(Gutgläubiger) Geheißerwerb bei der Briefgrundschuld
BGH, Urteil v. 08.12.1992  - XI ZR 44/92 (Düsseldorf) 
Fundstellen:

NJW-RR 1993, 369
WM 1993, 285
ZIP 1993, 98
LM § 1154 BGB Nr. 14
DNotZ 1993, 590
MDR 1993, 536


Amtl. Leitsätze:

1. Zur Übergabe des Grundschuldbriefs i. S. der §§ 1154 I, 1192 I BGB ist erforderlich, daß der Abtretungsempfänger den Brief vom Abtretenden und mit dessen Willen erlangt. Übergibt ein Dritter den Brief, so kann dies dem Abtretenden nur dann zugerechnet werden, wenn der Dritte als dessen Vertreter handelt.
2. Gutgläubiger Erwerb einer Briefgrundschuld von einem nicht im Grundbuch eingetragenen Veräußerer setzt voraus, daß dieser unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer des Grundschuldbriefs ist; es genügt nicht, daß er in der Lage ist, dem Erwerber den Briefbesitz zu verschaffen.



Zum Sachverhalt:

Die Bekl. betreibt aus zwei Briefgrundschulden die Zwangsvollstreckung in die hälftigen Miteigentumsanteile der Kl. an zwei Grundstücken. Mit der Klage beantragt die Kl., die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Kl. ist hälftige Miteigentümerin zweier Grundstücke in der Gemarkung S. Der Grundbesitz gehörte früher den inzwischen geschiedenen Eheleuten A (Sohn der Kl.) und B je zur Hälfte. A ließ am 5. 2. 1982 seinen Miteigentumsanteil an die Kl. auf. Sie wurde am 8. 4. 1982 als Miteigentümerin im Grundbuch eingetragen. B übertrug ihren Anteil auf ihre Mutter C, die im Dezember 1985 als Miteigentümerin im Grundbuch eingetragen wurde. Die Eheleute A und B hatten im Jahre 1976 zur Sicherung von Darlehen eine Briefgrundschuld über 141000 DM zugunsten der W-AG und eine Briefgrundschuld über 9200 DM zugunsten der Bausparkasse W bestellt. Durch schriftliche Erklärungen vom 4. 3. 1982 traten die W-AG ihre persönliche Forderung von 141734,38 DM sowie die Grundschuld über 141000 DM und die Bausparkasse W ihre persönliche Forderung von 7445,64 DM sowie von der Grundschuld über 9200 DM einen erstrangigen Teilbetrag in gleicher Höhe an C ab. Die Abtretungserklärungen und die Grundschuldbriefe übersandten sie an D, den C durch notarielle Erklärung vom 1. 3. 1982 bevollmächtigt hatte, sie in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten zu vertreten und dabei auch Rechtsgeschäfte mit sich im eigenen Namen vorzunehmen. D gab am 10. 3. 1982 eine notariell beglaubigte schriftliche Erklärung ab, in der er u. a. die beiden Briefgrundschulden "zunächst an mich und gleichzeitig weiter... an das B-Kreditinstitut" (= Bekl.) abtrat und behauptete, dies "unter Übergabe der Grundschuldbriefe" zu tun. Die beiden  Grundschulden wurden, soweit sie auf dem Hälfteanteil von B lasteten, im September 1983 gelöscht. Die Bekl. wurde im Juli 1984 als Inhaberin der Grundschulden im Grundbuch eingetragen. Auf ihre Anforderung unterwarf die Kl. sich in notarieller Urkunde vom 6. 5. 1985 der sofortigen Zwangsvollstreckung aus den Grundschulden in ihren Miteigentumsanteil. Die Kl. macht geltend, die Bekl. sei zur Zwangsvollstreckung aus den Grundschulden nicht berechtigt. D habe unter Mißbrauch der ihm von C erteilten Vollmacht die Abtretung der Grundschulden an sich und anschließend an die Bekl. erklärt. Das sei der Bekl. auch bekannt gewesen.
Das LG hat der Klage stattgegeben, das BerGer. hat sie abgewiesen. Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

Aus den Gründen:

I. Das BerGer. ist der Ansicht, es sei nicht feststellbar, daß die Bekl. zu Unrecht aus den Grundschulden in den Miteigentumsanteil der Kl. vollstreckt.
Zur Begründung führt es im wesentlichen aus: Nach der Abtretung der Grundschulden durch die ursprünglichen Gläubiger an C habe der Wirtschaftsberater D aufgrund der Generalvollmacht der Frau C die Grundschulden im Wege des ihm erlaubten Insichgeschäfts auf sich übertragen und sie sodann an die Bekl. abgetreten. Diese habe die Grundschuldbriefe erlangt und sei als berechtigt im Grundbuch eingetragen. Ihr Gläubigerrecht sei durch die Kette der den §§ 1191 I, 1154 I, II BGB entsprechenden Übertragungen der Grundschulden formell rechtmäßig belegt. Demgegenüber greife der Einwand der Kl. nicht durch, die Übertragung der Grundschulden von C auf D und von D auf die Bekl. sei unwirksam. Es sei bereits zweifelhaft, ob D dabei die Generalvollmacht der Frau C mißbraucht habe. Das könne aber letztlich unentschieden bleiben. Die Bekl. brauche jedenfalls einen etwaigen Vollmachtsmißbrauch von D nicht gegen sich gelten zu lassen, weil sich nicht feststellen lasse, daß sie von einem treuwidrigen Verhalten des D Kenntnis gehabt oder sich einer solchen Kenntnis bewußt verschlossen habe. Die Bekl. müsse sich auch nicht den Einwand entgegenhalten lassen, sie habe die Grundschulden durch eine unerlaubte Handlung erworben. Ein solcher Einwand setze voraus, daß die Bekl. im Zusammenwirken mit D und unter Ausnutzung des Mißbrauchs seiner Vertretungsmacht die Grundschulden erworben und dadurch die Kl. oder ihren Rechtsvorgänger in sittenwidriger Weise geschädigt habe. Es lasse sich aber nicht feststellen, daß die Bekl. von einem unredlichen Verhalten des D Kenntnis gehabt und mit ihm zum Nachteil der Kl. oder ihres Rechtsvorgängers zusammengewirkt habe.
II. Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.
1. Das BerGer. hat die Voraussetzungen einer Abtretung der beiden Briefgrundschulden von D an die Bekl. nicht festgestellt.
a) Zur Abtretung einer Briefgrundschuld ist nach § 1154 I 1 i. V. mit § 1192 I BGB neben einer schriftlichen Abtretungserklärung die Übergabe des Grundschuldbriefs oder eines der Übergabesurrogate nach § 1117 I 2 i. V. mit §§ 929 S. 2, 930, 931 BGB oder nach § 1117 I BGB erforderlich. Dabei stellt nicht jedweder spätere Besitzerwerb durch den Abtretungsempfänger eine Übergabe des Briefes i. S. des § 1154 BGB dar (BGH, WM 1969, 208 (209)). Grundsätzlich ist vielmehr, wie die Verweisung in § 1154 I 1 BGB auf § 1117 BGB und auch die Parallelvorschrift des § 929 S. 1 BGB zeigen, erforderlich, daß der Abtretungsempfänger den Brief vom Abtretenden und mit dessen  Willen erlangt (ebenso für die Übergabe nach §§ 929, 933 BGB BGHZ 67, 207 (208 f.) = NJW 1977, 42 = LM § 933 BGB Nr. 5; BGH, NJW 1970, 653 = LM § 933 BGB Nr. 4 = WM 1970, 251 (252)). Das bedeutet zwar nicht, daß der Abtretende in jedem Falle in eigener Person mitwirken muß; die Briefübergabe kann vielmehr auch durch einen Vertreter bewirkt werden (Soergel-Konzen, BGB, 12. Aufl., § 1154 Rdnr. 15). Dazu ist jedoch erforderlich, daß derjenige, der den Brief übergibt, als Vertreter des Abtretenden handelt. Außerdem muß die Briefübergabe dem Willen des Abtretenden (noch) entsprechen (BGH, WM 1969, 208).
b) Im vorliegenden Fall hat das BerGer. am Anfang seiner Entscheidungsgründe nur festgestellt, daß die Bekl. die Grundschuldbriefe "erlangt" hat, jedoch nichts darüber ausgeführt, in welcher Weise dies geschehen ist. Aus den im Berufungsurteil in Bezug genommenen Schriftsätzen der Parteien ergibt sich indessen, daß beide Parteien zwar zunächst von einer Übergabe der Grundschuldbriefe durch D an die Bekl. am 10. 5. 1982 ausgegangen sind, daß sie danach aber übereinstimmend vorgetragen haben, die Grundschuldbriefe seien entgegen dem Wortlaut der Abtretungserklärung vom 10. 3. 1982 nicht zu diesem Zeitpunkt von D an die Bekl. übergeben, sondern der Bekl. erst mit einem Schreiben des Rechtsanwalts Dr. W vom 13. 12. 1983 übersandt worden. Rechtsanwalt Dr. W war nach der unwidersprochen gebliebenen Behauptung der Kl. Bevollmächtigter der Frau C. Darüber, ob er bei der Übersendung der Grundschuldbriefe an die Bekl. - zumindest auch - für D gehandelt habe, hat das BerGer. keine Feststellungen getroffen. Auch ein Vortrag der Parteien zu diesem Punkt ist nicht ersichtlich. Somit hat weder D persönlich die Grundschuldbriefe an die Bekl. übergeben, noch läßt sich nach dem bisherigen Sach- und Streitstand eine von dritter Seite für D bewirkte Briefübergabe feststellen.
c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, daß eines der in § 1154 i. V. mit § 1117 I, II BGB vorgesehenen Übergabesurrogate vorgelegen hätte. Die Bekl. hat in dieser Richtung nichts vorgetragen. Die Kl. hat das Vorliegen eines solchen Übergabeersatzes ausdrücklich verneint und insbesondere behauptet, daß keine Vereinbarung i. S. des § 1117 II BGB getroffen worden sei.
2. Das Berufungsurteil ist auch insoweit fehlerhaft, als das BerGer. einen gutgläubigen Erwerb der beiden Grundschulden durch die Bekl. bejaht hat.
a) Auf die Frage des gutgläubigen Erwerbs kommt es nur an, wenn zum einen sich im weiteren Verlauf des Rechtsstreits ergeben sollte, daß überhaupt eine formal wirksame Abtretung der Grundschulden von D an die Bekl. vorliegt (s. dazu o. unter 1). Zum anderen gewinnt die Frage des gutgläubigen Erwerbs nur dann Bedeutung, wenn D im Zeitpunkt der Abtretung an die Bekl. nicht Inhaber der Grundschulden war. Das könnte dann der Fall gewesen sein, wenn D bei der Abtretung der Grundschulden von Frau C an sich selbst die ihm erteilte Vollmacht mißbraucht hätte. Ebenso wie Rechtsgeschäfte, die in bewußtem Zusammenwirken des Vertreters mit dem Geschäftspartner zum Nachteil des Vertretenen getätigt werden, nach § 138 I BGB nichtig sind (Thiele, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 164 Rdnr. 99 m. w. Nachw.), ist auch ein Rechtsgeschäft nichtig, das ein von § 181 BGB befreiter Vertreter im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen abschließt, wenn er dabei seine Vertretungsmacht bewußt zum Nachteil des Vertretenen mißbraucht. Im vorliegenden Fall hat das BerGer. die Frage unentschieden gelassen, ob D bei seinen Verfügungen über die Grundschulden die Vollmacht der Frau C mißbraucht hat. Für die Revisionsinstanz ist daher zugunsten der Kl. davon auszugehen, daß dies der Fall war.
b) War D nicht Inhaber der Grundschulden geworden, so konnte die Bekl. durch die Abtretung die Grundschulden nur kraft guten Glaubens oder durch spätere Genehmigung seitens der Frau C erwerben. Da eine unmittelbare Anwendung des § 892 BGB ausscheidet, weil D nicht als Inhaber der Grundschulden im Grundbuch eingetragen war, kommt nur ein gutgläubiger Erwerb nach § 892 i. V. mit §§ 1155, 1192 I BGB in Betracht. Das setzt voraus, daß D zur Zeit der Abtretung der Grundschulden an die Bekl. Besitzer der Grundschuldbriefe war. In diesem Zusammenhang ist zwar nicht unmittelbarer Besitz erforderlich; es genügt auch mittelbarer Besitz (RGZ 86, 262; Eickmann, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1155 Rdnr. 2). Fehlt es dagegen an unmittelbarem oder mittelbarem Besitz des Veräußerers, so kann seine Fähigkeit, dem Erwerber durch Einschaltung Dritter den Besitz zu verschaffen, nicht genügen (RG, SeuffA 92 Nr. 152, S. 366; Eickmann, § 1155 Rdnr. 3; a. M. Staudinger-Scherübl, BGB, 12. Aufl., § 1155 Rdnr. 5).
Im vorliegenden Fall hat das BerGer. weder für den Zeitpunkt der Abtretungserklärung vom 10. 3. 1982 noch für den der Übersendung der Grundschuldbriefe durch Rechtsanwalt Dr. W am 13. 12. 1983 einen unmittelbaren oder mittelbaren Eigenbesitz des D an den Briefen festgestellt. Aus dem bisherigen Sach- und Streitstand ist nicht ersichtlich, ob D zu einem der genannten Zeitpunkte Besitzer der Grundschuldbriefe war. Damit fehlt die Grundlage für die Anwendung der Gutglaubensschutzvorschriften durch das BerGer.
c) Sollte im weiteren Verlauf des Rechtsstreits für einen der hier maßgeblichen Zeitpunkte ein Besitz des D an den Grundschuldbriefen festgestellt werden, so könnte es - unter den weiteren Voraussetzungen, daß überhaupt eine formal wirksame Abtretung der Grundschulden von D an die Bekl. vorlag und D nicht Inhaber der Grundschulden war - auf die Frage des guten Glaubens der Bekl. an die Inhaberstellung des D ankommen. Dabei würde nach § 892 i. V. mit §§ 1155, 1192 I BGB, wie das BerGer. zutreffend erkannt hat, nur positive Kenntnis von der Nichtberechtigung des D oder ein bewußtes Sichverschließen vor einer solchen Erkenntnis den guten Glauben ausschließen. Die Ausführungen, mit denen das BerGer. dargelegt hat, daß dies sich nicht feststellen lasse, sind frei von Rechtsfehlern. Die Rügen der Revision, das BerGer. habe gegen § 286 ZPO verstoßen, hält der Senat für unbegründet. Von einer Begründung wird abgesehen (§ 565a ZPO). Ein Verstoß gegen § 551 Nr. 7 ZPO liegt ersichtlich nicht vor.
3. Die Verneinung von Einwendungen der Kl. nach §§ 826, 853 BGB gegen die Grundschulden durch das BerGer. hält rechtlicher Prüfung jedenfalls im Ergebnis stand. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision können schon deshalb keinen Erfolg haben, weil eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Grundstückseigentümers durch den Zessionar einer Sicherungsgrundschuld voraussetzt, daß die Grundschuld nicht oder nicht mehr voll valutiert war (BGHZ 59, 1 (2) = NJW 1972, 1463 = LM § 1192 BGB Nr. 9). Daran fehlt es im vorliegenden Fall, weil die den beiden Grundschulden zugrundeliegenden Darlehensforderungen der W-AG und der Bausparkasse W nicht erloschen, sondern - im Falle der Grundschuld der Bausparkasse W in Höhe des Teilbetrags der Grundschuldabtretung - mit den Grundschulden an Frau C abgetreten worden waren.


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