NJW 2001, 901
(Eigener) Leitsatz:
Angstzustände und ähnliche Folgen durch unerwünschten Allergietest mit einer Fleischlösung als zurechenbare Folge i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB?
Die Kl. war bei dem Bekl., einem Facharzt unter anderem für Hauterkrankungen, in ärztlicher Behandlung und ließ am 20. 8. 1996 einen Allergietest durchführen. Im Vorfeld dieses Tests teilte sie dem Bekl. mit, dass sie Vegetarierin sei. Daraufhin strich der Bekl. die Fleischsubstanzen aus dem durchzuführenden Testprogramm. Dennoch wurden der Kl. durch die Zeugin W, einer Arzthelferin des Bekl., mehrfach Fleischlösungen, die unter anderem Rind-, Schaf- und Schweinefleisch enthielten, von insgesamt 0,05 ml etwa 1/4 mm unter die Haut gespritzt. Der Bekl. entschuldigte sich bei der Kl. hierfür. Die Kl. behauptet, sie sei seit 1989 Vegetarierin. Zudem lebe sie seit diesem Test in großer Sorge, mit BSE-Erregern infiziert zu sein, die bei ihr zu einer Erkrankung mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit führen könnten. BSE sei nämlich auf den Menschen übertragbar. In Folge dieser Sorge und der Infektionsgefahr leide sie an ständigen Angstzuständen, die zu Schlafstörungen, Bluthochdruck, Magenschmerzen und Sodbrennen geführt hätten. Die Kl. hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 10 000 DM für angemessen. Wegen möglicher zukünftiger Schäden sei auch nach ihrer Meinung ihr Feststellungsantrag zulässig und begründet.
Das AG hat die Klage abgewiesen.
Aus den Gründen:
Der Kl. steht weder ein Anspruch
auf Zahlung eines Schmerzensgeldes nach §§ 847 I, 831 I BGB zu,
noch hat der Feststellungsantrag, der sich auf positive Forderungsverletzung
eines Dienstvertrags i.V. mit § 278 BGB und auf § 831 I BGB stützen
könnte, Erfolg.
Zwar liegt durch das Einspritzen
der Fleischlösung gegen den ausdrücklichen Willen der Kl. eine
Körper- und Persönlichkeitsverletzung im Sinne des Deliktsrechts
sowie eine Pflichtverletzung im Sinne einer positiven Forderungsverletzung
vor. Doch sind die daraus resultierenden Folgen - nämlich unter anderem
Angstzustände, Schlafstörungen und eine mögliche Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung
-, die bei der Kl. eingetreten sind oder werden, was das Gericht als wahr
unterstellt, dem Bekl. nicht zurechenbar. Die Kl. hat den ihr insofern
obliegenden Beweis nicht erbracht. Dies steht zur Überzeugung des
Gerichts nach der durchgeführten Beweisaufnahme fest.
Für das Eingreifen
des Kriteriums der Zurechenbarkeit ist es nicht allein erforderlich, dass
im Sinne einer äquivalenten Verursachung eine Bedingung vorliegt,
ohne die das schädigende Ereignis oder die schädigende Folge
nicht eingetreten wäre. Vielmehr bedarf es einer wertenden Betrachtung
im Sinne der Adäquanz und des Schutzzweckszusammenhangs (so bereits
BGHZ 18, 286 [2881 = NJW 1955, 1876; Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl.
[1999], Vorb. § 249 Rdnrn. 58, 62). Insofern ist eine Prognose erforderlich,
ob das Ereignis aus Sicht eines optimalen Beobachters im Allgemeinen und
nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem
gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen
geeignet ist, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen (BGH,
NJW 1998, 138 [140]; VersR 1976, 639 [640]; BGHZ 57, 131 [14 11 = NJW 1972,
2 10; Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdnr. 59). Auch (unangemessene)
psychische Reaktionen können in diesem Sinne kausal sein (vgl. BGHZ
132, 341 [344 ff.] = NJW 1996, 2425), ebenso wie die Verwirklichung einer
möglichen Gefahr auf ungewöhnliche Weise, etwa wenn bei einer
Impfung die Schadenswahrscheinlichkeit geringer als 0,01 % war (so BGHZ
18, 286 [288], = NJW 1955, 1876; Palandt/Heinrichs, Vorb. § 249 Rdnr.
60). Die Grenze der Zurechnung ist jedoch dann überschritten, wenn
die psychische Reaktion im konkreten Fall in einem groben Missverhältnis
zum Ereignis steht und schlechterdings nicht mehr verständlich ist
(BGHZ 132, 341 [346] = NJW 1996, 2425). Zur Beurteilung dessen ist eine
wertende Beurteilung notwendig (so bereits BGHZ 18, 286 [288] = NJW 1955,
1876), bei der berücksichtigt werden muss, dass jenseits einer bestimmten
Wahrscheinlichkeitsgrenze für schädigende Auswirkungen eine haftungsrechtliche
Verpflichtung entfällt (so zu Recht BGH, VersR 1976, 639 [640]).
Den Nachweis dieser erforderlichen
kausalen Verknüpfung zwischen Schädigung und als wahr unterstellten
Folgen hat die Kl. nicht erbracht. Die sicherlich bestehende äquivalente
Kausalität reicht hierzu nicht aus. Der Sachverständige Prof.
Dr. R, dessen Feststellungen sich das Gericht zu eigen macht, hat in seinem
überaus detaillierten, präzisen und überzeugenden Sachverständigengutachten
bereits festgestellt, dass es noch keinen endgültigen Nachweis dafür
gibt, dass BSE-Erreger überhaupt auf den Menschen übertragbar
sind. Zwar spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür. Doch ein
letzter Nachweis existiert dafür nicht. Aber selbst wenn man diesen
Nachweis als gegeben ansehen wollte, tritt eine Erkrankung der Kl. im ungünstigsten
Fall mit einer Wahrscheinlichkeit auf, die effektiv mit Null gleichzusetzen
ist.
Insofern kann die Erkrankung
der Kl. praktisch nicht eintreten, selbst wenn ein besonders eigenartiger
und unwahrscheinlicher Verlauf eintreten sollte- Kann aber schon eine Erkrankung
auf Grund des Allergietests nicht eintreten, sind die als wahr unterstellten
Angstzustände der Kl., die auf Grund der Infektionsgefahr entstanden
sein sollen, aus Sicht eines optimalen Beobachters schlechterdings nicht
verständlich und nachvollziehbar. Da nämlich keine Erkrankung
auf Grund des Tests geschehen kann, dürfen bei der Kl. auch keine
Ängste vor einer solchen bestehen. Außerdem tritt noch hinzu,
dass nach den außerordentlich klaren und nachvollziehbaren Ausführungen
des Sachverständigen die Wahrscheinlichkeit um den Faktor 1000 höher
ist, dass die Kl. sich vor ihrer Zeit als Vegetarierin - auch diese Behauptung
wird zu Gunsten der Kl. als wahr unterstellt - infiziert hat als durch
den Test beim Bekl. Insofern ist ihr ebenfalls der Nachweis der Kausalität
hinsichtlich einer Handlung des Bekl. nicht gelungen. Eine Beweislastumkehr
zu Gunsten der Kl. kann auch nicht eingreifen, da der Bekl. bzw. seine
Arzthelferin nicht grob sorgfaltswidrig gehandelt haben. Hierfür fehlt
jeglicher Anknüpfungspunkt.
Der Einstich beim Einspritzen
der Testlösung selbst stellt freilich grundsätzlich eine schmerzensgeldauslösende
deliktische Handlung dar, da er gegen den Willen der Kl. erfolgt ist. Insofern
liegt sowohl eine Körperverletzung als auch eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts
der Kl. vor. Trotzdem führt dieser Umstand nicht dazu, der Kl. ein
Schmerzensgeld zuzusprechen. Denn die Piekser an sich und die daneben bestehende
Persönlichkeitsverletzung stellen Bagatellverletzungen dar, die nicht
ersatzfähig sind. Das Gericht schließt sich hinsichtlich der
fehlenden Ersatzfähigkeit von Bagatellverletzungen der, überzeugenden
herrschenden Ansicht an (vgl. hierzu Staudinger/Schäfer, BGB, 12.
Aufl. [1986], § 847 Rdnr. 4 in. w. Nachw.). Eine solche Verletzung
ist dann anzunehmen, wenn das körperliche Wohlbefinden nur ganz vorübergehend
und in ganz unbedeutendem Umfang beeinträchtigt ist (vgl. nur LG Aachen,
Vers11 1983, 45). Die Durchführung des Tests selbst hat die Kl. nicht
in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt. Das behauptet sie auch selbst
nicht, da es ihr nur um die Folgen geht. Auch der dem § 847 1 BGB
zu Grunde liegende Gedanke der Genugtuung ist vorliegend insofern nicht
schmerzensgeldbegründend, da der Bekl. sich bei der Kl. entschuldigt
hat. Diese Entschuldigung reicht aus, um die Schwere der Persönlichkeitsrechtsverletzung
bei dem gegen den Willen der Kl. durchgeführten Test mit Fleischlösungen
aufzuwiegen.