BGH, Urteil vom 13. April 2011 - IV ZR 204/09
Amtl. Leitsatz:
Der BGH entscheidet im Zusammenhang mit einem
Pflichtteilsanspruch eine lange strittige Frage im Zusammenhang mit dem sog.
"Eintrittsprinzip" bei der gesetzlichen Erbfolge. Bei der Erbfolge nach
Stämmen erbt jeweils das Stammesoberhaupt, d.h. in der ersten Erbordnung
(Abkömmlinge) der am nächsten Verwandte. Er schließt nach § 1924 II BGB die
durch ihn mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge aus, repräsentiert also
alleine den jeweiligen Stamm (daher auch die Bezeichnung als
"Repräsentationsprinzip"). An seine Stelle treten aber nach § 1924 III BGB
seine Abkömmlinge, wenn er z.Zt. des Erbfalls nicht mehr lebt (sog. "Einrittsprinzip).
Hier hatte der nähere Abkömmling (Sohn der Erblasserin) diese zwar überlebt,
war aber enterbt. Der BGH schließt sich mit überzeugender Begründung der
h.M., die derjenigen des RG entsprach an.
Im konkreten Fall war die Frage des gesetzlichen Erbrechts deshalb relevant,
weil die Erblasserin eine andere Person (einen ihrer Enkel) eingesetzt hatte
und dem enterbten Abkömmling (ihrem Sohn) auch den Pflichtteil (berechtigt)
entzogen hatte. Der andere Enkel der Erblasserin (zugleich der andere Sohn
des Enterbten) konnte nur dann Pflichtteilsberechtigt sein, wenn er ohne die
Einsetzung eines Dritten gesetzliche Erben geworden wär (s. § 2303 I BGB).
Wäre kein (wirksamer) Pflichtteilsentzug erfolgt, wäre der enterbte selbst
Pflichtteilsberechtigt gewesen, die Frage hätte sich nicht gestellt. Direkt
relevant hätte das gesetzliche Erbrecht dann sein können, wenn sich der
Erblasser damit begnügt hätte, den Abkömmling zu enterben und den
Pflichtteil zu entziehen, ohne einen Dritten einzusetzen (sog. "negatives
Testament" iSv § 1938 BGB).
Kurz: Wird ein Abkömmling enterbt, rücken die durch ihn an seine Stelle
tretenden Abkömmlinge gem. § 1924 III als gesetzliche Erben nach. Werden sie
auch enterbt (was ggf. im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, hier aber
klar war, da ein Dritter eingesetzt wurde), sind sie grundsätzlich
pflichtteilsberechtigt. Kann allerdings der Enterbte nähere Verwandte (hier
der Vater) Pflichtteilsansprüche geltend machen, scheitern diese Ansprüche
an § 2309 BGB. Eine doppelte Pflichtteilslast wird dadurch vermieden. Hier
scheiterte dies aber nicht, da dem Vater der Pflichtteil wirksam entzogen
wurde. Die Formulierung des § 1924 III BGB ist also zu eng: Das
Eintrittsprinzip gilt nicht nur bei Vorversterben, sondern kraft besonderer
gesetzlicher Regelungen auch, wenn ein Abkömmling ausgeschlagen hat (s. §
1953 II) oder für erbunwürdig erklärt wurde (§ 2344 II). Das wird ausgedehnt
auf den gesetzlich nicht geregelten Fall der Enterbung: Seine Abkömmlinge
treten nach
§ 1924 III an seine Stelle, sofern nicht die Enterbung nach dem
Erblasserwillen den gesamten Stamm enterben soll. Anders ist das nach § 2349
BGB beim Erbverzicht: Dieser schließt vorbehaltlich einer anderweitigen
Vereinbarung (der Erbverzicht ist ein Vertrag, s. § 2346!) auch das
gesetzliche Erbrecht seiner Abkömmlinge aus.
1 Der Kläger macht im Wege der Stufenklage Pflichtteils- und
Pflichtteilsergänzungsansprüche nach seiner am 18. Dezember 2007
verstorbenen Großmutter geltend, deren Alleinerbe der Beklagte ist.
2 Die Parteien sind Geschwister. Ihre Großeltern väterlicherseits setzten
sich mit gemeinschaftlichem notariellem Testament vom 26. Februar 1991
gegenseitig zu Alleinerben des Erstversterbenden ein. Der Vater der Parteien
wurde zum alleinigen Erben des Längstlebenden bestimmt. Nach dem Tod des
Großvaters am 23. Juli 1998 errichtete die Großmutter am 21. Mai 2001 ein
notarielles Testament, in dem es unter anderem heißt:
Ich habe bereits mit meinem verstorbenen Ehemann ... am
26.02.1991 ein gemeinschaftliches notarielles Testament . errichtet ..
Jedoch sind in der jüngeren Vergangenheit Dinge geschehen, die zu meinem
Entschluss geführt haben, dieses Testament vom 26.02.1991 zu widerrufen, meinem
Sohn den Pflichtteil zu entziehen und letztwillig neu zu verfügen.
Nach dem Tode meines Ehemannes 1998 hat mein Sohn sich zunächst um mich
gekümmert und auch meine finanziellen Dinge geregelt.
Hierzu gehörte u.a. auch die In-Verwahrnahme eines mir gehörenden Goldbarrens im
Wert von rd. 20.000,-- DM, den ich bisher immer zu Hause aufbewahrt hatte als
'Notgroschen'.
Im Jahr 1999 stand die Reparatur des Daches sowie anderer Dinge in meinem
Wohnhaus . an. Ich ging daher mit meinem Sohn zu meiner Hausbank ., um dort den
Betrag von rd. 72.000,-- DM abzuheben. Davon sollten diverse Arbeiten am Haus
ausgeführt werden .. Der nach Durchführung der notwendigen Arbeiten verbleibende
Betrag war als Schenkung für meinen Sohn bestimmt. .
Mein Sohn hat dann das Geld an sich genommen und versprochen, die besprochenen
Arbeiten auch in Auftrag zu geben und durchführen zu lassen.
Nachdem dann jedoch längere Zeit nichts passiert ist, habe ich meinen Sohn
erinnert und um Klärung gebeten. Zur Antwort erhielt ich sodann nur den Hinweis,
dass er so lange ich lebe überhaupt keine Arbeiten am Haus mehr ausführen lassen
würde.
Auf meine Aufforderung hin, dass er mir sodann wieder den für die Arbeiten
erforderlichen Geldbetrag wieder zurückgeben solle, . bekam ich zur Antwort,
dass er gar nicht daran denke, mir das Geld zurückzuzahlen. Auch auf die
mehrfache Aufforderung meinerseits, mir wenigstens den zur Aufbewahrung
überlassenen Goldbarren zurückzugeben, erfolgte keine Reaktion.
Gleichzeitig ist der persönliche Kontakt vollkommen abgerissen.
Mein Sohn hat das ihm anvertraute Geld veruntreut und dadurch mein Vertrauen in
ihn zutiefst erschüttert. Aus diesem Grund widerrufe ich hiermit die
Erbeinsetzung gem. dem gemeinschaftlichen notariellen Testament vom 26.02.1001
des Notars Dr. B. und entziehe hiermit meinem Sohn Claus Dieter H. auch den
Pflichtteil.
Ich setze daher nunmehr ... meinen Enkel Uwe H ... zu meinem alleinigen und
unbeschränkten Erben ein."
3 Der noch lebende Vater der Parteien hat weder
gegenüber der Großmutter noch gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, er
sei Erbe nach seiner Mutter geworden oder pflichtteilsberechtigt.
4 Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein
Pflichtteil aus dem Nachlass der Großmutter zu, und begehrt im Wege der
Stufenklage Auskunft über den Bestand des Nachlasses einschließlich
anrechnungs- und ausgleichspflichtiger Zuwendungen sowie beeinträchtigender
Schenkungen, Abgabe der Versicherung an Eides Statt, Zahlung des
Pflichtteilsanspruchs sowie daneben Erstattung außergerichtlicher
Rechtsanwaltskosten.
5 Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen,
weil der Kläger schon nicht pflichtteilsberechtigt sei. Das
Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit
der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat in der Sache überwiegend Erfolg.
7 I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
8 Der vom Kläger verfolgte Auskunftsanspruch nach §
2314 Abs. 1 BGB setze voraus, dass dieser als gesetzlicher Erbe seiner
Großmutter durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen
worden und infolgedessen nach § 2303 BGB pflichtteilsberechtigt sei. Dies
sei jedoch nicht der Fall, da der zum Zeitpunkt des Erbfalls als näherer
Abkömmling noch lebende Vater der Parteien den Kläger nach § 1924 Abs. 2 BGB
von der Erbfolge ausgeschlossen habe.
9 Etwas anderes könne sich zwar aus § 2309 BGB
ergeben, weil der Vater der Parteien wirksam enterbt und ihm der Pflichtteil
entzogen worden sei, so dass dieser wie ein bereits zum Zeitpunkt des
Erbfalls verstorbener Abkömmling zu betrachten sei. Weitere Voraussetzung
sei allerdings, dass die Pflichtteilsentziehung wirksam sei. Dies stehe
jedoch nicht fest und könne in diesem Rechtsstreit auch nicht wirksam
festgestellt werden, da der Vater der Parteien nicht beteiligt sei. Möglich
sei dies nur durch gerichtliche Entscheidung im Verhältnis des von der
Entziehung nachteilig betroffenen Pflichtteilsberechtigten und dem noch
lebenden Erblasser oder dessen Erben. Alleine darauf, dass der Vater der
Parteien die Pflichtteilsentziehung nicht angefochten habe, komme es nicht
an, da sich deren Unwirksamkeit auch aus Rechtsgründen ergeben könne, die
von der Anfechtung nicht erfasst würden.
10 II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
Dem Kläger steht als Pflichtteilsberechtigtem, der in
der Geltendmachung des Pflichtteils nicht durch § 2309 BGB beschränkt ist,
ein Auskunftsanspruch nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB gegenüber dem Beklagten
als Erben der gemeinsamen Großmutter zu.
12 1. Der Kläger kann nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB
als Abkömmling der Erblasserin vom Beklagten als deren Erben den Pflichtteil
verlangen, da er durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge
ausgeschlossen wurde.
13 a) Er wäre infolge der Enterbung seines Vaters
durch das notarielle Testament seiner Großmutter vom 21. Mai 2001 - neben
dem Beklagten - deren nächstberufener gesetzlicher Erbe gewesen.
14 aa) Nach § 1924 Abs. 2 BGB schließt ein zur Zeit
des Erbfalls lebender Abkömmling zwar diejenigen von der Erbfolge aus, die
durch ihn mit dem Erblasser verwandt sind. Dies gilt jedoch nur für den
Fall, dass der nähere Abkömmling auch zur Erbfolge gelangt (vgl. nur RGZ 61,
14, 17 f.; RG, JW 1913, 869, 870).
15 Ein gesetzliches Erbrecht des entfernteren
Abkömmlings besteht daher nicht nur - wie in § 1924 Abs. 3 BGB bestimmt -,
wenn der nähere Abkömmling zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr lebt.
Erstgenannter tritt auch dann in die Erbenstellung ein und erwirbt ein
eigenständiges Erbrecht, wenn der nähere Abkömmling nicht gesetzlicher Erbe
wird, weil er die Erbschaft ausgeschlagen hat (§ 1953 Abs. 2 BGB), für
erbunwürdig erklärt wurde (§ 2344 Abs. 2 BGB) oder einen - beschränkten -
Erbverzicht erklärt hat (§§ 2346 Abs. 1 Satz 2, 2349 BGB).
16 bb) Ob der entferntere Abkömmling auch dann als
gesetzlicher Erbe berufen ist, wenn - wie hier - der nähere Abkömmling durch
Verfügung von Todes wegen enterbt wurde, ist umstritten.
17 (1) Die herrschende Meinung bejaht den Eintritt
des entfernteren Abkömmlings in das gesetzliche Erbrecht infolge einer
letztwilligen Ausschließung des näheren Abkömmlings (vgl. RGZ 61, 14, 17 f.;
93, 193, 194 f.; RG JW 1913, 869, 870; J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB 2.
Aufl. § 2309 Rn. 4, 8; MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2309 Rn. 12;
MünchKomm-BGB/Frank, 3. Aufl. § 2309 Rn. 6; NK-BGB/Bock, 3. Aufl. § 2309 Rn.
3 ff.; PWW/Deppenkemper, BGB 5. Aufl. § 2309 Rn. 2; Soergel/Stein, BGB 13.
Aufl. § 1924 Rn. 34, § 1938 Rn. 7; Ebbecke, LZ 1919, 505 f.; Gottwald,
Pflichtteilsrecht § 2309 Rn. 1, 4; Joachim, Pflichtteilsrecht 2. Aufl. Rn.
56; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. § 37 IV 2 b; J. Mayer in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz,
Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl. § 2 Rn. 25, 34).
18 Demnach gelangten hier die Parteien, nicht aber
ihr Vater zur gesetzlichen Erbfolge, nachdem die Erblasserin diesen im
Testament vom 21. Mai 2001 gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 2294 BGB
durch den Widerruf seiner bisherigen Erbeinsetzung enterbt hatte. Hierzu war
die Erblasserin berechtigt, weil ihr Sohn sich einer Verfehlung schuldig
gemacht hatte, die sie nach § 2333 Nr. 3 BGB in der gemäß Art. 229 § 23 Abs.
4 Satz 1 EGBGB noch anzuwendenden, bis zum 31. Dezember 2009 geltenden
Fassung (BGB a.F.) zur Entziehung des Pflichtteils berechtigte.
19 Da die Pflichtteilsentziehung mit ihrem
außerordentlichen Gewicht und ihrem demütigenden Charakter einer "Verstoßung
über den Tod hinaus" nahe kommt, kommt sie nur bei einer schweren Verletzung
der dem Erblasser geschuldeten familiären Achtung in Betracht (vgl.
Senatsurteil vom 6. Dezember 1989 - IVa ZR 249/88, BGHZ 109, 306, 312 f.).
Hierbei können auch Verfehlungen gegen das Eigentum oder das Vermögen des
Erblassers genügen. Sie müssen aber nach der Natur der Verfehlung und der
Art und Weise, wie sie begangen worden sind, eine grobe Missachtung des
Eltern-Kind-Verhältnisses zum Ausdruck bringen und deshalb eine besondere
Kränkung des Erblassers bedeuten (vgl. Senatsurteil vom 1. März 1974 - IV ZR
58/72, NJW 1974, 1084 unter 2; MünchKomm-BGB/Lange, § 2333 Rn. 21; Soergel/Dieckmann,
BGB 13. Aufl. § 2333 Rn. 9).
20 Ein derart schweres vorsätzliches Vergehen i.S.
von § 2333 Nr. 3 BGB a.F. ist hier anzunehmen. Nach dem unstreitigen und
daher vom Revisionsgericht zugrunde zu legenden Sachverhalt hatte die
Erblasserin ihrem Sohn einen Betrag von 72.000 DM überlassen, damit er von
diesem notwendige Arbeiten an ihrem Haus ausführt. Lediglich der Rest sollte
ihm geschenkt sein. Außerdem hatte er einen Goldbarren im Wert von 20.000 DM
in Verwahrung genommen. Tatsächlich hat der Sohn keinerlei Arbeiten
ausgeführt und weder das Geld noch den Goldbarren zurückgegeben sowie in der
Folgezeit jeden Kontakt mit der Erblasserin abgebrochen.
21 (2) Andere unterscheiden danach, ob der nähere
Abkömmling aufgrund einer negativen Verfügung von Todes wegen enterbt wurde
(§ 1938 BGB) oder ob er - nur - infolge einer erschöpfenden Erbeinsetzung
eines Dritten übergangen wurde. Nur im ersten Fall könne angenommen werden,
dass der nähere Abkömmling zur gesetzlichen Erbfolge nicht berufen sein und
der entferntere Abkömmling an dessen Stelle einrücken soll (vgl. von
Jacubetzky, Recht 1906, 281, 282; Kretzschmar, Recht 1908, 793, 794 f.; so
wohl auch MünchKomm-BGB/Leipold, 5. Aufl. § 1924 Rn. 30 f.; Soergel/Dieckmann,
BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 2, 7 ff., 12; Staudinger/Werner, BGB [2008] § 1924
Rn. 11, 19; ausdrücklich a.A. und eine derartige Differenzierung nicht
treffend: RGZ 93, 193, 195; MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2309 Rn. 12;
Staudinger/ Ferid/Cieslar, BGB [1983] § 2309 Rn. 26; Maenner, Recht 1920,
134, 135).
22 Das kann hier dahinstehen. Durch die letztwillige
Verfügung im notariellen Testament vom 21. Mai 2001, in dem die Erblasserin
dem Vater der Parteien zusätzlich den Pflichtteil entzogen hat, hat sie zum
Ausdruck gebracht, dass dieser gänzlich vom Nachlass ausgeschlossen sein
soll, und mithin auch eine Anordnung i.S. von § 1938 BGB getroffen. Dies hat
das Berufungsgericht für § 2309 BGB zutreffend zugrunde gelegt und
festgestellt, dass der Vater der Parteien infolge der Enterbung wie ein
bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls verstorbener näherer Abkömmling zu
betrachten sei.
23 (3) Die herrschende Meinung wird in neuerer Zeit
von vereinzelten Stimmen in der Literatur in Zweifel gezogen. Ein
entfernterer Abkömmling könne aufgrund einer Verfügung des Erblassers nicht
in die Stellung eines gesetzlichen Erben einrücken und damit - im Falle der
eigenen Enterbung - auch nicht pflichtteilsberechtigt werden (vgl. Hk-PflichtteilsR/
Heisel, § 2309 Rn. 12; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 16 f., 31 ff.;
Bestelmeyer, FamRZ 1997, 1124, 1130 ff.; Heymann, Die Grundzüge des
gesetzlichen Verwandten-Erbrechts 1896 S. 53 f.; i.E. ähnlich Strohal, Das
Pflichtteilsrecht der entfernteren Abkömmlinge und der Eltern des Erblassers
1899 S. 8 f.). Begründet wird dies vor allem damit, dass das Bürgerliche
Gesetzbuch für den Fall der Enterbung keine Vorversterbensfiktion kenne (Hk-PflichtteilsR/Heisel,
§ 2309 Rn. 12; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 16; Bestelmeyer, FamRZ
1997, 1124, 1130) und es daher nicht zum Eintreten des entfernteren
Abkömmlings nach § 1924 Abs. 3 BGB komme. Zudem dürfe eine letztwillige
Verfügung nicht in einzelne enterbende Verfügungen aufgespalten werden, nach
denen die entfernteren Abkömmlinge zunächst gesetzliche Erben und sodann
selbst enterbt würden. Das ließe unberücksichtigt, dass sich die Frage, wer
zum Erbe kraft Gesetzes berufen sei, erst im Erbfall stellen könne. Daher
werde nur der nähere Abkömmling als gesetzlicher Erbe ausgeschlossen, nicht
aber die entfernteren, die zu diesem Zeitpunkt nicht gesetzliche Erben seien
(so Bestelmeyer, FamRZ 1997, 1124, 1131).
24 Weiter wird vorgebracht, dass die aus der
Testierfreiheit fließende Befugnis des Erblassers, jemanden von der
gesetzlichen Erbfolge auszuschließen, für die Frage der
Pflichtteilsberechtigung keine Beachtung finden könne. § 2303 BGB knüpfe an
den hypothetischen Fall der gesetzlichen Erbfolge an, ein entfernterer
Verwandter könne daher aufgrund einer Verfügung des Erblassers nicht
pflichtteilsberechtigt werden (so Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn.
16).
25 (4) Zutreffend ist die vom Reichsgericht
begründete Auffassung.
26 Für vergleichbare Fallkonstellationen der
Ausschlagung (§ 1953 Abs. 2 BGB), der Erbunwürdigkeit (§ 2344 Abs. 2 BGB)
sowie des beschränkten Erbverzichts (§ 2346 Abs. 1 Satz 2, § 2349 BGB) hat
der Gesetzgeber zwar eine Regelung dahin getroffen, dass in diesen Fällen
die Erbschaft demjenigen anfällt, welcher berufen sein würde, wenn der
Weggefallene zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte. Dass eine solche
gesetzliche Bestimmung für die Ausschließung eines Abkömmlings von der
Erbfolge durch Verfügung von Todes wegen fehlt, rechtfertigt jedoch nicht
den Schluss, dass es in dieser Konstellation nicht zum Eintreten des
Abkömmlings nach § 1924 Abs. 3 BGB kommen kann. Denn die
Entstehungsgeschichte der genannten Normen - einschließlich derjenigen des §
1924 BGB - belegt, dass der Gesetzgeber einen Gleichlauf der Folgen der
Ausschlagung, der Ausschließung durch Verfügung von Todes wegen und der
Erbunwürdigkeit beabsichtigte.
27 (aa) Der 1. Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs
enthielt - im Einklang mit den Motiven - in § 1972 eine Regelung,
nach der die Fälle der Ausschlagung, des Ausschlusses, des Erbverzichts und
der Erbunwürdigkeit gleich behandelt werden sollten und der gesetzliche Erbe
"in Ansehung der gesetzlichen Erbfolge als vor dem Erbfalle gestorben
anzusehen" sei. Dies wurde von der 2. Kommission "sachlich ohne
Widerspruch" gebilligt (vgl. Protokolle V, S. 483; davon ausgehend auch
Protokolle V, S. 512 zum späteren § 2309 BGB, wonach der nähere Abkömmling
durch "Ausschließung von der gesetzlichen Erbfolge ... als gesetzlicher Erbe
in Fortfall kommt"; ferner Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen
Gesetzbuchs, Erbrecht Bd. 1 S. 79 zu den Beratungen der 1. Kommission). Mit
Blick auf die ausdrücklichen Regelungen bei Ausschlagung und Erbunwürdigkeit
sollte § 1972 des 1. Entwurfs jedoch neu gefasst werden und sich nur noch
auf die Ausschließung durch letztwillige Verfügung und den Erbverzicht
erstrecken. In späteren Beratungen gelangte die 2. Kommission - ergänzend -
dazu, das noch dem 1. Entwurf zugrunde liegende Prinzip (vgl. Motive V, S.
480 f.), dass der Erbverzicht nicht das selbständige Erbrecht von
Abkömmlingen berühren solle, zugunsten einer Regelung aufzugeben, nach der
"im Zweifel auch die Abkömmlinge des Verzichtenden von der gesetzlichen
Erbfolge ausgeschlossen" würden (vgl. Protokolle V, S. 604 ff.).
28 In der Folge hat die Redaktionskommission jedoch
davon abgesehen, eine § 1972 des 1. Entwurfs entsprechende Bestimmung zu
übernehmen; eine derartige Regelung fehlt daher im nachfolgenden Teilentwurf
zum Erbrecht und im Bürgerlichen Gesetzbuch. Dafür, dass damit jedoch eine
Änderung betreffend das Erbrecht entfernterer Abkömmlinge im Falle des
Ausschlusses des näheren Abkömmlings einhergehen sollte, bestehen keine
Anhaltspunkte. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs ging -
entsprechend dem Gedanken des § 1972 des 1. Entwurfs - davon aus, dass die
Entziehung des gesetzlichen Erbrechts, soweit nichts anderes angeordnet ist,
nicht über die Person des unmittelbar Betroffenen hinauswirken soll (vgl.
RGZ 61, 14, 17 f.; Staudinger/Werner, BGB [2008] § 1924 Rn. 19).
29 Die mögliche Nachfolge eines entfernteren
Abkömmlings in die Stellung als gesetzlicher Erbe bei gleichzeitigem
Bestehen einer Pflichtteilsberechtigung des näheren Abkömmlings, die nach §
2303 Abs. 1 Satz 1 BGB die Ausschließung von der gesetzlichen Erbfolge
zugunsten des - neuen - gesetzlichen Erben erfordert, setzt auch die
Regelung des § 2320 BGB voraus (vgl. RG, JW 1913, 869, 870).
30 (bb) Es trifft nicht zu, dass einer
letztwilligen Verfügung nicht einzelne enterbende Verfügungen entnommen
werden können. In Rechtsprechung und Lehre ist vielmehr anerkannt, dass eine
Enterbung des entfernteren Abkömmlings zwar nicht schon alleine in der
Ausschließung des näheren Abkömmlings gründet, jedoch dann anzunehmen ist,
wenn sich ein dahin gehender, zusätzlicher Erblasserwille feststellen lässt
(vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Januar 1959 - V ZR 28/58, FamRZ 1959,
149 unter I 1; RGZ 61, 14, 16; RG, JW 1913, 869, 870; MünchKomm-BGB, 5.
Aufl. § 1924 Rn. 31; Soergel/Stein, BGB 13. Aufl. § 1924 Rn. 34, § 1938 Rn.
7; a.A. Bähr, Archiv für bürgerliches Recht, Bd. 3 [1899] S. 141, 200).
31 (cc) Die Enterbung des näheren Abkömmlings
führt zunächst nur zum Einrücken des entfernteren in die Stellung als
gesetzlicher Erbe, so dies nach dem Erblasserwillen anzunehmen ist.
Erst durch eine weitere Verfügung, mit der nunmehr auch der
entferntere Abkömmling von der Erbfolge ausgeschlossen wird, kommt diesem
eine Pflichtteilsberechtigung nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB zu.
Diese leitet sich jedoch nicht aus einer Verfügung von Todes wegen ab,
sondern gründet in dem selbständigen Erbrecht des entfernteren
Abkömmlings. Infolge der Enterbung von Abkömmlingen mehrerer Stufen kommt es
dann zu einer möglichen Konkurrenz von Pflichtteilsansprüchen, die durch §
2309 BGB eine Regelung erfahren hat.
32 (dd) Die abweichende Auffassung würde
schließlich zu Wertungswidersprüchen führen, die von der herrschenden
Meinung vermieden werden. Denn die Nachkommen eines näheren Abkömmlings, der
lediglich enterbt wurde, würden schlechter stehen, als diejenigen eines
näheren Abkömmlings, gegenüber dem das Verdikt der Erbunwürdigkeit aus den
Gründen des § 2339 BGB ausgesprochen wurde (vgl. Soergel/Dieckmann,
BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 12).
33 b) Infolge der Einsetzung des Beklagten im
notariellen Testament vom 21. Mai 2001 zum Alleinerben wurde der Kläger
durch Verfügung von Todes wegen von der gesetzlichen Erbfolge nach seiner
Großmutter - stillschweigend - ausgeschlossen (vgl. MünchKomm-BGB/Lange,
5. Aufl. § 2303 Rn. 18, § 2309 Rn. 12). Hierdurch erlangte er ein
Pflichtteilsrecht nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB.
34 2. Für die vom Kläger verfolgten
Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche ist weiter maßgeblich, ob
er in deren Geltendmachung durch § 2309 BGB beschränkt ist. Danach ist er
als entfernterer Abkömmling insoweit nicht pflichtteilsberechtigt, als ein
Abkömmling, der ihn im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde,
den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt.
35 a) § 2309 BGB setzt nach nahezu
einhelliger Meinung eine nach allgemeinen Vorschriften bestehende
Pflichtteilsberechtigung des entfernteren Abkömmlings - hier des Klägers -
voraus, beschränkt diese aber (vgl. MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. §
2309 Rn. 2, 5; Soergel/ Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 1;
Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 5; Ebbecke, LZ 1919, 505, 511 f.;
Kretzschmar, Recht 1908, 793, 795 f.). Dadurch soll eine
Vervielfältigung der Pflichtteilslast vermieden werden, die ansonsten durch
das Nachrücken entfernterer Abkömmlinge in den Kreis der
Pflichtteilsberechtigten entstehen würde; dem jeweiligen Stamm soll nur ein
Pflichtteil zukommen (vgl. statt vieler Motive V, S. 401 f.;
Protokolle V, S. 512; MünchKomm-BGB/Lange, 5. Aufl. § 2309 Rn. 1; Soergel/Dieckmann,
BGB 13. Aufl. § 2309 Rn. 1; Staudinger/Haas, BGB [2006] § 2309 Rn. 5).
36 Dem Kläger als entfernterem Abkömmling
steht daher ein nicht beschränktes Pflichtteilsrecht zu, wenn - und soweit -
sein Vater als näherer Abkömmling selbst den Pflichtteil nicht fordern kann,
weil ihm dieser wirksam nach § 2333 BGB entzogen wurde (vgl. dazu
Motive V, S. 402; J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB 2. Aufl. § 2309 Rn. 8;
MünchKommBGB/Frank, 3. Aufl. § 2309 Rn. 12; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl.
§ 2309 Rn. 3, 17; Staudinger/Ferid/Cieslar, BGB [1983] § 2309 Rn. 28;
Ebbecke, LZ 1919, 505, 510 ff.; von Jacubetzky, Recht 1906, 281, 283;
Langheineken, SächsArch 14 [1904], 319, 328 f.).
37 b) Da die im notariellen Testament vom 21.
Mai 2001 ausgesprochene Entziehung des Pflichtteils aufgrund der
Verfehlungen des Vaters der Parteien gegenüber der Erblasserin gestützt auf
§ 2333 Nr. 3 BGB a.F. wirksam erfolgen konnte und den formellen
Anforderungen nach § 2336 Abs. 1, 2 BGB a.F. genügte, ist dieser nicht
berechtigt, seinerseits den Pflichtteil zu verlangen, und somit nicht in der
Lage, den Kläger nach § 2309 BGB von der Geltendmachung seiner
Pflichtteilsberechtigung auszuschließen.
38 Anders als das Berufungsgericht meint, kann dies
auch im hier zu entscheidenden Rechtsstreit zwischen entfernterem Abkömmling
und Erben festgestellt werden. Denn die Selbständigkeit der
Pflichtteilsberechtigung des Klägers als entfernterem Abkömmling steht der
Annahme entgegen, dass nach Eintritt des Erbfalls die Wirksamkeit der
Pflichtteilsentziehung nur in einem Rechtsstreit des näheren Abkömmlings mit
dem Erben geklärt werden könne. Dies würde zu dem unannehmbaren Ergebnis
führen, dass der Erbe die Absicht des Erblassers, der seinem Kind den
Pflichtteil zur Strafe entzieht, ihn aber seinem Enkel erhalten will, ohne
Zuziehung des letzteren durchkreuzen und sich von seiner Pflichtteilslast
durch Verständigung mit einem nicht berechtigten, ihm willfährigen
Abkömmling ganz oder zum Teil befreien könnte (RGZ 93, 193, 196). Der Erbe
ist durch die Möglichkeit der Streitverkündung nach § 72 ZPO und der
Hinterlegung nach § 372 BGB hinreichend davor geschützt, die dem
Pflichtteilsberechtigten geschuldete Leistung mehrfach erbringen zu müssen,
weil diejenige an einen nicht berechtigten Abkömmling nicht gegenüber dem
berechtigten befreit (RGZ aaO; vgl. auch J. Mayer in Bamberger/Roth, BGB 2.
Aufl. § 2309 Rn. 8; Erman/Schlüter, BGB 12. Aufl. § 2309 Rn. 1; Johannsen in
BGB-RGRK, 12. Aufl. § 2309 Rn. 2; Soergel/Dieckmann, BGB 13. Aufl. § 2309
Rn. 18; Ebbecke, LZ 1919, 505, 513 f.).
39 III. Auf die Revision des Klägers ist das
Berufungsurteil daher aufzuheben und der Beklagte in Änderung des
landgerichtlichen Urteils zur Erteilung von Auskunft zu verurteilen (§§ 562
Abs. 1, 563 Abs. 3 ZPO).
40 Dabei ist dem diesbezüglichen Begehren allerdings
nicht im vollen Umfang zu entsprechen. Der Kläger kann Auskunft nach § 2314
Abs. 1 Satz 1 BGB zwar nicht nur über die tatsächlich vorhandenen
Nachlassgegenstände, sondern auch über den so genannten fiktiven
Nachlassbestand verlangen, also über anrechnungs- (§ 2315 BGB) und
ausgleichspflichtige Zuwendungen (§§ 2316, 2050 ff. BGB), zu denen eine
Ausstattung nach § 1624 BGB zählt (vgl. nur MünchKomm-BGB/v. Sachsen
Gessaphe, 5. Aufl. § 1624 Rn. 15), sowie über Schenkungen der Erblasserin
und über Verbindlichkeiten des Nachlasses (vgl. nur Senatsurteil vom 9.
November 1983 - IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 27; MünchKommBGB/Lange, 5. Aufl.
§ 2314 Rn. 5). Die Auskunftsverpflichtung über Schenkungen betrifft jedoch
nur nach § 2325 BGB ergänzungspflichtige (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2.
November 1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 374; Tanck in Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz,
Handbuch Pflichtteilsrecht 2. Aufl. § 14 Rn. 130; Kasper in Schlitt/Müller,
Handbuch Pflichtteilsrecht § 9 Rn. 58), so dass dem insofern unbeschränkt
verfolgten Begehren teilweise nicht stattzugeben ist.