Internationales
Sachenrecht; Übereignung nach § 929 S. 1 BGB durch Verschaffung mittelbaren
Besitzes (Begriff der "Übergabe")
BGH, Urteil vom 22. Februar
2010 - II ZR 286/07
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Die Übergabe nach § 929 Satz 1 BGB
durch Aufgabe des mittelbaren Besitzes des Veräußerers und Begründung des
mittelbaren Besitzes des Erwerbers setzt voraus, dass der Veräußerer den
mittelbaren Besitz vollständig verliert und der Erwerber in einer
Besitzkette seinen mittelbaren Besitz anhand konkreter
Besitzmittlungsverhältnisse auf den unmittelbaren Besitzer zurückführen
kann. Solche konkreten Besitzmittlungsverhältnisse sind auch dann
internationalprivatrechtlich gesondert anzuknüpfen, wenn sich das Sachstatut
für die Übereignung nach dem Recht des Lageortes richtet.
Zentrale Probleme:
Eine lehrreiche Entscheidung sowohl für das nationale als
auch das internationale Sachenrecht. Im Kern geht es um eine Übereignung
nach § 929 BGB, bei welcher die danach erforderliche Übergabe durch die
Verschaffung mittelbaren Besitzes ersetzt werden kann, sofern kein
mittelbarer Besitz beim Veräußerer zurückbleibt: Dieser muß für eine
Übereignung nach § 929 BGB jeglichen Besitz verlieren. Hierzu mußte wegen
der internationalen Komponente zunächst das anwendbare Recht festgestellt
werden.
©sl 2010
Tatbestand:
1 Die Klägerin versorgt Teile des Staates Texas/USA mit
elektrischer Energie und betreibt zu diesem Zweck ein Kernkraftwerk. Die
Beklagte zu 1, ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen brasilianischen
Rechts, hat die Aufgabe, Kernbrennstoffe für Kernreaktoren in Brasilien zu
beschaffen. Die Klägerin und die Beklagte zu 1 streiten im Rahmen einer
Hauptintervention der Klägerin um die Rechte an 11 Zylindern mit
angereichertem Uran 235. Das Uran war in den achtziger Jahren im Auftrag der
Beklagten zu 1 von der U. Ltd.
(künftig: U. ) in Großbritannien angereichert worden. Anschließend lagerte
die Beklagte zu 1 die Zylinder in dem von der Beklagten zu 2 in H.
unterhaltenen Lager für Kernbrennstoffe ein.
2 Am 7. März 1994 schloss die Beklagte zu 1 mit der N. E. AG (künftig: NEAG),
einer Aktiengesellschaft Schweizer Rechts, u.a. über die bei der Beklagten
zu 2 gelagerten Zylinder einen Sachdarlehensvertrag, den die
Vertragsparteien brasilianischem Recht unterstellten. Nach Art. 2 des
Vertrags waren die Zylinder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen ab
Unterzeichnung vom Darlehensgeber, der Beklagten zu 1, in der
Verarbeitungsanlage der Beklagten zu 2 an den Darlehensnehmer, die NEAG, zu
liefern; das Eigentum sollte bei Lieferung entsprechend Art. 2 des Vertrages
vom Darlehensgeber auf den Darlehensnehmer übergehen.
3 Mit Schreiben vom 18. April 1994 erteilte das Vorstandsmitglied der
Beklagten zu 1 Si. der Beklagten zu 2 folgende die 11 Zylinder betreffende
Anweisung:
"bitte übertragen Sie das oben genannte Material zum 25.4.1994 auf das
Materialkonto der S. P. C. (SPC) [einer Tochter der Beklagten zu 2] bei ...
[der Beklagten zu 2]. ...
Wir bitten Sie, der SPC zu bestätigen, dass die ... Zylinder mit
angereichertem UF 6 für die SPC gehalten werden und jederzeit an einen
anderen Ort verlagert werden können. Die SPC ist darüber informiert, dass
die ... Zylinder Eigentum der . [Beklagten zu 1] sind. . "
4 Die Beklagte zu 2 schrieb der SPC - nachrichtlich der Beklagten zu 1 -am
20. April 1994:
". gemäß Anweisung unseres Geschäftspartners . [der Beklagten zu 1]
übertragen wir zum 29. April 1994 das folgende angereicherte Kernmaterial
auf das Materialkonto der S. P. C. :
... Die ... Zylinder sind Eigentum der ... [Beklagten zu 1]." 5 Herr Si.
schrieb der SPC am 29. April 1994:
"Die ... [Beklagte zu 1] hat die ... [Beklagte zu 2] angewiesen, zum
25.4.1994 ... [u.a. das in den 11 Zylindern befindliche Material] auf das
Konto der SPC zu übertragen. Wir bitten Sie, nachdem SPC die Bestätigung
dieser Übertragung durch . [die Beklagte zu 2] erhalten hat, das betreffende
Material dem Materialkonto der N. T. C. bei der SPC gutzuschreiben."
6 Bei der in diesem Schreiben erwähnten N. T. C. (künftig: NTC) handelte es
sich um eine Gesellschaft mit Sitz in C. /USA, die als rechtsgeschäftliche
Vertreterin der NEAG auftrat.
7 Die SPC teilte der NTC mit Schreiben vom 3. Mai 1994 mit:
"... am 29.4.1994 erhielt die SPC die Bestätigung dass ... [u.a. das in den
11 Zylindern enthaltene Material] auf das Materialkonto der SPC übertragen
wurde, sowie die Anweisungen der . [Beklagten zu 1], [das Kernmaterial] auf
dem Materialkonto der NTC bei der SPC gutzuschreiben."
8 Am 12. September 1994 sah sich Herr Si. zu folgender Mitteilung an die
Beklagte zu 2 veranlasst:
". im April 1994 übertrug die . [Beklagte zu 1] das im Betreff genannte
Material auf das Materialkonto der SPC. Wir sind darüber informiert, dass
Unklarheit bezüglich des Status des Materials besteht, das bis heute noch
nicht übertragen oder bewegt wurde. Um die Position der . [Beklagten zu 1]
klarzustellen, ist festzustellen, dass die N. AG Eigentümerin des auf
Materialkonto der SPC geführten angereicherten Urans ist, so dass wir Sie
auffordern, voll mit der SPC und/oder N. oder ihrem Vertreter .
zusammenzuarbeiten. ."
9 Die NTC ihrerseits hatte von der Klägerin im Wege eines Sachdarlehens
besonderes spaltbares Material erhalten. Zur Erfüllung ihrer
Rücklieferungspflicht aus diesem Vertrag wies die NTC mit Schreiben vom 11.
November 1994 die SPC an, die 11 Zylinder auf das bei der SPC für die
Klägerin geführte Materialkonto zu übertragen. Die SPC bestätigte der
Klägerin mit Schreiben vom 14. November 1994, dass sie die genannten 11
Zylinder im Materialkonto der Klägerin halte.
10 Die NTC fiel im Februar 1995 in Konkurs; über das Vermögen der NEAG wurde
im April 1996 das Konkursverfahren eröffnet. In beiden Konkursverfahren
werden die Zylinder nicht zur Konkursmasse beansprucht. Die Beklagte zu 1
erklärte im März 1995 die Anfechtung der Erklärungen von Herrn Si.
11 Die Parteien streiten im Rahmen einer von der Klägerin angestrengten
Hauptintervention nicht nur um das Eigentumsrecht an den Zylindern; sie sind
auch unterschiedlicher Auffassung darüber, ob die geschilderten
Transaktionen dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft
(künftig: EAG-Vertrag) widersprechen. Ferner streiten die Parteien darüber,
ob die Übereignung der Zylinder von der Beklagten zu 1 an die NEAG wirksam
war, obwohl die Übergabe an die NEAG abweichend vom Darlehensvertrag
gestaltet wurde, ob sich die Beklagte zu 1 die entsprechenden Anweisungen
von Herrn Si. nach brasilianischen Rechtsscheingrundsätzen zurechnen lassen
muss und ob diese Anweisungen ohne vorherige schriftliche Änderung des
Vertrags gültig waren, ob die Beklagte zu 1 ihr zuzurechnende
Willenserklärungen wirksam angefochten hat und ob die Übereignung der
Zylinder von der Beklagten zu 1 an die NEAG wegen einer Fernwirkung
US-amerikanischer Importregelungen für Kernbrennstoffe nichtig war.
12 Das Landgericht hat dem Antrag der Klägerin entsprechend festgestellt,
der Beklagten zu 1 stehe gegen die Beklagte zu 2 kein Anspruch auf Heraus
gabe der Zylinder zu, und hat die Beklagte zu 2 zur Herausgabe der Zylinder
an die Klägerin verurteilt. Die Klägerin hat diese Entscheidung Ende 2000
vollstreckt und die Zylinder aus der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt.
Die Beklagte zu 1 hat für sich und als Streithelferin für die Beklagte zu 2
Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat dem Gerichtshof der
Europäischen Union verschiedene, die Auslegung des EAG-Vertrages betreffende
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die der Gerichtshof mit Urteil vom
12. September 2006 unter der bis dahin unstreitigen Prämisse, der Austausch
von Uran zwischen der Beklagten zu 1 und der U. sei für die Gemeinschaft
versorgungsbilanzneutral gewesen, dahin entschieden hat, die Kapitel 6 und 8
des Titels II des EAG-Vertrages seien nicht anwendbar. Die Beklagte zu 1 hat
nunmehr die neue Behauptung aufgestellt, Teile des von der U. angereicherten
Materials stammten aus P. Die Lieferung dieses Materials an sie sei nach dem
EAG-Vertrag nicht versorgungsbilanzneutral gewesen, weil sie der U. vorab
nicht in ausreichender Menge Anreicherungsmaterial zur Verfügung gestellt
habe. Das Berufungsgericht hat die Richtigkeit dieses Vortrags als für die
Anwendung des EAG-Vertrages unerheblich dahinstehen lassen und - nach dem
Tenor des Berufungsurteils - die "Berufung der Beklagten zu 1"
zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Beklagte zu 1 - zugleich als
Streithelferin der Beklagten zu 2 - mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe:
13 Die Revision der Beklagten zu 1, auch in ihrer Eigenschaft als
Streithelferin der Beklagten zu 2, hat Erfolg und führt unter Aufhebung des
angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
14 I. Das Berufungsgericht (OLGR Oldenburg 2008, 591 [Leitsatz]) hat im
Wesentlichen ausgeführt:
15 Die Hauptintervention sei zulässig und begründet. Die Klägerin sei nach
deutschem Sachrecht, das nach dem Grundsatz der lex rei sitae auf die in der
Bundesrepublik Deutschland gelagerten Zylinder Anwendung finde, 1994
Eigentümerin geworden. Die Beklagte zu 1, der das Eigentum nach dem
Anreicherungsvertrag mit der U. zunächst zugestanden habe, habe sich in dem
Sachdarlehensvertrag vom 7. März 1994 mit der NEAG über den Übergang des
Eigentums geeinigt. Die Übergabe sei dadurch geschehen, dass die Beklagte zu
1 ihren mittelbaren Besitz aufgegeben habe, indem sie die Beklagte zu 2
angewiesen habe, künftig nur noch für die SPC zu besitzen, und die SPC
angewiesen habe, nicht mehr ihr, sondern der NTC und über diese vermittelt
der NEAG Besitz zu mitteln, und indem beide die ihnen erteilten Weisungen
befolgt hätten. Die darauf zielenden Erklärungen des Herrn Si. müsse sich
die Beklagte zu 1 gegenüber der NEAG nach den Grundsätzen der
brasilianischen Rechtsscheinlehre zurechnen lassen. Eine Anfechtung dieser
Erklärung sei ins Leere gegangen, weil die Beklagte zu 1 über die
wirtschaftliche Lage der NEAG nicht arglistig getäuscht worden sei. Die NTC
habe die Zylinder im November 1994 im eigenen Namen an die Klägerin
übereignet. Die Übergabe habe sie durch die von der SPC ausgeführte Weisung
vollzogen, das Besitzmittlungsverhältnis zu ihr zu beenden und ein neues
Besitzmittlungsverhältnis zur Klägerin zu begründen. Ob sie dies mit
Zustimmung der NEAG getan habe, könne dahinstehen, da die Klägerin
gutgläubig Eigentum der NTC angenommen habe. Die Übereignung an die Klägerin
sei nicht wegen eines Verstoßes gegen - den Import von Uran regelnde -
Rechtsvorschriften des US-amerikanischen Rechts sittenwidrig und nichtig.
Bestimmungen des EAG-Vertrages spielten für die Beziehungen der Parteien
zueinander keine Rolle, weil die Geschäfte auch nach Maßgabe des neuen
Vortrags der Beklagten zu 1 für die Gemeinschaft versorgungsbilanzneutral
gewesen seien. Im Übrigen begründe der EAG-Vertrag kein zivilrechtliches
Eigentum der Gemeinschaft.
16 II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
17 A. In der Revisionsinstanz sind - auf die Revision der Beklagten zu 1 für
sie selbst und als Streithelferin für die Beklagte zu 2 - sowohl der gegen
die Beklagte zu 1 gerichtete Feststellungsantrag als auch der gegen die
Beklagte zu 2 gerichtete Leistungsantrag angefallen. Das Berufungsgericht
hat sowohl über die eigene Berufung der Beklagten zu 1 als auch über ihre
Berufung als Streithelferin der Beklagten zu 2 entschieden. Dies ergeben
Tatbestand und Entscheidungsgründe des Berufungsurteils, die zur Auslegung
des Tenors heranzuziehen sind (BGHZ 159, 66, 69; 142, 388, 391), und in
denen sich das Berufungsgericht mit beiden Anträgen befasst hat. Die
Rechtshängigkeit des Leistungsantrags ist daher nicht, wie dies im Falle
eines Übergehens des für die Beklagte zu 2 gestellten Berufungsantrags der
Fall gewesen wäre, nach Ablauf der Frist des § 321 Abs. 2 ZPO entfallen
(dazu BGH, Beschl. v. 9. November 2006 - VII ZR 176/05, BauR 2007, 431, 432;
Urt. v. 16. Februar 2005 - VIII ZR 133/04, BGH-Report 2005, 872, 873 f.).
18 B. Das Berufungsurteil kann aber keinen Bestand haben, weil sich mit der
vom Berufungsgericht gegebenen Begründung weder ein Herausgabeanspruch der
Beklagten zu 1 gegen die Beklagte zu 2 verneinen noch die Annahme
rechtfertigen lässt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte zu 2 ein Anspruch
auf Herausgabe der Zylinder zu.
19 1. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der bisher getroffenen
Feststellungen zu Unrecht angenommen, die Klägerin sei Eigentümerin der
Zylinder geworden und könne deshalb von der Beklagten zu 2 nach § 985 BGB
Herausgabe der Zylinder verlangen.
20 a) Noch zutreffend hat das Berufungsgericht die Übereignung der damals in
der Bundesrepublik Deutschland gelagerten Zylinder nach deutschem Sachrecht
beurteilt. Die Frage, welches Recht auf einen Sachverhalt mit
Auslandsbezug anwendbar ist, entscheiden die deutschen Gerichte nach
deutschem internationalem Privatrecht. Danach galt auch schon vor Einführung
des Artikels 43 EGBGB für alle sachenrechtlichen Tatbestände, insbesondere
für die Voraussetzungen einer Übereignung, nach gewohnheitsrechtlichen
Grundsätzen zwingend die lex rei sitae, also das Recht des Lageortes der
Sache (BGHZ 100, 321, 324; 39, 173, 174; BGH, Urt. v. 25. September 1996
- VIII ZR 76/95, ZIP 1997, 275, 277; v. 9. Mai 1996 - IX ZR 244/95, ZIP
1996, 1181, 1182; v. 28. September 1994 - IV ZR 95/93, WM 1994, 2124, 2126;
v. 30. Januar 1980 - VIII ZR 197/78, WM 1980, 410, 411).
21 Der Anwendung deutschen Sachrechts steht nicht entgegen, dass sich die
Zylinder zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in zweiter
Instanz aufgrund der von der Klägerin betriebenen Zwangsvollstreckung nicht
mehr in der Bundesrepublik Deutschland befanden. Zwar hat die Anknüpfung
des Sachstatuts an den Lageort der Sache grundsätzlich zur Konsequenz, dass
durch das bloße Verbringen der Sache in ein anderes Staatsgebiet für das
Rechtswirkungsstatut (nicht für das Rechtsbestandsstatut) ein
Statutenwechsel eintritt, ohne dass es grundsätzlich darauf ankommt,
aufgrund welcher Umstände der Lageort verändert wurde, Artikel 43 Abs. 2
EGBGB (MünchKommBGB/Wendehorst, 4. Aufl. Artikel 43 EGBGB Rdn. 125 f.).
Anderes gilt aber, wenn trotz des Ortswechsels von einer fortbestehenden
wesentlich engeren Verbindung zum Recht des ursprünglichen Lageorts
auszugehen ist, Artikel 46 EGBGB. Das ist hier mit der Folge der Anwendung
deutschen Rechts der Fall, weil der Ortswechsel innerhalb des anhängigen
Rechtsstreits gerade aufgrund eines in erster Instanz nach deutschem
Sachstatut bejahten Vindikationsanspruchs und eines unter Anwendung
deutschen Sachrechts erlangten vorläufig vollstreckbaren Titels bewirkt
wurde.
22 b) Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, die
Beklagte zu 1 habe der NEAG im April 1994 Eigentum an den
streitgegenständlichen Zylindern verschafft. Ungeachtet der Frage, ob die
Beklagte zu 1 zu diesem Zeitpunkt selbst Eigentümerin war und ungeachtet der
Einwände der Revision gegen das Zustandekommen und die Rechtsbeständigkeit
der dinglichen Einigung mangelt es auf der Grundlage der bisherigen
Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls an der erforderlichen
Übergabe als zweitem Element einer Eigentumsübertragung an die NEAG.
23 aa) Die Beklagte zu 1 war im April 1994 mittelbare Besitzerin der
Zylinder. Für sie übte die Beklagte zu 2 den unmittelbaren Besitz aus. Da
nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein Übergabesurrogat in Form
der Abtretung des Herausgabeanspruchs (§ 931 BGB) ausscheidet, die Beklagte
zu 2 aber weiterhin unmittelbare Besitzerin der Zylinder blieb, konnte es zu
einer Übergabe des Besitzes an die NEAG nach § 929 Satz 1, § 868 BGB nur
kommen, wenn die Beklagte zu 1 jeden mittelbaren Besitz verlor (BGHZ 92,
280, 288; BGH, Urt. v. 8. Juni 1989 - IX ZR 234/87, WM 1989, 1393, 1395; v.
17. Mai 1971 - VIII ZR 15/70, WM 1971, 742, 743; v. 14. Juli 1960 - VIII ZR
174/59, WM 1960, 1035, 1038; v. 21. April 1959 - VIII ZR 148/58, WM 1959,
813, 815; RGZ 137, 23, 25; Soergel/Henssler, BGB 13. Aufl. § 929 Rdn. 55 und
59; Tiedtke, WM 1978, 446, 447 ff.).
24 Einen Verlust des mittelbaren Besitzes durch einverständliche Aufhebung
des Lagervertrages hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Seine
Annahme, die Beklagte zu 1 habe ihren mittelbaren Besitz vollständig dadurch
verloren, dass die Beklagte zu 2 ihren Besitzmittlungswillen änderte und ab
dem 29. April 1994 nicht mehr für die Beklagte zu 1, sondern für die SPC
besitzen wollte, hält den Angriffen der Revision nicht stand.
25 Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Beklagte zu 2 habe nach
April 1994 nicht mehr für die Beklagte zu 1 besitzen wollen, auf das
Schreiben vom 20. April 1994 gestützt. Es ist bereits zweifelhaft, ob der
Wortlaut dieses Schreibens den Schluss auf eine Änderung des
Besitzmittlungswillens der Beklagten zu 2 zulässt. Denn die Beklagte zu 2
bestätigt in diesem Schreiben zwar die Verbuchung der Zylinder auf dem
Materialkonto der SPC, also die Begründung eines
Besitzmittlungsverhältnisses zu dieser Tochtergesellschaft. Das
Besitzmittlungsverhältnis zur Beklagten zu 1 war damit aber nicht ohne
Weiteres beendet, weil die Beklagte zu 2, ohne eine Änderung ihres
Vertragsverhältnisses zur Beklagten zu 1 zu erwähnen, gleichzeitig darauf
hingewiesen hat, die Beklagte zu 1 sei Eigentümerin der Zylinder.
26 Jedenfalls aber hätte das Berufungsgericht bei der Ermittlung der
Besitzverhältnisse ab dem 29. April 1994 den Vortrag der Beklagten zu 1
nicht unberücksichtigt lassen dürfen, das Fortbestehen des
Besitzmittlungswillens der Beklagten zu 2 zugunsten der Beklagten zu 1 sei
daraus ersichtlich, dass die Beklagte zu 2 die Zylinder auch nach April 1994
für die Beklagte zu 1 verbucht und ihr die Kosten der Verwahrung in Rechnung
gestellt habe. Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht ebenso wenig
sachgerecht gewürdigt wie das Schreiben von Herrn Si. vom 12. September 1994
an die Beklagte zu 2, in dem die fehlende Übertragung des Materials
ausdrücklich beanstandet und deutlich gemacht wird, dass es Unklarheiten
über die Eigentumsverhältnisse gebe.
27 Diese von der Beklagten zu 1 gegen eine Änderung des
Besitzmittlungswillens der Beklagten zu 2 vorgetragenen Indizien konnte das
Berufungsgericht nicht deshalb unbeachtet lassen, weil sie sich im
Wesentlichen auf Umstände nach Abgabe der Erklärung am 20. April 1994
bezogen. Zwar sind bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen
nur solche Umstände zu berücksichtigen, die dem Empfänger bei Zugang der
Willenserklärung erkennbar sind (BGH, Urt. v. 24. Juni 1988 - V ZR 49/87, WM
1988, 1599, 1600 f.). Das schließt es aber, überträgt man diese Grundsätze
auf die nach außen verlautbarte Änderung des Besitzmittlungswillens, nicht
aus, aus späteren Vorgängen Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen und
das tatsächliche Verständnis der Beteiligten zu ziehen (Sen.Urt. v. 16. März
2009 - II ZR 68/08, ZIP 2009, 880 Tz. 16; BGH, Urt. v. 26. November 1997 -
XII ZR 308/95, NJW-RR 1998, 801, 803; v. 16. Oktober 1997 - IX ZR 164/96,
ZIP 1998, 106, 107; v. 24. Juni 1988 aaO).
28 bb) Die Rüge der Beklagten zu 1 als Streithelferin der Beklagten zu 2,
das Berufungsgericht habe im Zusammenhang mit der von ihm angenommenen
Übereignung an die NEAG unzureichend aufgeklärt, für wen die Beklagte zu 2
nach April 1994 Besitz gemittelt habe, ist in dem - den Herausgabeanspruch
betreffenden - Prozessrechtsverhältnis der Klägerin zu der Beklagten zu 2
trotz des von dem nicht postulationsfähigen Rechtsanwalt der Beklagten zu 2
vor Schluss der mündlichen Verhandlung beim Senat eingereichten
Schriftsatzes beachtlich. Ein Widerspruch der Beklagten zu 2 im Sinne des §
67 letzter Halbs. ZPO liegt nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob der
Widerspruch als einseitige Erklärung gegenüber dem Gericht (BAG, ZIP 1987,
308; Wieczorek/Schütze/ Mansel, ZPO 3. Aufl. § 67 Rdn. 16) im Anwaltsprozess
ohnehin nur von einem postulationsfähigen Prozessvertreter geltend gemacht
werden kann (dagegen OLG Hamm, OLGR 1998, 44; 1996, 143, 144; wohl auch OLG
Celle, OLGR 2002, 88, 89). Jedenfalls ergibt der schriftsätzliche Vortrag
der Beklagten zu 2 in der Sache keinen Widerspruch. Die Äußerung der
Beklagten zu 2, sie habe - über eine Abtretung des ursprünglich zugunsten
der Beklagten zu 1 begründeten Herausgabeanspruchs im Ungewissen - für den
wahren Berechtigten besitzen wollen, bestätigt im Gegenteil indirekt die
Behauptung der Beklagten zu 1, die Beklagte zu 2 habe 1994 ihren
Besitzmittlungswillen nicht geändert. Denn damit gab die Beklagte zu 2 zu
erkennen, weiterhin aufgrund des ursprünglich mit der Beklagten zu 1
bestehenden Besitzmittlungsverhältnisses Besitz gemittelt zu haben.
29 cc) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts
ist die Übergabe deshalb als fehlgeschlagen anzusehen. Das Berufungsgericht
wird den revisionsrechtlich als richtig zu unterstellenden Vortrag der
Beklagten zu 1 prüfen und die gebotenen Feststellungen treffen müssen. In
diesem Zusammenhang wird es sich außerdem damit befassen müssen, welcher Art
die - für die Vollendung einer Übergabe nach § 929 Satz 1 BGB durch
Übertragung des mittelbaren Besitzes konstitutiven -
Besitzmittlungsverhältnisse (§ 868 BGB) in einer Besitzkette von der
Beklagten zu 2 über die SPC zur NEAG waren und welcher Rechtsordnung sie
unterliegen. Dabei wird es auch zu berücksichtigen haben, dass sich dem
Schreiben der SPC vom 3. Mai 1994 nicht entnehmen lässt, ob die SPC auf die
Weisung des Herrn Si. vom 29. April 1994 tatsächlich ein - weiteres -
Besitzmittlungsverhältnis zur NTC/NEAG begründete.
30 c) Von Rechtsirrtum beeinflusst ist schließlich die Auffassung des
Berufungsgerichts, die Klägerin habe - ebenfalls durch Übergabe nach § 929
Satz 1, § 868 BGB - im November 1994 gutgläubig von der NTC Eigentum an den
Zylindern erworben. Ist - wovon revisionsrechtlich auszugehen ist - die
Eigentumsübertragung von der Beklagten zu 1 auf die NEAG gescheitert, weil
die Beklagte zu 1 - wie oben ausgeführt - ihren mittelbaren Besitz nicht
verloren hat, gilt dies gleichermaßen auch für den nachfolgenden
Eigentumserwerb der Klägerin von der NTC. Auf den guten Glauben der Klägerin
kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
31 2. Das Berufungsgericht hat sich im Zusammenhang mit dem
Feststellungsantrag nicht damit befasst, ob die Beklagte zu 1 aufgrund ihrer
schuldrechtlichen Beziehungen zur Beklagten zu 2 Herausgabe der Zylinder
verlangen kann. Es hat - stillschweigend - angenommen, wegen des von ihm
bejahten Eigentumserwerbs der Klägerin und des damit begründeten
Vindikationsanspruchs sei ein aus den schuldrechtlichen Beziehungen der
Beklagten folgender Herausgabeanspruch der Beklagten zu 1 ohne weiteres
entfallen. Davon hätte das Berufungsgericht aber nur ausgehen dürfen, wenn
es eine Abtretung des Herausgabeanspruchs im Zuge einer Übereignung nach §§
929, 931 BGB oder eine einverständliche Aufhebung des Lagervertrages
rechtsfehlerfrei festgestellt hätte. Beides ist nicht der Fall.
Sollte das Berufungsgericht bei seiner erneuten Prüfung zu einer Übergabe
aufgrund einer Änderung des Besitzmittlungswillens der Beklagten zu 2
kommen, müsste es sich mit dem Verhältnis von schuldrechtlichem
Herausgabeanspruch und Vindikationsanspruch befassen. Die Annahme, der
Vindikationsanspruch gehe dem schuldrechtlichen Herausgabeanspruch vor,
bedürfte schon dann eingehender Begründung, wenn die schuldrechtlichen
Beziehungen der Beklagten zueinander nach deutschem Recht zu beurteilen
wären (vgl. hierzu BGHZ 73, 317, 321 ff., in Abgrenzung zu BGHZ 5, 337, 339
f.; RG JW 1925, 472, 473; RGRK/Krohn, BGB 12. Aufl. 1978 § 695 Rdn. 3;
Staudinger/Reuter, BGB Neubearb. 2006 § 695 Rdn. 6 mit Neubearb. 2005 § 604
Rdn. 5; MünchKommBGB/Henssler, 5. Aufl. § 695 Rdn. 8 f. mit Münch-KommBGB/Häublein
5. Aufl. § 604 Rdn. 8). Erst recht gälte dies bei der Anwendung
ausländischen (Schweizer) Rechts. Das Rangverhältnis eines schuldrechtlichen
Herausgabeanspruchs zum Vindikationsanspruch kann beim gegenwärtigen Stand
des Rechtsstreits allerdings dahinstehen, weil schon die eigentumsrechtliche
Beurteilung des Berufungsgerichts unrichtig ist.
33 3. Für eine erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union
besteht derzeit kein Anlass. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die
Verwertung des nachgeschobenen Vortrags der Beklagten zu 1 zur Herkunft des
von der U. verarbeiteten Materials im Prozessrechtsverhältnis der Klägerin
zur Beklagten zu 2 an einem in zweiter Instanz von der Beklagten zu 2
erklärten Widerspruch (§ 67 letzter Halbs. ZPO) scheitert. Selbst wenn es an
einem Widerspruch fehlt und die Bestimmungen des EAG-Vertrages für die
Eigentumslage von Bedeutung sein können, kommt eine Vorlage an den
Gerichtshof der Europäischen Union vor einer Zurückverweisung nach § 563
Abs. 1 ZPO nicht in Betracht. Da die tatsächlichen Voraussetzungen eines
Eigentumserwerbs der Klägerin ebenso wenig geklärt sind wie die Herkunft des
von der U. verarbeiteten Materials, könnte der Gerichtshof der Europäischen
Union über eine ihm nicht obliegende gutachtliche Beantwortung abstrakter
Rechtsfragen hinaus nicht sinnvoll zur Auslegung des EAG-Vertrages Stellung
nehmen (so auch EuGH, Urt. v. 21. Februar 2006 - Rs. C-152/03, H.J.
Ritter-Coulais u.a. gegen Finanzamt Germersheim, Slg. 2006, I-1711 Tz. 15;
v. 30. September 2003 - Rs. C-167/01, Inspire Art Ltd, Slg. 2003, I-10155
Tz. 45; vgl. auch BGH, Urt. v. 3. Februar 1994 - I ZR 282/91, GRUR 1994,
519, 520 f.). Deshalb sind vor einer Befassung des Gerichtshofes der
Europäischen Union zunächst die offenen Vorfragen von dem nationalen Gericht
zu klären.
34 III. Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler unterliegt das
Berufungsurteil der Aufhebung. Mangels Endentscheidungsreife ist die Sache
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562, 563 Abs. 1 ZPO), damit es
- ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien und Beweiserhebung - die
noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
35 Dabei wird das Berufungsgericht in dem wiedereröffneten
Berufungsverfahren zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte zu 1 - soll
ihre Rechtsverteidigung gegen den Feststellungsantrag Erfolg haben - den
Rechtsgrund (Vertrag, Eigentum) eines Herausgabeanspruchs gegen die Beklagte
zu 2 darzulegen und zu beweisen hat und sich nicht darauf beschränken kann,
die Rechtsposition der Klägerin zu bestreiten. |