Rechtsfolgen einer
Doppelehe im IPR: Kumulative Anknüpfung und der Grundsatz des "ärgeren
Rechts"
OLG Nürnberg, Urteil v. 30. 6. 1997 - 7 UF
1117-97
Fundstellen:
NJW-RR 1998, 2
FamRZ 1998, 1109
Amtl. Leitsatz:
Die Erhebung einer Ehenichtigkeitsklage
wegen Doppelehe durch die Staatsanwaltschaft nach § 24 EheG [heute:
Aufhebungsantrag gem. §§ 1306, 1314, 1316 durch die zust.
Verwaltungsbehörde] kann unzulässig sein, wenn die
frühere Ehe wirksam geschieden ist und die spätere - im Ausland (hier:
Polen) - geschlossene Ehe nach dem gem. Art. 13 I EGBGB für einen Partner
maßgeblichen ausländischen (hier: polnischen) Recht wirksam ist und einer
Nichtigkeitserklärung nicht (mehr) zugänglich wäre.
Zum Sachverhalt:
Die beiden Bekl. haben am 25. 12. 1993 in der Volksrepublik Polen in
Warschau die Ehe geschlossen, deren Nichtigerklärung die Kl.
(Staatsanwaltschaft) im vorliegenden Verfahren verlangt. Die am 14. 8.
1946 in Polen geborene Bekl. zu 1 besitzt die polnische
Staatsangehörigkeit. Sie hält sich seit 1989 in der Bundesrepublik
Deutschland auf. Der Bekl. zu 2, der ebenfalls - jedenfalls auch -
polnischer Staatsangehöriger ist, wurde am 25. 10. 1953 in Cieszyn
(ehemals: Teschen) in der Volksrepublik Polen als eheliches Kind seiner
Eltern geboren. Sein Großvater und sein Vater waren deutsche
Volkszugehörige und haben durch die Eintragung in die deutsche Volksliste
gemäß der Verordnung über die deutsche Volksliste und die deutsche
Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. 3. 1941 die
deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Sie haben diese nicht
ausgeschlagen. Am 28. 8. 1976 heiratete der Bekl. zu 2 vor dem
Standesbeamten in Cieszyn die polnische Staatsangehörige S. Aus dieser Ehe
sind zwei am 31. 1. 1977 und 1. 5. 1978 geborene Kinder hervorgegangen.
1990 übersiedelte der Bekl. zu 2 in die Bundesrepublik Deutschland. Unter
dem 30. 5. 1990 wurde ihm vom Landratsamt Bayreuth ein
Staatsangehörigkeitsausweis ausgestellt. Am 24. 3. 1993 erhielt der Bekl.
zu 2 von der Stadt Regensburg einen deutschen Paß. Mit Urteil des
Woidwodschaftlichen Gerichts Bielsko-Biala in Polen vom 5. 10. 1993 wurde
auf Antrag des Bekl. zu 2 dessen Ehe mit S geschieden. Das Urteil ist
rechtskräftig. Noch bevor die beiden Bekl. am 25. 12. 1993 in Warschau
heirateten, war am 25. 11. 1993 beim AG - FamG - Regensburg ein Antrag der
- zwischenzeitlich in Regensburg wohnhaften - S auf Bewilligung von
Prozeßkostenhilfe für einen Antrag auf Scheidung ihrer am 28. 8. 1976
geschlossenen Ehe mit dem Bekl. zu 2 eingegangen. Nachdem das Bayerische
Staatsministerium der Justiz auf Antrag der ersten Ehefrau des Bekl. zu 2
mit Entscheidung vom 31. 8. 1995 gem. Art. 7 § 1 vom 11. 8. 1961
festgestellt hatte, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Anerkennung des Scheidungsurteils des Woiwodschaftlichen Gerichts
Bielsko-Biala vom 5. 10. 1993 nicht gegeben sind, soweit dieses auf
Scheidung lautet, sprach das AG Regensburg im Verfahren der S gegen den
Bekl. zu 2 mit Endurteil vom 16. 10. 1995 die Scheidung der am 28. 8. 1976
geschlossenen Ehe aus. Das Urteil wurde insoweit durch
Rechtsmittelverzicht sofort rechtskräftig. Mit ihrer am 11. 6. 1996 beim
AG Nürnberg eingegangenen Klage vom 5. 6. 1996 und in den folgenden
Schriftsätzen hat die Kl. (Staatsanwaltschaft) geltend gemacht, daß der
Bekl. zu 2 spätestens seit dem 30. 5. 1990 auch die deutsche
Staatsangehörigkeit gehabt habe, seine Fähigkeit zur Eheschließung am 25.
12. 1993 deshalb nach deutschem Recht zu beurteilen sei, die Scheidung der
ersten Ehe des Bekl. zu 2 durch das polnische Gericht vom 5. 10. 1993 im
Hinblick auf die Entscheidung des Bayerischen Staatsministeriums der
Justiz vom 31. 8. 1995 in der Bundesrepublik nicht anzuerkennen sei und
die Eheschließung der beiden Bekl. vom 25. 12. 1993 wegen der zu diesem
Zeitpunkt noch bestehenden ersten Ehe des Bekl. zu 2 deshalb nichtig sei.
Die Durchführung des Nichtigkeitsverfahrens liege wegen der dadurch
eintretenden Rechtssicherheit bereits im Interesse der beiden Bekl.
Darüber hinaus bestehe ein öffentliches Interesse daran, die
vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen zwei Personen, die durch eine
gesetzwidrige Doppelheirat entstanden seien, nicht aufrechtzuerhalten,
sondern klarzustellen. Das AG - FamG - hat die von dem Bekl. am 25. 12.
1993 in Warschau geschlossene Ehe für nichtig erklärt. Die Berufung der
beiden Bekl. war erfolgreich.
Aus den Gründen:
Die von der Kl. erhobene Nichtigkeitsklage ist aufgrund der besonderen
Umstände des Falls als unzulässig anzusehen.
I. Die für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Fragen, ob die
am 25. 12. 1993 in Warschau geschlossene Ehe der Bekl. im Hinblick auf ein
mögliches Fortbestehen der ersten Ehe des Bekl. zu 2 unwirksam war und
welche rechtlichen Folgen eine eventuell gegebene Unwirksamkeit hat, sind
gem. Art. 13 I EGBGB nach den Heimatrechten der Staaten zu beurteilen,
denen jeder Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung angehörte (vgl. etwa
OLG Düsseldorf, FamRZ 1992, 815; BGH, NJW 1976, 1590 = FamRZ 1976, 336
[337]).
1. Dies ist für die Bekl. zu 1, die damals die polnische
Staatsangehörigkeit besaß und noch besitzt, das polnische Recht. Dieses
enthält in seinem Gesetz über das internationale Privatrecht vom 12. 11.
1965 keine gem. Art. 4 I EGBGB beachtliche Rückverweisung auf das deutsche
Recht: Nach Art. 14 EGBGBdes genannten Gesetzes wird die Fähigkeit zur
Eingehung einer Ehe für jede Partei nach ihrem Heimatrecht beurteilt. Gem.
Art. 16 findet auf die Nichtigkeitserklärung einer Ehe das in Art. 14
bezeichnete Recht Anwendung. Die Vorschriften verweisen also hinsichtlich
der Bekl. zu 1 auf das polnische Sachrecht.
Nach Art. 13 § 1 des insoweit maßgeblichen polnischen Familien- und
Vormundschaftsgesetzbuchs (PolnFVG) vom 25. 2. 1964 darf niemand eine Ehe
schließen, der bereits in einem Ehebunde steht. Nach Art. 13 § 2 PolnFVG
kann die Nichtigerklärung einer Ehe wegen der Bindung eines der Ehegatten
durch eine früher geschlossene Ehe von jedermann verlangt werden, der ein
berechtigtes Interesse hieran besitzt. Art. 22 PolnFVG bestimmt, daß die
Klage auf Nichtigerklärung auch vom Staatsanwalt erhoben werden darf.
Nach Art. 13 § 3 PolnFVG ist die Nichtigerklärung einer Ehe wegen der
Bindung eines der Ehegatten durch eine früher geschlossene Ehe allerdings
grundsätzlich unzulässig, wenn die frühere Ehe beendet oder für nichtig
erklärt ist (vgl. zu den gesetzlichen Vorschriften Bergmann-Ferid, Int.
Ehe- und KindschaftsR, Polen).
Die Anwendung des polnischen Rechtes würde daher - unabhängig davon, daß
dieses Recht bereits die Scheidung vom 5. 10. 1993 anerkennen würde und
deshalb am 25. 12. 1993 ein Ehehindernis gem. Art. 13 § 1 PolnFVG in der
Person des Bekl. zu 2 nicht anzunehmen wäre - der beantragten
Nichtigerklärung der Ehe der Bekl. auch deshalb entgegenstehen, weil die
erste Ehe des Bekl. zu 2 - auch aus deutscher Sicht - jedenfalls durch das
rechtskräftige Scheidungsurteil des AG Regensburg vom 16. 10. 1995 wirksam
beendet worden ist.
2. Für den Bekl. zu 2 beurteilt sich die Frage der Wirksamkeit der Ehe mit
der Bekl. zu 1 und der eventuellen Folgen des Bestehens einer Doppelehe
gem. Art. 13 I i. V. mit Art. 5 I 2 EGBGB grundsätzlich nach deutschem
Recht.
2.1. Nach der Erklärung des Bekl. zu 2 im Termin vor dem Senat vom 9. 6.
1997, er sei seiner Meinung nach von Geburt aus Deutscher, kann es im
Grunde als unstreitig angesehen werden, daß der Bekl. zu 2 am 25. 12. 1993
neben der polnischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit hatte.
Aufgrund der insoweit unstreitigen Tatsachen ist davon auszugehen, daß er
die deutsche Staatsangehörigkeit gem. § 4 Nr. 1 RuStAG durch Geburt
erworben hat, weil bereits sein Vater infolge Aufnahme in die deutsche
Volksliste gemäß der Verordnung über die deutsche Volksliste und die
deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. 3.
1941 i. d. F. der zweiten Verordnung über die deutsche Volksliste und die
deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 31. 1.
1942 i. V. mit § 1 I d des Gesetzes zur Regelung von Fragen der
Staatsangehörigkeit vom 22. 2. 1955 die deutsche Staatsangehörigkeit
hatte.
2.2. Die neben der polnischen damit bestehende deutsche
Staatsangehörigkeit des Bekl. zu 2 führt nach der eindeutigen und nicht
auslegungsfähigen Regelung des Art. 5 I 2 EGBGB dazu, daß für den Bekl. zu
2 auch im Rahmen des Art. 13 I EGBGB grundsätzlich deutsches materielles
Recht anzuwenden ist (vgl. auch Staudinger-v. Bar-Mankowski, BGB, 1996,
Art. 13 EGBGB Rdnr. 54).
2.3. Ein Ausschluß der Anwendung des Art. 5 I 2 EGBGB und die
(ausschließliche) Anwendbarkeit polnischen Rechts für die Beurteilung der
Wirksamkeit der am 25. 12. 1993 geschlossenen Ehe der Parteien läßt sich,
entgegen der Argumentation der Bekl., nicht aus einer von diesen geltend
gemachten Wahl der Anwendung des polnischen Rechtes gem. Art. 14 II EGBGB
auf die Scheidung der ersten Ehe des Bekl. zu 2 durch diesen und dessen
frühere Ehefrau herleiten. Eine solche Rechtswahl könnte allenfalls das
auf die erste Ehe des Bekl. zu 2 und deren Scheidung bzw. Scheidungsfolgen
anwendbare Recht betreffen, nicht aber die in diesem Verfahren maßgebliche
Frage des wirksamen Zustandekommens der zweiten Ehe des Bekl. zu 2 mit der
Bekl. zu 1.
2.4. Das deutsche Sachrecht bestimmt in § 5 EheG vom 20. 2. 1946, daß
niemand eine Ehe eingehen darf, bevor seine frühere Ehe für nichtig
erklärt oder aufgelöst worden ist. Nach § 20 EheG ist eine Ehe nichtig,
wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung mit einem Dritten in
gültiger Ehe lebt. Auf diese Nichtigkeit kann sich jedoch gem. § 23 EheG
niemand berufen, solange nicht die Ehe durch ein gerichtliches Urteil für
nichtig erklärt worden ist. § 24 EheG räumt die Klagebefugnis insoweit -
neben den beiden Ehegatten der jetzigen Ehe sowie dem Ehegatten aus der
früheren Ehe - auch der Staatsanwaltschaft ein. Eine dem Art. XIII § 3 PolnFVG vom 25. 2. 1964 entsprechende Regelung, daß die Nichtigerklärung
einer Ehe wegen der Bindung eines der Ehegatten durch eine früher
geschlossene Ehe unzulässig ist, wenn die frühere Ehe beendet ist, findet
sich im deutschen Recht nicht.
2.5. Hinsichtlich der für das Bestehen eines Ehehindernisses i. S. des § 5
EheG maßgeblichen Vorfrage, ob die - unstreitig wirksam zustande gekommene
- erste Ehe des Bekl. zu 2 am 25. 12. 1993 aufgrund des polnischen
Scheidungsurteils vom 5. 10. 1993 bereits wirksam geschieden worden war,
macht das deutsche Recht in Art. 7 § 1 I 1 FamRÄndG vom 11. 8. 1961 (BGBl
I, 1221) die Berücksichtigung der Auslandsscheidung davon abhängig, daß
die zuständige Landesjustizverwaltung festgestellt hat, daß die
Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung vorliegen. Gem. Art.
7 § 1 VIII FamRÄndG ist dabei die Feststellung dieser Behörde, daß die
Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen oder nicht vorliegen, für
Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend.
Aus der Sicht des deutschen Rechtes ist daher aufgrund der Entscheidung
des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 31. 8. 1995, daß die
Voraussetzungen für die Anerkennung des Scheidungsurteils vom 5. 10. 1993
nicht gegeben sind, vom Fortbestand der Ehe des Bekl. zu 2 am 25. 12. 1993
(bis zum rechtskräftigen Scheidungsurteil des AG Regensburg v. 16. 10.
1995) auszugehen. Diese Rechtsfolge gilt auch unter Berücksichtigung des
Umstandes, daß der Bekl. zu 2 im Lande der Scheidung seiner ersten Ehe
(nämlich Polen) eine zweite Ehe eingegangen ist und neben der deutschen
auch die polnische Staatsangehörigkeit besitzt. Letzteres ergibt sich aus
Art. 5 I 2 EGBGB (vgl. Staudinger-v. Bar-Mankowski, Art. 13 EGBGB Rdnrn.
304 und 305).
2.6. Die entgegen dem Verbot des § 5 EheG geschlossene Ehe des Bekl. zu 2
ist gem. § 20 EheG nichtig. Die grundsätzliche Befugnis der
Staatsanwaltschaft, eine entsprechende Nichtigkeitsklage zu erheben,
ergibt sich aus § 24 EheG.
Das Gebrauchmachen von der eingeräumten Klagebefugnis durch die
Staatsanwaltschaft kann sich allerdings als unzulässige Rechtsausübung
darstellen, wenn "vom Standpunkt eines billig und gerecht denkenden
Betrachters dem öffentlichen Interesse einer Nichtigerklärung der
Doppelehe kein wesentliches Gewicht mehr beigemessen werden kann" (vgl.
BGH, NJW-RR 1994, 264 = FamRZ 1994, 498 [499]; vgl. auch BGH, NJW 1986,
3083 = FamRZ 1986, 879 ff. und BGH, NJW 1975, 872 = FamRZ 1975, 332 ff.).
Diese Situation ist nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall
gegeben.
a) Von Bedeutung ist insoweit zunächst der Umstand, daß der Zustand der
Doppelehe durch die rechtskräftige Scheidung der ersten Ehe des Bekl. zu 2
durch Urteil des AG Regensburg vom 16. 10. 1995 beendet ist und auch
bereits zum Zeitpunkt des Eingangs der Nichtigkeitsklage der
Staatsanwaltschaft war. Teilweise wird auch heute noch die Auffassung
vertreten, daß - bei intakter bigamischer Ehe - allein die Scheidung der
ersten Ehe zur Unzulässigkeit der Klage der Staatsanwaltschaft führt (vgl.
Palandt-Diederichsen, BGB, 56. Aufl., § 24 EheG Rdnr. 1). Der BGH hat
allerdings in seiner Entscheidung vom 18. 6. 1986 (NJW 1986, 3083 = FamRZ
1986, 879 [880]) die Auffassung vertreten, daß eine - jedenfalls nach
Erhebung der Nichtigkeitsklage erfolgte - Scheidung der ersten Ehe der
Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage nicht entgegenstehe. Diese Klage
verfolge nämlich nicht ausschließlich den Zweck, den Zustand des
Nebeneinanderbestehens von zwei Ehen zu beseitigen und die Doppelehe zu
vernichten, damit die erste Ehe wiederhergestellt werden könne. Sie sei
vielmehr in erster Linie dazu bestimmt, zur Wahrung eines allgemein
öffentlichen Interesses den Grundsatz der Einehe möglichst uneingeschränkt
durchzusetzen. In diesem Sinne stelle bereits die Tatsache des Bestehens
einer Doppelehe - unabhängig von der im entschiedenen Fall erfolgten
Scheidung der ersten Ehe nach Erhebung der Nichtigkeitsklage - in der
Regel einen ausreichenden Grund für die Klage dar.
Die wiedergegebene Argumentation des BGH kann auf den vorliegenden Fall
nicht uneingeschränkt angewendet werden, weil hier die Scheidung der
zweiten Ehe (durch Urteil des AG Regensburg v. 16. 10. 1995) bereits vor
der Erhebung der Nichtigkeitsklage der Staatsanwaltschaft erfolgt war. Der
vom BGH dargestellte umfassende Zweck der Nichtigkeitsklage sowie das
Fehlen einer dem Art. 13 § 3 PolnFVG entsprechenden gesetzlichen Regelung
im deutschen Recht sprechen allerdings dafür, das Vorliegen einer
Scheidung der ersten Ehe auch vor Erhebung der Nichtigkeitsklage als
solches und allein nicht als einen Grund für die Unzulässigkeit der Klage
anzusehen (so wohl auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1992, 815).
Festzuhalten ist jedoch, daß dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die
frühere Ehe und damit der Zustand der Doppelehe nicht mehr besteht, ein -
gegenüber dem Zustand bei Fortbestehen der ersten Ehe - sehr viel
geringeres öffentliches Interesse an der Erhebung der Nichtigkeitsklage
besteht, weil es nicht mehr um die Wiederherstellung der ersten Ehe geht
und die Ehegatten der zweiten Ehe sofort wieder heiraten können (vgl. auch
Walter, in: MünchKomm- ZPO, § 632 Rdnr. 4).
b) Allerdings kann im Fall der Eingehung einer Ehe entgegen § 5 EheG auch
nach der Scheidung der ersten Ehe ein öffentliches Interesse daran
bestehen, nicht diejenigen vermögensrechtlichen Beziehungen bestehen zu
lassen, die durch gesetzwidriges Handeln (Eingehen der Doppelehe)
entstanden sind, sondern diejenigen herbeizuführen, die in diesem Fall dem
Gesetz entsprechen (vgl. BGH, NJW 1986, 3083 = FamRZ 1986, 879 [880]). In
diesem Zusammenhang hat die Kl. sich auch ausdrücklich darauf berufen, daß
die Erklärung der Nichtigkeit der Ehe im Hinblick auf Fragen des
Unterhaltsrechts, des Steuerrechts und des Versorgungsrechts der
Rechtssicherheit diene.
c) Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, daß ein Erfolg der
erhobenen Klage dazu führen würde, daß die Ehe der Bekl. zwar nach
deutschem Recht als unwirksam, nach polnischem Recht aber (entsprechend
den Ausführungen zu 1.) als fortbestehend anzusehen wäre. Die
Herbeiführung einer derart "hinkenden" Ehe (vgl. dazu Staudinger-v.
Bar-Mankowski, Art. 13 EGBGB Rdnrn. 259 ff.) kann zu erheblichen
Problemen, insbesondere für den Fall einer neuen Ehe der Bekl. führen. So
dürfte eine erneute Heirat der Bekl., die beide zumindest auch polnische
Staatsangehörige sind, in Polen im Hinblick auf den Fortbestand ihrer Ehe
aus polnischer Sicht problematisch sein. Einer Heirat eines der Bekl. mit
einem Dritten stünde nach polnischem Recht die nach wie vor bestehende Ehe
der Bekl. untereinander entgegen, während nach deutschem Recht ein solches
Hindernis nicht bestünde.
Die Herbeiführung dieser - nicht wünschenswerten - Folgen einer
Nichtigerklärung sind aber nach Auffassung des
Senats geeignet, ein aus anderen Gründen (vgl. a und b) noch bestehendes
öffentliches Interesse an der Nichtigerklärung der Ehe abzuschwächen.
d) Bei seiner Entscheidung, ob er von der ihm in § 24 EheG eingeräumten
Klagebefugnis Gebrauch machen will und kann, hat der Staatsanwalt
grundsätzlich auch den Schutzgedanken des Art. 6 I GG zu beachten (vgl.
BGH, NJW 1986, 3083 = FamRZ 1986, 879 [880]). Die Bekl. berufen sich zu
Recht darauf, daß ihre Ehe durch Art. 6 I GG geschützt ist.
In einer von ihnen soweit angeführten Entscheidung hat das LG Frankfurt a.
M. (NJW 1976, 1096) die Meinung geäußert, daß nach der rechtskräftigen
Scheidung der ersten Ehe nur die zweite Ehe unter dem Schutz des Art. 6 GG
stehe und der in der Nichtigkeitserklärung liegende Eingriff in diese
zweite Ehe nur durch ein überragendes Interesse des Staates gerechtfertigt
sein könne. Der BGH hat demgegenüber in seiner Entscheidung vom 18. 6.
1986 (NJW 1986, 3083 = FamRZ 1986, 880) die Auffassung vertreten, die
bigamische Ehe könne jedenfalls im Widerstreit zur ersten Ehe keinen
Rechtsschutz aus Art. 6 I GG beanspruchen, weil Art. 6 GG an die
überkommene Lebensform der Einehe, d. h. im Fall der Doppelehe an die
Erstehe, die als solche wirksam zustande gekommen ist, anknüpfe.
Anzumerken ist insoweit zunächst, daß im vorliegenden - anders als in dem
vom BGH entschiedenen - Fall, die erste Ehe des Bekl. zu 2 bereits bei
Erhebung der Nichtigkeitsklage durch das Urteil des AG Regensburg vom 16.
10. 1995 auch aus der Sicht des deutschen Rechts rechtswirksam geschieden
war, so daß bereits bei Klageerhebung eine erste Ehe, die mit der zweiten
Ehe des Bekl. zu 2 "in Widerstreit" treten kann, nicht mehr vorlag.
Im übrigen ist der Senat der Auffassung, daß unter Anwendung der
Grundsätze, die das BVerfG in seiner - vom BGH in seinem Urteil vom 18. 6.
1986 zur Begründung herangezogenen - Entscheidung vom 30. 11. 1982 (vgl.
NJW 1983, 511 = FamRZ 1983 251 ff.,) zur Anwendung des Art. 6 I GG
aufgestellt hat, auch die Ehe der Bekl. in den Schutzbereich dieser Norm
fällt.
Danach ist zunächst davon auszugehen, daß Art. 6 I GG auch für Ausländer
gilt. Geschützt ist auch eine Auslandsehe, wenn
- die Eheschließung in dem ausländischen Staat unter Beachtung der
wesentlichen, das Institut der Ehe bestimmenden Grundsätze, wie etwa auch
des Prinzips der Einehe, geregelt ist,
- die Tatsache der Eheschließung für die Allgemeinheit erkennbar ist und
- die Eheschließung selbst unter amtlicher Mitwirkung erfolgt und der
Bestand der Ehe amtlich registriert wird.
Angesichts der gesetzlichen Regelung der Eheschließung in Art. 1 bis 16
PolnFVG vom 25. 2. 1964 und der Dokumentation der Eheschließung der Bekl.
in der vorgelegten Heiratsurkunde sind diese Voraussetzungen für die am
25. 12. 1993 in Warschau geschlossene Ehe der Bekl. erfüllt.
Der Senat vermag der Entscheidung des BVerfG nicht zu entnehmen, daß Art.
6 I GG auf die Ehe der Bekl. deshalb keine Anwendung finden kann, weil der
Eheschließung aus der Sicht des deutschen Rechtes wegen der
Nichtanerkennung der Scheidung in Polen vom 5. 10. 1993 der Fortbestand
der ersten Ehe des Bekl. zu 2 entgegensteht. Dies gilt umso mehr, als in
der Entscheidung des BVerfG ausdrücklich betont ist, daß auch eine - im
Rahmen des Art. 13 I EGBGB - nur nach dem für den ausländischen Verlobten
maßgeblichen Heimatrecht, nicht aber nach dem für den anderen Verlobten
maßgeblichen deutschen Recht gültige und damit "hinkende" Ehe
grundsätzlich dem Schutz des Art. 6 I GG unterliegt (vgl. NJW 1983, 511 =
FamRZ 1983, 253).
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang nochmals, daß nach polnischem
Recht die Ehe der Bekl. nicht nur wegen der Anerkennung der Scheidung der
ersten Ehe des Bekl. zu 2 von vornherein gültig geschlossen wäre, sondern
- auch unter Außerachtlassung dieser ersten Scheidung - jedenfalls nach
dem Scheidungsurteil des AG Regensburg vom 16. 10. 1995 eine
Nichtigerklärung unzulässig wäre.
Die Einbeziehung der Ehe der Bekl. in den Schutzbereich des Art. 6 I GG
muß aber - insoweit folgt der Senat der Argumentation des LG Frankfurt a.
M. (NJW 1976, 1096) - die Folge haben, daß die Ausübung des der
Staatsanwaltschaft in § 24 EheG eingeräumten Klagerechtes nur dann
zulässig ist, wenn der mit der Feststellung der Nichtigkeit der Ehe
verbundene Eingriff in diese im Einzelfall durch ein ganz besonderes,
gegenüber Art. 6 I GG übergeordnetes Interesse der Allgemeinheit
gerechtfertigt ist.
e) Auch wenn unter Berücksichtigung der Ausführungen zu a) bis c) noch ein
öffentliches Interesse an der Nichtigerklärung der Ehe der Bekl. bestehen
sollte, so reicht dieses jedenfalls nicht aus, den damit verbundenen
Eingriff in die nach Art. 6 I GG geschützte Ehe der Bekl. zu
rechtfertigen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß
die Bekl. ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben.
3. Damit kann die Nichtigkeitsklage der Staatsanwaltschaft weder nach
polnischem noch im hier zu entscheidenden Einzelfall nach deutschem Recht
Erfolg haben. Die Frage, welches Recht für die gegenüber beiden Bekl.
notwendig einheitlich (vgl. BGH, NJW 1976, 1590 = FamRZ 1976, 336 [337])
zu treffende Entscheidung anzuwenden ist, kann damit allenfalls noch
insoweit relevant sein, als zu klären ist, ob die Klage als unzulässig (so
unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung wohl nach
deutschem Recht) oder aber als unbegründet (so möglicherweise nach
polnischem Recht) abzuweisen ist.
Nach h. M. (vgl. etwa Palandt-Diederichsen, Art. 13 EGBGB Rdnr. 14 m. w.
Nachw. sowie OLG Düsseldorf, FamRZ 1992, 815) wird insoweit grundsätzlich
auf das "ärgere" Recht abgestellt. Im Hinblick darauf, daß im deutschen
Recht eine dem Art. 13 § 3 PolnFVG entsprechende Regelung fehlt, geht der
Senat davon aus, daß das deutsche Recht hinsichtlich der Folgen des
Ehehindernisses des Bestehens einer anderen Ehe weiter geht und damit als
das "ärgere" Recht zu bewerten ist. Die Abweisung der Klage der
Staatsanwaltschaft erfolgte daher als unzulässig.
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