"Kind als Schaden",
Ausrichtung des vertraglichen Schadensersatzes am Schutzzweck des Vertrages
BGH, Urt. v. 15. 2. 2000 - VI ZR 135/99 (Karlsruhe)
Fundstelle:
NJW 2000, 1782
BGHZ 143, 389
Zentrale Probleme:
Im Mittelpunkt steht die heftig umstrittene
Frage, ob die Belastung mit der Unterhaltspflicht für ein ungewolltes
(gesundes oder behindertes) Kind einen ersatzfähigen Schaden darstellen
kann, wenn es aufgrund eines ärztlichen Behandlungs- und Beratungsfehlers
zu einer ungewollten Schwangerschaft gekommen ist (z.B. mißlungene
Sterilisation), ein Schwangerschaftsabbruch mißlungen oder aber aufgrund
eines Fehldiagnose unterblieben ist. Letzeres war vorliegend der Fall.
Die Entscheidung legt lehrbuchmäßig
den derzeitigen Stand der (in der Literatur nicht unumstr.) Rechtsprechung
dar (vgl. insbes. die fett wiedergegebenen Passagen):
1.) Grundlage des Schadensersatzanspruchs
der Eltern kann ist nur eine pVV des ärztlichen Behandlungsvertrages
(= Dienstvertrag) sein.
2.) Nach ständiger Rechtsprechung
sind die mit der Geburt eines nicht gewollten Kindes für die Eltern
verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, insbesondere die Aufwendungen
für dessen Unterhalt, nur dann als ersatzpflichtiger Schaden auszugleichen,
wenn der Schutz vor solchen Belastungen Gegenstand des jeweiligen Behandlungs-
oder Beratungsvertrags war. Diese - am Vertragszweck ausgerichtete - Haftung
des Arztes oder Krankenhausträgers hat BGH etwa für Fälle
fehlgeschlagener Sterilisation aus Gründen der Familienplanung (vgl.
BGHZ 76, 249 [256]; BGH NJW 1995, 2407), bei fehlerhafter Beratung über
die Sicherheit der empfängnisverhütenden Wirkungen eines vom
Arzt verordneten Hormonpräparats (BGH NJW 1997, 2320) sowie für
Fälle fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines genetisch
behinderten Kindes (BGHZ 124, 128) bejaht. Insoweit hatte auch das BVerfG
keine Bedenken (BVerfGE 96,375 = NJW 1998, 519).
3.) Für die Fälle, in
welchen das Verschulden des Arztes sich nicht auf das Entstehen der Schwangerschaft,
sondern (wie hier) auf den Nichtabbruch einer bereits bestehenden
Schwangerschaft
bezieht, hat der BGH einen vertraglichen Anspruch der Eltern auf Ersatz
des, durch die Geburt des Kindes vermittelten Vermögensschadens bei
Vorliegen der Voraussetzungen einer medizinischen, embryopathischen und
der kriminologischen Indikation i.S. des § 218 a StGB a.F. für
möglich erachtet. Dabei wird die Vermeidung der wirtschaftlichen Belastung
vom Schutzzweck des Beratungs- oder Behandlungsvertrags mitumfasst, auch
wenn sie nicht (wie etwa bei der Sterilisation aus wirtschaftlichen Gründen)
im Vordergrund steht (vgl. BGHZ 124, 128 [138] = NJW 1994, 788 = LM H.
5/1994 § 823 [Aa] BGB Nr. 154). Diese Rechtsprechung hat der BGH trotz
verfassungerchtlicher Bedenken des BVerfG (BVerfGE 88, 203 = NJW 1993,
1751) nach einer erneuten einer Überprüfung aufrechterhalten
(vgl. BGHZ 129, 178 [184] = NJW 1995, 1609).
4.) Entscheidend kommt es dabei
allerdings auch hier auf den Schutzzweck der verletzten Pflicht an.
Da im vorliegenden Fall der (mißlungene) Schwangerschaftstest nicht
zum Zwecke der Feststellung der Notwendigkeit eines (in casu straflosen)
Schwangerschaftsabbruchs, sondern deshalb erfolgte, um durch eine andere
medizinische Behandlung im Falle der Schwangerschaft den Fötus nicht
zu schädigen, war der eingetretene Schaden nicht mehr vom Schutzzweck
des Behandlungsvertrags umfaßt. S. zu
dieser Frage auch BGH v. 21.12.2004 - VI ZR 196/03; für den Fall eines indizierten Schwangerschaftsabbruchs auch
BGH NJW 2002, 2636 sowie
BGH NJW
2002, 1489. Rechtsvergleichend s.
insbesondere High Court of Australia, Cattanach v
Melchior [2003] HCA 38 (16 July 2003).
Zur Übung: |
Köhler, PdW SchuldR
I Fall 152. |
Zum Überblick: |
Lorenz/Riehm,
Jus-Lern CD
ZivilR I Rn. 269. |
Zur Vertiefung: |
Roth NJW 1994, 2402; Deutsch
NJW 1994, 776 |
(c) sl 2000
Amtl. Leitsätze:
1. Die mit der Geburt eines nicht gewollten
Kindes für die Eltern verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, insbesondere
die Aufwendungen für dessen Unterhalt, sind nur dann als ersatzpflichtiger
Schaden auszugleichen, wenn der Schutz vor solchen Belastungen Gegenstand
des jeweiligen Behandlungs- oder Beratungsvertrags war.
2. Wird zur Vorbereitung einer orthopädischen
Zwecken dienenden Operation von den behandelnden Krankenhausärzten
ein niedergelassener Gynäkologe als Konsiliararzt hinzugezogen, um
das Bestehen einer Schwangerschaft bei der Patientin abzuklären, so
erfasst bei dessen Fehldiagnose eine etwaige Haftung des Krankenhausträgers
den Unterhaltsaufwand und den sonstigen, durch die spätere Geburt
eines Kindes veranlassten materiellen Schaden der Eltern auch dann nicht,
wenn sich diese auf Grund ihrer eigenen körperlichen Behinderungen
bei Feststellung der Schwangerschaft zu deren rechtmäßiger Unterbrechung
entschlossen hätten.
Zum Sachverhalt:
Die Kl. nimmt die Bekl. aus eigenem und abgetretenem
Recht ihres Ehemanns auf Ersatz des durch die Geburt ihrer am 8. 2. 1994
geborenen Tochter veranlassten Unterhaltsaufwands und weiteren materiellen
Schadens in Anspruch. Die Kl., die seit frühester Jugend an einer
Kyphoskoliose (Verbiegung der Wirbelsäule in zwei Ebenen) leidet,
befand sich nach Operationen in den Jahren 1970 und 1977 zur Behandlung
dieses Leidens erneut vom 30. 6. bis 31. 10. 1993 in der von der Bekl.
getragenen Rehabilitationsklinik, wo in dieser Zeit drei weitere - erfolgreich
verlaufene - Operationen stattfanden, zu deren Vorbereitung Rontgenuntersuchungen
und mehrere Myelographien erforderlich waren. Vor den Operationen klagte
die Kl. am 14. 7. 1993 gegenüber dem bei der Bekl. beschäftigten
Arzt Dr. K erstmals über Übelkeit und - teilweise krampfartige - Schmerzen
im Unterleib. Sie fühlte sich schwindlig und elend, litt unter Hitzewallungen,
Schwindelgefühl, weichem Stuhl und Erbrechen. Am 19. 7. 1993 unterrichtete
sie Dr. K darüber, dass ihre Periode ausgefallen sei. Daraufhin wurde
auf Veranlassung von Dr. K als Konsiliararzt der niedergelassene Gynäkologe
Dr. B zur Abklärung der entsprechenden Beschwerden der Kl. hinzugezogen.
Dieser attestierte einen unauffälligen Befund und schlug lokale Wärmeanwendungen
vor. Ein Schwangerschaftstest wurde nicht angeordnet. Die Kl. selbst dachte
trotz Ausbleibens ihrer Periode nicht an eine Schwangerschaft, weil dies
schon häufiger vorgekommen war und sie auf Grund einer hormonellen
Disposition meinte, ohne die Einnahme eines Gelbkörperhormons nicht schwanger
werden zu können. Nach der Entlassung der Kl. aus der Klinik der Bekl.
und einem vorübergehenden Aufenthalt in einer weiteren Reha-Einrichtung
wurde die KL am 4. 1. 1994 erneut in das Krankenhaus der Bekl. aufgenommen.
Am 10. 1. 1994 wurde ein Schwangerschaftstest mit positivem Ergebnis durchgeführt.
Am 8. 2. 1994 kam das Kind 1 in der 35. Schwangerschaftswoche durch Kaiserschnitt
gesund zur Welt. Die Kl., die sich wegen ihrer nach wie vor bestehenden
körperlichen Beeinträchtigungen ebenso wie ihr auf Grund einer
so genannten Glasknochenkrankheit auf den Rollstuhl angewiesener Ehemann
nicht in der Lage sieht, ihre Tochter ohne fremde Hilfe aufzuziehen, nimmt
die Bekl. auf Schadensersatz in Anspruch mit der Begründung, bei einer
Feststellung der Schwangerschaft durch Dr. B hätte sie sich zu deren
rechtmäßiger Unterbrechung entschlossen. Sie hat mit ihrer Klage
die Feststellung der Ersatzpflicht der Bekl. für den gesamten - durch
die Behinderung beider Elternteile erhöhten - Unterhaltsaufwand für
ihre Tochter beantragt, weiterhin die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung
eines angemessenen Schmerzensgelds sowie die Feststellung der Ersatzpflicht
der Bekl. für jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden
aus Anlass der Geburt ihrer Tochter.
Das LG hat den Feststellungsanträgen hinsichtlich
der Unterhaltsersatzpflicht der Bekl. sowie ihrer Ersatzpflicht für
alle weiteren, auch zukünftigen materiellen Schäden stattgegeben
und die Klage im Übrigen - hinsichtlich des immateriellen Schadens
- abgewiesen. Die Berufungen beider Parteien sind erfolglos geblieben.
Die Revision der Bekl. war erfolgreich.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat einen Anspruch der Kl. und ihres
Ehemanns auf Ersatz des erforderlichen Unterhaltsaufwands für das
am 8. 2. 1994 geborene Kind 1 sowie auf Ersatz des durch dessen Geburt
verursachten weiteren materiellen Schadens aus (positiver) Verletzung eines
so genannten totalen Krankenhausaufnahmevertrags als begründet erachtet,
weil die Bekl. in dessen Rahmen gern. § 278 BGB dafür einstehen
müsse, dass der als Konsiliararzt hinzugezogene Gynäkologe Dr.
B die bei der Kl. in der 6. oder 8. Woche bestehende Schwangerschaft schuldhaft
nicht erkannt habe.
Der Behandlungsvertrag zwischen den Parteien sei
zwar nicht gezielt auf die Verhinderung einer Geburt gerichtet gewesen,
habe jedoch unstreitig die Abklärung der Unterleibsbeschwerden der
Kl. insbesondere im Hinblick auf eine bestehende Schwangerschaft umfasst,
um eine mögliche Schädigung der Kl. und des Fötus durch
die bevorstehenden röntgenologischen Eingriffe und Operationen zur
Behandlung der orthopädischen Erkrankung der Kl. zu verhindern. Zu
einer solchen Schädigung sei es zwar nicht gekommen, jedoch stehe
auf Grund der vom LG durchgeführten Anhörung der Eltern fest,
dass die Kl. bei zutreffender Diagnose die Schwangerschaft wegen Vorliegens
der Voraussetzungen einer schwerwiegenden Notlagenindikation i. S. des
§ 218 a 11 Nr. 3 StGB a.F. rechtmäßig hätte unterbrechen
lassen. Für die behandelnden Ärzte, denen im Hinblick auf die
körperlichen Behinderungen bekannt gewesen sei, dass die Kl. und ihr
Ehemann nur unter ganz erschwerten Bedingungen in der Lage sein würden,
ein Kind aufzuziehen, habe deshalb zusätzlich die Verpflichtung bestanden,
das Vorliegen einer Schwangerschaft auch im Hinblick auf einen Wunsch der
Kl. nach einem Schwangerschaftsabbruch zu klären. Abgesehen von der
dadurch erfolgten Einbeziehung der durch die Geburt des Kindes veranlassten
Unterhaltsaufwendungen der Eltern in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags
habe die pflichtwidrige Nichtfeststellung der bestehenden Schwangerschaft
die Kl. auch daran gehindert, mit einem Arzt einen auf rechtmäßigen
Abbruch der Schwangerschaft gerichteten Vertrag zu schließen oder
bei der Untersuchung die Zielrichtung des geschlossenen Behandlnngsvertrags
auch auf die Vermeidung mit der Belastung durch Unterhalt zu erstrecken.
Für diese Folge der Verletzung des Behandlungsvertrags habe die Bekl.
deshalb haftungsrechtlich einzustehen.
II. Diese rechtliche Beurteilung des BerGer. hält
den Angriffen der Revision im Ergebnis nicht stand. Es kann dabei offen
bleiben, ob sich die Bekl. im Rahmen eines mit der Kl. geschlossenen so
genannten totalen Krankenhausaufnahmevertrags das - von der Revision
nicht mehr in Zweifel gezogene - Verschulden des zur Abklärung der
Unterleibsbeschwerden der Kl. als Konsiliaratzt hinzugezogenen niedergelassenen
Gynäkologen Dr. B als ihres Erfüllungsgehilfen i. S. des §
278 BGB zurechnen lassen muss. Denn jedenfalls würde, was die Revision
mit Recht geltend macht, die Haftung der Bekl. für dessen Behandlungsfehler
als ersatzfähigen Schaden nicht den Unterhaltsaufwand und die durch
die Geburt der Tochter der Kl. veranlassten sonstigen materiellen Schäden
erfassen, die bei einem Schwangerschaftsabbruch auf Grund einer als möglich
erachteten Notlagenindikation i. S. des § 218 a II Nr. 3 StGB a. F.
vermieden worden wären.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats
sind die mit der Geburt eines nicht gewollten Kindes für die Eltern
verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, insbesondere die Aufwendungen
für dessen Unterhalt, nur dann als ersatzpflichtiger Schaden auszugleichen,
wenn der Schutz vor solchen Belastungen Gegenstand des jeweiligen Behandlungs-
oder Beratungsvertrags war. Diese - am Vertragszweck ausgerichtete
- Haftung des Arztes oder Krankenhausträgers hat der Senat insbesondere
bejaht für Fälle fehlgeschlagener Sterilisation aus Gründen
der Familienplanung (vgl. BGHZ 76,249 [256] = NJW 1980, 1450 = LM §
276 [Fc] BGB Nrn. 7, 8; BGHZ 76, 259 [262] = NJW 1980, 1452 = LM §
.276 [Fc] BGB Nr. 8; BGH, NJW 1981, 630 = LM § 249 [Bb] BGB Nr. 30
= VersR 1981, 278; NJW 1981, 2002 = LM § 282BGBNr. 33 = VersR 1981,
730; NJW 1984, 2625 = LM § 249 [A] BGB Nr. 72 = VersR 1984, 864; NJW
1995, 2407 = LM H. 10/1995 § 249 [A] BGB Nr. 109 =VersR 1995, 1099
[1101]), bei fehlerhafter Beratung über die Sicherheit der empfängnisverhütenden
Wirkungen eines vom Arzt verordneten Hormonpräparats (Senat, NJW
1997, 2320 = LM H. 10/1997 § 256 ZPO Nr. 196 = VersR 1997, 1422 [1423])
sowie
für Fälle fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung
eines genetisch behinderten Kindes (BGHZ 124, 128 = NJW 1994, 788 =
LM H. 5/1994 § 823 [Aa] BGB Nr. 196). Diese Rechtsprechung des Senats
hat der Erste Senat des BVerfG in seinem Beschluss vom 12. 11. 1997 als
verfassungsrechtlich unbedenklich erachtet (BVerfGE 96,375 = NJW 1998,
519).
2. Für die Fälle eines beratungs- oder
behandlungsfehlerhaft nicht durchgeführten bzw. fehlgeschlagenen Abbruchs
einer
bereits bestehenden Schwangerschaft hat der Senat einen vertraglichen
Anspruch der Eltern auf Ersatz des, durch die Geburt des Kindes vermittelten
Vermögensschadens bei Vorliegen der Voraussetzungen einer medizinischen
Indikation (vgl. Senat, NJW 1985, 2749 LM § 823 [Aa] BGB Nr. 81 =
VersR 1985, 1068 [1071]), sowie einer embryopathischen oder kriminologischen
Indikation i. S. des § 218 a II Nrn. 1 und 2 StGB a. F. (vgl. BGHZ
86, 240 [247] = NJW 1983, 1371 = LM § 611 BGB Nr. 68; BGHZ 89, 95
[1041 = NJW 1984, 658 = LM § 844 II BGB Nr. 65; BGHZ 124, 128 [135]
= NJW 1994, 788 = LM H. 5/1994 § 823 [Aa] BGB Nr. 154; BGH, NJW 1995,
2407 = LM H. 10/1995 § 249 [A] BGB Nr. 109 = VersR 1995, 1099 [1101],
und NJW 1997, 1638 = LM H. 7/1997 § 823 [Aa] BGB Nr. 171 = VersR 1997,
698 [699]) für möglich erachtet. Dabei wird die Vermeidung
der wirtschaftlichen Belastung vom Schutzzweck des Beratungs- oder Behandlungsvertrags
mitumfasst, auch wenn sie nicht (wie etwa bei der Sterilisation aus wirtschaftlichen
Gründen) im Vordergrund steht (vgl. BGHZ 124, 128 [138] = NJW
1994, 788 = LM H. 5/1994 § 823 [Aa] BGB Nr. 154). In den Fällen
eines nach den Feststellungen des BerGer. vorliegend von der Kl. beabsichtigten
Schwangerschaftsabbruchs aus der früher in § 218 a II Nr. 3 StGB
a. F. geregelten Notlagenindikation hat der Senat seine frühere Rechtsprechung
unter Berücksichtigung der Entscheidung des Zweiten Senats des BVerfG
vom 28. 5. 1993 (BVerfGE 88, 203; NJW 1993, 1751) einer Überprüfung
unterzogen und auf dieser Grundlage einen rechtmäßigen, einen
Unterhaltsersatzanspruch rechtfertigenden Schwangerschaftsabbruch wegen
einer Notlagenindikation nur noch dann für möglich erachtet,
wenn das Vorliegen einer für die Schwangere mit der medizinischen
und embryopathischen Indikation vergleichbaren Konfliktlage feststeht (vgl.
BGHZ 129, 178 [184] = NJW 1995, 1609 =LMH.9/1995 § 249 [A] BGBNr.
108).
3. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Überprüfung,
ob das BerGer. im Anschluss an die vom LG durchgeführte Anhörung
der Kl. und ihres Ehemanns ausnahmsweise ohne sachverständigen Rat
(vgl. BGHZ 95, 199 [206] = NJW 1985, 2752 = LM § 823 [Aa] BGB Nr.
80, und BGH, VersR 1986, 869 [870]) zu dem Ergebnis gelangen durfte, dass
auf Grund der körperlichen Behinderungen beider Elternteile die Voraussetzungen
einer außergewöhnlichen und schweren Notlage im Sinne der vorgenannten
Rechtsprechung für einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch
vorgelegen hätten. Denn abgesehen davon, dass die Revision keine diesbezügliche
Verfahrensrüge erhoben hat, kann das Berufungsurteil bereits aus anderen
Gründen keinen Bestand haben.
a) Das BerGer. geht zwar davon aus, dass zwischen
den Parteien im vorliegenden Fall kein gezielt auf die Verhinderung einer
Geburt gerichtetes Vertragsverhältnis bestanden hat, meint jedoch
gleichwohl den Unterhaltsaufwand für die Tochter der Kl. wegen der
Kenntnis der behandelnden Ärzte von den erheblichen körperlichen
Beeinträchtigungen der Kl. (Kyphoskoliose) und der genetischen Vorerkrankung
ihres Ehemanns (Glasknochenkrankheit) in den Schutzzweck des Arztvertrags
einbeziehen zu können. Dem kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt
werden.
b) Gegenstand des mit der Bekl. geschlossenen
Krankenhausvertrags war die operative Behandlung des orthopädischen
Leidens der Kl. Die Untersuchung der Kl. auf eine Schwangerschaft durch
den als Konsiliararzt hinzugezogenen Gynäkologen Dr. B diente insoweit
im Rahmen des bestehenden Vertrags dazu, im Hinblick auf die bevorstehende
Operation eine Gefährdung der Mutter und des ungeborenen Kindes auszuschließen.
Eine
Haftung der Bekl. für einen durch die Geburt des Kindes der Kl. veranlassten
Vermögensschaden käme unter diesen Umständen allenfalls
dann in Betracht, wenn sich durch die Nichterkennung .der Schwangerschaft
und die anschließende Operation der Kl. ein Risiko verwirklicht hätte,
auf dessen Vermeidung die Untersuchung der Kl. durch Dr. B im Rahmen des
bestehenden Behandlungsvertrags gerichtet war. Solche Risiken haben sich
aber weder bei der Kl. noch bei ihrer geistig und körperlich gesund
geborenen Tochter verwirklicht. Ging es mithin bei der genannten Untersuchung
nicht, wie das BerGer. gemeint hat, um die Abwendung einer unzumutbaren
Belastung der Kl. durch ein Kind, dann darf auch nicht angenommen werden,
dass die Bewahrung vor den Unterhaltsaufwendungen durch die Geburt des
gesunden Kindes zum Schutzumfang des Behandlungsvertrags gehörte (vgl.
Senat, NJW 1985 2749 - LM § 823 [Aa] BGB Nr. 81 = VersR 1985, 1068
[1071], zum fehlgeschlagenen Schwangerschaftsabbruch wegen - folgenloser
- medizinischer Indikation; ebenso: OLG Zweibrücken, VersR 1997, 1009
[1010], zum Misslingen einer ausschließlich medizinisch indizierten
Sterilisation; OLG Naumburg, VersR 1999, 1244 [12451, und OLG Düsseldorf,
NJW 1995, 1620 [1621], jeweils zum Nichterkennen einer Schwangerschaft
im Rahmen einer anderen Beschwerden nachgehenden frauenärztlichen
Untersuchung).
c) Die Beurteilung des BerGer., der Krankenhausvertrag
zwischen den Parteien sei - von dem Interesse der Kl. her - auch auf eine
Verpflichtung der Bekl.. zur Abklärung der Frage nach einer möglicherweise
bestehenden Schwangerschaft zum Zwecke deren Abbruchs gerichtet gewesen,
findet weder in den getroffenen Feststellungen noch in dem von der Revision
herangezogenen Parteivortrag eine Grundlage. Allein der vom BerGer. zur
Begründung seiner gegenteiligen Auffassung angeführte Umstand,
dass die behandelnden Arzte eine entsprechende, sich an eine Feststellung
einer bestehenden Schwangerschaft anknüpfende Frage nach deren Unterbrechung
wegen der ihnen bekannten Behinderungen der Kl. und ihres Ehemanns unschwer
hätten erkennen können, vermag eine solche Verpflichtung nicht
zu begründen. Die Frage eines Schwangerschaftsabbruchs gehörte
nicht zu dem Leistungsbild des auf eine orthopädische Operation gerichteten
Behandlungsvertrags. Die von der Bekl. betriebene Rehaklinik verfügte
über keine eigene gynäkologische Abteilung und musste sich bei
der entsprechenden Untersuchung der Kl. fremder Hilfe bedienen. Unter
diesen Umständen konnte ein Patient in der Situation der Kl. nicht
davon ausgehen, die Bekl. wolle - über die Klärung einer Vorfrage
für die bevorstehende Operation hinaus - weitere Pflichten zur Ermöglichung
oder Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs übernehmen.
Bei der Feststellung einer Schwangerschaft wäre die Operation allenfalls
unterblieben oder aufgeschoben worden. Dass die Kl. darüber hinaus
einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch wegen Vorliegens
einer Notlagenindikation hätte vornehmen lassen können, wenn
die bestehende Schwangerschaft zufällig im Zusammenhang mit einem
anderen Zwecken dienenden Eingriff festgestellt worden wäre, ist lediglich
eine Reflexwirkung des bestehenden Behandlungsvertrags, vermag jedoch nicht
dessen Rechtswirkungen zu erweitern.
d) Das Urteil des BerGer. lässt sich auch
nicht mit dessen Hilfserwägung aufrecht erhalten, die Bekl. habe wegen
der fehlerhaften Nichtfeststellung der bestehenden Schwangerschaft jedenfalls
haftungsrechtlich dafür einzustehen, dass dadurch der Kl. der Abschluss
eines weiteren Vertrags über einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch
mit dem Schutzzweck der Vermeidung einer Unterhaltsbelastung unmöglich
gemacht worden sei. Diese Argumentation mag zwar im Rahmen einer reinen
Kausalitätsbetrachtung richtig sein, sie ist jedoch nicht geeignet,
den Schutzzweck des bestehenden Behandlungsvertrags als selbstständige
Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs entsprechend zu erweitern.
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