Auslegung von empfangsbedürftigen und
nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen:
Keine analoge Anwendung
von § 2077 BGB auf die Bezugsberechtigung aus einem
Lebensversicherungsvertrag
BGH, Urteil vom 14. Februar
2007 - IV ZR 150/05
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Die Erklärung des
Versicherungsnehmers in einem Versicherungsantrag, im Falle seines Todes
solle "der Ehegatte der versicherten Person" Bezugsberechtigter der
Versicherungsleistung sein, ist auch im Fall einer späteren Scheidung der
Ehe regelmäßig dahin auszulegen, dass der mit dem Versicherungsnehmer zum
Zeitpunkt der Festlegung der Bezugsberechtigung verheiratete Ehegatte
begünstigt sein soll.
Zentrale Probleme:
Die Entscheidung ist sehr lehrreich für die Frage der
Auslegung von empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen
Willenserklärungen. Der Kläger begehrt vom beklagten Versicherer die
Auszahlung von Versicherungsleistungen aus einer von seiner verstorbenen
Ehefrau bei der Beklagten genommenen Rentenversicherung. Zum Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses zwischen der verstorbenen Ehefrau des Klägers und dem
Beklagten 1979 war diese in erster Ehe mit einem anderen Mann verheiratet.
Für die bei Tod fällige Beitragsrückgewähr war in dem Versicherungsantrag
als Bezugsberechtigter der "Ehegatte der versicherten Person" angegeben. Die
erste Ehe der verstorbenen Ehefrau des Klägers wurde 1985 geschieden; von
1993 bis zu ihrem Tod 1994 war sie mit dem Kläger verheiratet. Nach dem Tod
der Ehefrau des Klägers zahlte die Beklagte an den Mann aus erster Ehe
Versicherungsleistungen aus.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete
Revision hat der BGH zurückgewiesen.
Die Benennung eines Bezugsberechtigten erfolgt durch einseitige
empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Versicherer. Diese ist
ebenso wie eine Aufhebung oder Änderung der Bezugsberechtigung als
Willenserklärung unter Lebenden anders als eine Verfügung von Todes wegen
nach dem Empfängerhorizont (§ 157 BGB) und nicht ausschließlich nach dem
Willen des Erklärenden auszulegen. Die Auslegung führt hier zu dem Ergebnis, dass der
zum Zeitpunkt der Erklärung 1979 in bestehender Ehe lebende Partner des
Versicherungsnehmers, also derjenige aus der ersten, geschiedenen Ehe,
begünstigt wurde. Diese Erklärung wird bei einer etwaigen Scheidung der Ehe
nicht "automatisch" unwirksam. Für eine wirksame Änderung der ursprünglichen
Bezugsberechtigung zugunsten des Klägers als neuer Ehemann wäre eine
entsprechende Erklärung gegenüber dem Versicherer erforderlich gewesen, die
aber nicht erfolgt ist.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Kläger verlangt die Rückzahlung der von seiner verstorbenen Ehefrau
geleisteten Beiträge für eine bei der Beklagten genommene
Rentenversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der
Beklagten für Rentenversicherungen (AVB) und die Besonderen Bedingungen für
Versicherungen aufgeschobener Leibrenten mit Beitragsrückgewähr zugrunde
liegen.
2 Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zwischen der verstorbenen Ehefrau
des Klägers und der Beklagten im Jahr 1979 war diese in erster Ehe mit dem
Streitverkündeten W. M. verheiratet. Für die beim Tod des Versicherten vor
Rentenbeginn in § 1 der Besonderen Bedingungen vorgesehene
Beitragsrückgewähr war in dem Versicherungsantrag als Bezugsberechtigter der
"Ehegatte der versicherten Person" angegeben. § 12 Nr. 1 AVB bestimmt in
diesem Zusammenhang Folgendes:
"Der Versicherungsnehmer kann einen Dritten als bezugsberechtigt bezeichnen.
Der Bezugsberechtigte erwirbt das Recht auf die Leistung der Gesellschaft
erst mit dem Eintritt des Versicherungsfalles. Bis dahin kann der
Versicherungsnehmer die Bezugsberechtigung widerrufen."
3 Die erste Ehe der verstorbenen Ehefrau des Klägers wurde 1985 geschieden,
von 1993 bis zu ihrem Tod ein Jahr später war sie mit dem Kläger
verheiratet. Nach ihrem Tod zahlte die Beklagte Versicherungsleistungen in
Höhe von insgesamt 6.255,02 € an den geschiedenen Ehemann aus. Eine
Auszahlung des Betrages an den Kläger lehnte die Beklagte ab.
4 Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung des vom Kläger errechneten
Betrages in Höhe von 7.518,85 € abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist
ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt er sein
Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
5 Die Revision hat keinen Erfolg.
6 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
7 Wer im vorliegenden Fall bezugsberechtigt sei, müsse nach den Grundsätzen
der §§ 133, 157 BGB und unter Berücksichtigung von § 12 Nr. 1 AVB durch
Auslegung der im Versicherungsvertrag zwischen der Versicherungsnehmerin und
dem Versicherer getroffenen Vereinbarungen ermittelt werden. Deren Scheidung
von ihrem ersten Ehemann habe dessen Bezugsberechtigung nicht ohne weiteres
- etwa im Sinne einer auflösenden Bedingung - außer Kraft gesetzt. Aus der
im Versicherungsantrag vorgenommenen Verknüpfung zwischen dem Begriff
"Todesfall" und dem Begriff "der Ehegatte" ergebe sich für den hier
vorliegenden Fall des Vorhandenseins zweier überlebender Ehegatten nichts
anderes. Die Auslegungsregel des § 2077 BGB könne in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entsprechend angewendet werden.
Dem stehe schon der Umstand entgegen, dass bei der Auslegung einer
letztwilligen Verfügung der einseitige hypothetische Wille des Erblassers
maßgeblich sei, während es bei der hier vorliegenden vertraglichen Regelung
allein auf den Empfängerhorizont des Versicherers als Vertragspartner
ankomme. Dies gelte jedenfalls für das hier streitbefangene
Deckungsverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer. Da
der Versicherungsvertrag schon vor der Scheidung im Jahre 1985 gekündigt und
beitragsfrei gestellt war, könne der Gedanke der wirtschaftlichen
Absicherung des Klägers aus Anlass von dessen Eheschließung mit der
Verstorbenen im Jahre 1993 auch nicht als Auslegungskriterium zu dessen
Gunsten herangezogen werden.
8 II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat dem
Kläger die begehrte Versicherungsleistung mangels Bezugsberechtigung zu
Recht versagt.
9 1. Nach § 12 Nr. 1 der dem Vertrag zugrunde liegenden AVB kann der
Versicherungsnehmer einen Dritten widerruflich als Bezugsberechtigten
bezeichnen. Die Einräumung und der Widerruf eines solchen Bezugsrechtes sind
dem Versicherer gegenüber nur und erst dann wirksam, wenn sie der
(bisherige) Verfügungsberechtigte dem (Vorstand des) Versicherer(s)
schriftlich angezeigt hat (§ 12 Nr. 3 AVB). Wem in welchem Umfang ein
Bezugsrecht und die daraus folgenden Ansprüche auf die
Versicherungsleistungen zustehen, bestimmt der Versicherungsnehmer also
durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem
Versicherer, die Verfügungscharakter hat (Senatsurteile vom 28. September
1988 - IVa ZR 126/87 - VersR 1988, 1236 unter 2 und vom 18. Juni 2003 - IV
ZR 59/02 - VersR 2003, 1021 unter II 1). Nichts anderes gilt für den
Widerruf oder die Änderung einer Bezugsberechtigung. Auch sie verlangen eine
einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf die inhaltliche
Änderung der bisherigen Bestimmung gerichtet ist und der demgemäß ebenfalls
Verfügungscharakter zukommt (Senatsurteil vom 28. September 1988 aaO).
10 2. Wem mit der vom Versicherungsnehmer gewählten Bezeichnung "Ehegatte
der versicherten Person" ein Bezugsrecht eingeräumt worden ist, muss deshalb
zunächst durch Auslegung der Willenserklärung des Verfügungsberechtigten
ermittelt werden - und zwar bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem er diese
abgegeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 1. April 1987 - IVa ZR 26/86 - VersR
1987, 659 unter 1). Maßgeblich ist also der bei der Festlegung des
Bezugsrechts vorhandene und dem Versicherer gegenüber zum Ausdruck gebrachte
Wille des Versicherungsnehmers (Senatsbeschluss vom 17. September 1975 - IV
ZA 8/75 - VersR 1975, 1020).
11 a) Das Berufungsgericht hat den Willen der verstorbenen Ehefrau des
Klägers, ihren damaligen Ehemann und nicht den Kläger widerruflich zu
begünstigen, dem Wortlaut der im Versicherungsantrag vorgenommenen
Einsetzung "der Ehegatte der versicherten Person" entnommen. Das lässt einen
Rechtsfehler nicht erkennen.
12 Dieser Wortlaut bietet keinen Anhalt dafür anzunehmen, die verstorbene
Ehefrau des Klägers habe bei Vertragsabschluss im Jahr 1979 nicht ihren
damaligen Ehemann, sondern allgemein diejenige Person begünstigen wollen,
die zum Zeitpunkt ihres Todes mit ihr verheiratet war. Zu Recht hat das
Berufungsgericht auch aus der im Antragsformular vorgenommenen Verknüpfung
zwischen dem Begriff "Todesfall" und dem Begriff "der Ehegatte" einen
solchen Schluss nicht gezogen. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich, dass sich die frühere Ehefrau des Klägers bei Vertragsschluss
Gedanken über den Fortbestand der Ehe machte oder gar den Fall einer
Scheidung in Betracht zog. Auch aus dem Umstand, dass die bezugsberechtigte
Person nicht konkret benannt worden ist, folgt nichts anderes. Der Verzicht
auf die volle Namensnennung rechtfertigt keine differenzierende
Betrachtungsweise (Senatsbeschluss vom 17. September 1975 aaO). Noch weniger
ist ersichtlich, wie der Empfänger der Erklärung, der Versicherer, von
seinem Horizont her davon hätte ausgehen sollen, dass die verstorbene
Ehefrau mit ihrem "Ehegatten" eine andere Person gemeint haben könnte, als
diejenige, mit der sie zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung verheiratet
war.
13 b) Die von der verstorbenen Ehefrau des Klägers im Versicherungsantrag
vorgenommene Einsetzung ihres ersten Ehegatten als Bezugsberechtigten ist
auch nicht nachträglich infolge der Scheidung dieser Ehe im Jahr 1985 wieder
entfallen.
14 Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass die
Benennung des Ehegatten des Versicherungsnehmers als Bezugsberechtigten
einer Versicherungsleistung ohne Hinzutreten besonderer Anhaltspunkte nicht
auflösend bedingt ist durch eine Scheidung der Ehe vor Eintritt des
Versicherungsfalles (BGHZ 79, 295, 298; Senatsbeschluss vom 17. September
1975 - IV ZA 81/75 - VersR 1975, 1020; Senatsurteil vom 1. April 1987 - IVa
ZR 26/86 - VersR 1987, 659 unter 1). Denn bei der Verwendung des Begriffs
"Ehegatte" bzw. "Ehefrau" ist - ohne Rücksicht auf einen den
bezugsberechtigten Ehegatten näher kennzeichnenden Namenszusatz (anders OLG
Frankfurt am Main VersR 1997, 1216) -nach der Lebenserfahrung regelmäßig
nicht anzunehmen, dass das Bezugsrecht nur für den Fall eingeräumt sein
soll, dass die Ehe zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls noch besteht (vgl.
auch OLG Hamm VersR 1981, 228; OLG Köln VersR 1993, 1133; OLG Karlsruhe
VersR 1998, 219; ebenso Kollhosser in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 167
Rdn. 4 m.w.N.; Römer, aaO § 167 Rdn. 3; a.A. noch Robrecht, DB 1967, 453
ff.). Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht im vorliegenden Fall zu
Recht jeden konkreten Anhaltspunkt dafür verneint hat, dass die verstorbene
Versicherungsnehmerin eine solche auflösend bedingte Einsetzung ihres ersten
Ehegatten als - widerruflich - Bezugsberechtigten gewollt hat, würde die
Rechtsstellung des Klägers durch den Eintritt der Bedingung infolge
Scheidung der ersten Ehe nicht zu der eines Bezugsberechtigten. Bei Eintritt
der Bedingung würde das Recht auf die Versicherungsleistung gemäß § 168 VVG
in das Vermögen des Versicherungsnehmers gehören, hier also in das der
Ehefrau des Klägers (vgl. dazu Senatsurteil vom 4. Dezember 1980 - IVa ZR
59/80 - VersR 1981, 371 a.E.; Kollhosser, aaO § 168 Rdn. 1; anders OLG
Frankfurt am Main aaO).
15 c) Auch eine entsprechende Anwendung von § 2077 Abs. 3 BGB, wonach eine
letztwillige Verfügung, durch die der Erblasser seinen Ehegatten bedacht
hat, im Falle der Auflösung der Ehe vor dem Tode des Erblassers dann nicht
unwirksam ist, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch für einen
solchen Fall getroffen haben würde, auf die vorliegende Fallgestaltung kommt
nicht in Betracht. Denn die für die Auslegung einer letztwilligen Verfügung
gebotene Prüfung des hypothetischen Erblasserwillens nach § 2077 Abs. 3 BGB
widerspricht der Rechtsnatur der Bezugsrechtsbenennung als einseitiger,
empfangsbedürftiger Willenserklärung (Senatsbeschluss vom 17. September 1975
aaO; Senatsurteil vom 1. April 1987 aaO; vgl. auch Kollhosser aaO;
BK-Schwintowski, VVG § 166 Rdn. 21; Palandt/Edenhofer, BGB 66. Aufl. 2007 §
2077 Rdn. 2 a.E.; ders. aaO § 1922 Rdn. 39; a.A. Winter aaO Anm. H 71;
Liebl-Wachsmuth, VersR 1983, 1004). Bei einer Erklärung im Rahmen einer
vertraglichen Vereinbarung ist im Interesse des Vertragspartners, hier des
Versicherers, weitgehend auf deren Wortlaut und darauf abzustellen, wie die
Erklärung aus dessen Sicht zu verstehen ist (Senatsurteil vom 1. April 1987
aaO). Außerdem soll der Versicherer im Interesse einer schnellen und
reibungslosen Abwicklung des Versicherungsfalls nicht - mitunter schwierige
- Auslegungsfragen entscheiden müssen, die sich aus einer entsprechenden
Anwendung von § 2077 BGB ergeben können (Senatsurteil vom 1. April 1987
aaO).
16 2. Damit blieb der frühere Ehegatte der verstorbenen Ehefrau des Klägers,
der Streitverkündete, auch nach deren Tod aus der bei der Beklagten
genommenen Rentenversicherung bezugsberechtigt.
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