Fehlerhafte Gesellschaft
und Widerruf nach § 1 I Nr. 1 HWiG (= § 312 I S. 1 Nr. 1 BGB n.F.)
BGH, Beschluss vom 12. Juli
2010 - II ZR 269/07
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
a) Die Richtlinie 85/577/EWG des
Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von
außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist auf den Beitritt
zu einem geschlossenen Immobilienfonds anwendbar, wenn der Zweck des
Beitritts nicht vorrangig darin besteht, Mitglied dieser Gesellschaft zu
werden, sondern Kapital anzulegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Fonds
in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer OHG bzw.
KG errichtet ist (acte claire).
b) Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, die entsprechend den
allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts einen vernünftigen Ausgleich und
eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sichern
soll, ist mit der Richtlinie 85/577/EWG vereinbar und bleibt anwendbar. Art.
5 Abs. 2 der Richtlinie schließt damit auch nicht aus, den widerrufenden
Verbraucher auf seine Haftsumme nach § 171 Abs. 1 HGB in Anspruch zu nehmen.
Zentrale Probleme:
Es geht um die Frage, ob ein Widerruf eines
Gesellschaftsbeitritts nach § 312 I Nr. 1 BGB (Haustürgeschäft) die Lehre
von der "fehlerhaften Gesellschaft" verdrängt. Danach wirken Mängel bei der
Gründung, aber auch beim Beitritt zu einer Gesellschaft nur ex nunc, wenn
die Gesellschaft in Vollzug gesetzt wurde (s. z.B.
BGH
NJW 1992, 1501); s. dazu bereits
BGH NJW
2001, 2718. Nachdem der EuGH die Frage entschieden hat (Urteil
vom 15. April 2010, C-215/08), weist der BGH hier in einem Beschluß die
Parteien auf seine Rechtsansicht hin. Die Entscheidung stellt die Lehre von
der fehlerhaften Gesellschaft sehr klar dar. S. auch BGH NJW 2010, 3096.
©sl 2010
Gründe:
1 I. Die Rechtsfrage, deretwegen das Berufungsgericht die
Revision zugelassen hat und zu der sich die Revisionsbegründung verhält, ist
durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 15.
April 2010 (C-215/08, ZIP 2010, 772 ff.) geklärt und hat damit keine
grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO mehr.
2 1. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte in einer von § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG
(jetzt: § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB) vorausgesetzten Situation beigetreten
ist. Selbst wenn sie ihre Gesellschaftsbeteiligung widerrufen konnte,
richten sich die Rechtsfolgen nach den Grundsätzen über die fehlerhafte
Gesellschaft und wird die Beteiligung nur ex nunc rückabgewickelt.
3 a) Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat auf die
Vorlagefragen des erkennenden Senats ausgeführt, dass die Richtlinie
85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz
im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zwar auf
den Beitritt zu einem geschlossenen Immobilienfonds in der Form einer
Personengesellschaft anwendbar ist, wenn der Zweck des Beitritts nicht
vorrangig darin besteht, Mitglied dieser Gesellschaft zu werden, sondern
Kapital anzulegen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Fonds in der Form
einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer OHG bzw. KG errichtet ist
(acte claire). Der Gerichtshof stellt auf die Erklärung des Beitritts zum
Zweck der Kapitalanlage ab; nach seiner Auffassung kommt es für die Frage
der Anwendbarkeit der Richtlinie in erster Linie auf die Umstände des
Vertragsschlusses und nicht auf die Rechtsform der Anlagegesellschaft an.
4 Die Richtlinie schließt es nach Ansicht des Gerichtshofs in diesen
Fällen aber keineswegs aus, dass der Verbraucher gegebenenfalls gewisse
Folgen tragen muss, die sich aus der Ausübung seines Widerrufsrechts ergeben
(ZIP 2010, 772 Tz. 45). Wie der Gerichtshof ausdrücklich festgestellt
hat, darf das nationale Recht bei der Regelung der Rechtsfolgen des
Widerrufs einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung
zwischen den einzelnen Beteiligten herstellen (aaO Tz. 48). Es ist
insbesondere zulässig, dem widerrufenden Verbraucher und nicht den
Drittgläubigern die finanziellen Folgen des Widerrufs des Beitritts
aufzuerlegen, zumal diese an dem Vertrag, der widerrufen wird, nicht
beteiligt waren (aaO Tz. 49).
5 b) Die Ausführungen des Gerichtshofs zur Vereinbarkeit der Lehre von der
fehlerhaften Gesellschaft mit Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie gelten wegen der
identischen Interessenlage bei einer Personenhandelsgesellschaft ebenso wie
bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Entgegen der Auffassung der
Revision schließt Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie damit auch nicht aus, die
widerrufenden Verbraucher auf ihre Haftsumme gem. § 171 Abs. 1 HGB in
Anspruch zu nehmen.
6 Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft trägt der Besonderheit des
Gesellschaftsrechts Rechnung, dass - nachdem die Organisationseinheit erst
einmal, wenn auch auf fehlerhafter Grundlage in Vollzug gesetzt worden ist
-die Ergebnisse dieses Vorgangs, der regelmäßig mit dem Entstehen von
Verbindlichkeiten verbunden ist, nicht ohne weiteres rückgängig gemacht
werden können. Diese Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, der der
fehlerhafte Gesellschaftsbeitritt gleichsteht (BGHZ 26, 330, 334 ff.;
BGHZ 153, 214, 221; BGH,
Urteil vom 14. Oktober 1991 - II ZR 212/90, WM 1992, 490, 491;
vom 2. Juli 2001 - II ZR
304/00, ZIP 2001, 1364, 1366), gehört zum
"gesicherten Bestandteil des Gesellschaftsrechts" (BGHZ 55, 5, 8). Die
gegenläufigen Interessen des Beitretenden, der Mitgesellschafter und der
Gläubiger der Gesellschaft werden gleichmäßig berücksichtigt. Darin liegt
die Eigenheit der gesellschaftsrechtlichen Konstellation. Der Kern der
Aussagen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft bzw. von dem
fehlerhaften Betritt besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats,
der die Literatur einmütig folgt, darin, dass der Beitretende - bis zum
Austritt infolge der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit durch
Widerruf/Kündigung - Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten ist, und
zwar sowohl im Innen- (siehe bereits BGHZ 26, 330, 334) als auch im
Außenverhältnis (so zu §§ 128 ff. HGB: BGHZ 44, 235, 236; BGH, Urteil
vom 12. Oktober 1983 - II ZR 251/86, ZIP 1988, 512, 513; BGHZ 177, 108 Tz.
22; siehe zur Literatur nur Staub/Habersack, HGB 5. Aufl., § 130 Rn. 7 mwN).
Ist der fehlerhaft Beigetretene bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens
Kommanditist mit allen Rechten und Pflichten, ist er das auch in Bezug auf
seine Außenhaftung nach § 171 HGB.
7 2. Sonstige Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht.
8 II. Die Revision hat auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
9 1. Dass die Haftsumme zur Befriedigung der Gläubiger der insolventen
Fondsgesellschaft benötigt wird, steht nach den nicht angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts fest.
10 2. Die Revision meint zu Unrecht, der Anspruch aus § 171 HGB müsse im
Rahmen der Auseinandersetzungsrechnung berücksichtigt werden und könne
deshalb nicht isoliert geltend gemacht werden (sog. Durchsetzungssperre).
Sie verkennt, dass § 171 Abs. 1 HGB allein das Außenverhältnis zwischen dem
Kommanditisten und den Gesellschaftsgläubigern betrifft und in diesem
Verhältnis eine unmittelbare Haftung des Kommanditisten begründet. Nur wegen
der Insolvenz des Fonds liegt die Forderungszuständigkeit gem. § 171 Abs. 2
HGB bei der klagenden Insolvenzverwalterin, die aber der Sache nach einen
Anspruch der Gesellschaftsgläubiger durchsetzt. Rechnungsposten bei der
Auseinandersetzung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft sind aber nur
gegenseitige Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis.
11 3. Das Berufungsgericht hat ebenso zu Recht angenommen, dass die
Erklärung der Aufrechnung mit einem etwaigen Schadensersatzanspruch der
Beklagten wegen einer Aufklärungspflichtverletzung unzulässig ist (§§ 529,
533 Nr. 2 ZPO). |