Kondiktionsausschluß
nach § 40 VVG bei arglistiger Täuschung durch den Versicherungsnehmer bei
Abschluß des Versicherungsvertrages; Verfassungsmäßigkeit:
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und Art. 3 I GG
BGH, Urteil vom 1. Juni
2005 - IV ZR 46/04
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsätze:
Es verstößt nicht gegen
Art. 3 Abs. 1 GG, daß der Versicherer nach wirksamer Anfechtung des
Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung nicht nur bereits
erbrachte Versicherungsleistungen zurückfordern, sondern auch die seit
Vertragsschluß erhaltenen Prämien behalten darf.
Zentrale Probleme:
Es geht um eine versicherungsrechtliche
Spezialfrage, die sich dabei stellende Frage der Verfassungsmäßigkeit und
der Rechtfertigung der Regelung durch den Präventionsgedanken ist aber von
allgemeinem Interesse auch für die Ausbildung.
©sl 2005
Tatbestand:
Die Klägerin hat mit Versicherungsschein vom 11. August 1998 einen
Unfallversicherungsvertrag mit dem Beklagten geschlossen, dem u.a. die
Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 95) der Klägerin zugrunde
liegen. Von diesem Vertrag ist sie mit Schreiben vom 12. November 2001
zurückgetreten und hat zugleich ihre zum Vertragsschluß führende Erklärung
wegen arglistiger Täuschung angefochten, weil der Beklagte Vorversicherungen
bei anderen Versicherern, die nach ungünstigem Schadensverlauf gekündigt
worden waren, in seinem Versicherungsantrag verschwiegen habe. Die Klägerin
verlangt die Rückzahlung von ihr erbrachter Versicherungsleistungen in Höhe
von 6.302,05 €.
Der Beklagte stellt einen Kündigungs- oder Anfechtungsgrund in Abrede und
rechnet hilfsweise mit einem Anspruch auf Erstattung dervon ihm bis zur
Anfechtung des Vertrages bereits gezahlten Versicherungsprämien in Höhe von
4.127,66 € auf.
Die Vorinstanzen haben der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der
Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Berufungsgericht stellt fest, die Anfechtung des Vertrages wegen
arglistiger Täuschung (§§ 123 BGB, 22 VVG) sei begründet. Nach den
Richtlinien der Klägerin hätte sie den Vertrag bei Kenntnis des vom
Beklagten verschwiegenen, früher ungünstigen Schadensverlaufs und der darauf
beruhenden Kündigung der Vorversicherung nicht abgeschlossen. Damit habe der
Beklagte zumindest gerechnet, den Abschluß des Vertrages aber gleichwohl
herbeiführen wollen. Seine Arglist sei aufgrund der in erster Instanz
durchgeführten Beweisaufnahme nicht mehr zweifelhaft.
Daß das Verschweigen dieser für das subjektive Risiko erheblichen
Gesichtspunkte keinen Einfluß auf den Eintritt des Schadens gehabt habe, für
den die jetzt von der Klägerin zurückverlangten Leistungen erbracht worden
sind, sei unerheblich, weil der Versicherungsvertrag gemäß § 142 BGB als von
Anfang an nichtig anzusehen sei. Es komme auch nicht darauf an, daß die
Ursache der früheren Schadensfälle nicht die gleiche wie in den von der
Klägerin entschädigten Fällen gewesen sei. Anders als beim Rücktritt gelte §
21 VVG bei einer Anfechtung des Vertrages gerade nicht (§ 22 VVG). Der
abweichenden Ansicht des Oberlandesgerichts Nürnberg (vgl. insbesondere
VersR 2000, 437) sei nicht zu folgen. Sie beruhe auf der Annahme einer
Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 40 Abs. 1 VVG, wonach dem
Versicherer auch bei einer Anfechtung des Vertrages die Prämie bis zum
Schluß der laufenden Versicherungsperiode gebühre. Diese Rechtsfolge sei
aber im Hinblick auf die Verletzung des bei Abschluß eines
Versicherungsvertrages vorausgesetzten besonderen gegenseitigen Vertrauens
nicht unverhältnismäßig, zumal der Versicherer mit einem ungünstigen Risiko
belastet werde, dem er sich nur entziehen könne, wenn es ihm gelinge, die
arglistige Täuschung aufzudecken. Soweit nach § 40 Abs. 1 VVG Prämien nicht
zurückverlangt werden können, greife der auch sonst im Versicherungsrecht
(vgl. §§ 6 Abs. 3, 61 VVG) stärker als im allgemeinen Vertragsrecht
berücksichtigte Gesichtspunkt der Verwirkung durch. Die vom Beklagten zur
Aufrechnung gestellte Rückforderung seiner Prämien sei mithin unbegründet.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Revision nimmt hin, daß die
Arglistanfechtung begründet sei. Damit ist der Versicherungsvertrag als von
Anfang an nichtig anzusehen (§ 142 BGB).
a) Der Klägerin steht danach ein Anspruch auf Rückgewähr der von ihr
erbrachten Versicherungsleistungen zu (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die
ausdrücklich auf den Rücktritt des Versicherers bezogene Vorschrift des § 21
VVG findet im Fall der Anfechtung des Versicherungsvertrages keine Anwendung
(§§ 21, 22 VVG). Selbst wenn die Regelung in § 40 Abs. 1 VVG, soweit sie
auch für den Fall einer Anfechtung des Versicherungsvertrages gilt, nichtig
wäre, wie das Oberlandesgericht Nürnberg meint (aaO), gezahlte
Versicherungsprämien also uneingeschränkt zurückverlangt werden könnten,
stünde dies dem Anspruch des Versicherers auf Rückgewähr der von ihm
erbrachten Leistungen nicht entgegen (OLG Saarbrücken VersR 2001, 751, 752;
zu Bedenken gegen die Rechtsfortbildung des OLG Nürnberg ferner Dreher,
VersR 1998, 539, 541; Langheid/Müller-Frank, NJW 2001, 111, 113). Nach
einhelliger, nur vom Oberlandesgericht Nürnberg nicht geteilter Ansicht kann
§ 21 VVG auch nicht entsprechend auf Fälle des § 22 VVG angewandt werden (Prölss
in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 22 Rdn. 15; Langheid in Römer/Langheid,
VVG 2. Aufl. § 22 Rdn. 19; BK/Voit, § 22 Rdn. 46). Die Berufung des
Versicherers auf die sich aus § 142 BGB ergebende Rückwirkung der Anfechtung
stellt auch dann keine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der vor
Anfechtung gewährte Versicherungsschutz nicht durch die Täuschung des
arglistigen Versicherungsnehmers beeinflußt war.
b) Dagegen kann der Versicherungsnehmer trotz Nichtigkeit des Vertrages die
von ihm in der Vergangenheit geleisteten Prämien nicht zurückverlangen, weil
§ 40 Abs. 1 VVG bestimmt, daß die Prämie dem Versicherer auch im Fall einer
Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer gebührt. Das
gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift für die Prämie bis zum Schluß der
Versicherungsperiode (vgl. § 9 VVG), in der der Versicherer von dem
Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Dabei geht es im vorliegenden Fall
nicht um die Frage, ob der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, noch
Prämien bis zum Ende der Versicherungsperiode weiterzuzahlen, obwohl die
Leistungspflicht des Versicherers bereits erloschen ist. Der Beklagte
verlangt im Wege der Hilfsaufrechnung nur die von ihm bis zur Anfechtung des
Versicherungsvertrages bereits gezahlten Versicherungsprämien zurück.
Die Regelung des § 40 Abs. 1 VVG beschränkt sich ihrem Sinn nach nicht etwa
auf den Prämienbetrag, der gerade für die Versicherungsperiode geschuldet
wird, in deren Verlauf der Versicherer Kenntnis von dem Anfechtungsgrund
erlangt hat. Vielmehr soll dem Versicherer die Prämie überhaupt verbleiben,
also alles, was er an Prämien seit dem Vertragsschluß erhalten hat. Es wäre
unverständlich und widersprüchlich, wenn der Versicherer nur die Prämie für
die im Zeitpunkt der Kenntniserlangung gerade laufende Versicherungsperiode
behalten könnte, die Prämien früherer Versicherungsperioden seit Abschluß
des Vertrages dagegen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB dem Versicherungsnehmer
zu erstatten hätte.
c) Daß der Versicherer nach wirksamer Anfechtung des Versicherungsvertrages
die von seiner Seite erbrachten Versicherungsleistungen zurückverlangen
kann, dem Versicherungsnehmer aber wegen der Regelung des § 40 Abs. 1 VVG
die Prämien nicht erstatten muß, hat nicht nur beim Oberlandesgericht
Nürnberg Bedenken hervorgerufen (vgl. auch Prölss, aaO § 22 Rdn. 15 a.E. und
§ 40 Rdn. 16 f.; BK/Riedler, § 40 Rdn. 10, 12; zurückhaltend Römer in Römer/Langheid,
aaO § 40 Rdn. 3). Diese Bedenken haben andere Gerichte dagegen nicht
überzeugt (neben dem Berufungsgericht vgl. OLG Köln NVersZ 2001, 500, 502
f.). Der Senat hält die Vorschrift des § 40 Abs. 1 VVG auch in der hier in
Rede stehenden Alternative nicht für verfassungswidrig.
Art. 3 Abs. 1 GG verbietet die willkürlich ungleiche Behandlung im
wesentlichen gleicher Sachverhalte. Ein Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz liegt vor, wenn der Gesetzgeber versäumt, tatsächliche
Gleichheiten oder Ungleichheiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu
berücksichtigen, die so bedeutsam sind, daß sie bei einer am
Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden
müssen. Der Gesetzgeber hat dabei grundsätzlich, insbesondere wenn es um die
Ordnung von Massenerscheinungen geht, eine sehr weitgehende
Gestaltungsfreiheit. Es ist mithin nicht zu prüfen, ob er jeweils die
gerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen hat, sondern lediglich, ob
sich ein sachgerechter Grund für die gesetzliche Bestimmung finden läßt. Bei
einer Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber
allerdings strengeren Bindungen an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Bei
lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung
davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten
die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden
wird (vgl. BGHZ 115, 347, 349 f. und BVerfG VersR 1999, 1221 f.; beide
m.w.N.).
aa) Eine personenbezogene Differenzierung enthält § 40 Abs. 1 VVG nicht. Es
geht hier um Rechtsfolgen einer arglistigen Täuschung des
Versicherungsnehmers, die zum Abschluß eines Versicherungsvertrages geführt
hat, der deshalb vom Versicherer erfolgreich angefochten worden ist (zu
weiteren Anfechtungsfällen vgl. BK/Riedler, § 40 Rdn. 6; Römer in Römer/Langheid,
aaO § 40 Rdn. 4). Der Gesetzgeber knüpft mithin an ein Verhalten an, das vom
Willen des von der Anfechtung Betroffenen abhängt, ja sogar seinen Vorsatz
voraussetzt. Deshalb kann hier nicht die Rede davon sein, daß dem
Versicherungsnehmer Rechtsfolgen aufgezwungen würden. Im Unterschied zum
Versicherer, der seine Versicherungsleistungen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB
zurückfordern kann, erhält der Versicherungsnehmer die von ihm geleistete
Prämie allerdings nach § 40 Abs. 1 VVG nicht zurück.
bb) Für diese Regelung fehlt es jedoch nicht an einem sachgerechten Grund:
Bei der Ermittlung der für die Übernahme der Gefahr erheblichen Umstände (§§
16 ff. VVG) anhand von Formularfragen im täglichen Massengeschäft ist der
Versicherer in besonderem Maße darauf angewiesen, daß der Antragsteller
Angaben macht, die vollständig sind und der Wahrheit entsprechen.
Verschweigt oder verheimlicht der Antragsteller die erfragten Umstände, ist
dies für den Versicherer trotz sorgfältiger Prüfung des Antrags oft nicht zu
erkennen. Selbst wenn sich in der Folgezeit Schäden häufen oder
überdurchschnittlich schwer sind, ergeben sich daraus nicht notwendig und
auch nicht regelmäßig Hinweise auf Falschangaben beim Vertragsschluß. Die
Versuchung gerade eines Antragstellers, der wie hier seinen
Versicherungsschutz bei anderen Versicherern bereits einmal verloren hatte,
die Fragen im Antrag eines neuen Versicherers nicht der Wahrheit gemäß zu
beantworten, wäre noch größer, wenn eine Entdeckung zwar den Verlust des
Versicherungsschutzes, nicht aber der gezahlten Prämien zur Folge hätte.
Könnte der Versicherungsnehmer auch bei einer Anfechtung wegen arglistiger
Täuschung mit einer Rückerstattung aller von ihm gezahlten Prämien rechnen,
würde deren Höhe, wenn der Versicherungsvertrag schon eine gewisse Zeit
bestanden hat, die Pflicht des Versicherungsnehmers zur Rückzahlung der
Versicherungsleistungen zu einem nicht unerheblichen Teil ausgleichen, wie
gerade der vorliegende Fall zeigt. Das rechtfertigt eine besondere Regelung
der Rechtsfolgen einer arglistigen Täuschung im Versicherungsrecht gegenüber
dem allgemeinen Vertragsrecht.
cc) Dem Gesetzgeber ist es unbenommen, dem Versicherer ein Druckmittel an
die Hand zu geben, um einen präventiven Schutz gegen arglistige Täuschungen
zu erreichen. Der Verlust der Prämien ist für den arglistig täuschenden
Versicherungsnehmer auch nicht unzumutbar. Je länger es ihm gelingt, die dem
Versicherungsvertrag zugrunde liegende Täuschung auch bei der Regulierung
von Versicherungsfällen zu verbergen, um so härter trifft ihn im Fall einer
erfolgreichen Anfechtung des Versicherers neben dem Verlust des
Versicherungsschutzes der Verlust der gezahlten Prämien. Eine solche
Regelung mußte dem Gesetzgeber nicht ungeeignet erscheinen, um
Versicherungsnehmer davon abzuhalten, aus der raschen Abwicklung von
Versicherungsanträgen im Massengeschäft unredliche Vorteile zu ziehen. Die
unterschiedliche Behandlung des Versicherungsnehmers und des Versicherers
durch den Gesetzgeber bei den Rechtsfolgen einer erfolgreichen Anfechtung
wegen arglistiger Täuschung entbehrt daher nicht sachgerechter Gründe.
Mithin steht dem Beklagten die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung
nicht zu.
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