Rücktritt nach § 323
BGB, Rücktritt vom Erbvertrag nach § 2295 BGB; Unmöglichkeit (§ 275 I BGB),
Annahmeverzug bei vereinbarten Pflegeleistungen
BGH, Beschluss vom 5.
Oktober 2010 - IV ZR 30/10
Fundstelle:
NJW 2011, 224
Amtl. Leitsatz:
1. Ist mit einem Erbvertrag, durch
den der Erblasser den Bedachten zum Erben bestimmt, ein gegenseitiger
Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum Erbringen von
Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser weitere Verpflichtungen
übernimmt (hier: keine Veräußerung oder Belastung seines Hausgrundstücks zu
Lebzeiten), so kann letzterer wegen unterbliebener Pflegeleistungen gemäß §
323 BGB von diesem Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag
zurücktreten.
2. Ein derartiger Rücktritt kommt erst dann in Betracht, wenn der Erblasser
den Bedachten unter Fristsetzung zuvor vergeblich aufgefordert hat, die im
Einzelnen zu bezeichnenden Pflegeleistungen zu erbringen.
Zentrale Probleme:
Eine sehr lehrreiche Entscheidung, die über das Erbrecht
weit in das allgemeine Schuldrecht hineinreicht. Im Zentrum steht der
Rücktritt von einem Vertrag nach § 323 BGB, durch welchen sich ein Schuldner
zur Erbringung von Pflegeleistungen verpflichtet hat und der Einfluß eines
solchen Rücktritts auf einen Erbvertrag. Neben dem erbrechtlichen
Ausgangspunkt werden viele zentrale Fragen des Leistungsstörungsrechts - von
der Unmöglichkeit über die Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) bis zur
außerordentlichen Kündigung (§ 314 BGB) behandelt.
©sl 2010
Gründe:
1 I. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Feststellung der Unwirksamkeit
eines Erbvertrages in Anspruch. Mit Vertrag vom 15. April 1981 setzte die
Klägerin den Beklagten zu ihrem Erben ein. Ferner verpflichtete sie sich,
ihr Hausgrundstück ohne Zustimmung des Beklagten weder zu veräußern noch zu
belasten. Im Falle eines Verstoßes sollte der Beklagte berechtigt sein, die
sofortige unentgeltliche Übertragung des Grundstücks zu verlangen. Der
Beklagte seinerseits verpflichtete sich, "die Erschienene zu 1. in kranken
und alten Tagen zu hegen und zu pflegen, ohne dass dafür Geldwertmittel von
mir oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden sind".
2 Der Beklagte wohnte seit 1980 zunächst in einer eigenen Wohnung im Haus
der Klägerin, bis er Anfang 1993 auszog. Am 19. April 1999 forderte die
Klägerin den Beklagten schriftlich unter Hinweis auf den Erbvertrag auf, bis
zum 1. Mai 1999 in ihrer Wohnung vorstellig zu werden. Pflegeleistungen
durch den Beklagten wurden in der Folgezeit nicht erbracht. Am 20. Juni 2007
zog die Klägerin in ein Alten- und Pflegeheim, wo sie sich auch gegenwärtig
noch aufhält. Am 18. Januar 2008 erklärte sie den Rücktritt vom Erbvertrag
unter Berufung darauf, dass sie seit Frühjahr 1999 geringfügig und seit
Anfang des Jahres 2005 in größerem Umfang auf Pflege angewiesen gewesen sei.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Das
Berufungsgericht hat ihr stattgegeben.
3 II. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne weitere Sachaufklärung
verletzt den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.
103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise und rechtfertigt die
Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach
§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO.
4 1. Nicht verfahrensfehlerfrei hat das Berufungsgericht zunächst die
Feststellung getroffen, die Klägerin sei gemäß §§ 2295, 323 Abs. 1 BGB
wirksam vom Erbvertrag zurückgetreten, da der Beklagte seine
Pflegeverpflichtung nicht erfüllt habe.
5 a) Nach § 2295 BGB kann der Erblasser von einer vertragsmäßigen
Verfügung zurückzutreten, wenn die Verfügung mit Rücksicht auf eine
rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen
Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, insbesondere Unterhalt
zu gewähren, getroffen ist und die Verpflichtung vor dem Tod des Erblassers
aufgehoben wird. Grundsätzlich finden die Regelungen über
gegenseitige Verträge nach § 320 ff. BGB, insbesondere über den Rücktritt
nach § 323 BGB, auf Erbverträge keine Anwendung, da es am
Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen der erbrechtlichen Verfügung und der
übernommenen Verpflichtung des Vertragserben fehlt (OLG Karlsruhe FamRZ
1997, 1180; LG Köln DNotZ 1978, 685; Staudinger/ Kanzleiter, BGB [2006] §
2295 Rn. 3; MünchKommBGB/Musielak, 5. Aufl. § 2295 Rn. 1; Erman/Schmidt, BGB
12. Aufl. § 2295 Rn. 8; Soer-gel/Wolf, BGB 13. Aufl. § 2295 Rn. 4;
Reimann/Bengel/Mayer, Testament und Erbvertrag 5. Aufl. § 2295 Rn. 6).
Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings erkannt, dass hier ein
gegenseitiger Vertrag vorliegt. Der Erbvertrag vom 15. April 1981 enthält
nicht nur die Erbeinsetzung des Beklagten einerseits und die
Pflegeverpflichtung des Beklagten andererseits; vielmehr hat die Klägerin
weiter die Verpflichtung übernommen, ihr Hausgrundstück nicht zu veräußern
und zu belasten. Zu deren Absicherung haben die Parteien bei Verstoß eine
Pflicht zur sofortigen unentgeltlichen Übereignung in den Vertrag
aufgenommen und diese zugunsten des Beklagten durch eine Vormerkung
abgesichert. Diese Unterlassungspflicht der Klägerin sowie die Pflegepflicht
des Beklagten stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis i.S. von § 323 Abs.
1 BGB. Ist aber mit dem Erbvertrag ein gegenseitiger Vertrag unter
Lebenden verbunden, durch den der Bedachte sich dem Erblasser zur Gewährung
von Pflege und/oder Unterhalt verpflichtet, so kann der Erblasser beim
Vorliegen der Voraussetzungen des § 323 BGB von diesem Vertrag und zugleich
nach § 2295 BGB vom Erbvertrag zurücktreten (vgl. bereits RG DNotZ 1935,
678; Staudinger aaO Rn. 9; Soergel aaO Rn. 4).
6 b) Unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG hat das Berufungsgericht jedoch
festgestellt, dass der Beklagte seine Vertragspflichten zu keinem Zeitpunkt
erfüllt habe und eine Fristsetzung wegen ernsthafter und endgültiger
Erfüllungsverweigerung nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich gewesen sei.
7 aa) Zunächst kann die nach § 323 Abs. 1 BGB erforderliche Fristsetzung zur
Leistung oder Nacherfüllung nicht in dem Schreiben der Klägerin vom 19.
April 1999 gesehen werden. Dieses enthält schon keine konkrete Aufforderung
zur Erbringung von Pflegeleistungen, sondern nur die allgemeine
Feststellung, der Beklagte habe sich seit dem 31. Juli 1992 nicht mehr um
die Klägerin gekümmert und er solle bis zum 1. Mai 1999 in ihrer Wohnung
vorstellig werden. Insoweit fehlt es schon an der erforderlichen bestimmten
und eindeutigen Aufforderung zur Leistung (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB 69.
Aufl. § 323 Rn. 13).
8 bb) Aber auch eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung nach §
323 Abs. 2 Nr. 1 BGB hat das Berufungsgericht nicht verfahrensfehlerfrei
festgestellt. Es hat vielmehr ausschließlich den Vortrag der Klägerin
zugrunde gelegt und den Vortrag des Beklagten außer Acht gelassen, wonach er
auch nach dem Streit mit der Klägerin 1992/1993 zu ihrer Pflege bereit
gewesen sei und auch heute noch ist. Der Beklagte hat im Einzelnen
vorgetragen, nach seinem Auszug aus dem Haus der Klägerin habe diese den
Kontakt zu ihm abgebrochen und nicht umgekehrt. Er habe erst im Januar 2008
erfahren, dass die Erblasserin sich im Pflegeheim befinde. Ferner habe die
Klägerin ihn zu keinem Zeitpunkt zu konkreten und bestimmten
Pflegeleistungen aufgefordert. Bereits das Landgericht hatte zumindest
teilweise zu den maßgeblichen Fragen der Pflegebedürftigkeit der Klägerin,
der Kenntnis des Beklagten hiervon sowie der Ablehnung eines Kontakts der
Klägerin mit dem Beklagten durch Vernehmung der Zeuginnen M. , R. H. sowie
M. H. Beweis erhoben. Vor diesem Hintergrund stellt es daher einen Verstoß
gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör dar, wenn das
Berufungsgericht ohne weitere Begründung von einer endgültigen
Leistungsverweigerung des Beklagten ausgeht, ohne seinen Vortrag sowie die
erfolgte Beweisaufnahme zu berücksichtigen.
9 cc) Nicht entscheidend kann hierbei auch auf den vom Berufungsgericht
weiter herangezogenen Umstand abgestellt werden, den Beklagten habe eine
fortlaufende Erkundigungs- und Überwachungspflicht dahin getroffen, ab wann
tatsächlich die im Vertrag vorausgesetzte Bedürftigkeit bei der Klägerin
eingesetzt habe. Zwar muss der Schuldner nach § 294 BGB die Leistung dem
Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich anbieten. Dies muss in
einer Art und Weise geschehen, dass der Gläubiger nur noch zuzugreifen
braucht (BGH, Urteil vom 6. Dezember 1991 - V ZR 229/80, BGHZ 116, 244,
249). Soweit es um die Verpflichtung zu Pflegeleistungen geht, muss diese
aber, wenn keine klaren vertraglichen Abreden bestehen, inhaltlich, zeitlich
und räumlich durch den Gläubiger konkretisiert werden, damit der Schuldner
überhaupt weiß, was er zu tun hat. Es war deshalb zunächst Aufgabe der
Klägerin, sich gegenüber dem Beklagten im Einzelnen dahin zu äußern, welche
konkreten Pflegeleistungen dieser durchzuführen hat. Das allgemeine
Schreiben vom 19. April 1999 genügte dafür nicht. Demgegenüber ist es nicht
Aufgabe des nicht mehr im Haus der Klägerin wohnenden Beklagten, sich
fortlaufend bei der Klägerin zu erkundigen, ab wann und welche Leistungen
sie benötigt.
10 c) Nicht tragfähig sind ferner die weiteren Feststellungen des
Berufungsgerichts, der Beklagte sei nicht wegen Unmöglichkeit von der
Erfüllung der Pflegeverpflichtung frei, sondern habe sich an den Kosten der
Heimunterbringung in Höhe seiner ersparten Aufwendungen zu beteiligen.
Dasselbe soll nach Ansicht des Berufungsgerichts dann gelten, wenn nicht die
Heimunterbringung selbst, sondern die persönlichen Differenzen der
Vertragspartner der Durchführung der Pflege entgegenstünden. In dem Vertrag
vom 15. April 1981 haben die Parteien vereinbart, dass der Beklagte die
Klägerin in kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen hat, "ohne dass
dafür geldwerte Mittel von mir oder meinen Rechtsnachfolgern aufzuwenden
sind". Geschuldet werden vom Beklagten mithin nicht von ihm gesondert zu
zahlende Sachleistungen, sondern nur die eigentlichen Pflege- und
Dienstleistungen. Eine gesonderte Geldzahlungsverpflichtung des Beklagten
kommt demgegenüber nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
nicht in Betracht. So hat der V. Zivilsenat in seinem Urteil vom 29. Januar
2010 - V ZR 132/09 - (FamRZ 2010, 554 unter 2 b) entschieden, ein
Familienangehöriger, der als Gegenleistung für die Übertragung eines
Grundstücks die Pflege des Übergebers übernommen habe und seine Leistung
wegen Umzugs des Übergebers in ein Pflegeheim nicht mehr erbringen könne,
sei aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung im Zweifel nicht
verpflichtet, an Stelle des ersparten Zeitaufwands eine
Zahlungsverpflichtung zu übernehmen. Der Übernehmer verpflichte sich zu
der Pflege und Betreuung des Übergebers meist in der Annahme, die
geschuldeten Dienste selbst oder durch Familienangehörige, also ohne
finanziellen Aufwand, erbringen zu können. Es entspreche deshalb in aller
Regel nicht dem hypothetischen Parteiwillen, dass Geldzahlungen an die
Stelle der versprochenen Dienste träten, wenn diese aus Gründen, die der
Übernehmer nicht zu vertreten habe, nicht mehr erbracht werden könnten.
11 Kann der Beklagte mithin die Pflegeleistungen wegen des Umzugs der
Klägerin in das Alten- und Pflegeheim nicht mehr erbringen, so ist er
grundsätzlich auch nicht zur Übernahme von Geldzahlungen verpflichtet.
Anderes würde nur dann gelten, wenn die Pflegeleistungen aus vom Beklagten
zu vertretenden Gründen nicht mehr erbracht werden und allein hierdurch ein
Umzug in das Alten- und Pflegeheim erforderlich gewesen sein sollte. Das
wiederum hängt von der ohnehin noch zu klärenden Frage ab, ob der Beklagte
ernsthaft und endgültig die Leistung verweigert hat. Nur dann käme wegen
Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB überhaupt ein
Rücktritt vom Vertrag in Betracht. Auf die vom Beklagten weiter
aufgeworfene Frage, ob auch bereits bei sonstigen persönlichen Differenzen
unabhängig von einem individuellen Verschulden die Verpflichtung zur
anteiligen Geldzahlung entfällt, kommt es dagegen nicht an. Maßgebend
sind vielmehr allein die Vorgaben des § 323 BGB, nämlich ob einerseits eine
Fristsetzung nach Abs. 2 Nr. 1 wegen endgültiger und ernsthafter
Leistungsverweigerung durch den Beklagten entbehrlich war, oder ob umgekehrt
nach Absatz 6 ein Rücktritt der Klägerin ausgeschlossen ist, weil sie für
den Umstand, der sie zum Rücktritt berechtigen würde (hier die unterlassene
Erbringung der Pflegeleistung), allein oder weit überwiegend verantwortlich
ist, oder ob der vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit
eintritt, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist.
12 d) Für die weitere Verfahrensweise weist der Senat ferner auf einen
bisher nicht hinreichend beachteten Gesichtspunkt hin. Als Aufhebung der
rechtsgeschäftlichen Verpflichtung des Bedachten, dem Erblasser für dessen
Lebenszeit wiederkehrende Leistungen zu entrichten, ist gemäß § 2295 BGB
auch der Fall der nachträglichen Unmöglichkeit der zu erbringenden Leistung
anzusehen (MünchKommBGB/Musielak, § 2295 Rn. 4; Soergel/Wolf, § 2295 Rn.
3; Erman/Schmidt, § 2295 Rn. 4). Eine derartige Unmöglichkeit der
Leistungserbringung für den Beklagten gemäß § 275 Abs. 1 BGB in Form der
subjektiven Unmöglichkeit könnte sich hier daraus ergeben, dass die
Erblasserin am 20. Juni 2007 in ein Alten- und Pflegeheim gezogen ist. Der
Beklagte selbst war lediglich zu einer Betreuung der Klägerin im häuslichen
Umfeld mit den ihm gegebenen persönlichen Möglichkeiten verpflichtet. Sollte
die Klägerin aber im Jahr 2007 in ein Alten- und Pflegeheim umgezogen sein,
weil nur noch dort, nicht dagegen zu Hause, eine adäquate medizinische und
pflegerische Betreuung möglich war, so entfiel gemäß § 275 Abs. 1 BGB wegen
nachträglicher Unmöglichkeit eine Pflegeverpflichtung des Beklagten, was der
Klägerin dann die Möglichkeit eröffnete, ihrerseits von der erbvertraglichen
Einsetzung des Beklagten zurückzutreten. Warum die Klägerin 2007 in ein
Alten- und Pflegeheim gezogen ist, wurde von ihr bisher nicht hinreichend
vorgetragen. Dies wird auf entsprechenden Hinweis des Berufungsgerichts
nachzuholen sein.
13 2. Durchgreifenden Bedenken begegnet ferner die Auffassung des
Berufungsgerichts, die Klägerin habe mit der Rücktrittserklärung vom 18.
Januar 2008 den Erbvertrag zugleich wirksam nach § 2281 Abs. 1 i.V. mit §
2078 Abs. 2 BGB angefochten. Hierbei kann die Frage, ob überhaupt ein
Anfechtungsgrund wegen Fehlvorstellungen der Klägerin über die vom Bedachten
erbrachten Betreuungsleistungen vorliegt, offen bleiben. Jedenfalls hat die
Klägerin die Anfechtung durch das Schreiben vom 18. Januar 2008 nicht
rechtzeitig erklärt. Gemäß § 2283 Abs. 1 BGB kann die Anfechtung durch
den Erblasser nur binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt nach Absatz
2 im Falle eines Irrtums mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erblasser von dem
Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Kenntnis bedeutet sichere und überzeugte
Kenntnis aller wesentlicher Tatumstände (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni
1973 - IV ZR 121/70, FamRZ 1973, 539 unter 2; BayObLG ZEV 1995, 105; NJW-RR
1990, 200; FamRZ 1983, 1275; MünchKommBGB/Musielak, § 2283 Rn. 3; Soergel/Wolf,
§ 2283 Rn. 2). An diese Kenntnis dürfen zwar nicht zu geringe Anforderungen
gestellt werden, zumal es in derartigen Fällen häufig noch auf eine
hinreichende innere Überzeugungsbildung des Erblassers ankommt.
14 Auch auf dieser Grundlage trifft aber die Annahme des Berufungsgerichts,
die nötige Kenntnis vom Anfechtungsgrund liege erst vor, wenn sich der
Erblasser der notwendigen Erkenntnis schlechterdings nicht mehr verschließen
könne, nicht zu, weil hierdurch zu hohe Anforderungen an die
Kenntniserlangung gestellt werden. Soweit das Berufungsgericht in diesem
Zusammenhang den Fristbeginn erst mit dem Umzug der Klägerin in das Alten-
und Pflegeheim angenommen hat, wird verkannt, dass die Verpflichtung des
Beklagten zur Erbringung von Pflegeleistungen nicht erst auf einem Niveau
einsetzt, das Leistungen eines Alten-und Pflegeheims erforderlich macht.
Nach der vertraglichen Regelung hat der Beklagte generell die Klägerin in
kranken und alten Tagen zu hegen und zu pflegen. Es kommt daher auf den
Zeitpunkt an, zu dem die Klägerin sichere Kenntnis von ihrer eigenen
Pflegebedürftigkeit und der tatsächlich nicht erbrachten Pflegeleistung
durch den Beklagten hatte. Das ist spätestens im Jahr 2006 der Fall gewesen.
Die Klägerin hat selbst vorgetragen, sie sei ab Frühjahr 1999 geringfügig
und seit Anfang 2005 in größerem Umfang pflegebedürftig gewesen. Sie selbst
hatte über eine Anzeige bereits im Jahre 2005 eine Betreuerin gesucht. Die
Zeugin M. war dann seit 2005 bei ihr tätig, wobei sich die Pflegeleistungen
im Jahr 2006 dahin steigerten, dass nicht nur die allgemeine
Haushaltsführung übernommen, sondern die Klägerin auch gebadet und angezogen
werden musste. Spätestens zu diesem Zeitpunkt kann der Klägerin nicht mehr
verborgen geblieben sein, dass sie objektiv pflegebedürftig war und der
Beklagte keine Pflegeleistungen erbrachte. Eine erst im Jahr 2008 erklärte
Anfechtung war daher verfristet.
15 3. Auch eine Kündigung nach § 314 BGB kommt schließlich nicht in
Betracht. Nach § 314 Abs. 3 BGB kann der Berechtigte nur innerhalb einer
angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt
hat. Das Berufungsgericht orientiert sich hierfür an der
Anfechtungsfrist des § 2283 BGB. Ob eine derartige allgemeine Übertragung
der Frist zulässig ist, erscheint zweifelhaft. Das Gesetz hat nämlich
wegen der Vielgestaltigkeit der Dauerschuldverhältnisse bewusst von einer
festen Ausschlussfrist abgesehen (vgl. MünchKommBGB/Geier, 5. Aufl. § 314
Rn. 20). Fristbeginn ist jedenfalls der Zeitpunkt, zu dem der Kündigende
Kenntnis vom Kündigungsgrund erlangt. Notwendig ist eine sichere und
umfassende Kenntnis von den Tatsachen, aus denen sich der wichtige Grund
ergibt (MünchKommBGB aaO Rn. 21). Das Berufungsgericht will hier erneut
auf den Einzug der Klägerin in das Pflegeheim abstellen. Aus den oben
genannten Gründen ist die erforderliche Kenntnis aber bereits im Jahr 2006
mit den häuslichen Pflegeleistungen durch die Zeugin M. anzunehmen, so dass
eine Kündigung erst mit dem Schreiben vom 18. Januar 2008 verfristet war. |