Haftung bei
Firmenfortführung nach § 25 HGB
BGH, Versäumnisurteil vom
28. November 2005 - II ZR 355/03
Fundstelle:
NJW 2006, 1001
Amtl. Leitsatz:
a) Die Firmenfortführung
beim Wechsel des Inhabers ist eine der Voraussetzungen für die Haftung nach
§ 25 Abs. 1 Satz 1 HGB, weil in ihr die Kontinuität des Unternehmens nach
außen in Erscheinung tritt, die der Grund für die Erstreckung der Haftung
für früher im Betrieb des Unternehmens begründete Verbindlichkeiten des
Vorgängers auf seinen Nachfolger ist.
b) Eine für die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB weiter
erforderliche Unternehmensfortführung ist nach der maßgeblichen Sicht der
beteiligten Verkehrskreise gegeben, wenn ein Unternehmen in seinem
wesentlichen Bestand fortgeführt wird. Dabei kommt es auf die bloße Tatsache
der Geschäftsfortführung an, nicht darauf, ob ihr ein rechtsgeschäftlicher,
derivativer Erwerbsvorgang zugrunde liegt.
c) Eine Firmenfortführung ist nach der auch hier maßgebenden Sicht des
betroffenen Verkehrs anzunehmen, wenn die von dem bisherigen Inhaber
tatsächlich geführte und von dem Erwerber weitergeführte Firma eine derart
prägende Kraft besitzt, dass der Verkehr sie mit dem Unternehmen gleichsetzt
und in dem Verhalten des Erwerbers eine Fortführung der bisherigen Firma
sieht. Dabei genügt es, dass der prägende Teil der alten Firma in der neuen
beibehalten wird.
d) Die Tatsache, dass ein zahlungsunfähiges und insolventes Unternehmen
fortgeführt wird, steht der Anwendung des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht
entgegen.
e) Die Haftung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB tritt unabhängig davon ein, ob
das übernommene und fortgeführte Unternehmen noch einen zur Befriedigung
seiner Gläubiger ausreichenden Wert verkörpert.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte gemäß § 25 Abs. 1 HGB auf Bezahlung von - der
Höhe nach unstreitigen - Vergütungsansprüchen aus anwaltlicher Vertretung
der P. GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) in Anspruch.
Die KG betrieb seit September 1984 in einer gemieteten Halle eine Diskothek
mit Gastronomie. Nachdem ihr wegen Mietrückstands gekündigt worden war, gab
sie die Mieträume am 15. November 1999 an die Vermieterin heraus. Diese
vermietete die Räumlichkeiten noch am selben Tag an die Getränkefirma, die
die Diskothek beliefert hatte. Die Getränkefirma schloss ebenfalls noch am
15. November 1999 mit der beklagten eingetragenen Kauffrau, deren Ehemann
Gesellschafter der - inzwischen im Handelsregister gelöschten - KG war und
die seit 1985 leitende Angestellte dieser Gesellschaft gewesen war, einen
Untermietvertrag. Seit diesem Tag hat die Beklagte die Diskothek in
derselben Weise und in demselben Umfang betrieben, wie sie vorher von der KG
geführt worden war. Die Beklagte hat das Inventar der Diskothek, das
Sicherungseigentum einer Brauerei war, weiter benutzt und den
Telefonanschluss, die Telefonanlage, das Faxgerät, die EDV-Anlage und den
Warenbestand der KG sowie 90 der 220 Mitarbeiter übernommen und den Betrieb
ohne Unterbrechung und im Einverständnis mit der KG unter deren
Kurzbezeichnung "P." weitergeführt.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 21.121,69 € nebst Zinsen gerichtete
Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr bis auf einen Teil der
Zinsforderungen stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision
erstrebt der Streithelfer der Beklagten für diese die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Über die Revision ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil der Kläger
im Verhandlungstermin trotz dessen rechtzeitiger Bekanntgabe nicht vertreten
war. Die Entscheidung beruht inhaltlich jedoch nicht auf der Säumnis,
sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 82).
Die Revision des Streithelfers der Beklagten ist nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit Recht für verpflichtet gehalten,
die gegen die KG begründeten Vergütungsforderungen des Klägers zu bezahlen.
Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB liegen vor. Die Beklagte hat
das Handelsgeschäft der KG unter Lebenden erworben und unter der Firma der
KG fortgeführt.
1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats ist die Firmenfortführung
beim Wechsel des Inhabers deswegen eine der Voraussetzungen für die
Auslösung der Haftung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB, weil in ihr die
Kontinuität des Unternehmens nach außen in Erscheinung tritt, welche der
tragende Grund für die Erstreckung der Haftung für früher im Betrieb des
Unternehmens begründete Verbindlichkeiten des Vorgängers auf seinen
Nachfolger ist (vgl. Sen.Urt. v. 15. März 2004 - II ZR 324/01, ZIP 2004,
1103, 1104 m.w.Nachw.). Die Vorschrift greift danach ein, wenn zwar der
Unternehmensträger wechselt, das Unternehmen selbst aus der Sicht des
maßgeblichen Verkehrs aber im Wesentlichen unverändert unter der alten
Firmenbezeichnung fortgeführt wird. Das ist hier der Fall.
a) Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass die Beklagte das Unternehmen
der KG unter Lebenden erworben und fortgeführt hat.
Von Unternehmensfortführung geht der maßgebliche Verkehr aus, wenn ein
Betrieb von einem neuen Inhaber in seinem wesentlichen Bestand unverändert
weitergeführt wird, der Tätigkeitsbereich, die innere Organisation und die
Räumlichkeiten ebenso wie Kunden- und Lieferantenbeziehungen jedenfalls im
Kern beibehalten und/oder Teile des Personals übernommen werden (vgl.
Sen.Urt. v. 16. Januar 1984 - II ZR 114/83, NJW 1984, 1186, 1187; v. 4.
November 1991 - II ZR 85/91, ZIP 1992, 398, 399; BGH, Urt. v. 10. Oktober
1985 - IX ZR 153/84, NJW 1986, 581; OLG München, BB 1996, 1682, 1683; OLG
Düsseldorf, NJW-RR 1998, 965). Dabei kommt es nur auf die bloße Tatsache der
Geschäftsfortführung an, nicht hingegen darauf, ob ihr ein
rechtsgeschäftlicher, derivativer Erwerb zugrunde liegt (Sen.Urt. v. 4.
November 1991 aaO 400 m.w.Nachw.; BGH, Urt. v. 10. Oktober 1985 aaO 581 f.).
Die Beklagte hat das Unternehmen der KG in diesem Sinne übernommen und
fortgeführt. Sie hat unstreitig ohne zeitliche Unterbrechung den Betrieb der
KG unter Übernahme der Räumlichkeiten samt Inventar und
kommunikationstechnischen Einrichtungen sowie der Lieferantenbeziehungen und
eines Teils der Mitarbeiter der KG fortgesetzt.
b) Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die
Beklagte den Diskothekbetrieb der KG unter deren Firma fortgeführt hat.
Aus der - maßgebenden - Sicht der beteiligten Verkehrskreise ist eine
Firmenfortführung anzunehmen, wenn die von dem bisherigen Geschäftsinhaber
tatsächlich geführte und von dem Erwerber weitergeführte Firma eine derart
prägende Kraft besitzt, dass der Verkehr sie mit dem Unternehmen gleichsetzt
und in dem Verhalten des Erwerbers eine Fortführung der bisherigen Firma
sieht (Sen.Urt. v. 15. März 2004 - II ZR 324/01, ZIP 2004, 1103, 1104
m.w.Nachw.). Dabei kommt es nicht darauf an, dass die alte Firma
unverändert fortgeführt wird; es genügt, dass der prägende Teil der alten
Firma in der neuen beibehalten wird (Sen.Urt. v. 15. März 2004 aaO).
Danach liegt hier Firmenfortführung vor. Der prägende Teil der Firma der KG
bestand in der Buchstaben-Zahlenkombination "P. ", unter der die Diskothek
so eingeführt und bekannt war, dass für die Beklagte nach ihrem Vortrag in
einem anderen Rechtsstreit ein Erwerb des Unternehmens ohne diese
Bezeichnung nicht in Frage gekommen wäre. Die Firma der Beklagten
enthält genau diese, dem Verkehr als Kurzbezeichnung für den
Diskothekbetrieb bekannte Buchstaben- und Zahlenfolge. Das reicht zur
Annahme einer Firmenfortführung aus.
c) Demgegenüber beruft sich die Revision ohne Erfolg darauf, dass die
Anwendbarkeit von § 25 HGB kraft teleologischer Reduktion hier ausscheiden
müsse, jedenfalls aber der Kläger von der Anwendbarkeit dieser Vorschrift
auszunehmen sei.
Dass die KG insolvent ist, rechtfertigt es nicht, den Kläger so zu
behandeln, als habe die Beklagte das Unternehmen in der Insolvenz erworben
(vgl. Sen.Urt. v. 4. November 1991 aaO 399 m.w.Nachw.). § 25 HGB
findet hinsichtlich der Verbindlichkeiten der KG gegenüber dem Kläger
Anwendung, obwohl diesem bei Begründung seiner Honorarforderungen bekannt
war, dass die KG erhebliche Verbindlichkeiten hatte und weitgehend
vermögenslos war. Die Revision verkennt, dass § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB eine
typisierende Vorschrift ist, die die Haftung des Nachfolgers für
Verbindlichkeiten des Vorinhabers allein an die durch Fortführung von
Unternehmen und Firma nach außen zum Ausdruck kommende
Unternehmenskontinuität knüpft. Die Haftung des Nachfolgers tritt deshalb
unabhängig davon ein, ob das übernommene Unternehmen noch einen zur
Befriedigung seiner Gläubiger ausreichenden Wert verkörpert (Sen.Urt. v.
4. November 1991 aaO).
2. Die Ansprüche des Klägers sind nicht verjährt.
Die Revision ist zu Unrecht der Auffassung, die unstreitig am 31. Dezember
2001 ablaufende Verjährungsfrist sei durch das am 3. Dezember 2001
eingegangene Mahngesuch des Klägers nicht unterbrochen worden. Der
Mahnbescheid ist zwar erst am 7. März 2002 zugestellt worden. Das
Berufungsgericht hat jedoch mit Recht angenommen, dass die Zustellung damit
noch "demnächst" i.S. des § 693 ZPO a.F. vorgenommen wurde, weil ihre
Verzögerung auf vom Kläger nicht zu vertretenden Umständen beruhte. Das
Berufungsgericht hat in der Angabe der Geschäftsanschrift der Beklagten
statt der Privatadresse ihrer Inhaberin mit Recht keine vom Kläger zu
vertretende Nachlässigkeit gesehen. Der Kläger hat sich, wie das
Berufungsgericht mit Tatbestandswirkung festgestellt hat, unwidersprochen
darauf berufen, dass das Geschäftslokal der Beklagten nach der früheren
Übung zu den üblichen Zustellzeiten der Post besetzt gewesen sei. |