Schutz vor Altersdiskriminierung nach dem AGG;
Anwendbarkeit auf Wiedereinstellung eines GmbH-Geschäftsführers;
Voraussetzungen des materiellen und immateriellen Schadensersatzes;
Vermutung und Beweislast
BGH, Urteil vom 23. April 2012 - II
ZR 163/10
Fundstelle:
NJW 2012, 2346
für BGHZ vorgesehen
Amtl. Leitsatz:
a) Auf den Geschäftsführer einer GmbH, dessen
Bestellung und Anstellung infolge einer Befristung abläuft und der sich
erneut um das Amt des Geschäftsführers bewirbt, sind gemäß § 6 Abs. 3 AGG
die Vorschriften des Abschnitts 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes
und § 22 AGG entsprechend anwendbar.
b) Entscheidet ein Gremium über die Bestellung und Anstellung eines
Bewerbers als Geschäftsführer, reicht es für die Vermutungswirkung des § 22
AGG aus, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die
Entscheidung getroffen worden ist, unwidersprochen öffentlich wiedergibt und
sich daraus Indizien ergeben, die eine Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs.
1 AGG vermuten lassen.
c) Macht der Kläger einen Anspruch auf Ersatz seines Erwerbsschadens nach §
15 Abs. 1 AGG geltend, obliegt ihm grundsätzlich die Darlegungs- und
Beweislast dafür, dass die Benachteiligung für die Ablehnung seiner
Bewerbung ursächlich geworden ist. Ihm kommt aber eine Beweiserleichterung
zugute, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder
Wahrscheinlichkeit für eine Einstellung bei regelgerechtem Vorgehen besteht.
Zentrale Probleme:
Es geht um einen "Musterfall"
nach dem AGG: Der Kläger war bis zum Ablauf seiner Amtszeit medizinischer
Geschäftsführer der Kliniken der beklagten Stadt, die als GmbH organisiert
waren. In dem mit einer Laufzeit von fünf Jahren abgeschlossenen
Dienstvertrag des Klägers war vereinbart, dass die Vertragsparteien
spätestens 12 Monate vor Vertragsablauf mitteilten, ob sie zu einer
Verlängerung des Vertragsverhältnisses bereit waren. Der Aufsichtsrat der
Beklagten beschloss im Oktober 2008, das Anstellungsverhältnis mit dem im
Zeitpunkt der (regulären) Vertragsbeendigung 62 Jahre alten Kläger nicht
über den 31.08.2009 hinaus fortzusetzen. Die Stelle wurde vielmehr mit einem
jüngeren Mitbewerber besetzt.
©sl 2012
Tatbestand:
1 Der im März 1947 geborene Kläger war
medizinischer Geschäftsführer der beklagten GmbH, die im Raum K. stationäre
Krankenhausdienstleistungen anbietet. Einzige Gesellschafterin der Beklagten
ist die Stadt K. . Die Beklagte hat einen fakultativen Aufsichtsrat. Diesem
obliegen nach der Satzung der Abschluss, die Änderung und die Aufhebung der
Anstellungsverträge mit den Geschäftsführern. Die Bestellung und Abberufung
der Geschäftsführer erfolgt durch die Gesellschafterversammlung aufgrund
einer Empfehlung des Aufsichtsrats.
2 Der Geschäftsführeranstellungsvertrag des Klägers vom 23. Juli 2004 hatte
eine - nach der Satzung der Beklagten auf fünf Jahre beschränkte - Laufzeit
bis zum 31. August 2009. Vereinbarungsgemäß hatten die Vertragspartner
spätestens ein Jahr vor dem Ende der Laufzeit zu erklären, ob sie zu einer
Verlängerung des Vertragsverhältnisses bereit seien. Für den Fall
übereinstimmender Erklärungen, am Vertragsverhältnis festhalten zu wollen,
hatten sich die Vertragsparteien verpflichtet, Verhandlungen über die
Verlängerung des Vertragsverhältnisses aufzunehmen.
3 Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 4. August 2008 die Bereitschaft zur
Vertragsverlängerung. Der Aufsichtsrat der Beklagten beschloss in seiner
Sitzung vom 15. Oktober 2008 mit neun Ja- und drei Nein-Stimmen, den
Anstellungsvertrag nicht zu verlängern. Statt dessen wurde ein 41-jähriger
Mitbewerber des Klägers zum neuen medizinischen Geschäftsführer bestellt.
4 Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe mit der Ablehnung
seiner Weiterbeschäftigung gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach
dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen. Er begehrt deshalb
die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche
materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus der nicht erfolgten Anstellung
und der nicht erfolgten Bestellung zum Geschäftsführer der Beklagten
entstanden seien und noch entstehen würden. Weiter hat er die Verurteilung
der Beklagten zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung für seinen
Nichtvermögensschaden, mindestens in Höhe von 110.000 €, beantragt.
5 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr
auf die Berufung des Klägers hinsichtlich des Feststellungsantrags und im
Umfang von 36.600 € auch hinsichtlich des Zahlungsantrags stattgegeben und
den weitergehenden Zahlungsantrag abgewiesen. Dagegen wenden sich beide
Parteien mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen.
Entscheidungsgründe:
6 Die Revision der Beklagten ist insoweit erfolglos, als dem Zahlungsantrag
stattgegeben worden ist. Im Übrigen haben beide Rechtsmittel Erfolg und
führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache
an das Berufungsgericht.
7 I. Das Berufungsgericht (OLG Köln, DB 2010, 1878) hat seine Entscheidung
im Wesentlichen wie folgt begründet:
8 Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes sei eröffnet. Das ergebe sich aus § 6 Abs. 3, § 2
Abs. 1 Nr. 1 AGG. Danach würden die Schutzbestimmungen des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes auch für Geschäftsführer gelten, soweit die
Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit und der berufliche Aufstieg
betroffen seien. Hier gehe es um den erneuten Zugang des Klägers zu dem
Geschäftsführeramt.
9 Der Kläger sei aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe im
Verhältnis zu dem 41-jährigen Mitbewerber benachteiligt worden, nämlich
wegen seines Alters. Das sei gemäß § 22 AGG zu vermuten. Der Kläger
habe in Form des Inhalts der entscheidenden Aufsichtsratssitzung und der
Berichterstattung in der Presse ausreichende Indizien für eine
Benachteiligung im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG vorgebracht. Der Beklagten sei
es nicht gelungen, die gegen sie sprechende Vermutung zu widerlegen.
10 Die Altersdiskriminierung des Klägers sei nicht nach § 10 AGG zulässig.
Es fehle schon an einem legitimen Ziel im Sinne dieser Vorschrift. Zwar
kämen dafür außer reinen Gemeinwohlbelangen auch anerkennenswerte betriebs-
und unternehmensbezogene Interessen in Betracht. Der Hinweis der Beklagten
auf die Umbruchsituation des Gesundheitsmarktes und der Wunsch nach
langfristiger Bindung und Kontinuität reiche dafür aber nicht aus, ebenso
wenig die von der Stadt K. angestrebte Altersgrenze von 65 Jahren für
Mitarbeiter auf der Leitungsebene städtischer Gesellschaften. Im Übrigen
hätte dieses Ziel durch eine Neubestellung des Klägers für drei Jahre
erreicht werden können. Auch wenn man berücksichtige, dass bei
Organmitgliedern ein großzügigerer Beurteilungsmaßstab in Betracht komme,
reiche der Vortrag der Beklagten nicht aus.
11 Das Verschulden werde gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG vermutet. Die
zweimonatige Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG für die Geltendmachung der
Ersatzansprüche sei eingehalten. Eine Bezifferung des Anspruchs innerhalb
dieser Frist sei nicht erforderlich.
12 Damit bestehe eine Pflicht zum Ersatz des materiellen Schadens des
Klägers nach § 15 Abs. 1 AGG. Dafür reiche aus, dass die Beklagte den
Entscheidungsprozess ihres Aufsichtsrats nicht offengelegt habe, so dass
nicht ersichtlich sei, ob der Kläger ohne die Berücksichigung seines Alters
ebenfalls nicht weiterbeschäftigt worden wäre.
13 Zum Ausgleich seiner mit der Altersdiskriminierung verbundenen
immateriellen Schäden stehe dem Kläger nach § 15 Abs. 2 AGG nur ein Anspruch
in Höhe von zwei Monatsgehältern, nämlich 36.600 €, zu. Das Gericht habe
insoweit ein weites Ermessen. Die Entschädigung dürfe nicht nur
geringfügig-symbolisch, aber auch nicht überzogen-ausufernd sein.
Präventions- und Sanktionsgesichtspunkte spielten eine Rolle, ebenso der
Umstand, dass neben dem Anspruch auf immaterielle Entschädigung auch noch
ein Anspruch auf Ersatz materieller Schäden geltend gemacht werde.
Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Diskriminierung nicht besonders
schwer wiege, weil der Kläger nicht wegen seines Alters als leistungsschwach
bezeichnet worden sei. Im Übrigen hätten Teile des Aufsichtsrats auch
Bedenken gegen die fachliche Eignung des Klägers gehabt, so dass die
Entscheidung letztlich aufgrund eines Motivbündels getroffen worden sei.
Dabei könne offen bleiben, ob die Zweifel berechtigt gewesen seien.
14 II. Diese Ausführungen beruhen in einzelnen Punkten auf Rechtsfehlern.
15 1. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen nicht seine
Annahme, die Beklagte sei zum Ersatz des Vermögensschadens verpflichtet, der
dem Kläger durch die nicht erfolgte erneute Anstellung und Bestellung zum
Geschäftsführer entstanden sei. Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend
ausgeführt, dass der Kläger wegen seines Alters unter Verstoß gegen das
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz benachteiligt worden ist. Es hat
aber nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Kläger ohne diese
Benachteiligung erneut beschäftigt worden wäre.
16 a) Der persönliche Anwendungsbereich des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes ist - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat
- eröffnet.
17 Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist schon nach § 6 Abs. 3 AGG auf
den Kläger anwendbar. Danach gelten die Vorschriften des zweiten Abschnitts
des Gesetzes für Geschäftsführer entsprechend, soweit es u.a. die
Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit betrifft. Damit kann offen
bleiben, ob ein Fremdgeschäftsführer, der nicht an der GmbH beteiligt ist -
wie hier der Kläger -, im Wege der Auslegung des § 6 Abs. 1 AGG als
Beschäftigter, insbesondere als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift,
angesehen werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 11. November 2010 - C-232/09,
ABl. EU 2011, Nr. C 13, 11 = ZIP 2010, 2414 - Danosa).
18 b) Der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes ist ebenfalls eröffnet, weil der Zugang zur
Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG betroffen ist.
19 aa) Unter das Merkmal des Zugangs zur Erwerbstätigkeit im Sinne
des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG fallen sowohl der Abschluss eines
Geschäftsführeranstellungsvertrages als auch die Bestellung zum
Geschäftsführer nach §§ 6, 35 ff. GmbHG (Eßer/Baluch, NZG 2007,
321, 328; Wilsing/Meyer, DB 2010, 341, 342; Krause, AG 2007, 392, 394;
Lutter, BB 2007, 725, 726; Hoentzsch, Die Anwendung der
Benachteiligungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf
Organmitglieder, 2011, S. 34; aA Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 997 f.;
Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 6 Rn. 30; Reufels/Molle,
NZA-RR 2011, 281, 283 f.). Das folgt aus dem Sinn und Zweck des § 6
Abs. 3 AGG, der darauf gerichtet ist, den Schutz vor Benachteiligungen aus
den in § 1 AGG genannten Gründen u.a. auf Geschäftsführer auszudehnen
(s. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/1780, S. 34).
Zwar werden die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers, insbesondere
seine Vergütungsansprüche, regelmäßig in dem Anstellungsvertrag geregelt.
Ohne Bestellung zum Geschäftsführer kann der Anstellungsvertrag aber
nicht durchgeführt werden. Der dennoch bestehende Vergütungsanspruch nach §
615 BGB kann die in der Nichtbestellung zum Geschäftsführer liegende
Diskriminierung nicht in vollem Umfang ausgleichen. Jedenfalls können
immaterielle Schäden entstehen, wenn die Bestellung zum Geschäftsführer
entgegen dem Anstellungsvertrag unterbleibt (vgl. BGH, Urteil vom
11. Oktober 2010 - II ZR 266/08, ZIP 2011, 122 Rn. 10).
20 bb) Von dem Begriff des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird auch der Fall
erfasst, dass die Bestellung eines Geschäftsführers aufgrund einer
Befristung endet und die Stelle neu besetzt werden soll. Wenn sich der
bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem
Amt ausgeschiedene Geschäftsführer - wie hier der Kläger - wiederum um die
Stelle des Geschäftsführers bewirbt, erstrebt er damit einen - neuen -
Zugang zu dieser Tätigkeit (vgl. BVerwG, NZA-RR 2011, 233 Rn. 26;
MünchKommBGB/Thüsing, 6. Aufl., AGG § 2 Rn. 7; Horstmeier, GmbHR 2007, 125,
126; Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 6 Rn. 31b ff.;
Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; aA Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 329;
Lutter, BB 2007, 725, 728 f.).
21 Indem § 6 Abs. 3 AGG die Anwendbarkeit des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes bezüglich der Organmitglieder auf den Zugang
beschränkt und die Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen im Sinne des §
2 Abs. 1 Nr. 2 AGG davon ausnimmt, bezweckt die Vorschrift, den für die
Entscheidung über Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen zuständigen
Gesellschaftsorganen eine weitgehend freie, nur am Unternehmenswohl
orientierte und allein an der Grenze der Sittenwidrigkeit und des Verstoßes
gegen Treu und Glauben zu messende Entscheidung zu ermöglichen. Wollen die
Gesellschafterversammlung oder der Aufsichtsrat das Anstellungsverhältnis
eines Geschäftsführers der Gesellschaft durch Entlassung beenden und seine
Bestellung zum Geschäftsführer widerrufen, sollen sie dabei nicht eine
Abwägung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vornehmen müssen. Um
eine solche Entlassungs- und Widerrufsentscheidung geht es hier jedoch
nicht. Das Vertragsverhältnis des Klägers und seine Amtsstellung sind
infolge des Ablaufs der Befristung beendet. Zu überprüfen ist nicht
die Zulässigkeit dieser Befristung, sondern die Zulässigkeit der
Entscheidung, den Kläger nicht erneut zum Geschäftsführer zu berufen und mit
ihm kein neues Vertragsverhältnis zu begründen. Wollen die
zuständigen Gesellschaftsorgane die Stelle eines abberufenen oder sonst aus
dem Amt geschiedenen Geschäftsführers nicht unbesetzt lassen, sondern wieder
neu besetzen, müssen sie bei der Auswahl des neuen Geschäftsführers die
Grenzen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes beachten. Bewirbt sich der
ausscheidende Geschäftsführer erneut um das Geschäftsführeramt, kommt ihm
damit derselbe Schutz durch die Vorschriften des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes zugute wie jedem anderen Bewerber auch.
22 Entgegen der Auffassung der Revision der Beklagten scheitert die
Berücksichtigung des bisherigen Geschäftsführers bei der Abwägung nach dem
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht daran, dass er mit den neuen
Bewerbern nicht vergleichbar wäre. Zwar können die Gesellschafterversammlung
oder der Aufsichtsrat die Eignung des bisherigen Geschäftsführers aus
eigener Anschauung beurteilen, während sie hinsichtlich der Beurteilung der
übrigen Bewerber auf andere Erkenntnisquellen, wie etwa Zeugnisse oder
Referenzen, angewiesen sind. Das rechtfertigt aber keine Ausnahme des
bisherigen Geschäftsführers von einer diskriminierungsfreien
Auswahlentscheidung.
23 Dieser Gesetzesauslegung kann nicht entgegengehalten werden, aus der
Geltung des Diskriminierungsverbots bei der Entscheidung über die
Wiederbeschäftigung des bisherigen Geschäftsführers und einer Nichtgeltung
bei der Entscheidung über die Beendigung seiner Tätigkeit ergebe sich ein
"widersinniges Hin und Her", weil der wiederbestellte Geschäftsführer
sogleich wieder abberufen werden könne (so Lutter, BB 2007, 725, 728).
Zum einen könnte es auch bei einer erstmaligen Bestellung eines
Bewerbers zum Geschäftsführer dazu kommen, dass er sogleich wieder abberufen
wird, um den an sich gewünschten, aber wegen des Diskriminierungsverbots
nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zunächst nicht berücksichtigten
Kandidaten zum Geschäftsführer zu bestellen. Zum anderen wäre das eine
missbräuchliche Rechtsausübung, die jedenfalls gegen § 138 Abs. 1 BGB
verstoßen würde (vgl. Oetker, Festschrift Otto, 2008, S. 362, 374
f.).
24 c) Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht weiter davon
ausgegangen, dass der Kläger durch den Nichtabschluss eines neuen
Anstellungsvertrages und die Nichtwiederbestellung zum Geschäftsführer
altersbedingt im Sinne der § 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 1 AGG benachteiligt
worden ist.
25 aa) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass dem
Kläger die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach § 22 AGG zugute kommt.
Nach dieser Vorschrift hat die Anstellungskörperschaft die Darlegungs- und
Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor
Benachteiligungen im Sinne des § 1 AGG vorgelegen hat, wenn die
andere Partei Indizien vorträgt und erforderlichenfalls beweist, die eine
solche Benachteiligung vermuten lassen.
26 (1) Die Vorschrift des § 22 AGG ist auf die Bestellung eines
Geschäftsführers anwendbar. Sie steht zwar nicht im zweiten Abschnitt des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, wie es § 6 Abs. 3 AGG seinem Wortlaut
nach für die Anwendbarkeit von Vorschriften auf Organmitglieder voraussetzt.
Dennoch kommt sie auch auf Organmitglieder zur Anwendung (MünchKomm-GmbHG/Jaeger,
§ 35 Rn. 268; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 3. Aufl., § 6 Rn. 37;
Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 997 u. 1001; Reufels/Molle, NZA-RR
2011, 281, 285; aA Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 325 f.).
27 Das ergibt eine Auslegung der Norm anhand ihres Schutzzwecks. Durch § 22
AGG, der im vierten Abschnitt "Rechtsschutz" des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes steht, soll sichergestellt werden, dass die
Schutzregeln, die u.a. im zweiten Abschnitt des Gesetzes aufgeführt sind, im
Prozesswege durchsetzbar sind. Der Gesetzgeber hat diese Frage nicht der
Rechtsprechung überlassen wollen, sondern sie durch Anordnung einer
bedingten Beweislastumkehr selbst geregelt. Ein Grund, diese Regel nur auf
Beschäftigte im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG zu beziehen und nicht auch auf
Organmitglieder im Sinne des § 6 Abs. 3 AGG, besteht nicht. Beide Gruppen
sind für die Durchsetz-barkeit ihrer Ansprüche typischerweise gleichermaßen
auf Erleichterungen bei der Darlegungs- und Beweislast angewiesen. Es sind
demgemäß auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber
bewusst die Nichtanwendbarkeit des § 22 AGG auf Organmitglieder angeordnet
hätte.
28 (2) Der Kläger hat, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler
angenommen hat, ausreichende - unstreitige - Indizien dargelegt, die eine
Benachteiligung wegen seines Alters vermuten lassen.
29 So hat das Berufungsgericht festgestellt, dass in der Sitzung des
Aufsichtsrats vom 15. Oktober 2008 allein über das Alter des Klägers, nicht
auch über etwaige Leistungsdefizite gesprochen worden ist, dass der
Vorsitzende des Aufsichtsrats in der Sitzung gesagt hat, die von der Stadt
K. angestrebte Altersgrenze für Führungskräfte städtischer Betriebe sei zu
beachten, dass er auf die anstehenden Umbrüche auf dem Gesundheitsmarkt und
die damit verbundene Notwendigkeit einer langfristigen Kontinuität in der
medizinischen Geschäftsführung hingewiesen hat, die einer Verlängerung des
Vertrages mit dem Kläger entgegenstehe, und dass über diese Äußerungen auch
in der K. Lokalpresse berichtet worden ist.
30 (a) Zu Unrecht wehrt sich die Revision der Beklagten gegen die
Berücksichtigung der Presseberichterstattung durch das Berufungsgericht.
31 Abgesehen davon, dass schon die unstreitigen Äußerungen in der
Aufsichtsratssitzung für die Annahme einer Vermutung im Sinne des § 22 AGG
ausreichen, konnte das Berufungsgericht die Presseberichterstattung
berücksichtigen. Es war sich dabei der Tatsache bewusst, dass
Presseberichterstattungen fehlerhaft sein können, ohne dass die davon
Betroffenen das verhindern können. Es hat aber zutreffend darauf abgestellt,
dass die in der Presse wiedergegebenen Äußerungen "aus dem Aufsichtsrat"
gekommen sind. So heißt es in dem Artikel des K. Stadt-Anzeigers vom 16.
Oktober 2008 nach der Angabe, die stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende
G. (CDU) habe die guten wirtschaftlichen Ergebnisse der Beklagten erwähnt:
32 Das weiß auch Aufsichtsratsvorsitzender M. P. (SPD): "Im Moment sind die
Kliniken gut aufgestellt." Der Sozialdemokrat führte formale Gründe für die
beschlossene Trennung an. Der Vertrag mit L. endet im August 2009. Eine
Verlängerung hätte sich nicht über die üblichen fünf Jahre erstrecken
können. Aufgrund der für die Spitzenmanager städtischer Unternehmen
geltenden Altersgrenze von 65 Jahren hätte der medizinische Leiter die
Kliniken bereits 2012 verlassen müssen. "Der Gesundheitsmarkt befindet sich
im Umbruch", so P. . "Wir brauchen jemanden, der die Kliniken auch
langfristig in den Wind stellen kann."
33 Die Beklagte ist diesem Artikel nicht entgegengetreten. Damit ist die
Würdigung des Berufungsgerichts, klarer könne man "einen bestimmenden
Einfluss des Altersfaktors nicht umschreiben", aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden.
34 Dabei spielt keine Rolle, ob die Indizien im Sinne des § 22 AGG die
Benachteiligung nur plausibel oder nach allgemeiner Lebenserfahrung
überwiegend wahrscheinlich (so BAG, NZA 2011, 93 Rn. 65 und NZA 2010, 383
Rn. 19) erscheinen lassen müssen. Denn letzteres ist hier jedenfalls
anzunehmen.
35 (b) Ohne Erfolg macht die Revision der Beklagten geltend, bei der
Feststellung, ob eine Gremienentscheidung - wie hier die des Aufsichtsrats
der Beklagten - eine diskriminierende Wirkung habe, sei allein auf den
Beschluss oder die nach außen erkennbare kollektive Willensbildung des
Aufsichtsrats abzustellen, die hier keine diskriminierenden Motive erkennen
ließen.
36 Da ein Gremium als solches keinen eigenen Willen hat, sondern
sich seine Entscheidungen aus dem Willen seiner Mitglieder ergeben, kommt es
für die Vermutungswirkung des § 22 AGG allein darauf an, ob Indizien
feststehen, aus denen sich ergibt, dass die einzelnen Mitglieder des
Gremiums bei der Abstimmung den Bewerber aus unzulässigen Gründen
benachteiligt haben. Dabei kann offen bleiben, ob diese Motivation bei der
für die Beschlussfassung erforderlichen Mehrheit der Mitglieder (so
Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 3. Aufl., § 7 Rn. 16; Bauer/Arnold, ZIP 2008,
993, 1001; Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641, 642; Adomeit/Mohr, AGG, 2.
Aufl., § 3 Rn. 66; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein, AGG, § 7
Rn. 15; Meinel/Heyn/Herms, AGG, 2. Aufl., § 7 Rn. 19; Krause, AG 2007, 392,
396) oder bei nur einem Mitglied (so Eßer/Baluch, NZG 2007,
321, 327) vorhanden sein muss. Denn jedenfalls
reicht es für die Vermutungswirkung des § 22 AGG aus, dass der Vorsitzende
des Gremiums - wie hier - die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen
worden ist, unwidersprochen vor der Presse wiedergibt. Er repräsentiert
dabei das gesamte Gremium.
37 (c) Der Einwand der Revision der Beklagten, eine Benachteiligung
liege nicht schon dann vor, wenn das Alter lediglich im Rahmen eines
"Motivbündels" eine Rolle gespielt habe, es müsse vielmehr conditio sine qua
non für die Personalentscheidung gewesen sein (ebenso Thüsing/Stiebert, NZG
2011, 641, 642 f.), bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Zum einen würde
auch dann die Äußerung des Aufsichtsratsvorsitzenden reichen, um eine
derartige Benachteiligung vermuten zu lassen. Zum anderen muss der
diskriminierende Umstand gerade nicht die nicht hinweg zu denkende Ursache
für die Entscheidung gewesen sein. Es genügt vielmehr, wenn sie
lediglich als Teil eines Motivbündels die Entscheidung beeinflusst hat
(BAG, NZA 2009, 945 Rn. 37; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 1000 f.; ebenso für
§ 611a BGB aF BVerfG, NZA 1994, 745, 746).
38 bb) Die damit nach § 22 AGG begründete Vermutung, dass ein
Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen
hat, ist von der Beklagten nicht entkräftet worden.
39 Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass bei der entscheidenden
Aufsichtsratssitzung am 15. Oktober 2008 allein über das Alter des Klägers
und die dadurch zweifelhaft gewordene Kontinuität der Amtsführung gesprochen
worden sei. Die Beklagte habe dagegen nicht dargelegt, dass die angeblich
zuvor gerügten Mängel der Amtsführung des Klägers derart gewichtig gewesen
seien, dass der Aspekt des Alters dahinter zurückgetreten sei. Um das
darzulegen, hätte die Beklagte den vorangegangenen Kommunikationsprozess
offen legen müssen, was sie nicht in ausreichendem Maße getan habe.
40 Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Unzutreffend ist dagegen der
Einwand der Revision der Beklagten, eine umfassende Dokumentations- und
Offenlegungspflicht des Inhalts der Beratungen in den Aufsichtsratssitzungen
und sogar der Gespräche im Vorfeld verstoße gegen die gesetzliche
Verschwiegenheitspflicht aus § 116 Satz 2 AktG und ersticke jede Möglichkeit
der Erörterung von Personalfragen im Aufsichtsrat. Von der
Verschwiegenheitspflicht des § 116 Satz 2 AktG kann sich der Aufsichtsrat
als Organ in gewissen Grenzen selbst befreien (MünchKommAktG/Habersack, 3.
Aufl., § 116 Rn. 62; Hopt/M. Roth in GroßKommAktG, 4. Aufl. § 116 Rn. 240;
zur Funktion des Beratungsgeheimnisses s. Priester, ZIP 2011, 2081, 2083
f.), was bei der vorliegenden Fallgestaltung jedenfalls als zulässig
anzusehen wäre; und soweit eine freie Erörterung im Aufsichtsrat durch die
Vermutungswirkung des § 22 AGG behindert wird, entspricht dies gerade dem
Zweck des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
41 d) Zu Recht ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen,
dass die Benachteiligung des Klägers nicht nach § 8 Abs. 1 oder § 10 AGG
zulässig ist.
42 aa) Nach § 8 Abs. 1 AGG wäre die Auswahlentscheidung der
Beklagten dann nicht zu beanstanden, wenn das dabei vorausgesetzte Alter
wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingung ihrer Ausübung
eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellte, der
Zweck der Ungleichbehandlung rechtmäßig und die Anforderung angemessen wäre.
Dabei ist zu beachten, dass der dieser Ausnahmevorschrift zugrunde liegende
Art. 4 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur
Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nach der ständigen
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union eng
auszulegen ist (EuGH, Urteil vom 13. September 2011 - C-447/09,
ABl. EU 2011, Nr. C 319, 4 = ZIP 2011, 1882 Rn. 72 - Prigge/Deutsche
Lufthansa; Urteil vom 12. Januar 2011 - C-229/08, Slg. 2010, I-1 = NVwZ
2010, 244 Rn. 35 ff. - Wolf; BVerwG, NJW 2012, 1018 Rn. 19 ff.).
Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die Richtlinie 2000/78/EG auch
Geschäftsführer einer GmbH erfasst, sind die Vorschriften des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes einheitlich richtlinienkonform auszulegen, weil
für eine gegebenenfalls gespaltene Auslegung keine Anhaltspunkte ersichtlich
sind (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2002 - XI ZR 91/99, BGHZ 150, 248, 260
f.; Urteil vom 18. Oktober 2004 - II ZR 352/02, ZIP 2004, 2319, 2322).
Danach ist auf die konkrete Tätigkeit als Geschäftsführer eines Unternehmens
wie das der Beklagten abzustellen und zu prüfen, ob für diese Tätigkeit das
Lebensalter eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung
darstellt.
43 Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Die
Revision der Beklagten zeigt auch keinen entsprechenden Vortrag der
Beklagten auf.
44 bb) Die Nichtweiterbeschäftigung des Klägers ist auch nicht durch
§ 10 Satz 3 Nr. 3 AGG gerechtfertigt.
45 Danach ist die Festlegung eines Höchstalters für die Einstellung
aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten
Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen
Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand zulässig.
Mit dieser Vorschrift soll gewährleistet werden, dass einer im
Einzelfall aufwändigen Einarbeitung des Beschäftigten eine sinnvolle
Mindestdauer der produktiven Arbeitsleistung gegenüber steht (Annuß/Rupp
in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrechtskommentar, 4. Aufl., AGG § 10 Rn.
9).
46 Dieser Gesetzzweck kommt hier ersichtlich nicht zum Tragen. Der
Kläger war eingearbeitet und hätte deshalb seine Tätigkeit ohne jede
Unterbrechung fortsetzen können.
47 cc) Auch § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG scheidet als Rechtfertigungsgrund aus.
48 Von dieser Vorschrift wird die Festsetzung von Altersgrenzen im
Zusammenhang mit den Systemen der betrieblichen Altersversorgung erfasst
(Meinel/Heyn/Herms, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl., § 10 Rn.
59 ff.).
49 Darum geht es hier nicht. Zu einem System der betrieblichen
Altersversorgung, das für den Kläger gelten würde, ist nichts festgestellt.
50 dd) Auch § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG kommt als Rechtfertigungsgrund nicht in
Betracht.
51 Danach ist eine Vereinbarung zulässig, mit der die Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung mit Erreichen des
Renteneintrittsalters sichergestellt werden soll.
52 Dafür fehlt es schon an einer entsprechenden Vereinbarung. Im Übrigen
bestand für den Kläger im Zeitpunkt der beanstandeten Entscheidung noch
keine Möglichkeit, eine Rente wegen Alters zu beantragen.
53 ee) Auch die Voraussetzungen der Generalklausel in § 10 Satz 1 AGG sind
nicht erfüllt.
54 Danach ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch
zulässig, wenn sie objektiv und angemessen ist und durch ein legitimes Ziel
gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und
erforderlich sind. Als legitime Ziele im Sinne dieser Vorschrift kommen auch
betriebs- und unternehmensbezogene Interessen in Betracht (BAG, NZA
2009, 945 Rn. 53; s. dazu EuGH, RIW 2009, 312 Rn. 46, 61 f. - Age Concern
England).
55 Die von der Beklagten angestrebte fünfjährige Bindung des neuen
Geschäftsführers wegen des "Umbruchs im Gesundheitsmarkt" erfüllt diese
Voraussetzungen nicht. Die Beklagte hat - wie das Berufungsgericht
zutreffend ausgeführt hat - schon nicht erläutert, was darunter im Einzelnen
zu verstehen sein soll und warum die Entwicklung auf dem Gesundheitsmarkt
eine langfristige Bindung an einen neuen Geschäftsführer notwendig macht.
Der Kläger war schon als Geschäftsführer der Beklagten tätig, hätte also
ohne Bruch der Kontinuität wiederbeschäftigt werden können. Dass die
Beklagte gerade darauf angewiesen war, eine Kontinuität in der Zeit nach
August 2009, dem Auslaufen der Bestellung des Klägers, für die nächsten fünf
Jahre herzustellen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
56 An der Unzulässigkeit der Auswahlentscheidung ändert auch der Umstand
nichts, dass der Kläger bei einer Neubestellung als Geschäftsführer für den
bei der Beklagten offenbar üblichen Zeitraum von fünf Jahren schon vor
Ablauf dieser Frist das allgemeine Renteneintrittsalter erreicht haben
würde. Der bloße Wunsch der Beklagten, die Geschäftsführer auf fünf Jahre zu
bestellen, verdient jedenfalls dann keinen Schutz, wenn der Geschäftsführer
schon zuvor in diesem Amt tätig war (aA Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641,
644).
57 Ob es allgemein zulässig ist, in Entsprechung zu Nr. 5.1.2 des Deutschen
Corporate Governance Kodex eine Altersgrenze für Organmitglieder auch
unterhalb von 65 Jahren zu bestimmen, braucht entgegen der Ansicht der
Revision der Beklagten nicht entschieden zu werden. Denn die Beklagte hat
eine solche Altersgrenze - hier 62 Jahre - weder eingeführt, noch
beabsichtigte sie das.
58 e) Das Verschulden der Aufsichtsratsmitglieder wird gemäß § 15
Abs. 1 Satz 2 AGG vermutet. Die Beklagte muss sich dieses Verschulden ihrer
Organmitglieder nach § 31 BGB zurechnen lassen.
59 f) Die Zwei-Monatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG, innerhalb derer die
Ansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geltend zu machen
sind, ist eingehalten, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler
festgestellt hat.
60 g) Als Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 7 AGG hat das
Berufungsgericht einen Anspruch auf Ersatz der entgangenen Erwerbsvorteile
nach § 15 Abs. 1 AGG angenommen. Es hat jedoch die Ursächlichkeit der
Benachteiligung des Klägers dafür, dass er nicht erneut als Geschäftsführer
angestellt und zum Geschäftsführer bestellt worden ist, nicht fehlerfrei
festgestellt.
61 aa) Dem Antrag des Klägers festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet
sei, ihm den Schaden zu ersetzen, der aus der nicht erfolgten neuen
Anstellung und der nicht erfolgten neuen Bestellung zum Geschäftsführer
entstanden ist, durfte das Berufungsgericht nur stattgeben, wenn
festgestanden hätte, dass der Kläger bei regelgerechtem Vorgehen der
Beklagten angestellt und bestellt worden wäre. Eine lediglich hohe
Wahrscheinlichkeit reicht dagegen im Rahmen des gestellten Antrags nur
insoweit aus, als es darum geht, ob dem Kläger aus der Nichtanstellung und
Nichtbestellung ersatzfähige Erwerbsvorteile in irgendeiner Höhe entgangen
sind (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2008 - V ZR 13/07, NJW-RR 2008,
1397 Rn. 10; s. auch BGH, Urteil vom 28. September 1999 - VI ZR 195/98, NJW
1999, 3774 Rn. 15 ff.)..
62 bb) Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Ursächlichkeit der
Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters für die
Nichtwiederanstellung und die Nichtwiederbestellung zum Geschäftsführer
beanstandet die Revision der Beklagten im Ergebnis zu Recht.
63 Im Rahmen des § 15 Abs. 1 AGG hat - wie im Grundsatz bei jedem
Schadensersatzanspruch - der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast
für die haftungsausfüllende Kausalität. Er muss darlegen und gegebenenfalls
beweisen, dass die Benachteiligung für die Ablehnung seiner Bewerbung
ursächlich geworden ist. Daran ändert auch die Vermutungsregel des § 22 AGG
nichts. Sie bezieht sich nur auf den Rechtsgrund der Haftung. Lediglich für
den Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens aus § 15 Abs. 2 AGG
ordnet § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG eine Ausnahme an. Danach darf die
Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht
übersteigen, wenn der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht
eingestellt worden wäre. Diese Regelung kann nicht auf den Fall des
Ersatzes von Vermögensschäden nach § 15 Abs. 1 AGG übertragen werden kann
(BAG, NZA 2010,1412 Rn. 75 ff.; Schlachter in Erfurter Kommentar
Arbeitsrecht, 12. Aufl., AGG § 15 Rn. 3; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 1002;
Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641, 645; MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rn. 269 aE;
Linck in Schaub, Handbuch des Arbeitsrechts, 14. Aufl., § 36 Rn. 83; Raif,
GWR 2010, 537). Ein immaterieller Schaden kann schon dann eintreten, wenn
der Bewerber in diskriminierender Weise behandelt worden ist, auch wenn
diese Behandlung für die Ablehnung seiner Bewerbung nicht ursächlich
geworden ist. Das ist bei einem Vermögensschaden in Form entgangener
Erwerbsvorteile anders.
64 Dem Anspruchsteller kommt im Rahmen des § 15 Abs. 1 AGG aber eine
Beweiserleichterung zugute, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche
Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für eine Einstellung bei regelgerechtem
Vorgehen der Anstellungskörperschaft besteht. Insoweit gelten die
Grundsätze entsprechend, die der Bundesgerichtshof in Fällen der
Nichtberücksichtigung eines Stellenbewerbers infolge einer
Amtspflichtverletzung einer Behörde aufgestellt hat. Danach kann -
sofern dafür nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder
Wahrscheinlichkeit besteht - der Körperschaft der Nachweis überlassen
werden, dass der Schaden nicht auf die Amtspflichtverletzung zurückzuführen
ist (BGH, Urteil vom 6. April 1995 - III ZR 183/94, BGHZ 129, 226,
233).
65 Ein der Lebenserfahrung entsprechender Sachverhalt mag den Ausführungen
des Berufungsgerichts entnommen werden können, wonach der Kläger bis auf
einige eher wenig gravierende - hinsichtlich ihrer Berechtigung nicht
überprüfte - Kritikpunkte kompetent sei, zu dem wirtschaftlichen Erfolg der
Beklagten beigetragen habe und - im Gegensatz zu seinem Mitbewerber - mit
den Geschäften der Beklagten bereits vertraut gewesen sei. Das
Berufungsgericht hat aber jedenfalls den Gegenvortrag der Beklagten nicht
erschöpfend gewürdigt. Der bloße Hinweis darauf, dass die Beklagte ihren
Entscheidungsprozess nicht transparent gemacht habe, reicht dafür nicht aus.
Immerhin hat das Berufungsgericht an anderer Stelle seines Urteils
ausgeführt, der Kläger sei nicht nur wegen seines Alters, sondern auch wegen
fachlicher Kritikpunkte nicht wieder beschäftigt worden.
66 Das Berufungsgericht hat in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung
Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zur Ursächlichkeit des
regelwidrigen Verhaltens der Beklagten für die Nichtwiederanstellung und die
Nichtwiederbestellung des Klägers zu treffen.
67 2. Der Antrag auf Verurteilung der Beklagten zum angemessenen
Ersatz des immateriellen Schadens des Klägers, mindestens in Höhe von
110.000 €, ist dem Grunde nach begründet, wie sich aus den vorstehenden
Ausführungen ergibt (II. 1. a - d, f, Rn. 16 - 57, 59). Auf der
Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Berufungsgericht dem
Antrag aber nicht nur in Höhe von 36.600 € stattgeben.
68 a) Nach § 15 Abs. 2 AGG ist auch der immaterielle Schaden
angemessen zu ersetzen. Dabei hat der Tatrichter ein weites Ermessen. Die
Entscheidung kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob die
Rechtsnorm zutreffend ausgelegt, ein Ermessen ausgeübt, die Ermessensgrenze
nicht überschritten und das Vorbringen der Parteien umfassend und ohne
Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze berücksichtigt worden ist.
Gemessen daran ist die Bestimmung des Entschädigungsbetrags durch das
Berufungsgericht nicht frei von Rechtsfehlern.
69 aa) Soweit sich die Revision des Klägers allerdings gegen die Annahme des
Berufungsgerichts wendet, die Altersdiskriminierung des Klägers wiege nicht
besonders schwer, er sei nicht wegen einer angeblichen Minderung seiner
Leistungsfähigkeit, sondern wegen der pauschalen Anwendung einer
Altersgrenze benachteiligt worden und als Geschäftsführer habe er ohnehin
damit rechnen müssen, nach Ablauf seiner Amtszeit nicht mehr erneut bestellt
zu werden, versucht sie nur, ihre eigene Wertung an die Stelle derer des
Berufungsgerichts zu setzen. Rechtsfehler werden damit nicht aufgezeigt.
70 Das Gleiche gilt hinsichtlich der Würdigung des Berufungsgerichts, das
Verschulden des Aufsichtsrats wiege nicht schwer und deshalb sei auch unter
Berücksichtigung des Sanktions- und Präventionszwecks des § 15 Abs. 2 AGG
eine eher niedrige Entschädigung angemessen. Die Revision des Klägers weist
zwar zu Recht darauf hin, dass der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG kein
Verschulden voraussetzt (vgl. BAG, NZA 2010, 1412 Rn. 64). Dennoch sind bei
der Bemessung der Entschädigung das Vorliegen und die Schwere eines etwaigen
Verschuldens zu berücksichtigen (Deinert in Däubler/Bertzbach, AGG, 2.
Aufl., § 15 Rn. 72).
71 Entgegen der Auffassung der Revision des Klägers ist die zugesprochene
Entschädigung von 36.600 € nicht nur so gering, dass sie nicht wirksam,
verhältnismäßig und abschreckend im Sinne des Art. 17 der Richtlinie
2000/78/EG ist. Es lässt sich aus Rechtsgründen nicht sagen, dass für ein
Unternehmen wie die Beklagte mit einem Jahresumsatz im Jahr 2008 in Höhe von
229 Mio. € und einem Jahresüberschuss in Höhe von 8,5 Mio. € der
Entschädigungsbetrag von 36.600 € keinerlei Sanktions- und
Präventionswirkung haben könnte. Unter diesem Gesichtspunkt liegt die
Bemessung noch im Rahmen des dem Tatrichter eingeräumten Ermessens.
72 Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Revision des Klägers, die
Entschädigung sei noch unterhalb der Grenze des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG
geblieben. Damit will die Revision offenbar sagen, dass für den
bestqualifizierten Bewerber die Entschädigung von drei Monatsgehältern - wie
sie in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG für andere Bewerber höchstens vorgesehen ist -
die Untergrenze darstelle. Das ist unzutreffend. Es ist kein Grund
ersichtlich, warum die Entschädigung für den Bestqualifizierten nicht im
Einzelfall auch geringer als drei Monatsgehälter sein kann.
73 bb) Rechtsfehlerhaft ist aber die Erwägung des Berufungsgerichts, die
Entschädigung von Nichtvermögensschäden nach § 15 Abs. 2 AGG könne niedriger
ausfallen, wenn - wie hier - zugleich der Ersatz materieller Schäden nach §
15 Abs. 1 AGG geltend gemacht werde. Das Gesetz geht davon aus, dass beide
Schäden parallel geltend gemacht werden können. Dann kann daraus aber keine
Kürzung der Entschädigung für den Nichtvermögensschaden hergeleitet werden.
74 cc) Nicht frei von Rechtsfehlern ist auch die Annahme des
Berufungsgerichts, die Entschädigung müsse niedriger ausfallen, weil die
Beklagte die Wiedereinstellung des Klägers nicht nur wegen seines Alters,
sondern aufgrund eines Motivbündels abgelehnt habe - u.a. wegen schlechter
Leistungen -, und der Aufsichtsrat in der Lage gewesen wäre, auch eine
nichtdiskriminierende Begründung für seine Entscheidung zu finden. Insoweit
fehlen Feststellungen, dass die Leistung des Klägers tatsächlich Mängel
aufgewiesen hat. Ohne solche Feststellungen bleibt die Möglichkeit offen,
dass die angeblichen Unmutsäußerungen einzelner Aufsichtsratsmitglieder in
der Sache nicht gerechtfertigt waren. Die bloße Möglichkeit eines
nichtdiskriminierenden Motivs innerhalb eines Motivbündels ohne greifbare
Anhaltspunkte kann auf die Höhe der Entschädigung keinen Einfluss haben.
75 b) Damit ist die Sache auch hinsichtlich des abgewiesenen Teils des
Zahlungsantrags an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die
Abwägung zur Höhe des Entschädigungsanspruchs unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats vorgenommen werden kann.
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