(Lange) Verjährung
erbrechtlicher Ansprüche nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB: Keine teleologische
Reduktion bei "typisch schuldrechtlichen" Ansprüchen
BGH, Urteil vom 18. April
2007 - IV ZR 279/05
Fundstelle:
NJW 2007, 2174
Amtl. Leitsatz:
Die 30-jährige
Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB gilt für alle Ansprüche aus dem
Buch 5 "Erbrecht" des Bürgerlichen Gesetzbuchs (hier: § 2218 Abs. 1 BGB in
Verbindung mit § 666 BGB), soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt
ist.
Zentrales Problem:
Nach § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB verjähren "erbrechtliche
Ansprüche" in 30 Jahren. Entgegen einer verbreiteten Literaturansicht
bezieht der Senat diese Regelung auf alle Ansprüche aus dem 5. Buch des BGB
("Erbrecht"), unabhängig davon, ob sie zwar aus erbrechtlichen Verhältnissen
entstehen, sich inhaltlich aber (durch Verweisung auf das Schuldrecht) nach
Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsrecht, nach allgemeinem
Leistungsstörungsrecht oder nach der kaufrechtlichen Mängelhaftung richten.
Damit galt hier für den Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch eines Erben
gegen der Testamentsvollstrecker aus § 2218 BGB i.V.m. § 666 BGB nicht die
kurze, dreijährige Regelverjährung des § 195 BGB.
©sl 2007
Tatbestand:
1 Der Beklagte, Onkel des Klägers, hat aufgrund eines Testaments des
Großvaters des Klägers die Testamentsvollstreckung über dessen Erbteil bis
zu dessen 25. Geburtstag am 4. August 1998 ausgeübt. Mit der im April 2005
eingegangenen Klage verlangt der Kläger eine geordnete Abrechnung über die
vom Beklagten in der Zeit seit dem Tod seiner Mutter, die als Vorerbin
eingesetzt war, getätigten Geschäfte sowie Auskunft über den Bestand des ihm
zustehenden Nachlasses.
2 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil der auf §§ 2218, 666 BGB
beruhende Anspruch gemäß § 195 BGB verjährt sei. Dagegen richtet sich die
Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe:
3 Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache.
4 1. Nach Ansicht des Berufungsgerichts, dessen Urteil in ZEV 2006, 317
veröffentlicht ist, trifft die ratio legis des § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB hier
nicht zu. Dass eine Klärung der Erbfolge, des Inhalts oder der Gültigkeit
einer Verfügung von Todes wegen unter Umständen erst nach langer Zeit
möglich sei, spiele in Fällen der vorliegenden Art keine Rolle. Die
Beteiligten seien sich vielmehr bekannt und könnten wie bei einer
Geschäftsbesorgung unter Lebenden ohne längere Überlegungsfrist einschätzen,
ob und welche Rechte gerichtlich geltend gemacht werden sollen. Infolge
Anordnung von Vor- und Nacherbschaft komme es allenfalls zu einer
langfristigen Abwicklung der Erbfolge. Strukturell sei der geltend gemachte
Anspruch aber ein schuldrechtlicher und kein genuin erbrechtlicher Anspruch.
Das gelte auch, soweit der Kläger in dem geltend gemachten Auskunftsanspruch
einen Hilfsanspruch zum Schadensersatzanspruch aus § 2219 BGB sehe. Mithin
richte sich die Verjährung im vorliegenden Fall nach § 195 BGB. Die danach
geltende Dreijahresfrist laufe vom 1. Januar 2002 an (Art. 229 § 6 Abs. 1
und 4 EGBGB) und sei bei Eingang der Klage verstrichen gewesen.
5 2. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
6 a) Der geltend gemachte Anspruch auf Rechnungslegung und Auskunft
verjährte vor dem 1. Januar 2002 in dreißig Jahren (§ 195 BGB a.F.). Diese
Verjährungsfrist wird in § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB für familien-und
erbrechtliche Ansprüche aufrechterhalten. In der Begründung des Entwurfs
dieser Vorschrift wird ausgeführt (BT-Drucks. 14/6040, S. 106):
"Auch für Ansprüche aus dem Erb- und Familienrecht soll es bei der bisher
geltenden Verjährungsfrist von 30 Jahren bleiben. Dieser Entscheidung des
Entwurfs liegt zugrunde, dass sich die maßgeblichen Verhältnisse mitunter
erst lange Zeit nach der Anspruchsentstehung klären lassen (z.B. im Erbrecht
infolge späten Auffindens eines Testaments). Wie der Eingangshalbsatz
"soweit nicht ein anderes bestimmt ist" von Absatz 1 klarstellt, bleiben die
im vierten und fünften Buch enthaltenen besonderen Verjährungsbestimmungen
oder auch die Unverjährbarkeit nach § 194 Abs. 2 RE [Regierungsentwurf]
unberührt."
7 Danach ist die unverändert Gesetz gewordene Vorschrift des § 197 Abs. 1
Nr. 2 BGB dahin zu verstehen, dass mit "erbrechtlichen Ansprüchen" alle
Ansprüche gemeint sind, die sich "aus" dem mit "Erbrecht" überschriebenen
Buch 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergeben. Der Gesetzgeber verwendet
in der zitierten Begründung die Begriffe Erb- und Familienrecht im Sinne des
Inhalts des vierten und fünften Buches, wie der letzte Satz des Textes
zeigt. Das spricht dafür, dass auch in § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB nichts anderes
gemeint ist. In diesem Sinne ist die Entwurfsbegründung nicht nur von
Vertretern der Meinung verstanden worden, die § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf
alle im fünften Buch geregelten Ansprüche beziehen (vgl. Sarres, ZEV 2002,
96 f.; Bonefeld, ZErb 2003, 247, 248 f.). Auch Baldus (FamRZ 2003, 308)
räumt ein, den Materialien liege anscheinend die Vorstellung zugrunde,
Ansprüche aus dem Familien- und Erbrecht definierten sich durch ihre formale
Zugehörigkeit zu den Büchern 4 und 5 des BGB.
8 b) Als Motiv für die Beibehaltung der bisherigen Verjährung im gesamten
Bereich des Familien- und Erbrechts nennt der Entwurf die Auffassung, die
maßgeblichen Verhältnisse ließen sich "mitunter" erst lange nach
Anspruchsentstehung klären. Soweit als Beispiel für den Bereich des
Erbrechts das späte Auffinden eines Testaments erwähnt wird, kann in der
damit angesprochenen Problematik schon deshalb nicht der einzig maßgebende
Grund für die Regelung des § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB gesehen werden, weil sie
keine Bedeutung für das Familienrecht hat. Vielmehr ist die
Entwurfsbegründung dahin zu verstehen, dass den Parteien anders als in
anderen Rechtsbereichen auf den Gebieten des Erb- und Familienrechts die
ihnen bisher im Verjährungsrecht zugebilligte Zeit zur gerichtlichen
Geltendmachung grundsätzlich auch in Zukunft zur Verfügung stehen solle, und
zwar selbst dann, wenn die maßgeblichen Verhältnisse schneller hätten
geklärt werden können. In der Begründung wird durchaus erkannt, dass die
Klärung keineswegs immer, sondern nur "mitunter" lange Zeit benötigt,
gleichwohl aber nicht darauf abgehoben, dass eine Klärung etwa bei
bestimmten Ansprüchen typischerweise oder im Einzelfall nicht innerhalb der
neuen Regelverjährungsfrist von drei Jahren möglich sei. Andererseits sprach
für die Beibehaltung der bisher im Erb- und Familienrecht geltenden
30jährigen Verjährungsfrist, dass bei Ansprüchen unter Verwandten oder mit
Auswirkungen auf Verwandte persönliche Rücksichten darauf, ob und
gegebenenfalls wann die gerichtliche Klärung eines Anspruchs sinnvoll und
erfolgversprechend erscheint, eher Anerkennung verdienen als im Bereich
geschäftlicher Beziehungen.
9 c) Demgegenüber möchten insbesondere Otte (ZEV 2002, 500 f.) und Baldus
(FamRZ 2003, 308; Baldus/Roland, ZEV 2006, 318) der Entwurfsbegründung
entnehmen, die Herausnahme erbrechtlicher Ansprüche aus der dreijährigen
Regelverjährung beziehe sich nur auf Ansprüche, die etwa durch das späte
Auffinden eines Testaments beeinflusst werden könnten. Diese spezifisch
testamentsrechtliche Begründung treffe ohne weiteres zu auf Ansprüche, deren
Durchsetzbarkeit von der Klärung der Erbfolge, des Inhalts oder der
Gültigkeit einer Verfügung von Todes wegen abhänge. Insoweit gehe es um
genuin oder strukturell erbrechtliche Ansprüche, für die es außerhalb des
Erbrechts keine Parallele gebe. Anders liege es dagegen bei Ansprüchen, die
zwar aus erbrechtlichen Verhältnissen entstehen, sich inhaltlich aber nach
Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsrecht, nach allgemeinem
Leistungsstörungsrecht oder nach der kaufrechtlichen Mängelhaftung
richteten. Insoweit handle es sich um schuldrechtliche Ansprüche, auch wenn
Anspruchsgrundlage eine Vorschrift aus dem fünften Buch des Bürgerlichen
Gesetzbuchs sei. § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB müsse im Wege der teleologischen
Reduktion auf genuin erbrechtliche Ansprüche beschränkt werden. Zumindest
sei § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB als Ausnahme von der Regel des § 195 BGB eng
auszulegen. Selbst wenn eine Klärung nur auf lange Sicht möglich sei, könne
die Interessenlage für die Anwendung der kurzen Regelverjährung sprechen.
Dieser Argumentation stimmen jedenfalls im Ergebnis auch andere Autoren zu
(vgl. Staudinger/Peters, BGB [2004] § 197 Rdn. 20; MünchKomm-BGB/Grothe, 5.
Aufl. § 197 Rdn. 11).
10 Sie beruht indessen auf einem Missverständnis der Begründung, die der
Gesetzgeber für § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB gegeben hat. Wie dargelegt, lässt
sich sein Motiv nicht auf den Gesichtspunkt beschränken, der in dem Beispiel
des späten Auffindens eines Testaments anklingt. Darüber hinaus ist weder
aus dem Wortlaut noch aus der Begründung des § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu
entnehmen, dass die im Buch 5 Erbrecht erwähnten Ansprüche allein aus Anlass
des neuen Verjährungsrechts in Zukunft danach unterschieden werden müssten,
ob sie als genuin erbrechtlich oder aber als strukturell schuldrechtlich
einzuordnen sind. Der Gesetzgeber hat als Ziele seiner Neuregelung
vielmehr unter anderem die Einheitlichkeit und Klarheit der
Verjährungsfristen betont (BT-Drucks.
14/6040, S. 100); neue Abgrenzungsprobleme sollten mithin nicht
geschaffen werden. Ob der Anspruch aus § 2218 BGB in Verbindung mit
Vorschriften des Auftragsrechts ein genuin erbrechtlicher Anspruch sei oder
nicht, ist streitig (dafür: Krug, Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und
Erbrecht, X. 9. Rdn. 121; Soergel/Niedenführ, BGB 13. Aufl. Bd. 2 a § 197
Rdn. 18; dagegen: Löhnig, ZEV 2004, 267, 271 f.; Baldus/Roland, ZEV 2006,
318; Palandt/Edenhofer, BGB 66. Aufl. § 2218 Rdn. 1; Staudinger/Reimann, BGB
[2003] § 2221 Rdn. 14). Soweit auf den Anspruch aus § 2219 BGB abgestellt
wird, dessen Vorbereitung der Anspruch aus §§ 2218, 666 BGB (über die
Vorbereitung eines Herausgabeanspruchs aus §§ 2218, 667 BGB hinaus) dienen
könne, stehen sich ebenfalls unterschiedliche Auffassungen gegenüber
(für eine schuldrechtliche Sicht außer Otte, Baldus, Peters - aaO in Rdn. 21
- und Grothe - aaO - auch Soergel/Damrau, BGB 13. Aufl. § 2219 Rdn. 10;
anders dagegen Bamberger/Roth/J. Mayer, BGB § 2219 Rdn. 13;
Staudinger/Reimann aaO § 2219 Rdn. 22; MünchKomm-BGB/Zimmermann, 4. Aufl. §
2219 Rdn. 15; Bonefeld in Praxiskommentar Erbrecht § 2218 Rdn. 35; AnwK-BGB/
Mansel/Stürner, § 197 Rdn. 40; AnwK-BGB/Weidlich, § 2219 Rdn. 21;
Erman/Schmidt-Räntsch, BGB 11. Aufl. § 197 Rdn. 7; Erman/M. Schmidt, aaO §
2219 Rdn. 7; Leipold, Erbrecht 16. Aufl. Rdn. 806). Die Revision meint,
Ansprüche aus § 2218 BGB folgten ebenso wie die als genuin erbrechtlich
anerkannten Ansprüche der §§ 2018, 2130 BGB unmittelbar aus der
Rechtsstellung des Erben als des Gesamtrechtsnachfolgers des Erblassers und
könnten daher nicht anders als die in § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB genannten
Herausgabeansprüche aus Eigentum und anderen dinglichen Rechten behandelt
werden. Jedenfalls sei nicht verständlich, weshalb Ansprüche aus §§ 2218,
666 BGB oder § 2219 BGB wegen ihrer Nähe zu Ansprüchen des Auftragsrechts
einer dreijährigen Verjährung unterliegen, der schuldrechtliche Anspruch des
Vermächtnisnehmers aus § 2174 BGB aber als genuin erbrechtliche Besonderheit
in dreißig Jahren verjähren soll (so aber Otte, Grothe und
Staudinger/Peters, aaO). Von der Prüfung derartiger dogmatischer Feinheiten
für jeden einzelnen in Betracht kommenden Anspruch aus dem Buch 5 Erbrecht
kann die Dauer der Verjährungsfrist nicht abhängen. Dadurch würde die
Rechtsverfolgung mit unerträglichen Unsicherheiten belastet.
11 d) § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist zwar eine Ausnahme von der Regel des §
195 BGB; das ändert aber nichts daran, dass sie für den ausgenommenen
Regelungsbereich uneingeschränkt gilt. Für die Auslegung von § 197 Abs. 1
Nr. 2 BGB kann schließlich der vom Berufungsgericht herangezogene
Gesichtspunkt keine Rolle spielen, dass die Verjährung eines im Buch 5
geregelten Anspruchs, wenn man ihn der Regelverjährung des § 195 BGB
unterstellen würde, gleichwohl erst mit der Kenntnis (oder grobfahrlässigen
Unkenntnis) des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und von
der Person des Schuldners beginnt, die Entstehung des Anspruchs allein also
nicht ausreicht (§§ 199 Abs. 1 Nr. 2, 200 BGB).
12 e) Danach hält der Senat an seiner bereits im Urteil vom 18. September
2002 (IV ZR 287/01 - NJW 2002, 3773 unter 2 a) beiläufig geäußerten Meinung
fest, dass die bis zum 31. Dezember 2001 geltende regelmäßige
Verjährungsfrist von 30 Jahren für Ansprüche aus dem Buch 5 Erbrecht des
Bürgerlichen Gesetzbuchs durch § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich
aufrechterhalten worden ist. Mithin greift die Verjährungseinrede im
vorliegenden Fall nicht durch. Die Sache war zur Klärung der weiteren
Streitpunkte an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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