IPR: Eheschließungsstatut
(Art. 13 EGBGB), Formstatut (Art. 11 EGBGB), obligatorische Zivilehe und
"Heilung durch Statutenwechsel"
Urteil S 19 RJ 367/03
vom 15.04.2005 - SG Hamburg 19. Kammer
Fundstelle:
IPRax 2007, 47 m. Besprechungsaufsatz Siehr aaO S. 30
Amtl.
Leitsatz:
Eine formunwirksame
Ehe kann durch Wechsel der Staatsangehörigkeit geheilt werden. Dies gilt
insbesondere für eine vor einem Rabbiner geschlossene Ehe.
Zentrale Probleme:
S. insbesondere die Anm. von Siehr aaO.,
BGH
FamRZ 2003, 838 sowie bereits BVerfGE 62, 323
ff = NJW 1983, 511.
©sl
2006
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Rücknahmebescheid der Beklagten,
mit dem ihr die bereits bewilligte Witwenrente für die Zukunft entzogen
wurde. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob zwischen der Klägerin und
dem 1996 verstorbenen H. R. (im Folgenden: Versicherter) eine wirksame Ehe
bestand.
Die 1932 geborene Klägerin und der 1919 in Polen geborene Versicherte
waren polnische Staatsangehörige. Beide wurden 1949 in Lodz durch einen
Rabbiner getraut. Nach Angaben der Klägerin sei 1949 die standesamtliche
Trauung in Lodz erfolgt.
Im Jahr 1950 wanderten beide nach Israel aus, wo sie die israelitische
Staatsangehörigkeit erhielten. 1955 siedelten sie in die Vereinigten Staaten
von Amerika (USA) und erwarben die amerikanische Staatsangehörigkeit. Dort
wurde 1956 die gemeinsame Tochter geboren. Die Klägerin und der Versicherte
lebten bis zu seinem Tod in einem gemeinsamen Haushalt. Die Klägerin bezieht
aus der amerikanischen Sozialversicherung eine zusammengefasste
Versicherten- und Hinterbliebenenrente.
Am 29.08.2001 beantragte die Klägerin die Zahlung einer Witwenrente aus
der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung bei der Beklagten. Mit
Bescheid vom 17.09.2001 wurde ihr die Leistung unter Vorbehalt bewilligt. Es
wurde noch die Übersendung einer gültigen standesamtlichen Heiratsurkunde
erbeten.
Die Klägerin äußerte sich mit Schreiben vom 31.10.2001 dahingehend, dass
die jüdische Trauung durch den Rabbiner stets als rechtsgültige
Eheschließung anerkannt worden sei. Die Klägerin fügte Kopien von Unterlagen
bei, die ihrer Ansicht nach geeignet seien, ihre Witweneigenschaft
nachzuweisen. Beigefügt waren eine traditionelle jüdische Heiratsurkunde,
die israelitischen und amerikanischen Reisepässe der Klägerin und des
Versicherten, sowie beide amerikanischen Einbürgerungsurkunden, in denen der
jeweilige Familienstand mit „verheiratet" vermerkt war. In der Kopie der
Geburtsurkunde ihrer Tochter wurde die Klägerin unter ihrem Mädchennamen als
Mutter und der Versicherte als Vater eingetragen.
Die Beklagte ermittelte beim Standesamt in Lodz, ob eine Eintragung der
kirchlichen Trauung erfolgt sei. Ergebnis der Anfrage war die Auskunft des
Standesamtes, dass eine Heiratsurkunde im Archiv des Standesbeamten in Lodz
nicht vorhanden sei.
Mit Anhörungsschreiben vom 06.11.2002 führte die Beklagte aus, dass
zwischen der Klägerin und dem Versicherten keine rechtsgültig geschlossene
Ehe bestanden habe. Nach internationalem Privatrecht seien die polnischen
Formvorschriften für die Eheschließung zugrunde zu legen. Nach dem damaligen
Eherecht in Polen sei eine kanonisch geschlossene Ehe verboten gewesen und
eine rechtsgültige Eheschließung vor einem Standesbeamten sei nicht
festzustellen.
Die Klägerin äußerte sich unter Berufung auf ihr bisheriges Vorbringen
und reichte ergänzend eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen R1 R2 vom
23.12.2002 ein. Darin bestätigte der Zeuge bei der Hochzeitszeremonie der
Klägerin und des Versicherten anwesend gewesen zu seien, wobei die Zeremonie
vor dem Standesbeamten durchgeführt worden sei. Die Klägerin erklärte
weiter, sie habe die Heiratsurkunde der standesamtlichen Trauung verloren.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 22.01.2003 die Rentenbewilligung auf
und wiederholte zur Begründung ihr Vorbringen aus dem Anhörungsschreiben.
Die Ermessensausübung begründete sie mit der Rücknahme der Bewilligung nur
für die Zukunft.
Den am 29.01.2003 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 17.04.2003 zurück und führte ergänzend aus, dass
von den Standesämtern in Polen für die Zeit 1949 Personenstandsurkunden
vollständig archiviert worden seien. Zeugenaussagen über eine
standesamtliche Eheschließung seien daher nicht ausreichend.
Die Klägerin hat am 28.04.2003 Klage erhoben und beruft sich im
Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 22.01.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 17.04.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide und hält
diese für rechtmäßig.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Sachakten der
Beklagten beigezogen und beim Standesamt in Lodz angefragt, ob Unterlagen
über die Eheschließung der Klägerin und des Versicherten vom XX.XX.1949 dort
vorliegen. Das Standesamt in Lodz hat mitgeteilt, dass eine Heiratsurkunde
der Klägerin und des Versicherten vom XX.XX.1949 nicht registriert sei.
Das Gericht hat mit einem Vertreter der Beklagten am 01.10.2004 die
Sach- und Rechtslage erörtert; für die Klägerin ist niemand erschienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden,
weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben (vgl. § 124
Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 22.01.2003 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2003 beschwert die Klägerin,
denn er ist rechtswidrig, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG , so dass er aufzuheben ist.
Die Beklagte durfte den Bescheid vom 17.09.2001, in dem der Klägerin
Witwenrente bewilligt wurde, nicht zurücknehmen. Die Klägerin hat als Witwe
des Versicherten Anspruch auf die Gewährung einer Witwenrente.
Gemäß § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) darf ein
Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil
begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) soweit er
rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den
Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die
Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die
Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der zurückgenommene
Verwaltungsakt war nicht rechtswidrig.
Nach § 46 Abs. 1 S. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben
Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten
Ehegatten Anspruch auf Witwenrente, wenn der versicherte Ehegatte die
allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Die Klägerin ist Witwe des Versicherten.
Witwe ist, wer mit dem versicherten Ehegatten bei dessen Tod verheiratet
gewesen ist. Das ist vorliegend erfüllt.
Zwischen der Klägerin und dem Versicherten bestand eine wirksame Ehe.
Die Formungültigkeit der Eheschließung (dazu unter 1.) wurde sowohl durch
den Erwerb der israelitischen Staatsangehörigkeit (hierzu zu 2.) als auch
durch das tatsächliche gutgläubige Führen einer ehelichen Gemeinschaft über
Jahrzehnte hinweg geheilt (dazu unter 3.).
1.) Die Wirksamkeit der Ehe bestimmt sich gemäß Art. 11 Abs. 1
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) nach dem polnischen
Recht. Der Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist für im Ausland zwischen Ausländern
geschlossene Ehen die speziellere Vorschrift gegenüber Art. 13 Abs. 1 EGBGB
. Der Art. 13 EGBGB regelt insoweit nur die materiellen Voraussetzungen
einer Eheschließung einschließlich der Folgen ihres Fehlens sowie die Form
einer Eheschließung im Inland (Heldrich in Palandt, Art. 13 EGBGB Rn. 1, 64.
Auflage). Es handelt sich vorliegend um eine Auslandsehe zwischen
Ausländern. Die Klägerin und der Versicherte waren zum Zeitpunkt der
Eheschließung in Polen im Jahre 1949 polnische Staatsangehörige.
Nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die
Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende
Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem
es vorgenommen wird.
Die Eheschließung der Klägerin ist danach nicht formgültig. Denn die
Formerfordernisse des polnischen Eherechts sind nicht eingehalten worden.
Nach dem zu der Zeit geltenden polnischen Eherecht war Voraussetzung einer
wirksamen Ehe die Trauung vor dem Standesbeamten (Galla in
Bergmann/Ferid/Henrich; Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Polen,
Stand 01.10.2003, S. 23 f.).
Nach Auffassung der Kammer ist es nicht nachgewiesen, dass tatsächlich
eine standesamtliche Eheschließung in Lodz erfolgt ist. Erforderlich ist
diesbezüglich der Vollbeweis. Die Tatsache, dass die Klägerin „Witwe" ist,
muss daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Zwar
hat die Klägerin ihre entsprechenden Angaben unter anderem durch die Vorlage
eines Auszuges aus dem israelitischen Reisepass des Versicherten, in dem sie
als Ehegattin bezeichnet und durch eine Kopie der amerikanischen
Einbürgerungsurkunden, in denen der jeweilige Familienstand mit
„verheiratet" vermerkt wurde, bestätigt. Eingereicht wurde auch eine Kopie
der Geburtsurkunde der Tochter, aus der als Eltern die Klägerin und der
Versicherte hervorgehen. Diese Unterlagen sind allerdings nicht geeignet,
die standesamtliche Trauung (voll) zu beweisen. Aus diesen Unterlagen geht
lediglich hervor, dass die Klägerin als verheiratet mit dem Versicherten
galt.
Eine Glaubhaftmachung reicht nach Meinung der Kammer für die Tatsache
einer Eheschließung bzw. eines „Witwenstatusses" nicht aus. Daher ist die
von der Klägerin eingereichte eidesstattliche Versicherung des Zeugen R2 als
Mittel der Glaubhaftmachung (vgl. § 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung ) nicht
geeignet, den erforderlichen Vollbeweis zu bringen.
Es bleiben noch Unsicherheiten über eine tatsächliche standesamtliche
Trauung, weil die polnischen Standesämter auch zur 1949 alle Eheschließungen
zu registrieren hatten. Trotz bestehender Archive war kein Nachweis aus dem
örtlichen Standesamt in Lodz über die Trauung zwischen der Klägerin und dem
Versicherten zu bekommen. Hinzu kommt, dass nach Angabe der Klägerin bereits
vor der standesamtlichen Trauung die Eheschließung durch einen Rabbiner
stattgefunden hat. Nach dem damaligen polnischen Eherecht war es unter
Strafe verboten, die kirchliche Trauung vor der standesamtlichen
Eheschließung vorzunehmen (Bergmann/ Ferid/ Henrich; Internationales Ehe-
und Kindschaftsrecht, a.a.O.).
2.) Die Formungültigkeit der Eheschließung ist jedoch dadurch geheilt
worden, dass die Klägerin und der Versicherte mit dem Auswandern nach Israel
im Jahr 1950 die israelitische Staatsangehörigkeit erworben haben.
Haben die Ehegatten nach der Eheschließung eine andere
Staatsangehörigkeit erworben und ist die Ehe nach ihrer neuen
Staatsangehörigkeit, trotz Verletzung des Heimatrechts der Ehegatten zur
Zeit der Eheschließung, gültig, so kommt es zu einer Heilung durch Wechsel
der Staatsangehörigkeit (Heldrich in Palandt, Art. 13 EGBGB Rn. 4).
Nach israelischem Eherecht ist die Eheschließung durch Trauung vor einem
Rabbiner anerkannt und rechtsgültig (so auch v. Gamillscheg in Staudinger,
Band 2, Sonderausgabe, Art. 13 EGBGB, Rn. 592). Israel ist wegen der
religionsmäßig betonten Zusammensetzung seiner Bevölkerung ein Land mit
einer obligatorischen religiösen Ehe. Dabei gelten für die verschiedenen
Religionsangehörigen nur ihre religiösen Eherechte (Scheftlewitz in
Bergmann/Ferid/Henrich; Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Israel,
Stand 01.04.1987 III.A.1, S. 17).
Die jüdische Trauung hat die Klägerin mit ihrer Heiratsurkunde
nachgewiesen und ist mithin Witwe des Versicherten. Durch die Heilung der
formungültigen Eheschließung hat die Klägerin die „Witweneigenschaft"
erfüllt.
3.) Die Formunwirksamkeit der Eheschließung in Polen wurde auch dadurch
geheilt, dass tatsächlich eine eheliche Gemeinschaft über mehr als 45 Jahre
im Vertrauen auf das wirksame Bestehen einer Ehe geführt wurde.
Die gesetzliche Bestimmung des § 46 SGB VI bindet weder die Verwaltung
noch die Gerichte an einer - sozialversicherungsrechtlichen - Auslegung des
Begriffs „Witwe", die mit den Vorschriften über den familienrechtlichen
Status einer Witwe deckungsgleich ist. Vielmehr lässt die Vorschrift eine
verfassungskonforme Auslegung zu, die den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1
Grundgesetz (GG) gerecht werden muss.
Nach Art. 6 Abs. 1 GG , der auch für Ausländer anzuwenden ist, wird die
Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) enthält diese
Verfassungsbestimmung sowohl ein Grundrecht auf Schutz vor Eingriffen des
Staates, als auch eine Institutsgarantie und wertentscheidende
Grundsatznorm. Nach den durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten
Strukturprinzipien, die der Verfügungsgewalt des Gesetzgebers entzogen sind,
ist das dieser Norm vorgegebene Institut der Ehe, die Vereinigung eines
Mannes und einer Frau zu einer umfassenden, grundsätzlich unauflösbaren
Lebensgemeinschaft. Dabei setzt Art. 6 Abs. 1 GG gesetzliche Regelungen über
die Form der Eheschließung und ihre sachlichen Voraussetzungen voraus.
Wesentlich ist aber auch die Willensübereinstimmung der Verlobten,
miteinander die Ehe eingehen zu wollen. Partner, die bei Abschluss einer so
genannten „hinkenden Ehe" ihre Verbindung als dauernde Gemeinschaft
beabsichtigen und versprechen, können daher insoweit die Voraussetzungen für
eine Ehe erfüllt haben (BVerfG in SozR 2200 § 1264 Nr. 6). Dies gilt
insoweit nicht für eine gewählte nichteheliche oder eheähnliche
Gemeinschaft, die sich nicht dem staatlichen Eherecht unterstellen wollen
und damit bewusst auch dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG entzogen haben.
Die Klägerin und der Versicherte haben nicht nur als Ehepaar gelebt. Sie
haben auch wichtige Entscheidungen im Leben gemeinsam vollzogen. So sind sie
gemeinsam aus Polen nach Israel ausgewandert und anschließend in die USA.
Die Klägerin und der Versicherte haben sich offen zueinander als Eheleute
bekannt, was durch die eingereichten Unterlagen belegt ist. Die Klägerin
trug den Namen des Versicherten.
Sie wurde in seinem israelitischen Reisepass als Ehefrau eingetragen.
Das Zueinanderbekennen kommt deutlich dadurch zum Ausdruck, dass der
Versicherte die Klägerin in seinem Testament zur Alleinerbin einsetzte.
Auch in ihrem Heimatland den USA galt ihre Ehe als rechtswirksam. Das
ergibt sich daraus, dass die Klägerin Witwenrente aus der amerikanischen
Sozialversicherung bezieht. Das geht ebenfalls aus den eingereichten
Unterlagen wie den Kopien der Einbürgerungsurkunden und der Geburtsurkunde
der gemeinsamen Tochter hervor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
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