Ausgleich von
Vorempfängen unter Miterben - Erfordernis einer letztwilligen Verfügung;
kein Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall bzgl. der
Erbauseinandersetzung
BGH, Urteil vom 28. Oktober
2009 - IV ZR 82/08
Fundstelle:
noch nicht bekannt
Amtl. Leitsatz:
Will der Erblasser bei der
Auseinandersetzung unter Miterben die Anrechnung von Vorempfängen auf den
Erbteil über die dazu bestehenden gesetzlichen Regeln insbesondere in § 2050
BGB hinaus erreichen, muss er dies durch letztwillige Verfügung anordnen;
für eine Erbauseinandersetzung verbindliche Anordnungen können dagegen nicht
durch Rechtsgeschäft unter Lebenden getroffen werden.
Tatbestand:
1 Die Parteien streiten darüber, ob sich der Kläger
lebzeitige Zuwendungen des Erblassers, seines am 25. Juli 2003 gestorbenen
Vaters, auf seinen Erbteil anrechnen lassen muss.
2 Der Kläger entstammt der ersten, 1977 geschiedenen Ehe des Erblassers. Er
hat eine Schwester und eine außerehelich geborene Halbschwester. In einem
eigenhändigen Testament vom 7. Februar 1978 setzte der Erblasser seine
zweite Ehefrau, den Kläger und dessen Halbschwester zu gleichen Teilen als
Erben ein. Der Erblasser schenkte dem Kläger Wertpapiere und traf mit ihm
eine am 27. Juli 1978 in Maschinenschrift gefertigte, vom Erblasser und vom
Kläger unterschriebene Schenkungsvereinbarung, in der unter anderem
vorgesehen ist:
"2. [Der Kläger] hat sich die heutige Schenkung im Betrag von 3,6 Mio DM auf
seinen Erb- oder Pflichtteil am künftigen Nachlass seines Vaters anrechnen
zu lassen oder bei der Erbauseinandersetzung zur Ausgleichung zu bringen,
ist aber zur Herauszahlung eines etwaigen Mehrbetrages nicht verpflichtet."
3 Mit notariellem Erbvertrag vom 3. September 1984 verzichtete der Kläger
gegenüber dem Erblasser auf seinen Pflichtteil. Am 4. September 1984 setzte
der Erblasser den Kläger erbvertraglich zu einem Viertel seines Nachlasses
als Erben ein.
4 Die zweite Ehe des Erblassers blieb kinderlos. Nach dem Tod seiner zweiten
Frau im Jahre 1995 heiratete der Erblasser die Beklagte. Auch diese Ehe
blieb kinderlos. Im Jahre 1997 gewährte der Erblasser dem Kläger eine
weitere Zuwendung in Höhe von 600.000 DM. Am 8. September 1997
unterzeichnete der Kläger eine mit der Maschine geschriebene Erklärung, in
der es unter anderem heißt:
"Der [Kläger] anerkennt die Schenkung erhalten zu haben und erklärt hiermit
dem Schenker [Erblasser] gegenüber ausdrücklich und unwiderruflich, dass er
der Anrechnung der DM 600.000,00 auf etwaige Pflichtteilsansprüche am
Nachlass des Schenkers zustimmt."
5 In einem eigenhändigen Testament vom 3. September 1998 setzte der
Erblasser die Beklagte zu seiner Alleinerbin ein. Weiter ist unter anderem
bestimmt:
"3) Meinen Sohn [Kläger] sowie meine Tochter A. setze ich je auf den
Pflichtteil, wobei je auf ihren Pflichtteil dasjenige anzurechnen ist, was
ich ihnen in der Vergangenheit zugewandt habe, auch wenn dadurch der
Pflichtteil voll aufgebraucht ist."
6 In einem eigenhändigen Testament vom 15. März 1999 heißt es unter anderem:
"3) Mein Sohn [Kläger] hat in der Vergangenheit Zuwendungen im Betrag von
insgesamt DM 6 Mio erhalten, durch welche sein Pflichtteil, auf den er
verzichtet hat, voll aufgebraucht wäre. Lediglich vorsorglich setze ich ihn
auf den Pflichtteil."
7 Das Nachlassgericht hat einen Gemeinschaftlichen Erbschein erteilt, in dem
der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 als Erben ausgewiesen werden. Der
Kläger begehrt die Feststellung, dass er sich die Schenkung des Erblassers
vom 27. Juli 1978 in Höhe von 3,6 Mio. DM nicht auf sein durch Erbvertrag
vom 4. September 1984 erhaltenes Erbe anrechnen lassen müsse. Widerklagend
beantragt die Beklagte festzustellen, dass sich der Kläger auch den Betrag
von 600.000 DM auf seinen Erbteil anrechnen lassen müsse.
8 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage
abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
9 Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
10 I. Das Landgericht und ihm folgend das Berufungsgericht halten die hier
über die Anrechnung oder Ausgleichung der Vorempfänge außerhalb
letztwilliger Verfügungen getroffenen Regelungen für formungültig. Zwar
könne gemäß § 2050 Abs. 3 BGB die Ausgleichung bei der durch Rechtsgeschäft
unter Lebenden erfolgten Zuwendung in der Form angeordnet werden, die für
die Zuwendung selbst gelte. Das betreffe aber nur die Ausgleichung unter
Abkömmlingen (§§ 2050 Abs. 1, 2052 BGB). Für die hier vorzunehmende
Auseinandersetzung zwischen einem Abkömmling und der Witwe bleibe es bei dem
Grundsatz, dass Teilungsanordnungen oder Vermächtnisse nur durch
letztwillige Verfügungen angeordnet werden können. Im Übrigen könne durch
eine bei der Zuwendung getroffene, grundsätzlich keiner Formvorschrift
unterliegende Bestimmung zwar gemäß § 2315 Abs. 1 BGB die Anrechnung eines
Vorempfangs auf den Pflichtteil angeordnet werden. Im vorliegenden Fall gehe
es aber um eine Anrechnung auf den Erbteil des Klägers. Aus § 2315 Abs. 1
BGB könne auch nicht geschlossen werden, dass eine Anrechnung insoweit erst
recht formlos möglich sein müsse. Vielmehr trage § 2315 Abs. 1 BGB der
Besonderheit Rechnung, dass der Erblasser das Pflichtteilsrecht - anders als
die Erbteile einzelner Miterben - nicht durch letztwillige Verfügung
einschränken könne. Um auf den Pflichtteil anrechenbare Vorempfänge zu
ermöglichen, ohne dass es für die Anrechnung eines Pflichtteilsverzichts
gemäß § 2346 BGB bedürfe, lasse das Gesetz eine grundsätzlich formfreie
Anrechnungsbestimmung bei der Zuwendung zu. Das könne nicht analog auf die
Anrechnung von Vorempfängen bei der Erbauseinandersetzung übertragen werden.
Schließlich könne die Anrechnung auch nicht durch einen außerhalb
erbrechtlicher Regeln stehenden Vertrag sui generis zwischen Erblasser und
Erben verbindlich vereinbart werden.
11 Soweit den Testamenten des Erblassers vom 3. September 1998 und 15. März
1999 Anrechnungsbestimmungen zu entnehmen seien, werde dadurch die
erbvertragliche Einsetzung des Klägers als Erbe zu 1/4 beeinträchtigt. Das
Berufungsgericht stellt fest, die Parteien hätten in der mündlichen
Verhandlung außer Streit gestellt, dass dem Kläger bei einer Anrechnung von
3,6 Mio. DM sowie 600.000 DM von seinem Erbteil überhaupt nichts mehr
verbliebe. Die testamentarischen Anordnungen seien daher gemäß §§ 2289 Abs.
1 Satz 2, 2291 BGB unwirksam.
12 II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar ist streitig, ob die
Vereinbarung vom 27. Juli 1978 etwa nur die im Testament vom 7. Februar 1978
vorgesehene Erbfolge betreffe, also durch den Erbvertrag vom 4. September
1984 gegenstandslos geworden sei, ob die Vereinbarung vom 27. Juli 1978 und
die Erklärung vom 8. September 1997 bei der Zuwendung oder erst nachträglich
zustande gekommen sind und ob die in der Erklärung vom 8. September 1997
sowie in den Testamenten des Erblassers vom 3. September 1998 und 15. März
1999 vorgesehene Anrechnung auf den Pflichtteil auch auf den Erbteil des
Klägers bezogen werden könne. Darauf kommt es aber nicht an.
13 1. Soweit von Anordnungen zur Anrechnung der Vorempfänge auf den Erbteil
des Klägers in den Testamenten des Erblassers vom 3. September 1998 und 15.
März 1999 ausgegangen werden kann, hat das Berufungsgericht mit Recht
angenommen, dass solche Anordnungen das durch Erbvertrag vom 4. September
1984 vertragsmäßig auf ein Viertel des Nachlasses eingeräumte Erbrecht des
Klägers beeinträchtigen. Die Anordnungen sind daher gemäß § 2289 Abs. 1
Satz 2 BGB unwirksam. Da es um eine Einschränkung oder Aufhebung der
Erbeinsetzung und nicht etwa eines vertraglich angeordneten Vermächtnisses
oder einer Auflage geht, kommt auch eine testamentarische Aufhebung mit
Zustimmung des Begünstigten gemäß § 2291 BGB hier nicht in Betracht.
Vielmehr hätte es gemäß § 2290 BGB eines ändernden Erbvertrages bedurft.
Das zieht die Revision nicht in Zweifel.
14 2. Sie vertritt vielmehr den Standpunkt, der Erblasser könne mit dem
Empfänger einer Zuwendung im Rahmen des lebzeitigen Zuwendungsgeschäfts und
nach den für dieses geltenden Formvorschriften eine Anrechnung von
Vorempfängen im Erbfall auch außerhalb der in §§ 2050 Abs. 3, 2315 Abs. 1
BGB geregelten Fallkonstellationen vereinbaren. Wenn es wie hier um
Schenkungen des Erblassers gehe, werde das Rechtsgeschäft einschließlich der
vereinbarten Anrechnung durch Vollzug wirksam (§§ 518 Abs. 2, 2301 Abs. 2
BGB). Dem ist nicht zu folgen.
15 a) Die Ansicht der Revision lässt sich nicht auf eine Analogie zu §
2050 Abs. 3 BGB stützen. Auch wenn es sich bei der dort zugelassenen
Anordnung ebenso wie bei der Zuwendung selbst um ein Rechtsgeschäft unter
Lebenden handelt, rechtfertigt dies nicht den Schluss, für lebzeitige
Anordnungen dieser Art gelte ganz allgemein Vertragsfreiheit gemäß § 311
BGB. Denn es geht nicht um die Verbindlichkeit des Vereinbarten im
Verhältnis der an der Vereinbarung Beteiligten. Es kommt vielmehr auf die
Verbindlichkeit gegenüber Dritten in der Zeit nach dem Erbfall bei einer
Erbauseinandersetzung an. Insoweit hat der Gesetzgeber, wenn sich die
Miterben nicht einigen, die Regeln der §§ 2042 ff. BGB vorgegeben.
16 Danach ist eine Ausgleichungsanordnung in der Rechtsform, die für die
lebzeitige Zuwendung maßgebend ist, nur bei der Zuwendung und nur
hinsichtlich der Ausgleichung unter Abkömmlingen möglich (§§ 2050 Abs.
1, 2052 BGB). Im Übrigen richtet sich die Verteilung des Nachlasses unter
Miterben, soweit es um Abweichungen von den gesetzlichen Erbquoten geht,
nach den letztwilligen Verfügungen des Erblassers, der gemäß § 2048 BGB
Teilungsanordnungen treffen und einzelnen Miterben Vorausvermächtnisse
aussetzen kann (§ 2150 BGB). Auf diesem Wege kann der Erblasser
Auseinandersetzungsregeln Bedeutung auch in Fällen verschaffen, für die sie
nach dem Gesetz an sich nicht vorgesehen sind (vgl. Senatsurteil vom 4. März
1992 - IV ZR 309/90 - FamRZ 1992, 665 unter 3 a). Soweit der Erblasser
Bestimmungen für die Auseinandersetzung unter Miterben treffen will, muss
dies also grundsätzlich durch letztwillige Verfügung geschehen; für eine
Auseinandersetzung verbindliche Anordnungen können dagegen - von den
Sonderfällen des § 2050 Abs. 1 und 3 BGB abgesehen - nicht durch
Rechtsgeschäft unter Lebenden getroffen werden (so auch MünchKomm-BGB/Heldrich,
4. Aufl. § 2050 Rdn. 36; Soergel/M. Wolf, BGB 13. Aufl. § 2050 Rdn. 22;
Palandt/Edenhofer, BGB 68. Aufl. § 2050 Rdn. 1).
17 b) Dass eine nicht in der Form einer letztwilligen Verfügung erfolgte
Anordnung, sich Vorempfänge auf den Erbteil anrechnen zu lassen, erst recht
zulässig sein müsse, wenn durch derartige Anordnungen nach § 2315 Abs. 1 BGB
sogar die Anrechnung auf den Pflichtteil wirksam angeordnet werden könne,
überzeugt nicht. Nach § 2315 Abs. 1 BGB kann der Erblasser die Anrechnung
auf den Pflichtteil und damit dessen Verringerung im Erbfall nach den für
das Zuwendungsgeschäft geltenden Formvorschriften wirksam bei der Zuwendung
anordnen. Gäbe es diese Möglichkeit nicht, bedürfte es zur Wirksamkeit der
Anrechnungsanordnung eines Pflichtteilsverzichts in der Form des § 2348 BGB,
weil der Erblasser den Pflichtteil nicht durch letztwillige Verfügung
einschränken kann. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Anordnung
einer Anrechnung von Vorempfängen auf den Erbteil auch in Fällen, in denen
es nicht um die Auseinandersetzung unter Abkömmlingen geht; insoweit kann
der Erblasser einseitig letztwillige Verfügungen treffen, und zwar auch
nachträglich (RGZ 67, 306, 309; 71, 133, 135; 90, 419, 422; Senat, Urteil
vom 30. September 1981 - IVa ZR 127/80 - NJW 1982, 575 unter III 3 a.E.).
Was das Gesetz für den Pflichtteil zur Vermeidung eines notariell zu
beurkundenden Erbverzichts zulässt, um anzurechnende Vorempfänge zu
erleichtern, kann nicht auf Anordnungen für den Erbteil übertragen werden.
18 c) Allerdings kann ein Erblasser gemäß §§ 328, 331 BGB einem Dritten
schuldrechtliche Ansprüche gegen den Vertragspartner des Erblassers ohne
Einhaltung der für Verfügungen von Todes wegen vorgeschriebenen Form
zuwenden. Die Rechtsbeziehungen sowohl im Deckungsverhältnis zwischen dem
Erblasser und seinem Vertragspartner als auch im Valutaverhältnis zwischen
Erblasser und Drittem richten sich nach Schuldrecht und nicht nach Erbrecht
(st. Rspr., BGHZ 41, 95, 96; 46, 198, 201 f.; 66, 8, 12 ff.; 157, 79, 82
f.; Senatsurteile vom 19. Oktober 1983 - IVa ZR 71/82 - NJW 1984, 480 unter
1; vom 21. Mai 2008 - IV ZR 238/06 - NJW 2008, 2702 Tz. 19). Die Person
des begünstigten Dritten muss bei Abschluss des Rechtsgeschäfts im
Deckungsverhältnis noch nicht feststehen; es genügt, wenn sie bestimmbar ist
(BGH, Urteil vom 16. November 2007 - V ZR 208/06 - NJW-RR 2008, 683 Tz.
10).
19 Durch einen solchen, grundsätzlich formfreien Vertrag kann sich der
Versprechende aber nicht wirksam zu einer Anrechnung oder einer Ausgleichung
verpflichten, der Bedeutung für eine Erbauseinandersetzung nach §§ 2042 ff.
BGB zukäme; dafür bedürfte es, wenn es sich nicht um Anordnungen des
Erblassers nach §§ 2050 Abs. 1 und 3, 2315 BGB handelt, letztwilliger
Verfügungen (insoweit unklar MünchKomm-BGB/Heldrich, aaO § 2050 Rdn. 31;
Staudinger/Werner, BGB [2002] § 2050 Rdn. 33; Soergel/M. Wolf aaO § 2050 Rdn.
19). Ein Vertrag zugunsten Dritter könnte demgegenüber nur einen
außerhalb der Erbauseinandersetzung stehenden, für die Verteilung des
Nachlasses rechtlich unerheblichen Anspruch gegen den Versprechenden
persönlich auf eine bestimmte oder bestimmbare Leistung begründen. Einen
derartigen Anspruch macht die Beklagte hier nicht geltend. Die
Klageanträge richten sich vielmehr auf Feststellungen zur Vorbereitung einer
Erbauseinandersetzung (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 1990 - IV ZR 104/89 -
NJW-RR 1990, 1220 unter I). Erbteilung kann der Kläger ohne jede Anrechnung
der Vorempfänge verlangen.
20 Im Übrigen liegt es fern, die Vereinbarungen des Erblassers mit dem
Kläger vom 27. Juli 1978 und vom 8. September 1997 als Vertrag zugunsten
Dritter auszulegen oder umzudeuten. Sie sind nicht auf Leistungen des
Klägers zugunsten von Miterben außerhalb der Erbauseinandersetzung
gerichtet, sondern sollen die Ansprüche des Klägers auf seinen Erbteil
gerade bei einer Erbauseinandersetzung bzw. bei Geltend-machung eines
Pflichtteils beschränken. Um dies zu erreichen, hätte es letztwilliger
Verfügungen bedurft, über deren Form der Erblasser, der mehrfach testiert
hat, unterrichtet war. Er hat eine Anrechnung der Vorempfänge des Klägers
ausdrücklich in seinem Testament vom 3. September 1998 angeordnet, freilich
beschränkt auf den Pflichtteil, auf den der Kläger ohnehin verzichtet hatte,
und im Widerspruch zur erbvertraglichen Einsetzung des Klägers (§ 2289 Abs.
1 Satz 2 BGB). |