IZPR: Deliktischer
Gerichtsstand gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVO für Unterlassungsklagen wegen
Eigentumsbeeinträchtigung; autonome Auslegung der EuGVO; Voraussetzungen des
Wegfalls der Vorlagepflicht an den EuGH nach Art. 234 III EGV bei Vorliegen
eines "acte claire", Abgrenzung zwischen bloßem Bestreiten des Eigentums und
Eigentumsbeeinträchtigung durch Eigentumsanmaßung; Unterlassungsanspruch aus
§ 1004 BGB
BGH, Urteil vom 24. Oktober
2005 - II ZR 329/03
Fundstelle:
NJW 2006, 689
Amtl. Leitsatz:
a) Für
Unterlassungsklagen wegen einer Eigentumsbeeinträchtigung gemäß § 1004 BGB
(hier: Eigentumsberühmung), die ein im EU-Ausland wohnender Beklagter im
Inland begangen hat und deren Wiederholung droht, sind die deutschen
Gerichte international zuständig gemäß Art. 5 Nr. 3 EuGVVO.
b) Berühmt sich jemand nicht gegenüber dem wahren Eigentümer, sondern
gegenüber außen stehenden Dritten, er sei Eigentümer einer Sache, kann sich
der dadurch in seinem Eigentum Betroffene mit der Unterlassungsklage gemäß §
1004 BGB wehren.
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt der Entscheidung stehen sowohl inhaltliche
wie methodische Fragen des europäischen Zuständigkeitsrechts nach der EuGVO.
In Bezug auf die Abgrenzung von Vertrags- und Deliktsgerichtsstand bewegt
sich die Entscheidung auf dem Boden der bisherigen Rechtsprechung. Von
allgemeinem europarechtlichem Interesse sind die Ausführungen zur
Vorlagepflicht an den EuGH. Materiellrechtlich geht es schließlich um die
Frage des Unterlassungsanspruchs bei Eigentumsanmaßung. Der Senat führt aus,
daß diese, anders als eine bloße Leugnung, einen Unterlassungsanspruch nach
§ 1004 BGB begründen kann. Andernfalls hätte der Kläger lediglich eine
Feststellungsklage nach § 256 I ZPO erheben können.
©sl 2006
Tatbestand:
Der Kläger, der im Besitz einer bedeutenden Kunstsammlung ist, erwarb im
Jahr 1983 das von O. S. im Jahr 1931 gemalte Bild "Rote Mitte" von einer
deutschen Galerie, die das Werk im Jahr 1959 im Rahmen einer Auktion in den
Vereinigten Staaten ersteigert hatte. Zwischen den Parteien besteht
Einigkeit darüber, dass der Kläger - zumindest durch Ersitzung nach § 937
BGB - Eigentümer des Bildes ist, selbst wenn das Werk dem Künstler während
der Zeit des Nationalsozialismus widerrechtlich entzogen worden sein sollte.
Die Mutter des Beklagten gehört zusammen mit der Streithelferin des Klägers
zur Erbengemeinschaft O. S. . Der Beklagte, der in Belangen der Erbschaft
die Interessen seiner Mutter vertritt, hat in einem als "vertraulich"
gekennzeichneten, an einen Kunstverlag gerichteten Schreiben, das den
Briefkopf "O. S. Sekretariat und Archiv ..." trägt, geäußert, der "Familiennachlass
O. S. " sei Eigentümer des Bildes "Rote Mitte". Der hiervon durch den
Kunstverlag unterrichtete Kläger verlangt von dem Beklagten, diese
Behauptung zu unterlassen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr
stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des
Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
1. Vergeblich rügt die Revision im Hinblick auf den Wohnsitz des Beklagten
in Italien die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.
Die Zuständigkeit für den Unterlassungsanspruch des Klägers folgt aus Art. 5
Nr. 3 EuGVVO, der seit dem 1. März 2002 in Kraft ist und daher auf die im
August 2002 erhobene Klage Anwendung findet.
a) Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EuGH)
legt den Begriff der "unerlaubten Handlung" und der "Handlung, die einer
unerlaubten Handlung gleichgestellt ist", autonom und sehr weit aus. In
diesem Gerichtsstand sind alle Klagen zulässig, mit denen eine
Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag i.S. des
Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft (EuGH, Urt. v. 1. Oktober 2002 - C 167/00,
NJW 2002, 3617, 3618, Tz. 36 m.w.Nachw.). Abzugrenzen ist die unerlaubte
Handlung ebenso wie die ihr gleichgestellte Handlung von einem Vertrag, d.h.
von einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung. Hierunter fallen
daher neben quasi-negatorischen Ansprüchen im Wettbewerbs- und im
Immaterialgüterrecht gerade auch Ansprüche aus § 1004 BGB, die eine
Schadensentstehung durch Eigentumsbeeinträchtigungen verhindern bzw. zu
deren Beseitigung dienen sollen (Rauscher, Europäisches Zivilrecht Art. 5
Brüssel I VO Rdn. 79, 80 m.w.Nachw.).
b) Durch die Formulierung "einzutreten droht" am Ende von § 5 Nr. 3 EuGVVO
wird klargestellt, dass die Anwendung der Norm nicht von dem Vorliegen eines
Schadens abhängt und daher auch eine vorbeugende Unterlassungsklage unter
die Norm fällt (Zöller/Geimer, ZPO 25. Aufl. Anh. I Art. 5 EuGVVO Rdn. 25
m.w.Nachw.). Der EuGH (aaO Tz. 48, 49) hat bereits die Vorgängernorm
(Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) dahin ausgelegt, dass deren Anwendbarkeit nicht von dem
tatsächlichen Vorliegen eines Schadens abhängig sei, obwohl im Text des Art.
5 Nr. 3 EuGVÜ ein erst drohender Schadenseintritt nicht aufgeführt war. Der
EuGH hat dabei zur Begründung seiner Entscheidung auf den nunmehr geltenden
Art. 5 Nr. 3 EuGVVO verwiesen (aaO Tz. 49).
c) Der Senat ist nicht zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH gemäß
Art. 234 Abs. 3 EG verpflichtet.
Der Vorlage bedarf es dann nicht, wenn die richtige Anwendung des
Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen
Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage für den betreffenden
Streitfall kein Raum bleibt, wobei das innerstaatliche Gericht einen Fall
der Offenkundigkeit nur annehmen darf, wenn es überzeugt ist, dass auch für
Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche
Gewissheit besteht (EuGH, Urt. v. 6. Oktober 1982 - C-283/81, NJW 1983,
1257, 1258). So liegt es hier. Angesichts der Begründung der Entscheidung
des EuGH vom 1. Oktober 2002 (aaO) ist die erforderliche Offenkundigkeit der
Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Unterlassungsklage gegeben.
2. Das Berufungsgericht hat zu Recht in dem Schreiben des Beklagten an den
Kunstverlag W. GmbH nicht nur ein schlichtes Bestreiten des Eigentums,
das einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB im Allgemeinen nicht
auslösen kann (zu weitgehend MünchKomm-BGB/Medicus 4. Aufl. § 1004 Rdn.
29), sondern eine den Kläger beeinträchtigende Eigentumsanmaßung gesehen,
der dieser mit einer gegen den Beklagten als Störer gerichteten
Unterlassungsklage gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB begegnen kann.
a) In der Äußerung des Beklagten, der Familiennachlass O. S. sei Eigentümer
des Bildes, die der Beklagte in seiner Eigenschaft als Interessenvertreter
seiner Mutter in der Nachlassangelegenheit unter dem Briefkopf "O. S.
Sekretariat und Archiv ..." gegenüber dem Kunstverlag W. GmbH gemacht hat,
liegt eine das Eigentum des Klägers beeinträchtigende Eigentumsberühmung.
Gerade in Kunstkreisen ist eine derartige Äußerung geeignet, den Kläger in
seinen Rechten gemäß § 903 BGB, mit dem Bild nach seinem Belieben zu
verfahren, nachhaltig zu beeinträchtigen.
Entgegen der Ansicht der Revision steht der Annahme einer Eigentumsberühmung
nicht entgegen, dass der Beklagte nicht geltend macht, selbst Eigentümer des
Bildes zu sein, sondern diese Rechtsberühmung zugunsten des Nachlasses
ausgesprochen hat, an dem er nicht beteiligt ist. Nimmt der Handelnde, wie
hier, das Eigentum zugunsten konkreter, namentlich benannter Personen in
Anspruch, mit denen er nicht nur familiär eng verbunden ist, sondern deren
Eigentumsrechte er zudem nach Außen vertritt, beeinträchtigt dies das Recht
des wahren Eigentümers ebenso, als wenn er sich das Eigentum selbst angemaßt
hätte.
b) Zu Unrecht meint die Revision, eine derartige Rechtsberühmung begründe
keinen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB. Zwar kann sie sich
hierfür auf Stimmen im Schrifttum berufen (Soergel/Mühl, BGB 12. Aufl. §
1004 Rdn. 30; Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB § 1004 Rdn. 38; Palandt-Bassenge,
BGB 64. Aufl. § 1004 Rdn. 11 jeweils m.w.Nachw.). Diesen ist das
Berufungsgericht aber mit Recht nicht gefolgt. Nach dessen zutreffender
Ansicht löst nicht jede Berühmung einen Abwehranspruch aus; wohl aber kann
der Eigentümer derartige die dingliche Rechtslage falsch darstellende
Äußerungen verbieten lassen, die gegenüber Dritten fallen (s. hierzu
Staudinger/Gursky, BGB [1999] § 1004 Rdn. 31; Bauer/Stürner, Sachenrecht,
17. Aufl. § 12 Rdn. 6). Denn dadurch wird er nicht nur unmittelbar in seiner
Eigentümerstellung betroffen, er kann die Beeinträchtigung auch nicht anders
als durch eine Unterlassungsklage verhindern. Mit einer gegenüber dem
Störer erhobenen Feststellungsklage könnte er weiteren Rechtsberühmungen
nicht wirksam entgegenwirken.
c) Unentschieden bleiben kann entgegen der Ansicht der Revision, ob es sich
bei der Äußerung des Beklagten um eine Tatsachenbehauptung oder eine
Meinungsäußerung handelt. Angesichts des Eigentums des Klägers wäre, wie aus
Art. 5 Abs. 2 GG folgt, eine das Eigentum beeinträchtigende Äußerung auch
vom Recht auf Meinungsfreiheit nicht umfasst. |