Falsus procurator und fahrlässige Unkenntnis der fehlenden Vertretungsmacht; keine Interventionswirkung (§§ 74, 68 ZPO) zu Lasten des Streitverkünders
BGH, Urteil vom 2. Februar 2000 - VIII ZR 12/99 - OLG Koblenz, LG Mainz
Fundstelle:

NJW 2000, 1407


Amtl. Leitsatz:

Zur Frage der fahrlässigen Unkenntnis des Fehlens der Vertretungsmacht nach § 179 Abs. 3 BGB.


Tatbestand:

Der Beklagte schloß im Namen der D. Krankenhaus Gesellschaft mbH (D. -GmbH) am 29. März 1993 mit den Klägern einen Mietvertrag über eine Wohnung in deren Haus in M. , , ab, die als Unterkunft für Krankenschwestern der von der D. -GmbH betriebenen Schmerzklinik M. dienen sollte. Als Mietdauer war die Zeit vom 1. Juni 1993 bis 31. Dezember 2000 bei einem Nettomietzins von (zunächst) monatlich 2.400 DM festgelegt worden; zugleich schlossen die Parteien eine Staffelmietvereinbarung, wonach sich der Mietzins ab 1. Juni 1994 jährlich erhöhen sollte. Weiter vereinbarten die Kläger mit dem Beklagten Umbaumaßnahmen, deren Kosten nach Zusage des Beklagten die D. -GmbH tragen sollte.
Der Beklagte war zum Abschluß der Vereinbarungen nicht ausdrücklich bevollmächtigt. Er trat gegenüber dem Kläger zu 2), der für beide Kläger die Verhandlungen führte, als Verwaltungsleiter der von der D. -GmbH betriebenen Schmerzklinik M. auf; als solcher hatte er bereits zuvor für diese von den Klägern Garagen angemietet. Nachdem die D. -GmbH die Genehmigung des Handelns des Beklagten für die hier in Rede stehenden Vereinbarungen abgelehnt hatte, nahmen die Kläger zunächst die D. -GmbH auf Mietzinszahlung, Ersatz der in Auftrag gegebenen Renovierungsarbeiten sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch. In diesem Verfahren, in dem beide Parteien dem Beklagten den Streit verkündet hatten, unterlagen die Kläger in der Berufungsinstanz, da das Landgericht zwar eine Anscheinsvollmacht des Beklagten bejahte, jedoch annahm, die Anscheinsvollmacht sei für das Handeln der Kläger nicht ursächlich geworden.
Mit ihrer Klage begehren die Kläger nunmehr von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von zuletzt 84.557,24 DM wegen dessen Handelns als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, einem Schadensersatzanspruch der Kläger aus § 179 Abs. 1 BGB stehe - wie schon das Landgericht zutreffend festgestellt habe - entgegen, daß die Kläger den Mangel der Vertretungsmacht des Beklagten hätten kennen müssen (§ 179 Abs. 3 Satz 1 BGB). Zwar sei zwischen den Parteien nicht umstritten, daß der Beklagte keine Vollmacht besessen habe und die Genehmigung seines Handelns von der D. -GmbH verweigert worden sei. Soweit das Landgericht im Vorverfahren eine Haftung der D. -GmbH aufgrund Anscheinsvollmacht verneint habe, weil die Kläger wegen fehlender Kenntnis der den Rechtsschein begründenden Tatsachen Vertrauen auf die Bevollmächtigung des Beklagten nicht hätten in Anspruch nehmen können, müsse der Beklagte sich dies aufgrund der Interventionswirkung des ergangenen Urteils im vorliegenden Verfahren entgegenhalten lassen. Eine Haftung des Beklagten sei jedoch, was das Berufungsgericht trotz der im Vorverfahren insoweit zu Lasten der Kläger getroffenen Feststellungen erneut prüfen könne, nach § 179 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, weil die Kläger den Mangel der Vertretungsmacht infolge Fahrlässigkeit nicht gekannt hätten. Ohne Erfolg beriefen sich die Kläger darauf, der Beklagte habe konkludent Vollmacht behauptet. Soweit die Kläger vorgetragen hätten, der Beklagte habe eine schriftliche Vollmacht für den Fall angeboten, daß die Kläger dies wünschten, worin zugleich zum Ausdruck komme, daß eine mündlich erteilte Vollmacht bestehe, hätten sie eine solche Äußerung des Beklagten nicht bewiesen. Allein das Auftreten des Beklagten für die D. -GmbH reiche nicht aus, auch wenn man annehmen wolle, der Beklagte habe damit konkludent eine bestehende Vertretungsmacht zum Ausdruck gebracht; denn die Kläger hätten sich darauf wie auch auf die Vorstellung des Beklagten, er sei Verwaltungsdirektor, gerade nicht verlassen. Vielmehr habe der Kläger zu 2) den Beklagten nach Legitimation und Kompetenzen gefragt, weil er trotz des Auftretens des Beklagten im Namen der D. -GmbH und als deren Verwaltungsdirektor Zweifel an dessen Vertretungsmacht gehabt habe. Die Kläger hätten sich dabei nicht mit der Antwort des Beklagten zufrieden geben dürfen, er bedürfe als Verwaltungsdirektor keiner schriftlichen Bevollmächtigung, seine Aufgaben ergäben sich aus den gesetzlichen Vorschriften.
Wenn der Kläger zu 2), der selbst als Prokurist nach § 49 Abs. 1 HGB über eine umfangreiche Vertretungsmacht verfüge, vortrage, ihm sei die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenvollmacht, gewillkürter und gesetzlicher Vertretung nicht bekannt, könne ihm dies nicht geglaubt werden; die insoweit bestehenden Grundkenntnisse reichten aus, um zu erkennen, daß eine GmbH von einem Geschäftsführer vertreten werde und es darüber hinaus keine gesetzliche Regelung geben könne, die auch einem Verwaltungsdirektor diese Befugnisse einräume.
Unabhängig davon habe der Kläger zu 2) auch nicht nachvollziehbar dargelegt, auf welche Art und Weise die aufgetretenen Zweifel aus seiner Sicht durch die Antwort des Beklagten beseitigt worden seien. Die Kläger hätten daher aufgrund ihrer Zweifel näher nachfragen oder nachprüfen und eine zumindest für sie schlüssige Erklärung finden müssen, wie sich die Vertretungsmacht des Beklagten erkläre.
Die Kläger könnten sich zur Begründung ihrer Ansprüche ferner nicht auf die Grundsätze der culpa in contrahendo berufen, da ein solcher Anspruch ausnahmsweise nur dann gegen den Vertreter gegeben sei, wenn dieser ein eigenes wirtschaftliches Interesse habe oder persönliches Vertrauen in Anspruch genommen werde. Dies werde von den Klägern nicht vorgetragen und sei auch nicht offensichtlich. Zutreffend habe das Landgericht auch einen Ersatzanspruch aus unerlaubter Handlung abgelehnt, weil weder Betrugs- noch Schädigungsabsicht bestehe.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Nach Streitverkündung durch die Kläger gegenüber dem Beklagten in dem Verfahren gegen die D. -GmbH steht aufgrund des dort ergangenen Urteils des Landgerichts für den vorliegenden Rechtsstreit bindend fest, daß der Beklagte bei Abschluß des Mietvertrages vom 29. März 1993 ohne Vollmacht handelte (§§ 74 Abs. 3, 68 ZPO) - was zwischen den Parteien nicht streitig ist - und die D. -GmbH auch nicht nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht haftet.
2. Anders als das Berufungsgericht anscheinend meint - seine Ausführungen sind in diesem Punkt nicht eindeutig -, hat der Beklagte zumindest konkludent behauptet, zur Vertretung der D. -GmbH berechtigt zu sein. In dem Auftreten für die D. -GmbH und der Unterzeichnung des Mietvertrages vom 29. März 1993 im Namen des von der D. -GmbH getragenen Schmerzzentrums M. lag jedenfalls die stillschweigende Erklärung des Beklagten, aufrund seiner Beziehungen zu der Vertretenen zu deren Vertretung berechtigt zu sein (BGHZ 39, 45, 51; BGH, Urteil vom 9. Oktober 1989 - II ZR 16/89, NJW 1990, 387 unter I 2). Daran ändert nichts, daß die Kläger ihre Behauptung nicht bewiesen haben, der Beklagte habe eine schriftliche Vollmacht für den Fall angeboten, daß dies die Kläger wünschten. Hierin hätte, wie das Berufungsgericht nicht verkennt, ebenfalls die stillschweigende Erklärung gelegen, daß die Vollmacht mündlich erteilt sei (Palandt/Heinrichs, BGB, 59. Aufl., 179 Anm. 4). Dadurch wäre jedoch die schon abgegebene Erklärung, vertretungsberechtigt zu sein, lediglich verstärkt, nicht aber die behauptete Vertretungsmacht bei Fehlen einer schriftlichen Vollmacht - zumal nachträglich - in Frage gestellt worden.
3. Zu Unrecht sieht das Berufungsgericht den Schadensersatzanspruch der Kläger, den diese nach Verweigerung der Genehmigung des Mietvertrages vom 29. März 1993 durch die D. -GmbH nunmehr gegen den Beklagten als Vertreter ohne Vertretungsmacht geltend machen, gemäß § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB mit der Begründung als ausgeschlossen an, die Kläger hätten den Mangel der Vertretungsmacht des Beklagten infolge Fahrlässigkeit nicht gekannt.
a) Zwar steht der Prüfung eines solchen Haftungsausschlusses, wie die Vorinstanzen zutreffend angenommen haben, nicht entgegen, daß im Vorprozeß gegen die D. -GmbH das Landgericht festgestellt hat, die Kläger hätten aufgrund der ihnen bekannten Umstände nicht auf eine Vollmacht des Beklagten zum Abschluß des Mietvertrages schließen können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tritt die aus der Streitverkündung sich ergebende Streithilfewirkung nur gegen den Streitverkündungsgegner, nicht jedoch gegen den Streitverkünder ein (BGHZ 100, 257, 260 ff; BGH, Urteil vom 16. Januar 1997 - I ZR 208/94, NJW 1997, 2385 unter II 1; siehe auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., § 68 Rdnr. 6 m.w.Nachw.).
b) Das Berufungsgericht hat jedoch, wie die Revision zu Recht rügt, die Sorgfaltsanforderungen überspannt, die an die Kläger bei Abschluß des Mietvertrages vom 29. März 1993 zu stellen sind.
aa) Die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht ist eine gesetzliche Garantiehaftung, die dem Vertreter das verschuldensunabhängige Risiko auferlegt, seine Erklärung, er habe die erforderliche Vertretungsmacht, sei richtig. Das Einstehenmüssen des vollmachtlosen Vertreters für die Rechtsfolgen dieser Erklärung beruht somit auf einer im Interesse der Verkehrssicherheit geregelten Vertrauenshaftung. Der andere Teil kann den Mangel der Vertretungsmacht in der Regel nicht erkennen. Behauptet der Vertreter ausdrücklich oder schlüssig, die für die Vornahme des Rechtsgeschäfts erforderliche Vertretungsmacht zu haben, darf der Vertragspartner daran grundsätzlich glauben. Er ist nicht ohne weiteres zu Nachforschungen über Bestand und Umfang der Vertretungsmacht verpflichtet. Nur wenn die Umstände des Einzelfalls den Vertragspartner hätten veranlassen müssen, sich danach zu erkundigen, ob der Vertreter die zumindest stillschweigend behauptete Vertretungsmacht tatsächlich hat, liegt eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vor (vgl. BGHZ 105, 283, 285 f; BGH, Urteil vom 9. Oktober 1989 aaO; MünchKomm-Schramm, BGB, 3. Aufl., § 179 Rdnr. 36).
bb) Solche Umstände sind aber nach dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt nicht gegeben.
Der Beklagte war gegenüber den Klägern als Verwaltungsleiter des D. -Schmerzzentrums M. aufgetreten, für welches er bereits zuvor Garagen von den Klägern angemietet hatte. Nach seinem Vorbringen hatte er selbst angenommen, mit der Übertragung der Stellung eines Verwaltungsdirektors auch die für die Wahrnehmung der damit verbundenen Aufgaben im Außenverkehr erforderliche Vollmacht erhalten zu haben. Daß der Beklagte selbst vom Abschluß eines wirksamen Mietvertrages ausging, zeigt auch die Tatsache, daß er die Schlüssel in Empfang nahm, die Überweisung der ersten Mieten veranlaßte sowie bei den Stadtwerken M. eine Einzugsermächtigung für die Kosten der Stromversorgung der Wohnung erteilte. Selbst wenn die Kläger noch Zweifel an der Vertretungsmacht des Beklagten gehabt haben sollten, was das Berufungsgericht der Frage des Klägers zu 2) nach Legitimation und Kompetenzen des Beklagten entnimmt, durften diese jedenfalls ihre Zweifel durch die Antwort des Beklagten, er brauche als Verwaltungsdirektor keine schriftliche Bevollmächtigung, seine Aufgaben ergäben sich aus den gesetzlichen Vorschriften, als ausgeräumt ansehen. Durch diese Erklärung hatte der Beklagte erneut bestätigt, mit Vertretungsmacht für die D. -GmbH zu handeln; die hierfür einschlägigen Rechtsvorschriften brauchten den Klägern nicht bekannt zu sein, so daß sie auch die Überschreitung der Vertretungsmacht des Beklagten nicht erkennen konnten (vgl. Soergel/Leptien, BGB, 13. Aufl., § 179 Rdnr. 19).

Eine Verpflichtung, darüber hinaus über das Bestehen der Vertretungsmacht des Beklagten Nachforschungen anzustellen, ergab sich auch nicht daraus, daß der Beklagte sich als Verwaltungsdirektor bezeichnet hatte und es einen solchen bei einer GmbH nicht gibt. Jedenfalls aus der Sicht eines juristischen Laien liegt die Vorstellung nicht fern, daß die Anmietung von Wohnraum zur Unterbringung von Krankenschwestern (Pflegepersonal) eines Krankenhauses zu den Aufgaben des Verwaltungsdirektors eines Krankenhauses zählt, und dafür nicht entscheidend ist, ob der Verwaltungsdirektor des Krankenhauses zugleich als gesetzlicher Vertreter des Krankenhausträgers zu dessen umfassender Vertretung befugt ist.

Es kommt hinzu, daß die handelnden Personen auf die genaue Bezeichnung der Rechtsform der Mieterin ersichtlich keinen Wert legten. Der Mietvertrag ist auf der Mieterseite mit "D. -Schmerzzentrum M. " unterzeichnet, während im Mietvertragsentwurf die Mieterin mit "D. Krankenhaus Gesellschaft mbH in M. Betriebsstätte D. Schmerzzentrum M. " bezeichnet war. Der Kläger zu 2) hatte daher keine Veranlassung, sich über die Vertretung der D. -GmbH weitere Gedanken zu machen und an der Vertretungsmacht des Beklagten zu zweifeln.
Soweit das Berufungsgericht schließlich ein weiteres Indiz für die mangelnde Sorgfalt der Kläger darin sieht, daß im formularmäßigen Mietvertrag die Zeile "Bevollmächtigter" nicht ausgefüllt sei, trägt dies schon deshalb nicht, weil die Angabe eines Bevollmächtigten nur für den Vermieter, hier also die Kläger, vorgesehen und offengelassen worden war.

3. Da aufgrund des vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalts sonach eine Haftung des Beklagten als vollmachtloser Vertreter nicht ausgeschlossen ist, kommt es auf die weiteren Angriffe der Revision gegen die urkundliche Verwertung der Zeugenaussage des Beklagten im Vorprozeß sowie auf die Rechtsfrage nicht an, inwieweit darüber hinaus eine Haftung des Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsschluß in Betracht kommt (verneinend z.B. MünchKomm-Schramm, aaO, § 177 Rdnr. 48; Steffen in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 179 Rdnr. 18; bejahend z.B. Staudinger/Schilken, BGB, 1995, § 179 Rdnr. 20).

III. Da der Beklagte im übrigen die Unwirksamkeit des Vertrages wegen Mietwuchers geltend gemacht sowie ferner die Höhe des Schadens bestritten hat, war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur weiteren Feststellung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.