Nichtigkeit letztwilliger Verfügungen nach § 134
BGB i.V.m. § 14 I HeimG bei der Begünstigung durch Dritte; Schutz der
Testierfreiheit Dritter und Ziele des HeimG
BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 -
IV ZB 33/10
Fundstelle:
NJW 2012, 155
Amtl. Leitsatz:
Das Testament des Angehörigen
eines Heimbewohners, mit dem der Heimträger zum Nacherben eingesetzt wird
und von dem dieser erst nach dem Tode des Erblassers erfährt, ist nicht nach
§ 14 Abs. 1 HeimG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.
Zentrale Probleme:
Eine grundlegende Entscheidung
zur Testierfreiheit. § 14 HeimG enthält ein verfassungskonformes (s. dazu
BVerfG NJW
1998, 2964) Testierverbot für Heimbewohner. Unter
bestimmten Umständen dürfen diese den Heimträger und bestimmte andere
Personen nur "heimlich" als Erben einsetzen, insbesondere um Bevorzugungen
zu vermeiden und so den "Heimfrieden" zu wahren. Hier ging es jetzt aber um
das Testament eines Dritten, der nicht Heimbewohner war, dessen Angehörige
aber im Heim wohnt. Der Senat wägt sehr sorgsam die ratio des HeimG und die
Testierfreiheit ab. Daher eine grundlegende uns lehrreiche Entscheidung zu
den Grundzügen des Erbrechts, d.h. im Pflichtstoffbereich.
©sl 2011
Gründe:
1 I. Der Beteiligte zu 1 ist der einzige Sohn des am 11. September 2007
verstorbenen, verwitweten Erblassers. Er ist schwerbehindert und lebt in
einer Einrichtung, die Wohnheime und Tagesförderstätten für Menschen mit
schwerer Behinderung umfasst, und deren Träger der Beteiligte zu 2 ist. In
einem notariellen Testament vom 16. März 2006 setzte der Erblasser den
Beteiligten zu 1 zu seinem nicht befreiten Vorerben und die Einrichtung zum
Nacherben sowie zum Ersatzerben ein. Über dieses Testament wurde der
Heimträger erst nach dem Tode des Erblassers informiert.
2 Der Beteiligte zu 1 hat mit Antrag vom 28. September 2007 einen Erbschein
beantragt. Diesen Antrag hat er später dahin konkretisiert, dass der
beantragte Erbschein ihn als Alleinerben nach seinem Vater ausweisen soll,
weil die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 2 gegen § 14 HeimG verstoße.
3 Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landgericht hat die
hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen hat der Beteiligte
zu 1 weitere Beschwerde eingelegt.
4 Das Gericht der weiteren Beschwerde, dessen Beschluss unter anderem in ZEV
2011, 424 veröffentlicht ist, sieht sich an einer eigenen Entscheidung über
die weitere Beschwerde gehindert, weil es bei der Auslegung von § 14 Abs. 1
HeimG von einer Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 20. Juni
2006 (NJW 2006, 2642 f.) abzuweichen beabsichtige, und hat die Sache deshalb
dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
5 II. Die Vorlage ist nach § 28 Abs. 2 FGG statthaft.
6 1. Auf das vor dem 1. September 2009 eingeleitete Erbscheinverfahren ist
insgesamt noch das Verfahrensrecht des FGG anzuwenden, Art. 111 Abs. 1 Satz
1 FGG-RG.
7 2. Das vorlegende Gericht möchte § 14 Abs. 1 HeimG und damit eine
Bundesnorm ("reichsgesetzliche Vorschrift") in einer seine Entscheidung
tragenden Weise anders auslegen als das Oberlandesgericht München in einer
Entscheidung vom 20. Juni 2006 (aaO), die ebenfalls auf eine weitere
Beschwerde in einem FGG-Verfahren ergangen ist.
8 Das Oberlandesgericht München hat in dieser Entscheidung die Auffassung
vertreten, dass die Vorschrift des § 14 Abs. 1 HeimG, die es dem
Heimträger verbietet, sich von oder zugunsten von Heimbewohnern Geld- oder
geldwerte Leistungen über das nach § 5 vereinbarte Entgelt hinaus
versprechen oder gewähren zu lassen, auch eingreife, wenn ein Angehöriger
eines Heimbewohners den Träger zum Erben oder Vermächtnisnehmer einsetze und
der Heimbewohner weiterhin in der Einrichtung dieses Träger lebe und deren
Dienste in Anspruch nehme.
9 Demgegenüber möchte das vorlegende Gericht diese Norm dahingehend
auslegen, dass sie nicht eingreift, wenn ein Angehöriger eines
Heimbewohners den Heimträger in seinem Testament bedenkt, ohne dass dieser
zu Lebzeiten des Testierenden hiervon Kenntnis erlangt. Es hat
hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
10 Testamentarische, d.h. einseitige Zuwendungen unterfielen derVorschrift
des § 14 Abs. 1 HeimG nur, wenn sich der Eintritt des Vermögensvorteils auf
ein Einvernehmen zwischen dem Testierenden und dem Bedachten gründe. Daran
fehle es, wenn der Heimträger bedacht werde, ohne dass er zu Lebzeiten des
Testierenden hiervon Kenntnis erlange. Zwar sei auch in dieser Konstellation
die Sicherung des Heimfriedens als ein Schutzzweck des Heimgesetzes
gefährdet, wenn der Heimbewohner bei Eintritt des Erbfalles noch lebe. Nicht
betroffen seien aber die von Grundrechtspositionen getragenen weiteren
Schutzzwecke der Testierfreiheit der Heimbewohner und des Schutzes ihrer
hilflosen Lage vor Ausnutzung. Dagegen werde bei der weiten Auslegung des
Begriffs "gewähren lassen" durch das Oberlandesgericht München in die
Testierfreiheit des nicht vom Heimgesetz zu schützenden Dritten
eingegriffen. Mit dieser weiten Auslegung werde für ihn selbst eine "stille
Testierung" tatsächlich nahezu unmöglich. Eine derart weitgehende
Einschränkung der Testierfreiheit des Dritten sei zur Sicherung des
Heimfriedens nicht erforderlich. Sie würde das in der Testierfreiheit
enthaltene Selbstbestimmungsprinzip unverhältnismäßig beschränken.
11 3. Der Zulässigkeit der Vorlage steht nicht entgegen, dass das vorlegende
Gericht die Beteiligten nicht zu der beabsichtigten Vorlage angehört hat.
Zwar ist es umstritten, ob der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG) in jedem Fall eine solche vorherige Anhörung erfordert
(vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003 - V ZB 34/03, BGHZ 156, 279, 281).
Dies kann jedoch dahinstehen, weil die etwaige Gehörsverletzung jedenfalls
dadurch geheilt ist, dass die Beteiligten im Verfahren vor dem Senat
Gelegenheit hatten, sich zur Frage der Zulässigkeit der Vorlage zu äußern
(BGH aaO S. 283 f.). Soweit der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
angenommen hat, dass eine unterbliebene Anhörung die Vorlage unzulässig
mache und uneingeschränkt zur Zurückverweisung der Sache führe (Beschluss
vom 24. Februar 2003 - X ZB 12/02, BGHZ 154, 95, 97 f.), betrifft das
ausschließlich die Vorlage nach § 124 Abs. 2 GWB im Vergabeverfahren und ist
tragend mit der nach § 120 Abs. 2 i.V.m. § 69 Abs. 1 GWB im Regelfall
gebotenen mündlichen Verhandlung begründet. Auf die Vorlage nach § 28 Abs. 2
FGG trifft dieser Gesichtspunkt nicht zu.
12 4. Somit ist der Senat anstelle des Oberlandesgerichts zur Entscheidung
über die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 berufen, § 28 Abs. 3 FGG.
13 III. Die nach § 27 Abs. 1 FGG statthafte weitere Beschwerde ist
unbegründet.
14 Der Erbscheinsantrag und damit auch die Beschwerde hätten nur
dann Erfolg, wenn die im Testament des Erblassers angeordnete Nacherbschaft
wegen eines Verstoßes gegen § 14 Abs. 1 HeimG unwirksam wäre. Das ist aber
nicht der Fall.
15 1. Allerdings können auch testamentarische Verfügungen wegen
eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sein; deshalb
gilt § 14 HeimG nicht nur für Verträge, sondern auch für letztwillige
Verfügungen durch Testament (BayObLG NJW 1992, 55 unter II 3 a bb m.w.N.).
Dabei zieht ein Verstoß gegen § 14 HeimG gemäß § 134 BGB die Nichtigkeit
nach sich, obwohl sich das Verbot nur gegen den Heimträger richtet
(BGH, Urteil vom 9. Februar 1990 - V ZR 139/88, BGHZ 110, 235, 240).
16 2. Ein Eingreifen des an den Heimträger gerichteten Verbots setzt
voraus, dass dieser sich etwas "versprechen oder gewähren" lässt. Eine
einseitige Willenserklärung oder Betätigung des Gebers genügt mithin nicht;
es muss eine Annahmeerklärung des Empfängers oder ein entsprechendes
vorangegangenes Verlangen hinzukommen. Am notwendigen Merkmal des "sich
gewähren lassen" fehlt es deshalb nach allgemeiner Auffassung beim "stillen"
Testament eines Heimbewohners, von dem der Heimträger bis zum Eintritt des
Erbfalles keine Kenntnis erlangt hat (BayObLG aaO; Dahlem/Giese/Igl/Klie,
Heimrecht des Bundes und der Länder, Stand August 2008 § 14 HeimG Rn. 12;
Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz 10. Aufl. § 14 Rn. 8; Plantholz in
LPK-HeimG, 2. Aufl. § 14 Rn. 8; Staudinger/Otte, BGB [2003] Vorbem. zu §§
2064 ff. Rn. 145; Rastätter, Der Einfluss des § 14 HeimG auf Verfügungen von
Todes wegen 2004 S. 63 ff.; noch weitergehend Hollstein, Die Nichtigkeit
letztwilliger Verfügungen wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot aus §
14 Abs. 1, 5 HeimG vor und nach der Föderalisierung des Heimrechts 2010 S.
82, die testamentarische Zuwendungen insgesamt aus dem Anwendungsbereich von
§ 14 HeimG herausnehmen will). Auch der Senat hat die Nichtigkeit
des Testaments in einem früher entschiedenen Fall demzufolge allein mit der
Kenntnis der dort Bedachten bzw. ihrer Wissensvertreter begründet
(Beschluss vom 24. Januar 1996 - IV ZR 84/95, ZEV 1996, 147 f.).
17 Des Weiteren hat das Bundesverfassungsgericht die in § 14 HeimG
enthaltene Einschränkung der Testierfreiheit des Heimbewohners als
verfassungskonform unter anderem mit der Erwägung gebilligt, eine
Unverhältnismäßigkeit der Regelung zur Erreichung der mit ihr verfolgten
Zwecke liege nicht vor, weil testamentarische Verfügungen, die dem
Betroffenen nicht mitgeteilt und im Stillen angeordnet werden, stets
zulässig seien; bei fehlender Kenntnis des Begünstigten sei das Testament
stets wirksam (BVerfG NJW 1998, 2964 unter
II 1).
18 3. Dies ist entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts
München (aaO) jedenfalls nicht dann anders zu beurteilen, wenn das den
Heimträger begünstigende Testament nicht vom Heimbewohner, sondern von einem
seiner Angehörigen stammt und der Heimbewohner nach dem Tode des Erblassers
weiterhin im Heim des Trägers lebt.
19 Wie im Vorlagebeschluss zutreffend ausgeführt, kann von den mit § 14
HeimG verfolgten Zwecken (vgl. dazu BVerfG aaO) in dieser Konstellation
allein der Schutz des Heimfriedens betroffen sein. Weder die
Testierfreiheit der Heimbewohner noch deren Schutz vor einer Ausnutzung
hilfloser Lage werden von der Frage berührt, ob der letztwilligen Verfügung
eines Dritten Wirksamkeit zuerkannt werden kann. Diesen
beiden Zwecken ist jedoch bei der Feststellung, dass die Einschränkung der
Testierfreiheit durch § 14 HeimG noch verhältnismäßig und damit
verfassungsgemäß ist (vgl. BVerfG aaO), deutlich höheres Gewicht beizumessen
als dem Schutz des Heimfriedens, da sie ihre Grundlage ebenfalls in
Grundrechten des Heimbewohners finden.
20 Hinzu kommt, dass selbst der Heimfrieden in dem Fall, dass der
Heimträger von einem ihn begünstigenden Testament eines Dritten nach dessen
Ableben erfährt, allenfalls in geringerem Maße betroffen sein kann als bei
Testamenten des Heimbewohners, die ihm zu dessen Lebzeiten bekannt werden.
Schutz des Heimfriedens bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Träger
nicht durch die mittels Testament in Aussicht gestellte Zuwendung in seinem
Verhalten gegenüber dem Heimbewohner beeinflusst werden soll, was im Falle
privilegierender Maßnahmen zu Neid, Missgunst und Verärgerung bei anderen
Heimbewohnern führen kann. Diese abstrakte Gefahr der Bevorzugung der Person
wegen eines den Träger begünstigenden Testaments des Heimbewohners gründet
sich aber unter anderem darauf, dass der Träger sich mit einer
ausgesprochenen, unausgesprochenen oder gar nur vermuteten Erwartungshaltung
des Heimbewohners zu privilegierter Behandlung konfrontiert sehen kann,
widrigenfalls das Testament wieder geändert würde. Er könnte sich deshalb zu
zusätzlichen Leistungen gegenüber dem Erblasser veranlasst sehen, damit sich
die in Aussicht gestellte Erwerbschance verwirklicht (ebenso Hollstein aaO
S. 76).
21 Diese Gefahr besteht indessen nicht, wenn es sich bei dem Erblasser um
einen Dritten handelt und der Heimträger erst nach dessen Tod vom
Testament erfährt. Die letztwillige Verfügung ist dann
nicht mehr änderbar und der Heimträger hat unter diesem Gesichtspunkt keine
Veranlassung zu einer Vorzugsbehandlung des Heimbewohners. Nur der
Gesichtspunkt der Dankbarkeit ist dann noch ein Umstand, der das Verhalten
des Heimträgers zu beeinflussen geeignet ist.
22 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Heimträger, zu dessen Gunsten
eine Nacherbschaft nach dem Heimbewohner angeordnet ist, aufgrund der
Testamentseröffnung auch beim so genannten "stillen" Testament des
Erblassers notwendigerweise vor dem Nacherbfall Kenntnis von seiner
Einsetzung erhält und er zu Lebzeiten des als Vorerbe eingesetzten
Heimbewohners auch nur ein Anwartschaftsrecht erlangt (vgl.
MünchKomm-BGB/Grunsky, 5. Aufl. § 2100 Rn. 34 m.w.N.). Dem Heimbewohner
verbleibt zudem, im Rahmen seiner Befugnisse als nicht befreiter Vorerbe
über den Umgang mit dem Nachlass auf dessen Bestand Einfluss zu nehmen.
23 Diese Umstände vermögen indes eine weitgehende Einschränkung der
Testierfreiheit eines außenstehenden Dritten, die ihm nicht die Möglichkeit
lässt, den Heimträger im Wege des "stillen" Testierens zum Nacherben zu
bestimmen, nicht zu rechtfertigen. Bei der von Verfassungs wegen
gebotenen Abwägung zwischen der verfassungsrechtlich garantierten
Testierfreiheit (vgl. BVerfGE 67, 329, 341) und dem - wie
dargestellt - in dieser Konstellation allenfalls noch in geringem Maße
gefährdeten Heimfrieden ist auch zu berücksichtigen, dass sich eine absolut
gleiche Behandlung und Betreuung sämtlicher Heimbewohner durch das Personal
in der Realität ohnehin nie erreichen lassen wird, weil sie unvermeidlich
auch durch Gegebenheiten auf zwischenmenschlicher Ebene wie Sympathie und
Antipathie beeinflusst wird, die ihrerseits auf unterschiedlichsten
Umständen beruhen können (vgl. Hollstein aaO S. 76 f.; Rastätter
aaO S. 66).
24 Zum Schutze der Testierfreiheit ist § 14 Abs. 1 HeimG nach alledem
verfassungskonform dahin auszulegen, dass er dem Angehörigen eines
Heimbewohners die Einsetzung des Heimträgers als Nacherbe in einem "stillen"
Testament, von dem der Heimträger erst nach dem Tode des Erblassers erfährt,
nicht verbietet.
|