Haftung für fehlerhafte
Anlageberatung durch Erfüllungsgehilfen; Rolle des Beteiligungsprospekts bei
irreführenden Angaben des Vermittlers
BGH, Urteil vom 12. Juli
2007 - III ZR 83/06
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Der Umstand, dass ein
Beteiligungsprospekt Chancen und Risiken der Kapitalanlage hinreichend
verdeutlicht, ist kein Freibrief für den Vermittler, Risiken abweichend
hiervon darzustellen und mit seinen Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das
die Hinweise im Prospekt entwertet oder für die Entscheidungsbildung des
Anlegers mindert.
Tatbestand:
1Die Klägerin unterzeichnete am 19. Mai 1995 ein
Beteiligungsangebot über 50.000 DM zuzüglich eines Agios von 2.500 DM an dem
von der Beklagten zu 1 vertriebenen geschlossenen Immobilienfonds "Dreiländer
Beteiligung Objekt DLF 94/17 - Walter Fink-KG", der Immobilien und
Wertpapiere in Deutschland, der Schweiz und den USA hält, darunter das in
Stuttgart gelegene Hotel-, Freizeit- und Theaterzentrum
Stuttgart-International. Dem Beitritt, den die Klägerin fremdfinanzierte,
waren Gespräche mit dem Beklagten zu 2, einem Handelsvertreter der Beklagten
zu 1, vorausgegangen. Er hatte der Klägerin eine unverbindliche und
kostenlose Finanzierungsanalyse angeboten, ihre persönlichen Daten zu
Gehalt, Fixkosten, Versicherungen und Kreditraten aufgenommen, ihr
mitgeteilt, dass sie eine viel zu hohe Steuerbelastung habe, und eine
fremdfinanzierte Beteiligung an dem genannten Fonds empfohlen, wobei er ihr
die Emissionsprospekte und eine Beispiels-Berechnung für den
fremdfinanzierten Erwerb eines Anteils mit einem Beteiligungsverlauf bis zum
Jahr 2025 aushändigte. Zur Finanzierung des Beitritts nahm die Klägerin
einen Kredit über 55.560 DM bei der Sparkasse B. auf.
2 Während die Klägerin zunächst Ausschüttungen von 7 v.H. erhalten hatte,
konnten im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren gegen die S. AG, die
Generalmieterin der Fondsimmobilie in Stuttgart, die Ausschüttungen seit
1999 nicht mehr in der vorgesehenen Höhe vorgenommen werden. Die Klägerin
begehrt wegen unrichtiger Angaben bei der Vermittlung ihrer Beteiligung
Schadensersatz. Sie hat behauptet, dass ihr der Beklagte zu 2 eine jährliche
Ausschüttung von 7 v.H. garantiert habe, die mit den zu erwartenden
Steuervorteilen ausreiche, um die Kreditbelastung zu tragen. Ihre Besorgnis
im Hinblick auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes und ihren geplanten Wechsel
zu einer Zeitarbeitsfirma, bei dem mit Gehaltseinbußen zu rechnen sei, habe
der Beklagte zu 2 mit dem Hinweis zerstreut, es handele sich bei dem
Immobilienfonds um eine der sichersten Kapitalanlagen. Für den Fall, dass
bei der Klägerin ein finanzieller Engpass eintrete, könne sie den
Fondsanteil nach einem Jahr frei und ohne jeglichen Verlust, voraussichtlich
sogar mit Gewinn, wieder veräußern.
3 Die auf Zahlung von 18.728,29 € nebst Zinsen sowie auf Freistellung von
Darlehensverbindlichkeiten Zug um Zug gegen Übertragung der
Gesellschaftsanteile gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen
Erfolg. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, die auf die gegen die
Beklagte zu 1 gerichtete Klage beschränkt wurde, verfolgt die Klägerin ihr
Begehren nun noch gegen die Beklagte zu 1 weiter.
Entscheidungsgründe
4 Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es die gegen
die Beklagte zu 1 (im Folgenden: Beklagte) gerichtete Klage betrifft, und
insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
5 Das Berufungsgericht geht davon aus, dass durch die Tätigkeit des
Handelsvertreters der Beklagten zwischen den Parteien ein als
Anlageberatungs- oder als Anlagevermittlungsvertrag zu qualifizierendes
Rechtsverhältnis zustande gekommen sei. Es verneint jedoch eine Haftung der
Beklagten. Für die Zwecke der Klägerin, mit Hilfe von Ausschüttungen und
Steuerersparnissen Vermögen zu bilden, sei der Fonds, der in der
Wirtschaftspresse durchweg positiv beurteilt worden sei, geeignet gewesen.
Vor diesem Hintergrund wäre eine Erklärung des Handelsvertreters der
Beklagten, es handele sich um "eine der sichersten Kapitalanlagen", nicht zu
beanstanden gewesen. Über die allgemeinen Risiken der Fondsbeteiligung habe
die Klägerin nicht notwendig mündlich aufgeklärt werden müssen. Denn der
überlassene Emissionsprospekt habe die mit der Kapitalanlage verbundenen
Risiken vollständig, klar und zutreffend beschrieben und dem Kunden als
Information ausgereicht. Vor diesem Hintergrund könne die Klägerin die
behauptete Äußerung des Handelsvertreters, der von einer "garantierten"
Ausschüttung von 7 v.H. gesprochen habe, nur als optimistische
Meinungsäußerung und nicht als fundierte Prognose oder gar als Zusage
verstanden haben. Dass der Handelsvertreter ihren Einwand, sie müsse in
Zukunft mit Einkommensschmälerungen rechnen, mit Schönreden hinweggewischt
habe, lasse sich im Hinblick darauf, dass in der Beispielsberechnung für die
Zeit ab 1997 ein verringertes Jahreseinkommen zugrunde gelegt worden sei,
nicht nachvollziehen. Auch der Vorwurf, der Handelsvertreter habe erklärt,
sie könne die Beteiligung nach kurzer Zeit risikofrei wieder veräußern,
erscheine in Anbetracht der langfristig eingegangenen Kreditbindung und der
in der Gesprächsnotiz enthaltenen Belehrung, die Anlage sei langfristig,
nämlich auf die Dauer von mindestens 20 bis 25 Jahren angelegt und eine
vorzeitige Verfügung sei grundsätzlich nicht vorgesehen, nicht plausibel.
II.
6 Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand, da sie ein
unter Beweis gestelltes Fehlverhalten des Handelsvertreters der Beklagten
ausblendet und den nicht hinreichend festgestellten Sachverhalt unter
Vorwegnahme der gebotenen Beweisaufnahme rechtlich würdigt.
7 1. a) Das Berufungsgericht, das das nach § 445 Abs. 1 ZPO zulässige
Beweisangebot der Klägerin auf Vernehmung des Beklagten zu 2 als Partei
gesehen hat - nach dessen Ausscheiden aus dem Rechtsstreit wird seine
Vernehmung als Zeuge in Betracht kommen -, hat den erforderlichen Beweis
nicht erhoben. Deswegen muss für die weitere revisionsrechtliche
Behandlung davon ausgegangen werden, dass sich der Sachvortrag der Klägerin
in der Beweisaufnahme als richtig herausstellt. Danach hat der Beklagte zu 2
der Klägerin eine jährliche Ausschüttung von 7 v.H. "garantiert", die mit
den zu erwartenden Steuervorteilen ausreiche, um die Kreditbelastung zu
tragen. Der Beklagte zu 2 hat auch Besorgnisse der Klägerin wegen des
Verlustes ihres Arbeitsplatzes mit dem Hinweis zerstreut, dass es sich bei
diesem geschlossenen Immobilienfonds um eine der sichersten Kapitalanlagen
handele. Schließlich hat er die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie den
Fondsanteil nach einem Jahr frei und ohne jeglichen Verlust, voraussichtlich
sogar mit Gewinn, wieder veräußern könne.
8 b) Auf dieser Grundlage können Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen
die Beklagte, die sich beim Vertrieb der Kapitalanlage ihres
Handelsvertreters als Erfüllungsgehilfen bedient hat, nicht
ausgeschlossen werden. Dies gilt unabhängig davon, ob - was das
Berufungsgericht offen gelassen hat - zwischen der Klägerin und der
Beklagten ein Vertrag über Anlageberatung zustande gekommen ist oder ob die
Beklagte aus einem stillschweigend zustande gekommenen Auskunftsvertrag
haftet, der den Vermittler zu richtiger und vollständiger Information über
diejenigen tatsächlichen Umstände verpflichtet, die für den Anlageentschluss
des Interessenten von besonderer Bedeutung sind (vgl. Senatsurteile vom
13. Mai 1993 - III ZR 25/92 - NJW-RR 1993, 1114 f; vom 13. Januar 2000 - III
ZR 62/99 - NJW-RR 2000, 998; vom 11. September 2003 - III ZR 381/02 - NJW-RR
2003, 1690; vom 19. Oktober 2006 - III ZR 122/05 -NJW-RR 2007, 348, 349 Rn.
9; vom 22. März 2007 - III ZR 218/06 - ZIP 2007, 871 Rn. 4). Dass der
Fondsanteil nach einem Jahr ohne jeglichen Verlust hätte veräußert werden
können, ist nicht festgestellt und im Hinblick darauf, dass
Kommanditbeteiligungen an geschlossenen Immobilienfonds in Ermangelung eines
entsprechenden Marktes nur eingeschränkt veräußerbar sind (vgl. hierzu
Senatsurteil vom 18. Januar 2007 - III ZR 44/06 - NJW-RR 2007, 621, 622 Rn.
16), in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Unabhängig davon, wie man die
behauptete Aussage über "garantierte" Ausschüttungen qualifiziert, entsprach
sie in ihrer Undifferenziertheit nicht den Angaben im Prospekt. Nimmt man
hinzu, dass auch ein Anlageberatungsvertrag nicht auszuschließen ist, war es
Sache des Beraters, auf Besorgnisse der Klägerin einzugehen und sie auf die
mit der Darlehensfinanzierung übernommenen zusätzlichen Risiken hinzuweisen.
Sollte er diese Bedenken mit der Sicherheit der Kapitalanlage zerstreut
haben, hätte er das mit der Darlehensfinanzierung einhergehende zusätzliche
Risiko außer Betracht gelassen. Unter diesen Umständen kann auch nicht
ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei zutreffender Beratung von der
Anlage abgesehen hätte.
9 2. Der Klärung dieser streitigen Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem
Beitritt zum Immobilienfonds war das Berufungsgericht weder aus Gründen des
formellen noch des materiellen Rechts enthoben. Die Klägerin hatte sich
zunächst zwar nur auf ihre eigene Vernehmung als Partei bezogen, aber noch
während des Verfahrens erster Instanz - wenige Tage vor dem Termin zur
mündlichen Verhandlung - die Vernehmung des Beklagten zu 2 als Partei
beantragt (§ 445 Abs. 1 ZPO). Das Landgericht hat ihr Vorbringen nicht nach
§ 296 ZPO zurückgewiesen; für eine Nichtberücksichtigung dieses
Beweisantritts nach §§ 529, 531 ZPO war daher von vornherein kein Raum.
10 Das Berufungsgericht durfte den Beweisantritt auch nicht mit dem Hinweis
für unerheblich halten, aus dem Prospekt hätten sich für die Klägerin alle
notwendigen Informationen ergeben und ihr Vorbringen sei insgesamt
unplausibel. Es mag sein, dass solche Überlegungen nach Klärung des
Sachverhalts ihr Gewicht erlangen. Der Umstand jedoch, dass der Prospekt
Chancen und Risiken der Kapitalanlage hinreichend verdeutlicht (vgl.
hierzu Senatsbeschluss vom 12. Januar 2006 - III ZR 407/04 - NJW-RR 2006,
770, 771 Rn. 7), ist selbstverständlich kein Freibrief für den
Vermittler, Risiken abweichend hiervon darzustellen und mit seinen
Erklärungen ein Bild zu zeichnen, das die Hinweise im Prospekt entwertet
oder für die Entscheidungsbildung des Anlegers mindert. Auch die
allgemeine Einschätzung des Berufungsgerichts, die Behauptungen der Klägerin
seien unplausibel, ist ohne hinreichende Grundlage. Denn es ist nicht
ersichtlich, dass das Berufungsgericht seine Bedenken mit der Klägerin
erörtert und sie hierzu mindestens nach § 141 ZPO persönlich angehört hätte.
Unter diesen Umständen werden die Rechte der Klägerin auf einen
wirkungsvollen Rechtsschutz verletzt, wenn das Berufungsgericht aufgrund
einer vorweggenommenen Würdigung des Sachverhalts davon absieht, in eine
gebotene Beweisaufnahme einzutreten. In deren Verlauf wird das
Berufungsgericht auch gegebenenfalls dem Umstand Rechnung tragen müssen,
dass sich für die Klägerin im Rahmen der ihrer Anlageentscheidung
vorausgehenden Vier-Augen-Gespräche mit dem Handelsvertreter eine Beweisnot
ergeben kann, die ihre persönliche Anhörung gemäß § 141 ZPO oder ihre
Vernehmung als Partei gemäß § 448 ZPO erfordert (vgl. hierzu BGH, Urteil vom
27. September 2005 - XI ZR 216/04 - NJW-RR 2006, 61, 63 m.w.N.). |