Anfechtung und Widerruf wechselbezüglicher
Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments
BGH, Urteil vom 25. Mai 2016 - IV ZR
205/15 - OLG Stuttgart
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Die Anfechtung
wechselbezüglicher Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch einen
Dritten wird nicht in entsprechender Anwendung von § 2285 BGB beschränkt.
Zentrale Probleme:
Eine in der Kernfrage komplizierte, für die
Grundfragen des gemeinschaftlichen Testaments aber dennoch lehrreiche
Entscheidung:
Ehegatten setzen sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als
Erben ein, Schlusserbin soll eine von zwei Töchtern sein (die Kl.), die
andere Tochter wird enterbt (Bekl.). Zuerst verstirbt der Vater, später die
Mutter. Die Bekl. will nun das Testament wegen eines Motivirrtums der Eltern
gem. § 2078 II BGB (der hier zu unterstellen ist) anfechten.
Die Verfügung der Mutter kann gem. §§ 2078 II, 2080 f. BGB angefochten
werden. Fraglich ist, ob der Ausschlussgrund des § 2285 BGB hier analog
angewendet werden muss. Hintergrund ist, dass wechselbezügliche Verfügungen
in einem Testament auch vom Verfügenden selbst analog der für den Erbvertrag
geltenden Vorschriften der §§ 2281 ff BGB angefochten können, wenn sie
bindend geworden sind. Da nach dem Tod des Vaters die Mutter ihre Verfügung
nicht mehr widerrufen konnte (§ 2271 II 1 BGB), hätte sie also selbst
anfechten können. Da sie das nicht getan hat und ihr Anfechtungsrecht
deshalb schon vor ihrem Tod erloschen war, ist dieser Wille nach Maßgabe von
§ 2285 BGB (analog) zu respektieren, so dass die Bekl. nicht wegen eines
Motivirrtums der zweitverstorbenen Mutter anfechten kann. Damit ist der Fall
aber nicht beendet: Wenn auch ein nach § 2078 II relevanter Motivirrtum des
Vaters vorgelegen hätte (was hier zu unterstellen, nach dem Sachverhalt aber
kaum nachvollziehbar ist) und man deshalb die Verfügung des erstverstorbenen
Vaters erfolgreich nach § 2078 II BGB anfechten könnte, würden gem. § 2270 I
BGB auch die anderen wechselbezüglichen Verfügungen (Einsetzung von Mutter
und einer Tochter) unwirksam werden (mit der Folge einer gesetzlichen
Erbfolge sowohl beim ersten als auch beim zweiten Erbfall). Hierbei stellt
sich nun die Frage, ob auch eine solche Anfechtung analog § 2285 BGB
ausgeschlossen ist. Das verneint der Senat zu recht: Der erstverstorbene
Vater hätte zu seinen Lebzeiten gar nicht anfechten können, sondern hätte
die Verfügung (in der Form der §§ 2271, 2296 BGB) widerrufen können. Damit
ist kein Platz für eine analoge Anwendung von § 2285 BGB.
©sl 2016
Tatbestand:
1 Die Klägerin begehrt die
Feststellung ihrer Alleinerbenstellung nach ihrer verstorbenen Mutter.
2 Die Klägerin und die Beklagte sind die beiden leiblichen Töchter
des Ehepaares M. Die Eltern der Parteien errichteten am 7.
April 1977 ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem sie
sich gegenseitig als Erben einsetzten. Sie bestimmten die Klägerin zur Erbin
des zuletzt versterbenden Ehegatten, enterbten die Beklagte und entzogen ihr
den Pflichtteil.
3 Der Vater der Parteien verfasste außerdem im Jahr 1985 ein
Einzeltestament, in dem er seine Ehefrau als Alleinerbin einsetzte. Nach
seinem Tod im Jahr 1995 lag dem Nachlassgericht nur dieses von der Mutter
abgelieferte Einzeltestament vor.
4 Die Mutter verstarb am 22. Januar 2012. Das Nachlassgericht erteilte einen
Erbschein, der die Parteien je zur Hälfte als ihre Erben auswies.
5 Nachdem die Klägerin am 15. Juli 2013 das gemeinschaftliche Testament im
Tresor des Elternhauses gefunden hatte, lieferte sie es beim Nachlassgericht
ab und beantragte die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin der Mutter.
Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 27. Juli 2013
gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung des Testaments wegen eines
Motivirrtums ihrer Eltern. Diese seien damals wütend auf sie
gewesen, weil sie entgegen deren Wunsch Sozialpädagogik statt Medizin
studiert und ihre Eltern außerdem erfolgreich auf Unterhaltsleistung
verklagt habe. Bereits etwa ein Jahr später hätten sich ihre Eltern
jedoch wieder mit ihr versöhnt.
6 Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Das
Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen
richtet sich deren Revision, mit der sie weiter die Abweisung der Klage
erstrebt.
Entscheidungsgründe:
7 Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8 I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in ZEV 2015, 476 (mit
Anmerkung Weidlich) abgedruckt ist, hat ausgeführt, die Klägerin sei
aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 7. April 1977 Alleinerbin der
Mutter geworden, da das Testament weder wirksam widerrufen noch angefochten
worden sei. Die Verfügungen der Ehegatten zur
Schlusserbeneinsetzung der Klägerin seien wechselbezüglich im Sinne des §
2270 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe die Verfügung der Mutter zur
Schlusserbeneinsetzung gemäß § 2285 BGB analog nicht anfechten können, da
die Mutter als letztverstorbener Ehegatte ihr Recht zur Selbstanfechtung der
wechselbezüglichen Verfügung bereits durch Fristablauf verloren gehabt habe.
Die Jahresfrist des § 2283 BGB habe mit dem Tod des Vaters zu
laufen begonnen, da die Mutter nach dem Vortrag der Beklagten zu diesem
Zeitpunkt bereits Kenntnis von dem behaupteten Motivirrtum gehabt habe. Den
Fragen, ob ein Motivirrtum vorgelegen habe und ob der Vater ggf. einen
Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung trotz Erkennens dieses Irrtums
bewusst unterlassen habe, müsse nicht nachgegangen werden. Entgegen der in
der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht sei auch eine Anfechtung der
wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten durch einen
Dritten gemäß § 2285 BGB analog ausgeschlossen. Andernfalls würde man der
Beklagten ein Recht einräumen, das zum Nachteil des überlebenden Ehegatten
zu dem gleichen Ergebnis führte wie das Recht zum Widerruf, von dem der
Vater aber trotz Kenntnis des "Anfechtungsgrundes" keinen Gebrauch gemacht
habe. Hätte der Vater zu Lebzeiten seine wechselbezügliche Verfügung
widerrufen, hätte die Mutter darauf durch eine eigene letztwillige Verfügung
angemessen reagieren können. Wenn man nun der Beklagten nach dem Tod der
Eltern ein Anfechtungsrecht hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügung
des erstverstorbenen Vaters zubilligte, verletzte man die durch § 2271 Abs.
1 BGB geschützten Interessen der Mutter.
9 Das Gericht halte außerdem dafür, dass die Eltern durch die Beibehaltung
des Testaments eine Bestätigung vorgenommen hätten oder der behauptete
Motivirrtum nicht kausal geworden sei. Auch aus diesem Grund sei eine
Anfechtung nicht möglich.
10 II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen
Punkten stand.
11 1. Nach den in der Revisionsinstanz nicht angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts sind die Verfügungen zur
Schlusserbeneinsetzung der Klägerin durch beide Ehegatten in dem
gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich im Sinne von § 2270 Abs. 1
BGB. Eine wirksame Anfechtung der Verfügung des Vaters zur
Schlusserbeneinsetzung hätte daher gemäß § 2270 Abs. 1 BGB auch die
Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügung der Mutter zur Folge.
12 2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass
die Beklagte die Verfügung der Mutter zur Schlusserbeneinsetzung gemäß §
2285 BGB analog nicht anfechten konnte. Nach dieser Regelung kann
ein Dritter vertragsmäßige Verfügungen im Erbvertrag nicht mehr auf Grund
der §§ 2078, 2079 BGB anfechten, wenn das Recht des Erblassers, die
Verfügung aus demselben Grund anzufechten, zur Zeit des Erbfalls erloschen
ist. Die erbvertragliche Vorschrift des § 2285 BGB ist auf
die wechselbezüglichen Verfügungen des letztverstorbenen Ehegatten im
gemeinschaftlichen Testament entsprechend anwendbar
(Senatsbeschluss vom 15. Juni 2010 - IV ZR 21/09, ZEV 2010, 364 Rn. 7;
Senatsurteile vom 15. Mai 1985 - IVa ZR 231/83, FamRZ 1985, 1123 unter IV 2;
vom 18. Januar 1956 - IV ZR 199/55, FamRZ 1956, 83, 84). Die
entsprechende Anwendung folgt aus der engen Verwandtschaft und völligen
Gleichheit der Rechtslage, die gegenüber dem durch Erbvertrag gebundenen
Erblasser und dem überlebenden Ehegatten besteht, soweit jener das ihm
wechselbezüglich Zugewendete nicht ausgeschlagen hat (RGZ 77, 165,
167 f.). Das Recht zum Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung
erlischt gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BGB mit dem Tod des anderen
Ehegatten, so dass der überlebende Ehegatte von diesem Zeitpunkt an wie der
Erblasser beim Erbvertrag grundsätzlich an seine Verfügung gebunden ist. Es
gibt daher keinen Grund, den anfechtungsberechtigten Dritten gegenüber dem
gemeinschaftlichen Testament besser zu stellen und den überlebenden,
gebundenen Ehegatten nicht ebenso wie den Vertragserblasser in die Lage zu
versetzen, durch das Unterlassen der Anfechtung nach freiem Belieben das
Anfechtungsrecht des Dritten zu zerstören (vgl. RG aaO S. 169).
13 Im vorliegenden Fall war die Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB für eine
Selbstanfechtung durch die Mutter zur Zeit des Erbfalls bereits abgelaufen,
da sie nach dem Beklagtenvortrag den behaupteten Motivirrtum als
Anfechtungsgrund bereits bei ihrer Versöhnung mit der Beklagten etwa ein
Jahr nach Verfassen des gemeinschaftlichen Testaments erkannt hatte, so dass
die Anfechtungsfrist mit dem Tod des Vaters im Jahr 1995 als
frühestmöglichem Anfechtungszeitpunkt zu laufen begonnen hätte.
14 3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber angenommen, auf einen
Motivirrtum des Vaters komme es nicht an, weil auch die Anfechtung der
Verfügung des Vaters zur Schlusserbeneinsetzung durch die Beklagte in
entsprechender Anwendung von § 2285 BGB ausgeschlossen sei.
Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die Drittanfechtung einer
wechselbezüglichen Verfügung des erstversterbenden Ehegatten im
gemeinschaftlichen Testament kommt nicht in Betracht. Es fehlt an der
vergleichbaren Interessenlage, die für eine Analogie neben einer
planwidrigen Regelungslücke erforderlich ist.
15 a) Die herrschende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass
§ 2285 BGB auf die Anfechtung von wechselbezüglichen Verfügungen des
erstversterbenden Ehegatten durch Dritte - vor oder nach dem Tod des
Überlebenden - nicht entsprechend angewendet werden kann, weil dem
erstversterbenden Ehegatten selbst kein Anfechtungsrecht, sondern ein
Widerrufsrecht hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen zusteht
(vgl. Palandt/Weidlich, BGB 75. Aufl. § 2271 Rn. 31; MünchKomm-BGB/Musielak,
6. Aufl. § 2271 Rn. 43; Staudinger/Kanzleiter, BGB Bearbeitung 2014 § 2271
Rn. 67; Soergel/Wolf, BGB 13. Aufl. § 2271 Rn. 38; Mayer in
Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag 6. Aufl. § 2271 BGB Rn. 91;
BeckOGK/Braun, BGB Stand: 4. Januar 2016 § 2271 Rn. 145; Klessinger in
Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht 3. Aufl. § 2271 Rn. 102;
NK-BGB/Müßig, 4. Aufl. § 2271 Rn. 100 f.; Litzenburger in Bamberger/Roth,
BGB 3. Aufl. § 2271 Rn. 39; Erman/S. u. T. Kappler, BGB 14. Aufl. § 2271 Rn.
23; Muscheler, Erbrecht I Rn. 2171; a.A. LG Karlsruhe NJW 1958, 714; in
einem obiter dic-tum an der h.M. zweifelnd auch BayObLG ZEV 2004, 152, 153).
Diese Ansicht ist zutreffend.
16 b) Wegen der unterschiedlichen Ausgestaltung des
Widerrufsrechts des erstversterbenden Ehegatten und des beim Erbvertrag
bestehenden Anfechtungsrechts ist weder § 2285 BGB zur entsprechenden
Anwendung auf die wechselbezügliche Verfügung des erstversterbenden
Ehegatten geeignet noch ist diese Analogie angesichts der dort bestehenden
Interessenlage erforderlich.
17 § 2285 BGB ergänzt das Selbstanfechtungsrecht, das dem
Erblasser beim Erbvertrag gemäß § 2281 BGB und in entsprechender Anwendung
auch dem überlebenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament
(BGH, Urteile vom 3. November 1969 - III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 unter I 1;
vom 4. Juli 1962 - V ZR 206/60, BGHZ 37, 331 unter 1) hinsichtlich
seiner vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen zusteht.
Die Selbstanfechtung erfordert dieselben Anfechtungsgründe im Sinne
von §§ 2078, 2079 BGB wie die Anfechtung durch einen Dritten und kann gemäß
§ 2283 Abs. 1, 2 BGB nur innerhalb eines Jahres ab Kenntnis vom
Anfechtungsgrund oder Beendigung der Zwangslage erklärt werden. Falls das
Anfechtungsrecht des Erblassers durch Ablauf der Anfechtungsfrist oder durch
Bestätigung, § 2284 BGB, beim Erbfall bereits erloschen ist, ist daher gemäß
§ 2285 BGB auch eine Anfechtung durch einen Dritten, die auf denselben
Anfechtungsgrund gestützt werden soll, ausgeschlossen. Hat der Erblasser
dagegen keine Kenntnis vom Anfechtungsgrund, beginnt auch die
Anfechtungsfrist für ihn nicht zu laufen, so dass sein Anfechtungsrecht beim
Erbfall nicht erloschen sein kann und eine Drittanfechtung daher möglich
bleibt.
18 Dieser besondere Schutz des Willens des Erblassers durch die
Beschränkung der Drittanfechtung nach § 2285 BGB folgt aus der Bindung des
Vertragserblassers an seine eigene Verfügung, der er bereits zu Lebzeiten
unterliegt. § 2285 BGB bringt den allgemeinen Gedanken zum Ausdruck, dass
stets der Wille des Erblassers dafür maßgebend bleibt, ob ein Dritter
seinerseits den Bestand der letztwilligen Verfügung angreifen darf oder
nicht (RGZ 77, 165, 170). Wenn sich der gebundene Erblasser
durch Bestätigung seiner Verfügung oder Verstreichenlassen der
Anfechtungsfrist dafür entscheidet, die anfechtbare Verfügung trotz Kenntnis
des Anfechtungsgrundes gelten zu lassen, sollen an diese Entscheidung auch
seine (potentiellen) Erben gebunden sein und nicht auf Grund eines eigenen
Anfechtungsrechts eine dem Willen des Erblassers nicht entsprechende
Korrektur seiner Nachlassregelung vornehmen können (MünchKomm-BGB/Musielak,
aaO § 2285 Rn. 1; vgl. auch Mayer aaO § 2285 Rn. 7).
19 Dagegen ist der erstversterbende Ehegatte beim gemeinschaftlichen
Testament nicht an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden und auf ein
Anfechtungsrecht beschränkt. Zu Lebzeiten beider Ehegatten kann jeder von
ihnen seine wechselbezüglichen Verfügungen gemäß § 2271 Abs. 1 BGB
widerrufen und hat dabei nur die Vorschriften über Form und Zugang der
Widerrufserklärung nach § 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 2296 BGB zu
beachten. Anders als die Anfechtung erfordert der Widerruf
weder einen Grund noch besteht für ihn eine dem § 2283 Abs. 1 BGB
vergleichbare Frist. Das Anfechtungsrecht eines Dritten reicht von
vornherein nicht über dieses Recht des Erblassers, sich von seiner Verfügung
zu lösen, hinaus, ohne dass es dazu einer Beschränkung der Drittanfechtung
durch § 2285 BGB bedarf. Das Widerrufsrecht des erstversterbenden
Ehegatten kann auch nicht "zur Zeit des Erbfalls" im Sinne von § 2285 BGB
bereits erloschen sein, sondern es erlischt mit seinem Tod. Eine
uneingeschränkte analoge Anwendung von § 2285 BGB auf das Erlöschen des
Widerrufsrechts durch den Erbfall hätte daher zur Folge, dass eine
Anfechtung durch Dritte immer und unabhängig davon ausgeschlossen wäre, ob
der Erblasser Kenntnis von Tatsachen hatte, die ein Anfechtungsrecht
begründen. Damit wäre es nicht mehr möglich, dem wahren Willen des
Erblassers Geltung zu verschaffen. Für einen solch umfassenden Ausschluss
der Drittanfechtung bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen
Testament lässt sich dem Gesetz jedoch nichts entnehmen.
20 c) Die analoge Anwendung des § 2285 BGB kann aber auch nicht auf Fälle
beschränkt werden, in denen der erstversterbende Ehegatte seine Verfügung
trotz Kenntnis der später zur Begründung der Anfechtung angeführten Gründe
nicht widerruft. Auch in diesen Fällen fehlt es mangels materieller
Bindung des Erstversterbenden an einer Vergleichbarkeit mit dem in den §§
2281, 2285 BGB geregelten Fall (vgl. BeckOGK/Braun aaO).
Der erstversterbende Ehegatte befindet sich anders als der Letztversterbende
trotz Kenntnis von einem möglichen Anfechtungsgrund nicht in der Situation,
fristgebunden entscheiden zu müssen, ob er die Verfügung anfechten oder
andernfalls eine grundsätzlich nicht mehr zu beseitigende Bindung eingehen
will. Bleibt er untätig, kann dieses Unterlassen allein daher nicht als
Verstreichenlassen einer - fiktiven - Anfechtungsfrist mit entsprechenden
Rechtsfolgen gedeutet werden. Seinem Willen wird vielmehr ausschließlich
durch die Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Drittanfechtungsrechtes
vorliegen, Geltung verschafft, ohne diese Anfechtung von vornherein durch §
2285 BGB zu beschränken. Entscheidend ist insoweit stets der Wille
des Erblassers. Über dessen Recht, sich von seiner Verfügung zu lösen, geht
das Drittanfechtungsrecht nicht hinaus.
21 d) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann eine entsprechende
Anwendung von § 2285 BGB auf die Verfügung des erstversterbenden Ehegatten
nicht mit den Interessen des letztversterbenden Ehegatten, der auf den
Bestand der wechselbezüglichen Verfügung vertraut hat, begründet werden. §
2285 BGB dient nicht dem Schutz des Vertragserben beim Erbvertrag oder des
letztversterbenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament. Der
Gesetzgeber begründete die Vorschrift allein damit, dass anderen Personen
ein Anfechtungsrecht nicht in größerem Umfang zugestanden werden könne als
dem Erblasser selbst (Motive Bd. V S. 325). Geschützt wird daher das
Interesse des Erblassers daran, dass sich sein - frei von Irrtum oder
Drohung im Sinne von § 2078 BGB gebildeter - Wille durchsetzt
(Staudinger/Kanzleiter aaO). Wenn aber durch die erfolgreiche
Anfechtung seiner Verfügung die dazu wechselbezügliche Verfügung des anderen
Ehegatten gemäß § 2270 Abs. 1 BGB unwirksam wird, so entspricht dies gerade
dem die Wechselbezüglichkeit begründenden Willen der Ehegatten, dass ihre
Verfügungen miteinander stehen oder fallen sollen.
22 Auch der Verweis des Berufungsgerichts auf den Schutz des
Ehegatten durch die Empfangsbedürftigkeit des Widerrufs gemäß § 2271 Abs. 1
Satz 1 i.V.m. § 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB (ebenso BayObLG ZEV 2004, 152, 153)
vermag eine Beschränkung der Drittanfechtung nicht zu begründen. Bei
einem Widerruf zu Lebzeiten beider Ehegatten wird der andere Ehegatte durch
den Zugang der Widerrufserklärung in die Lage versetzt, darauf durch eine
neue letztwillige Verfügung zu reagieren. Im Regelfall wird er diese
Möglichkeit auch bei einer Drittanfechtung nach dem ersten Erbfall haben, da
die fristgebundene (§ 2082 BGB) Anfechtung noch zu seinen Lebzeiten erfolgen
und das Nachlassgericht ihm die Anfechtungserklärung mitteilen wird, § 2081
Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Begründung des Berufungsgerichts für eine
Analogie bezieht sich daher allein auf den hier vorliegenden Sonderfall, in
dem das gemeinschaftliche Testament dem Nachlassgericht nach dem ersten
Erbfall nicht vorlag und daher eine Drittanfechtung nicht zu Lebzeiten des
letztverstorbenen Ehegatten erfolgen konnte. Doch ein allgemeiner Grundsatz,
dass die Ehegatten auf den Bestand der eigenen wechselbezüglichen
Verfügungen nach ihrem Tod vertrauen können, besteht beim gemeinschaftlichen
Testament nicht. Das Interesse eines Ehegatten an der Wirksamkeit der
eigenen Verfügungen tritt auch in anderen Konstellationen unabhängig davon
zurück, ob er noch mit einer neuen Verfügung auf eine Veränderung reagieren
kann (vgl. Weidlich, ZEV 2015, 480, 481; BeckOGK/ Braun, aaO Rn. 145.1). So
kann auch das Recht des überlebenden Ehegatten, sich durch Ausschlagung
gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB von dem gemeinschaftlichen
Testament zu lösen, nicht abbedungen werden (Senatsurteil vom 12. Januar
2011 - IV ZR 230/09, NJW 2011, 1353 Rn. 11). Hebt er anschließend die
eigenen Verfügungen auf, hat dies gemäß § 2270 Abs. 1 BGB grundsätzlich die
Unwirksamkeit der damit wechselbezüglich verbundenen Verfügungen des
erstversterbenden Ehegatten zur Folge (Senatsurteil aaO Rn. 15).
23 4. Die Hilfserwägung des Berufungsgerichts trägt die angefochtene
Entscheidung mit den bisher getroffenen Feststellungen ebenfalls nicht.
Seiner nicht näher begründeten Annahme, die Eltern hätten durch die
Beibehaltung des Testaments eine Bestätigung vorgenommen oder der behauptete
Motivirrtum sei nicht kausal für ihre Verfügung geworden, fehlt eine
ausreichende Tatsachengrundlage.
24 Zwar kann ein bewusstes Bestehenlassen der letztwilligen
Verfügung dafür sprechen, dass der behauptete Irrtum nicht ursächlich für
die Verfügung war oder sie jedenfalls zur Zeit des Erbfalles dem Willen des
Erblassers entsprach und eine Anfechtung daher ausgeschlossen ist (BayObLG
NJW-RR 1995, 1096, 1098; MünchKomm-BGB/Musielak aaO § 2271 Rn. 43; Mayer aaO
§ 2271 Rn. 91; Palandt/Weidlich aaO § 2078 Rn. 9). Dies setzt aber
voraus, dass der Erblasser die Verfügung tatsächlich bewusst beibehält, sich
also im Wissen um den Inhalt dieser Verfügung und in Kenntnis des Irrtums
dafür entscheidet, daran festzuhalten, und er nicht nur aus Nachlässigkeit,
Passivität oder aus sonstigen anderen Gründen eine Abänderung unterlässt
(vgl. BayObLG NJW-RR 2002, 367, 370; Staudinger/Otte, BGB
Bearbeitung 2013 § 2078 Rn. 30; MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 2078 Rn.
50). Das Berufungsgericht hat jedoch ausdrücklich offengelassen, ob
der Vater den Widerruf seiner wechselbezüglichen Verfügung trotz Erkennens
des behaupteten Motivirrtums bewusst unterließ. Damit fehlt es aber auch an
der Feststellung, dass er das Testament bewusst bestehen ließ. Ohne
solche Feststellungen zum Willen des Erblassers kann allein aus dem Umstand,
dass das Testament weiter existierte, nicht geschlossen werden, der
Erblasser habe das Testament bestätigt oder der behauptete Motivirrtum sei
nicht kausal für seine Verfügung gewesen.
25 III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als richtig.
26 Die Mutter der Parteien verfügte in dem gemeinschaftlichen Testament
neben der Schlusserbeneinsetzung der Klägerin die Enterbung der Beklagten.
Es steht jedoch nicht fest, dass auch im Falle einer Unwirksamkeit der
Schlusserbeneinsetzung die Enterbung der Beklagten fortbestünde und daher
die gesetzliche Erbfolge zugunsten der Klägerin einträte. Vielmehr deutet
das Berufungsgericht an, dass seiner Ansicht nach eine wirksame Anfechtung
der Schlusserbeneinsetzung auch die gleichzeitig verfügte Enterbung der
Beklagten durch die Mutter entfallen ließe, ohne aber ausdrückliche
Feststellungen zum Willen der Erblasserin zu treffen. Dies hätte es im Falle
einer wirksamen Anfechtung der Schlusserbeneinsetzung nachzuholen.
Andernfalls wäre zu prüfen, ob die Beklagte auch ihre - gemäß § 2270 Abs. 3
BGB nicht wechselbezügliche - Enterbung durch die Mutter wirksam angefochten
hat.
27 IV. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, da das
Berufungsgericht noch ergänzende Feststellungen zu treffen hat.
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