Erbstatut bei Beerbung eines Schweizer Staatsangehörigen mit letztem Wohnsitz in Deutschland

LG Kempten, Teilendurteil vom 8. 8. 2002 - 3 O 2474/01


Fundstelle:

NJW-RR 2002, 1588 f
JuS 2003, 298 (Anm. Hohloch)
IPRax 2004, 530 m. Anm. Dörner aaO S. 519.


Zentrale Probleme:

Es geht um das auf die Beerbung eines mit letztem Wohnsitz in Deutschland verstorbenen schweizerischen Staatsbürgers anwendbare Recht. Das LG kommt aufgrund einer - in der Literatur str. - Rückverweisung des im Wege einer Gesamtverweisung berufenen schweizerischen Rechts (Art. 25 I, 4 I EGBGB) zur Anwendung deutschen Rechts.
Der Sache nach ging es um einen Pflichtteilsanspruch, der im schweizerischen Recht ein echtes Noterbrecht (und nicht nur - wie im deutschen Recht nach § 2303 BGB - ein schuldrechtlicher Anspruch) ist. Die Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs erfolgt danach durch eine rechtsgestaltende Klage (sog. Herabsetzungsklage). Erst durch das Urteil ("Herabsetzungsurteil") erlangt der Pflichtteilsberechtigte die Rechtsstellung als Miterbe. Das ist rechtsvergleichend keine Seltenheit, sondern insbesondere in Ländern des romanischen Rechtskreises häufig anzutreffen (so etwa auch im französischen Recht). Wenn ausländisches Recht Erbstatut ist, kann eine solche Klage - sofern die internationale Zuständigkeit gegeben ist - auch vor deutschen Gerichten erhoben werden. Aus diesem Grunde wäre die Klage hier nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen gewesen.

©sl 2003


Zum Sachverhalt:

Der Erblasser war Schweizer Staatsangehöriger und bis zu seinem Tode wohnhaft in K. (Deutschland). Er war geschieden und hatte drei Kinder, darunter den Kl. Der Erblasser hinterließ ein Testament, datiert vom 15. 12. 1975. Bis zu seinem Tod war der Erblasser Mitinhaber der S-KG mit Sitz in K. (Deutschland). Der Bekl. ist Mitgesellschafter dieser KG. § 13 des Gesellschaftsvertrags bestimmt:
§ 13. Stirbt ein Gesellschafter, so führt der andere Gesellschafter das Unternehmen ohne Liquidation mit Aktiva und Passiva unter der bisherigen Firma fort. Der Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters geht mit allen Rechten und Pflichten auf den anderen Gesellschafter über. Dieser nimmt sämtliche Funktionen des verstorbenen Gesellschafters wahr. Diese Nachfolgeregelung treffen die Gesellschafter mit sofortiger Wirkung. Der Gesellschaftsanteil des verstorbenen Gesellschafters fällt nicht in seinen Nachlass. Die Nachfolgeregelungen hinsichtlich des Gesellschaftsanteils gelten unabhängig von der Erbfolge nach dem verstorbenen Gesellschafter.
Der Kl. ist der Auffassung, dass auf den vorliegenden Erbfall des Erblassers Schweizer Recht Anwendung findet. Gemäß Schweizer Recht seien im vorliegenden Fall die Gesellschaftsanteile an der S-KG beim Nachlass mitzuberücksichtigen. Nach Schweizer Recht sei er (Kl.) als Pflichtteilsberechtigter übergangen worden, weshalb er die Herabsetzung der vermögensrechtlichen Verfügung des Erblassers verlangen könne. Er beantragt:

1. den Nachlass des Erblassers festzustellen und nach den gesetzlichen Vorschriften unter Wahrung des Pflichtteilsrechts des Kl. zu teilen;
2. die letztwillige Verfügung des Erblassers vom 15. 12. 1975 insoweit aufzuheben bzw. herabzusetzen, als der Pflichtteilsschutz des Kl. verletzt ist;
3. festzustellen, dass die Herabsetzungsklage in durch das Gericht zu bestimmender Höhe gegenüber dem Bekl. und zu Gunsten des Kl. gerechtfertigt ist;
4. hilfsweise zu 1.-3.: den Bekl. zu verurteilen, an den Kl. 100000 DM zu zahlen.
 

Das LG hat lediglich über die Hauptanträge entschieden und diese als unzulässig abgewiesen.

Aus den Gründen:

I. Die erhobene Herabsetzungsklage gem. Art. 522 SchweizZGB ist unzulässig. Eine derartige Herabsetzungsklage ist dem deutschen Recht, welches auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, im Rahmen des Pflichtteilsrechts fremd. Eine Umdeutung in eine Leistungsklage, welche im Rahmen von Pflichtteilsansprüchen nach deutschem Recht zu erheben ist, ist nicht möglich. Das deutsche Recht kennt im Rahmen des Pflichtteilsrechts keine der schweizerischen Herabsetzungsklage entsprechende Gestaltungsklage.
Auf den vorliegenden Erbfall des Erblassers ist deutsches materielles Erbrecht anzuwenden. Stirbt ein Schweizer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, ist deutsches Recht anzuwenden.
1. Die objektive Anknüpfung an das Schweizer Heimatrecht des Erblassers gem. Art. 25 I EGBGB, die sich gem. Art. 4 I 1 EGBGB auch auf dessen Kollisionsnormen bezieht, führt letztendlich zur Anwendung deutschen Rechts. Das Schweizer Kollisionsrecht verweist auf das Kollisionsrecht des Wohnsitzstaates, und das deutsche Kollisionsrecht nimmt diese Rückverweisung an (Art. 91 I SchweizIPRG; Art. 4 I 2 EGBGB; so auch BayObLGZ 2001, 203 = NJW-RR 2001, 1588; Lorenz, DNotZ 1993, 148 [152]; umfassende Darstellung der rechtlichen Situation: Lorenz, in: Ferid/Firsching, Int. ErbR, Länderteil Schweiz, Rdnr. 14 m.w. Nachw.).
Diese rechtliche Auffassung wird auch im umgekehrten Fall, dass ein Deutscher mit Schweizer Wohnsitz verstirbt und den sich hieraus ergebenden gleichen rechtlichen Konsequenzen zur Auslegung der Art. 14 und 91 SchweizIPRG vertreten (OLG Frankfurt a.M., ZEV 2000, 513f. mit der klaren Feststellung, dass aus deutscher Sicht deutsches Erbrecht Anwendung findet, während aus Schweizer Sicht der Nachlass dem dortigen Erbrecht unterliegt, und zust. Anm. Küpper, ZEV 2000, 514 [515] sowie BGH, Nichtannahmebeschl. v. 17. 5. 2000 - IV ZR 224/99). Gerade in der Schweizer Literatur zu der streitgegenständlichen Fallkonstellation werden gegenteilige Auffassungen vertreten (Darstellung der Gegenauffassung: Lorenz, in: Ferid/Firsching, Rdnr. 14; Lorenz, DNotZ 1993, 148 [152]).
Die Anwendbarkeit Schweizer Rechts bei Versterben eines Schweizer Staatsangehörigen mit deutschem Wohnsitz wird im Wesentlichen damit erreicht/begründet, dass Art. 91 I und II SchweizIPRG einer eigenen Auslegung/einer besonderen Sichtweise unterworfen werden. Ausgeführt wird insoweit, dass Art. 91 I SchweizIPRG eine Bestimmung „sui generis“ sei, sich nur an Schweizer Richter wende und nur diese verpflichte, die Anknüpfung des Wohnsitzstaates zu beachten (vgl. Overbeck, IPRax 1988, 329ff.). Aus dem Gesetzestext selbst - als auch aus den Materialien - (vgl. Lorenz, DNotZ 1993, 148 [153]) lässt sich eine derartige Einschränkung nicht entnehmen.
Eine Einschränkung des Art. 91 SchweizIPRG im genannten Fall wird auch gesucht in der Auslegung der Vorschrift im Sinne einer „foreign court theory“ (Siehr, in: Festschr. f. Piotet, Bern 1990, S. 531ff.), was aber aus Gründen des Wohnsitzprinzips, welches das Schweizer IPR größtmöglich verfolgt (vgl. Lorenz, DNotZ 1993, 148 [153]), abzulehnen ist.
Die Verweisung des Art. 91 SchweizIPRG ist eine Sachnormverweisung. Dem steht nicht Art. 14 SchweizIPRG entgegen, welcher die Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung (Renvoi) nur - aber immerhin - in besonderen Fällen erlaubt (Schnyder, Das neue IPR-Gesetz, 2. Aufl. [1990], § 5 II 2). Gerade im Bereich des Art. 91 SchweizIPRG ist ein derartiger besonderer Fall gegeben (Schnyder, § 5 II 2), weshalb Art. 14 SchweizIPRG nicht zur Anwendung Schweizer Rechts aus Sicht des deutschen Rechtsanwenders führt.
Die entstehende Disharmonie dergestalt, dass ein deutscher Rechtsanwender zur Anwendung deutschen Rechts gelangt, während ein Schweizer Rechtsanwender zur Anwendung Schweizer Rechts gelangt, wird entschärft durch die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit der Rechtswahl durch den Erblasser, weshalb die bestehende Disharmonie hinzunehmen ist.
Auf Grund Art. 4 I 2 EGBGB ist letztendlich auf diesen Fall, da ein deutsches Gericht mit der Nachlasssache bereits befasst war (NachlassG K.), deutsches Recht anzuwenden.
3. Ein Rechtsgutachten zur Frage, welches Recht zur Anwendung gelangt, ist letztendlich im Hinblick auf die obergerichtliche Entscheidung (BayObLGZ 2001, 203 = NJW-RR 2001, 1588) als auch die in der höchstrichterlichen Entscheidung angedeuteten (BGH, Nichtannahmebeschl. v. 17. 5. 2000 - IV ZR 224/99) und in der obergerichtlichen Entscheidung (OLG Frankfurt a.M., ZEV 2000, 513f.) niedergelegten Rechtsauffassung zur Auslegung der hier in diesem Fall ebenfalls betroffenen Paragraphen nicht notwendig. Dies auch vor dem Hintergrund, dass zur Auslegung des Art. 91 I SchweizIPRG für den vorliegenden Fall die deutsche Sichtweise entscheidend ist und auch die deutsche Literatur hierzu eindeutig ist (vgl. insb. Lorenz, DNotZ 1993, 148 [153]). Die Kammer sieht keinen Anlass, von dieser höchstrichterlichen und obergerichtlich klaren Rechtsmeinung abzuweichen.
II. Das LG ist zur Sachentscheidung international zuständig (§ 27 ZPO).
III. Die Entscheidung im Wege des Teilendurteils ist gem. § 301 I ZPO zulässig. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, NJW 1995, 2361 m.w. Nachw.) ist es zulässig, einen Hauptantrag durch Teilurteil abzuweisen und die Entscheidung über den Hilfsantrag zurückzustellen. Die Entscheidung (und insbesondere das Recht zur Entscheidung) über den Eventualantrag hängt entscheidend davon ab, dass der Hauptantrag (rechtskräftig) abgewiesen wird. Der Hilfsantrag ist noch nicht entscheidungsreif. Insoweit wird wohl letztendlich ein Sachverständigengutachten unter Ausklammerung der Gesellschaftsanteile einzuholen sein.