, ob der Beklagte dem Kläger
wegen Verletzung einer Amtspflicht gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG hafte.
Eine Schadensersatzpflicht bestehe jedenfalls nach den Grundsätzen der §§
275 ff. BGB im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses,
zumindest deswegen, weil es für den Ausfall der Beregnungsanlage keinen
Notfallplan zur Wasserversorgung gegeben habe und der Beklagte auch nach
Erhalt des Faxschreibens vom 5. September 2002 keine Schritte unternommen
habe, um im Wege einer sofortigen Notversorgung die Bewässerung der Kulturen
des Klägers sicherzustellen. Selbst wenn dessen Faxschreiben keine
ausdrückliche Aufforderung zur Hilfeleistung enthalten habe, sei der
Beklagte damit hinreichend über Schwierigkeiten des Klägers aufgrund des
Ausfalls der Beregnungsanlage informiert worden. Infolge dessen habe er aus
dem bestehenden Schuldverhältnis eine Verpflichtung zur Hilfeleistung
gehabt. Auf Unmöglichkeit könne sich der Beklagte nicht berufen. Für den
Bruch großdimensionierter Zubringerleitungen habe er nämlich keine Vorsorge
durch die Erstellung eines Notfallplans getroffen. Unabhängig davon treffe
ihn zusätzlich der Vorwurf, nach der Schadensmeldung vom 5. September 2002
untätig geblieben zu sein. Als Eilmaßnahme wäre nicht nur die vom Kläger
angesprochene Notleitung zur Überbrückung der Schadensstelle in Betracht
gekommen, sondern die Wasserversorgung hätte auch vorübergehend durch
Tankfahrzeuge sichergestellt werden können. Außer auf Einsatzfahrzeuge der
Feuerwehr hätte der Beklagte dabei auf andere Hilfsorganisationen wie das
THW oder die Bundeswehr zurückgreifen können. Eine Vorsorge- und
Notfallmaßnahme hätte sich zudem nicht auf das gesamte betroffene Gebiet
erstrecken müssen. Vielmehr sei der Kläger von ca. 100 Landwirten in dem
unterversorgten Gebiet der einzige gewesen, der nach dem Setzen von
Jungpflanzen dringend auf Wasser angewiesen und dem auch eine kurzfristige
Selbsthilfe nicht möglich gewesen sei.
6 Durch die unterlassene Notversorgung sei dem Kläger mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden. Ein etwaiges Mitverschulden, weil
der Kläger das Wasser eines Bachs oder Brunnens nicht übergangsweise mittels
Notleitung zur Beregnung seiner Pflanzen genutzt habe, werde das Landgericht
prüfen müssen. Ein Mitverschulden könne aber keinesfalls zu einem völligen
Haftungsausschluss führen.
II.
7 Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in vollem
Umfang stand.
8 1. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 2 Abs. 1 HPflG kommt nicht
in Betracht. Der Schaden ist hier weder durch die Wirkungen des von einer
Rohrleitung ausgehenden Wassers verursacht noch auf das Vorhandensein der
Anlage selbst zurückzuführen, sondern darauf, dass deren Funktion
unterbrochen worden ist. Das begründet keine Gefährdungshaftung nach § 2
Abs. 1 Satz 1 HPflG (Filthaut, HPflG, 7. Aufl., § 2 Rn. 23 m.w.N.).
9 2. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht von einem zwischen
den Parteien bestehenden öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis aus, auf
das die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Leistungsstörungen (§§ 275
ff. BGB; hier gemäß Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB noch anwendbar in der vor dem
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz geltenden Fassung, weil das
Rechtsverhältnis den Umständen nach bereits vor dem 1. Januar 2002
entstanden war) entsprechend anzuwenden sind. Die Regeln des
vertraglichen Schuldrechts sind nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs bei auf Dauer angelegten öffentlich-rechtlichen
Leistungsbeziehungen sinngemäß heranzuziehen, wenn ein besonderes, enges
Verhältnis des Einzelnen zur öffentlichen Verwaltung begründet worden ist
und mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein Bedürfnis für eine
angemessene Verteilung der Verantwortlichkeit innerhalb des öffentlichen
Rechts vorliegt (Senatsurteile BGHZ 54, 299, 303; 61, 7, 11 und 166,
268, 276 f. Rn. 17; BGHZ 59, 303, 305; Senatsurteile vom 14. Dezember 2006 -
III ZR 303/05 - WuM 2007, 76 Rn. 9 und vom 11. Januar 2007 - III ZR 294/05 -
Rn. 9). Das hat der Senat beispielsweise für den Anschluss an die
gemeindliche Abwasserkanalisation bejaht (BGHZ 54, 299, 302 ff.; 115,
141, 146; zuletzt Senatsurteil vom 14. Dezember 2006 aaO). Dasselbe gilt
aber auch bei der (öffentlich-rechtlichen) Lieferung von Trink- oder
Brauchwasser (BGHZ 17, 191, 192 f.; 59, 303, 305 f.; Senatsurteil vom 1.
Februar 2007 - III ZR 289/06), wie im Streitfall, zumal der Kläger hier
gleichzeitig Mitglied des beklagten Verbands ist und auch deswegen in engen
Beziehungen zu diesem steht (zu einer solchen Fallgestaltung vgl.
Senatsurteil vom 5. März 1987 - III ZR 265/85 - VersR 1987, 768). Die vom
Berufungsgericht offen gelassene und in der Revisionsbegründung
aufgegriffene Frage, ob für die Wasserlieferungen des Beklagten ein
Anschluss- und Benutzungszwang besteht, kann für die Qualifizierung eines
Rechtsverhältnisses als öffentlich-rechtlich von Bedeutung sein (s. etwa
BGHZ 17, 191, 192; Senatsurteil vom 13. Oktober 1977- III ZR 122/75 - VersR
1978, 85, 86), ist aber für die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Normen
entgegen der Revision ohne Belang.
10 3. Richtig ist hiernach ferner, dass die Beweislast den Beklagten trifft,
wenn streitig bleibt, ob die vorübergehende Unmöglichkeit der Belieferung
mit Wasser Folge eines von ihm zu vertretenden Umstands ist (§ 282 BGB a.F.,
jetzt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das entbindet die Gerichte aber nicht
von der vorrangigen Prüfung, ob der Beklagte den Rohrbruch als eigentliche
Ursache der Lieferunterbrechung verschuldet hat und verneinendenfalls,
welche begleitenden Maßnahmen er im Einzelnen schuldet, um die
Wasserversorgung seiner Mitglieder trotzdem sicherzustellen. Inhalt und
Umfang derartiger zusätzlicher Pflichten sind, da nähere Bestimmungen
hierüber fehlen, wie im Vertragsrecht an den Geboten von Treu und Glauben
auszurichten. Von Bedeutung werden dabei insbesondere die technischen und
wirtschaftlichen Möglichkeiten einschließlich der Leistungsfähigkeit des
beklagten Wasser- und Bodenverbands einerseits und die Wahrscheinlichkeit
sowie das Ausmaß drohender Schäden bei den bezugsberechtigten Landwirten
andererseits sein.
11 4. Der Revision ist zuzugeben, dass das Berufungsgericht nach diesen
Maßstäben die Anforderungen an den beklagten Verband teils überspannt, teils
bei deren Bemessung Sachvortrag des Beklagten übergeht.
12 a) Das Oberlandesgericht lässt offen, ob das Bewässerungssystem des
Beklagten mangelhaft war, der Beklagte Überwachungspflichten verletzt hat
oder es im Rahmen der Schadensbeseitigung zu vermeidbaren Verzögerungen
gekommen ist. Das Berufungsurteil macht dem Beklagten jedenfalls zum
Vorwurf, dass er für den Ausfall der Beregnungsanlage keinen Notfallplan
besessen habe, obwohl in jedem Jahr Rohrbrüche in verschiedenen Dimensionen
aufgetreten seien, darunter auch schon drei- oder viermal bei Hauptleitungen
wie im September 2002.
13 Diese Erwägung trägt eine Verurteilung des Beklagten nicht. Sie bezieht
sich allein auf die verfahrensmäßige Seite einer Schadensabwicklung und
bleibt materiell so lange inhaltsleer, als nicht feststeht, welche einzelnen
Notfallmaßnahmen ein solcher Plan hätte enthalten müssen und dass diese den
Schadenseintritt verhindert hätten. Feststellungen hierzu sind dem
Berufungsurteil nicht zu entnehmen. Auch der notwendige Ursachenzusammenhang
zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden ist mit diesem Ansatz daher
nicht zu begründen.
14 b) Mit Erfolg wendet sich die Revision weiter gegen den alternativen
Vorhalt des Berufungsgerichts, der Beklagte sei trotz des vom Kläger am
Morgen des 5. September 2002 übermittelten Faxschreibens pflichtwidrig
untätig geblieben. Diese Mitteilung enthält, geht man nur von ihrem Wortlaut
aus, nicht mehr als eine bloße Schadensmeldung. Ob die vom Berufungsgericht
vorgenommene erweiternde Auslegung im Sinne einer Bitte um Hilfeleistung
rechtlich möglich ist, kann offen bleiben. Jedenfalls war es bei einer
solchen Unklarheit auf Seiten des beklagten Verbands nicht pflichtwidrig und
vorwerfbar, dass er das Schreiben des Klägers nicht so verstanden hat.
15 Auf dieser Grundlage bestehen gegen die vom Oberlandesgericht für möglich
und zumutbar gehaltenen Hilfsmaßnahmen nach den bisherigen tatrichterlichen
Feststellungen sowie dem für die Revisionsinstanz als richtig zu
unterstellenden Beklagtenvortrag durchgreifende Bedenken.
16 Auf die Möglichkeit einer Notleitung zur Überbrückung der Schadensstelle
hat das Berufungsgericht lediglich hingewiesen, ohne dazu Näheres
auszuführen. Feststellungen zur - vom Beklagten bestrittenen -
Realisierbarkeit einer derartigen Abhilfe fehlen. Eine Schadensersatzpflicht
des Beklagten lässt sich hierauf deshalb ebenso wenig stützen.
17 Soweit ferner das Berufungsgericht auf den vorübergehenden Einsatz von
Tankfahrzeugen nicht nur der Feuerwehr, sondern auch des Technischen
Hilfswerks oder der Bundeswehr verweist, sind jedenfalls für die letzteren
schon die rechtlichen Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme nicht dargetan.
Das Technische Hilfswerk hat gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 des
THW-Helferrechtsgesetzes vom 22. Januar 1990 (BGBl. I S. 118) technische
Hilfe allein bei der Bekämpfung von Katastrophen, öffentlichen Notständen
und Unglücksfällen größeren Ausmaßes auf Anforderung der für die
Gefahrenabwehr zuständigen Stellen zu leisten. Es ist nicht ersichtlich,
dass diese Voraussetzungen im Streitfall vorgelegen hätten. Entsprechendes
gilt für die nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG allenfalls unter ähnlichen
Umständen in Frage kommende Hilfeleistung durch die Bundeswehr.
18 Die Revision rügt darüber hinaus mit Recht, dass das Berufungsgericht das
durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellte Vorbringen des
Beklagten, Tankfahrzeuge in dem erforderlichen Umfang zur Bewässerung der
vom Ausfall der Leitung betroffenen Flächen hätten tatsächlich nicht zur
Verfügung gestanden, unberücksichtigt gelassen hat. Dem lässt sich nicht mit
dem Berufungsurteil entgegenhalten, nur dem Kläger sei es nicht gelungen,
kurzfristig selbst eine Wasserversorgung zu beschaffen, so dass sich die
Notmaßnahmen des Beklagten allein auf eine Hilfe für ihn hätten beschränken
können. Eine solche Betrachtung fußt ersichtlich auf einer nachträglichen
Sicht. Die für den Beklagten erforderlichen Maßnahmen können nur an den ihm
seinerzeit zugänglichen Informationen gemessen werden. Der Beklagte hätte
demnach - da er, wie ausgeführt, das Faxschreiben des Klägers nicht als
Bitte um Hilfeleistung verstehen musste - entweder für alle ca. 100
betroffenen Landwirte eine Notversorgung bereitstellen oder zunächst -
soweit überhaupt durchführbar - zumindest zeitaufwändig den erforderlichen
Bedarf ermitteln müssen. Ob und gegebenenfalls wann ihm dies gelungen und
sodann eine Hilfeleistung für den Kläger angebracht gewesen wäre, bleibt
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts offen.
19 5. Aus diesen Gründen kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben.
Die Sache ist unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur weiteren
Sachaufklärung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Das
Berufungsgericht erhält hierdurch - sollte es nach ergänzenden
Feststellungen wiederum darauf ankommen - auch Gelegenheit, sich mit den
weiteren Rügen der Revision zur Wahrscheinlichkeit des Schadens sowie zur
Behandlung des Mitverschuldens-einwands im Grundurteil auseinanderzusetzen.
|