Ausscheiden
einzelner Miterben aus der Erbengemeinschaft: Anwachsung der Erbteile an die
verbliebenen Miterben nach dem Rechtsgedanken des § 738 I S. 1 BGB
BGH, Urteil
vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 174/03
Fundstelle:
NJW 2005, 284
Amtl. Leitsatz:
Anteile von
Miterben, die aus einer fortbestehenden Erbengemeinschaft durch
Teilauseinandersetzung ausscheiden, wachsen den in der Erbengemeinschaft
verbleibenden Miterben im Verhältnis ihrer bisherigen Anteile an
(Bestätigung von BGHZ 138, 8, 11).
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von ihrem Bruder, dem Beklagten, Pflichtteilsergänzung
nach der Mutter der Parteien.
Aus der Ehe der Eltern der Parteien sind fünf Kinder hervorgegangen. Der
Vater verstarb 1983. Er wurde kraft Gesetzes von der Mutter zu 5/10 und von
jedem der Kinder zu 1/10 beerbt. Durch Teilerbauseinandersetzungsvertrag vom
17. Oktober 1989 schieden drei Geschwister, darunter die Klägerin, gegen
Abfindung aus der Erbengemeinschaft aus. Durch notariellen Vertrag vom 12.
Januar 1990 übertrugen die Mutter und die in der Erbengemeinschaft nach dem
Vater verbliebene Schwester ihre Erbanteile im Hinblick auf schon empfangene
oder weitere Gegenleistungen auf den Beklagten; dieser stellte die beiden
anderen Vertragsbeteiligten von der Erfüllung noch nicht erledigter
Abfindungszahlungen aus dem Vertrag vom 17. Oktober 1989 frei. 1998 starb
die Mutter der Parteien; es trat gesetzliche Erbfolge ein.
In der Übertragung der Erbanteile der Mutter nach dem Vater durch den
Vertrag vom 12. Januar 1990 lag unstreitig eine gemischte Schenkung
zugunsten des Beklagten. Deshalb verlangt die Klägerin
Pflichtteilsergänzung. Die Parteien streiten im wesentlichen um die Höhe der
Erbanteile, die der Mutter nach Ausscheiden der drei weiteren Geschwister
durch den Vertrag vom 17. Oktober 1989 an der Erbengemeinschaft nach dem
Vater zustanden. Nach Auffassung der Klägerin sind die Anteile der
ausgeschiedenen Geschwister den in der Erbengemeinschaft verbliebenen
Miterben im Verhältnis ihrer Erbteile angewachsen, so daß sich der Anteil
der Mutter auf 5/7 erhöht hat. Nach Ansicht des Beklagten, der die
Vorinstanzen gefolgt sind, ist es dagegen nicht zu einer Anwachsung
gekommen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Standpunkt weiter.
Entscheidungsgründe:
Die
Revision hat zum Teil Erfolg; sie führt zu einer Neuberechnung der Höhe des
Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Klägerin nach ihrer Mutter.
1. Das Berufungsgericht zieht als Grundlage der von der Klägerin vertretenen
Anwachsung der Erbteile der aus der Erbengemeinschaft nach dem Vater
ausgeschiedenen Miterben auf die verbleibenden Miterben die Vorschriften der
§§ 1935, 2094 BGB in Betracht und gelangt zu dem Ergebnis, daß sie einen auf
den Zeitpunkt des Erbfalls zurückwirkenden Wegfall von Miterben
voraussetzen, der hier nicht vorliege. Selbst eine analoge Anwendung dieser
Vorschriften führe aber nicht zu dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis:
Nach §§ 1371, 1931 BGB stehe dem überlebenden Ehegatten nicht mehr als die
Hälfte des Nachlasses unabhängig davon zu, ob sich fünf oder nur zwei
Abkömmlinge in den Rest teilen. Die von der Klägerin herangezogene
gesellschaftsrechtliche Regelung des § 738 BGB sei auf die Erbengemeinschaft
nicht anwendbar, weil in den §§ 2032, 2038 Abs. 2, 2042 Abs. 2, 2044 Abs. 1
BGB nicht auf das Gesellschaftsrecht, sondern auf das Recht der
Bruchteilsgemeinschaft verwiesen werde, das eine der Anwachsung
vergleichbare Regelung nicht kenne. Eine Anwachsung zugunsten der Mutter sei
von den Beteiligten der Verträge vom 17. Oktober 1989 und 12. Januar 1990
auch nicht gewollt gewesen; vielmehr habe der Beklagte allein sämtliche
Gegenleistungen aufbringen sollen.
2. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
a) In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß die Anteile von
Miterben, die aus einer fortbestehenden Erbengemeinschaft durch
Teilauseinandersetzung ausscheiden, den in der Erbengemeinschaft
verbleibenden Miterben im Verhältnis ihrer bisherigen Anteile anwachsen (BGHZ
138, 8, 11 m.w.N.). Das folgt aus der gesetzlichen Ausgestaltung der
Erbengemeinschaft als Gesamthand, in der die einzelnen Nachlaßgegenstände
der Gemeinschaft im ganzen zustehen (§§ 2033 Abs. 2, 2040 Abs. 1 BGB).
Dieser Charakter der Erbengemeinschaft hat die Anwendung des in anderem
Zusammenhang in § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB beim Ausscheiden von Mitgliedern
einer Gesamthand vorgesehenen Anwachsungsprinzips auch auf die
Erbengemeinschaft zur Folge. Auf den Willen der Beteiligten kommt es
insoweit nicht an.
b) Diesem Anwachsungsprinzip steht die Verweisung auf einzelne Vorschriften
aus dem Recht der Bruchteilsgemeinschaft in §§ 2038 Abs. 2, 2042 Abs. 2,
2044 Abs. 1 BGB nicht entgegen. Die Vorschriften der §§ 1935, 2094, 2095
BGB, die den rückwirkenden Wegfall von Erben und damit die Zusammensetzung
der Erbengemeinschaft im Zeitpunkt des Erbfalls betreffen, schließen eine
Anwachsung in anderen als den dort geregelten Fällen nicht aus, sondern
zeigen, daß die Anwachsung dem Recht der Erbengemeinschaft nicht fremd ist (BGHZ
138, 8, 13).
c) Gerade am Beispiel einer Teilauseinandersetzung, wie sie hier durch den
Vertrag vom 17. Oktober 1989 vorgenommen worden ist, wird deutlich, daß die
Anteile der verbleibenden Erben am Nachlaß nicht mit der gleichen Quote
bemessen werden können wie vor der Teilauseinandersetzung: Der Nachlaß ist
hier durch Abfindungsleistungen, die teilweise sofort erbracht, teilweise
aber auch erst später fällig und durch eine Belastung von in der
Erbengemeinschaft verbleibenden Grundstücken finanziert wurden, real und in
seinem wirtschaftlichen Wert verkleinert worden. Den ausscheidenden Miterben
sollte der Wert ihres Erbteils zugute kommen; dadurch sollte aber der Wert
des Anteils der verbleibenden Erben nicht geschmälert werden. Die Anteile
der verbleibenden Miterben können bei einer Verkleinerung des Nachlasses
ihren bisherigen Wert aber nur behalten, wenn sie sich der Quote nach
entsprechend erhöhen. Diesen Gedanken hat die Revision anhand von
Rechenbeispielen näher erläutert; dem tritt der Beklagte in der
Revisionsinstanz nicht mehr entgegen. Danach ist hier von einem Anteil der
Mutter an dem nach der Teilauseinandersetzung vom 17. Oktober 1989 in der
ungeteilten Erbengemeinschaft verbliebenen Nachlaß von 5/7 auszugehen.
3. Für die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Klägerin sind
folgende Überlegungen maßgeblich:
a) Im Anschluß an die Feststellungen im Urteil des Landgerichts ist mit dem
Berufungsgericht davon auszugehen, daß der ungeteilte Nachlaß, der dem
Beklagten infolge des Erbteilsübertragungsvertrages vom 12. Januar 1990
allein gehörte, nur noch aus dem Grundvermögen bestand, das nach der
Teilerbauseinandersetzung vom 17. Oktober 1989 in der fortbestehenden
Erbengemeinschaft geblieben war. In der Präambel des Vertrages vom 12.
Januar 1990 heißt es, daß die Erbengemeinschaft "hinsichtlich des ...
Grundbesitzes" aufgehoben und auseinandergesetzt werde. Soweit die Klägerin
unter Bezug auf ein anderes Verfahren in der Revisionsinstanz vorträgt,
diesem Nachlaß seien Erträge aus den Grundstücken, Bankguthaben und Zinsen
in Höhe von insgesamt 366.828,03 DM hinzuzurechnen, handelt es sich um neues
Vorbringen, das in den Tatsacheninstanzen des Verfahrens zwischen den hier
beteiligten Parteien noch nicht vorgetragen worden ist; damit ist die
Klägerin in der Revision ausgeschlossen (§ 559 Abs. 1 ZPO). Sie hatte in
erster Instanz hier nur vorgetragen, zwar gehe es im Vertrag vom 12. Januar
1990 lediglich um Grundvermögen, es sei aber unklar, ob die im Vertrag vom
17. Oktober 1989 vorgesehenen Abfindungen der ausgeschiedenen Miterbinnen
nicht aus dem seinerzeit vorhandenen weiteren Vermögen bedient worden seien,
solange der Beklagte deren Finanzierung nicht offenlege (Schriftsatz vom 5.
Februar 2002, S. 3). Der Beklagte hat in zweiter Instanz auf Anforderung des
Gerichts am 8. Januar 2003 Finanzierungsunterlagen (u.a.
Darlehensvertrag/Überweisungen) vorgelegt. Das hat die Klägerin nicht zum
Anlaß genommen, ihr Vorbringen aus erster Instanz zu konkretisieren. Es wäre
aber Sache der Klägerin gewesen, für ihren Anspruch auf
Pflichtteilsergänzung wegen der Erbteilsübertragung der Mutter vom 12.
Januar 1990 näher vorzutragen, ob sich die gemischte Schenkung außer auf
Grundvermögen etwa noch auf weitere Vermögenswerte bezogen habe und von
welchem Wert insoweit auszugehen sei. Im übrigen hat der Beklagte bereits in
erster Instanz vorgetragen, soweit der Erbengemeinschaft Barvermögen etwa
aus den Erträgen der Grundstücke zugestanden habe, sei dies bei der Mutter
der Parteien verblieben, also nicht Gegenstand des
Erbteilsübertragungsvertrages vom 12. Januar 1990 geworden. Auch dem ist die
Klägerin nicht entgegen getreten.
b) Der Wert des durch den Vertrag vom 12. Januar 1990 auf den Beklagten
übergegangenen Grundvermögens betrug 1990 unstreitig 2.515.000 DM. Dabei ist
jedoch die Grundschuld in Höhe von 500.000 DM nicht berücksichtigt, die
gemäß § 11 des Teilerbauseinandersetzungsvertrages vom 17. Oktober 1989 zur
Finanzierung der Barabfindungen der seinerzeit ausgeschiedenen Miterbinnen
zulasten des in der ungeteilten Erbengemeinschaft verbliebenen
Grundvermögens bestellt worden ist.
Nach Ansicht der Revision kann diese Grundschuld nicht vom Wert des
Restnachlasses abgezogen werden, weil sie eine Darlehensschuld des Beklagten
persönlich gesichert habe. Hierfür bezieht sich die Revision auf § 4 Abs. 2
des Erbteilsübertragungsvertrages vom 12. Januar 1990, wonach der Beklagte
seine Mutter und seine Schwester im Zusammenhang mit deren Übertragung ihrer
Erbanteile auf den Beklagten freigestellt hat von einem etwaigen
Schuldendienst hinsichtlich der in Rede stehenden Grundschuld über 500.000
DM.
Nach dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen landgerichtlichen Urteil
war es zwar der Beklagte, der die von der Grundschuld über 500.000 DM
gesicherten Darlehen aufnahm, der Kredit diente aber - wie auch aus § 11 des
Vertrages vom 17. Oktober 1989 hervorgeht -der Abfindung der am 17. Oktober
1989 aus der Erbengemeinschaft ausgeschiedenen Miterbinnen. Schuldner dieser
Abfindung war die aus den drei verbleibenden Miterben bestehende
Erbengemeinschaft, der dafür entsprechend mehr vom Grundvermögen des Vaters
verblieb. Die Höhe der Abfindungszahlungen war in § 6 des Vertrages vom 17.
Oktober 1989 für jede der drei ausscheidenden Miterbinnen auf je 274.809,70
DM vereinbart worden. Dieser Betrag sollte teilweise - für jede
ausscheidende Miterbin in unterschiedlicher Höhe - durch Anrechnung bereits
empfangener Beträge oder Leistungen und im übrigen durch Barzahlung getilgt
werden. Nach § 8 des Teilerbauseinandersetzungsvertrages vom 17. Oktober
1989 sollten die drei ausscheidenden Miterbinnen bis 31. Oktober 1989
weitere je 20.000 DM erhalten. Die danach verbleibende Restschuld (nach dem
Stand vom 17. Oktober 1989 für alle drei ausscheidenden Miterbinnen zusammen
noch 500.584,99 DM) sollte gemäß § 8 des Vertrages vom 17. Oktober 1989 bis
15. Januar 1990 fällig und nach § 11 dieses Vertrages mit Hilfe einer
Grundpfandrechtsbestellung bis zu einem Betrage von 500.000 DM finanziert
werden. Diese Art der Tilgung war unabhängig davon vorgesehen, daß in § 5
des Vertrages vom 17. Oktober 1989 Barvermögen des Nachlasses erfaßt war wie
Spargelder und Einnahmen aus dem Grundbesitz (Mieteinkünfte und
Erbbauzinsen). Von der durch Finanzierung zu tilgenden Abfindungsschuld hat
der Beklagte die beiden Miterbinnen, die ihre Erbteile im Vertrag vom 12.
Januar 1990 auf ihn übertragen haben, im dortigen § 4 Abs. 2 freigestellt.
Diese Formulierung bestätigt also, daß es sich um eine Schuld aller drei am
17. Oktober 1989 in der Erbengemeinschaft verbliebenen Miterben handelte und
nicht etwa um eine Schuld allein des Beklagten persönlich. Daß nur der
Beklagte ein Darlehen aufgenommen hat, ändert nichts daran, daß die Schuld,
die getilgt werden sollte, und auch die Grundschuld, die den Kredit
sicherte, den Wert des der Erbengemeinschaft vor Abschluß des
Erbteilsübertragungsvertrages vom 12. Januar 1990 zustehenden Restnachlasses
nach dem Vater minderten.
Damit ist die Grundschuld in Höhe von 500.000 DM vom Wert des Nachlasses,
auf den sich der Erbteilsübertragungsvertrag vom 12. Januar 1990 bezog,
abzuziehen. Der durch Anwachsung erhöhte Erbanteil der Mutter von 5/7, den
sie im Wege einer gemischten Schenkung auf den Beklagten übertragen hat,
bezog sich mithin nur noch auf einen Nachlaß im Wert von 2.015.000 DM, ist
also mit einem Betrag von 1.439.285,70 DM anzusetzen.
c) Davon sind unstreitig Gegenleistungen des Beklagten zugunsten seiner
Mutter im Wert von 95.137,20 DM und 18.400 DM abzuziehen. Der verbleibende
Betrag ist inflationsbereinigt von 1990 auf den Zeitpunkt des Erbfalles im
Jahre 1998 umzurechnen. Auf der Grundlage der vom Landgericht herangezogenen
unstreitigen Ansätze zum jeweils maßgeblichen Lebenshaltungskostenindex
ergeben sich als Wert der Schenkung zugunsten des Beklagten 1.611.603,30 DM.
Hinzu kommt ein von der Mutter tatsächlich hinterlassener Nachlaß im Wert
von unstreitig 321.362 DM. Von der Summe beider Beträge (1.932.965,30 DM)
hat die Klägerin einen Pflichtteil von einem Zehntel zu beanspruchen, d.h.
193.296,53 DM.
Davon abzusetzen ist gemäß § 2326 Satz 2 BGB der Nachlaß der Mutter, soweit
er der Klägerin hinterlassen ist (64.272 DM). Ferner sind unstreitig
Zahlungen an die Klägerin in Höhe von insgesamt 90.772,69 DM zu
berücksichtigen. Daraus folgt ein restlicher Anspruch der Klägerin in Höhe
von 38.251,84 DM. Insoweit waren die Urteile der Vorinstanzen zu ändern.
Hinsichtlich der Zinsen wird das Berufungsurteil nicht angegriffen.
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