Amtshaftung: Erfordernis
des Handelns "in Ausübung eines öffentlichen Amtes" in Abgrenzung zum
Handeln "bei Gelegenheit" (§ 839 BGB, Art. 34 GG) bei "Mobbing" durch
einen Vorgesetzten
BGH, Beschluß vom 1. August 2002 - III ZR
277/01 - OLG München - LG München I
Fundstelle:
NJW 2002, 3172
Zentrales Problem:
Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die
Frage der Amtshaftung nach § 839 BGB, Art. 34 GG, speziell die Frage, ob
der Amtsträger (hier: beim "Mobbing" von Untergebenen) "in Ausübung eines
ihm anvertrauten öffentlichen Amtes" i.S.v. Art. 34 GG oder nur "bei
Gelegenheit" der Amtsausübung gehandelt hat. In diesem Fall trifft ihn
nämlich keine primäre Eigenhaftung, Anspruchsgegner wäre vielmehr der
Dienstherr (hier: Freistaat Bayern), der unter den Voraussetzungen des
Art. 34 S. 2 GG beim Schädiger Regreß nehmen könnte. Die Klage hatte damit
keinen Erfolg, weil sie sich gegen den Beamten selbst und nicht gegen den
Dienstherrn richtete.
©sl 2002
Amtl.
Leitsatz:
Für Schäden, die dadurch entstehen, daß
ein Polizeibeamter im Rahmen der gemeinsamen Dienstausübung durch seinen
Vorgesetzten (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayBG) systematisch und fortgesetzt
schikaniert und beleidigt wird (Mobbing), haftet der Dienstherr des
Schädigers nach Amtshaftungsgrundsätzen.
I.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten aus übergegangenem und abgetretenem
Recht Zahlung von Schmerzensgeld und Erstattung von Beerdigungskosten.
Die Tochter des Klägers war Polizeibeamtin. Sie verrichtete vom 1. bis zum
13. Dezember 1998 und vom 1. bis zum 23. Januar 1999 ihren Dienst in der
A-Schicht der Polizeiinspektion .... in M. , deren Dienstgruppenleiter der
Beklagte war.
Die Tochter des Klägers befand sich Ende Januar 1999 für einige Tage wegen
des Verdachts eines psycho-vegetativen Erschöpfungssyndroms in stationärer
Behandlung. Am 14. Februar 1999 beging sie Selbstmord. In einem
Abschiedsbrief hatte sie geäußert, sie habe keine Lust mehr, sich von der
A-Schicht quälen zu lassen.
Der Kläger hat vorgetragen, der Beklagte habe seine Tochter fortlaufend
schikaniert, ihre dienstlichen Leistungen herabgewürdigt und sie in
obszöner Weise ständig beleidigt. Der vom Beklagten ausgeübte Psychoterror
sei Ausdruck seiner Grundhaltung gewesen, Frauen seien untergeordnete
Personen; er habe seinen geradezu triebhaften Zwang, Frauen zu erniedrigen
und zu demütigen, aus rein persönlichen Motiven im Dienst ausgelebt.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der
Revision verfolgen der Kläger und sein Streithelfer, der Freistaat Bayern,
das Zahlungsbegehren weiter.
II.
Die Vorinstanzen haben ihre klageabweisenden Entscheidungen damit
begründet, daß sich die auf der Grundlage des Klägervorbringens in Frage
kommenden Schadensersatzansprüche nach §§ 839 Abs. 1, 844 Abs. 1, 847 Abs.
1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG gegen das Land als Dienstherrn und nicht gegen
den Beklagten persönlich richteten. Dem ist zuzustimmen.
1. a) § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, daß der Amtsträger in Ausübung
des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes handelt. Dies bestimmt sich nach
der ständigen Rechtsprechung des Senats danach, ob die eigentliche
Zielsetzung, in deren Sinn die Person tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit
zuzurechnen ist und ob bejahendenfalls zwischen dieser Zielsetzung und der
schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang
besteht, daß die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher
Betätigung angehörend angesehen werden muß. Dabei ist nicht auf die Person
des Handelnden, sondern auf seine Funktion, d.h. auf die Aufgabe, deren
Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen
(vgl. nur Senatsurteile BGHZ 147, 169, 171; 118, 304, 305 m.w.N.).
b) Nach § 2 Abs. 1 BRRG, Art. 2 BayBG steht der Beamte zu seinem
Dienstherrn in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis,
bei dem der umfassenden Dienstleistungs- und Treuepflicht des Beamten (§
36 BRRG, Art. 64 Abs. 1 BayBG) die ebenso umfassende Fürsorge- und
Treuepflicht des Dienstherrn gegenübersteht (§ 48 BRRG, Art. 86 BayBG). Im
Verhältnis zum Vorgesetzten (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BayBG) obliegen dem
Beamten Beratungs-, Unterstützungs- und Gehorsamspflichten (§ 37 BRRG,
Art. 64 Abs. 2 BayBG). Umgekehrt bestimmen die in § 35 Abs. 1 Satz 2, § 36
Satz 3 BRRG sowie in Art. 62 Abs. 1 Satz 2, Art. 64 Abs. 1 Satz 3 BayBG
enthaltenen Pflichten in besonderem Maße das Verhalten des Vorgesetzten zu
seinen Untergebenen. Im Umgang mit ihnen ist er zu einem korrekten,
achtungs- und vertrauenswürdigen Auftreten verpflichtet, wobei er sich
insbesondere eines angemessenen Umgangstons zu befleißigen hat (vgl.
Claussen/Janzen,
BDO, 8. Aufl., Einl. C Rn. 54 a ff; Zängl, in: Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl,
BayBG, Art. 64 [Stand: November 2001] Anm. 14 a).
c) Angesichts dieses beamtenrechtlichen (öffentlich-rechtlichen)
Normengefüges wird ein Vorgesetzter, der - wie hier - im Rahmen der
gemeinsamen Dienstausübung einen Untergebenen respektlos behandelt,
regelmäßig hoheitlich tätig. Dies hat zur Folge, daß für etwaige
daraus entstehende Gesundheitsschäden des Untergebenen nach
Amtshaftungsgrundsätzen grundsätzlich nicht der vorgesetzte Beamte
persönlich, sondern dessen Dienstherr haftet. Davon geht im rechtlichen
Ansatz auch die Revision aus.
2. Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt der Umstand, daß
jedenfalls bezüglich der fortgesetzten anstößigen Beleidigungen ein
konkreter dienstlicher Anlaß nicht immer erkennbar ist, diese Äußerungen
vielmehr in nachvollziehbarer Weise nur als Ausdruck einer
frauenfeindlichen Grundhaltung des Beklagten zu erklären sind, keine
andere Beurteilung der Rechtslage.
a) Nach ständiger Rechtsprechung darf bei der Frage, ob ein Amtsträger
in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes oder nur bei
Gelegenheit der Amtsausübung gehandelt hat, der Begriff der Ausübung nicht
zu eng ausgelegt werden (so schon RGZ 104, 286, 289). Auch ein
Mißbrauch des Amtes zu eigennützigen, schikanösen oder gar strafbaren
Zwecken, eine Pflichtwidrigkeit aus eigensüchtigen oder rein persönlichen
Gründen schließt den für das Handeln in Ausübung des Amtes maßgeblichen
inneren Zusammenhang zwischen Amtsausübung und schädigendem Verhalten
nicht von vornherein aus (vgl. Senatsurteil vom 30. April 1953 - III
ZR 204/52 - LM BGB § 139 [Fg] Nr. 5). Insbesondere ist ein Tätigwerden in
Ausübung des übertragenen öffentlichen Amtes selbst dann nicht
ausgeschlossen, wenn der Beamte gerade das tut, was er verhindern sollte
(wenn etwa Wachtpersonal, das Plünderungen vermeiden soll, sich selbst
daran beteiligt, RGZ 104, 304; wenn ein Polizeibeamter, der die
mißbräuchliche Verwendung von Dienstfahrzeugen verhindern soll, selbst
einen Dienstwagen zu einer Schwarzfahrt benutzt, Senatsurteile BGHZ 124,
15, 18; 1, 388, 392 ff).
b) Darüber hinaus ist zu beachten, daß nach der Rechtsprechung des
Senats der gesamte Tätigkeitsbereich, der sich auf die Erfüllung einer
bestimmten hoheitlichen Aufgabe bezieht, als Einheit beurteilt werden muß
und es nicht angeht, die einheitliche Aufgabe in Einzelakte - teils
hoheitlicher, teils bürgerlichrechtlicher Art - aufzuspalten und einer
gesonderten Beurteilung zu unterziehen (Senatsurteile BGHZ 42, 176,
179 f zur Frage, ob die Teilnahme eines Amtsträgers am allgemeinen Verkehr
als Dienst- oder Privatfahrt einzuordnen ist; BGHZ 16, 111, 112 f zur
Paketbeförderung durch die damals noch öffentlich-rechtlich organisierte
Post).
3. Nach diesen Maßstäben steht vorliegend nur die Haftung des Landes als
Dienstherr der zu Tode gekommenen Polizeibeamtin in Frage.
a) Diese hatte mit dem Beklagten nur im Rahmen der gemeinsamen
Dienstausübung Kontakt. Die vorgetragenen Herabwürdigungen ihrer
dienstlichen Leistungen durch den Beklagten, die Verweigerung von
Hilfestellung, die - diskriminierende - Praxis, der Beamtin, im
Unterschied zu allen anderen (männlichen) Kollegen der A-Schicht,
Dienstanweisungen nicht mehr mündlich, sondern durch Notizzettel zu
erteilen, sowie das Ansinnen, eine falsche Ordnungswidrigkeiten-Anzeige
aufzunehmen, haben eindeutig einen dienstlichen Bezug. Die notwendige
innere Beziehung der schädigenden Handlung zur Dienstausübung ist
insoweit, und zwar ohne Rücksicht auf die Absichten und Beweggründe des
Beklagten, fraglos gegeben.
b) Bezüglich der fortgesetzten Beleidigungen hat das Berufungsgericht im
Anschluß an die bereits zitierte Rechtsprechung zutreffend angenommen, daß
eine isolierte Betrachtungsweise dahin, daß bei solchen Vorfällen, in
denen ein konkreter Bezug zu dienstlichen Vorgängen nicht erkennbar ist,
der Vorgesetzte nach allgemeinem Deliktsrecht persönlich haften soll,
nicht möglich ist. Aus den von der Revision des Klägers angeführten
Entscheidungen ergibt sich nichts anderes.
Dem Senatsurteil BGHZ 11, 181 lag der Fall zugrunde, daß ein
Truppenangehöriger einen Offizier "aus Wut und Rache" plötzlich durch
einen mittels einer Maschinenpistole abgegebenen Feuerstoß getötet hatte.
Hier hat der Senat einen inneren Zusammenhang zwischen Tat und Dienst
verneint, obgleich die persönlichen Beweggründe zur Tat durch Vorkommnisse
im Dienst veranlaßt worden sein sollten. Mit einer derartigen
Konstellation, der eine spontane, selbst in Kriegszeiten kaum
nachvollziehbare Überreaktion zugrunde liegt, die strafrechtlich
möglicherweise als Mord zu ahnden ist (vgl. auch RGZ 104, 286, 290), ist
der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Er zeichnet sich vielmehr auf der
Grundlage des Klägervorbringens dadurch aus, daß ein Vorgesetzter seine
hervorgehobene Amtsstellung in einer im Einzelfall mehr oder weniger auf
einen konkreten dienstlichen Anlaß bezogenen Art und Weise dazu mißbraucht,
einen Untergebenen systematisch und fortgesetzt zu beleidigen, zu
schikanieren und zu diskriminieren (Mobbing). Diese Verhaltensweise
erfordert eine einheitliche Beurteilung, die dann, wenn - wie hier - das
Mobbing im Rahmen bestehender Beamtenverhältnisse stattfindet, zur
Anwendung von Amtshaftungsrecht führt.
4. Dies hat zur Folge, daß vorliegend allein das Land als Dienstherr des
Beklagten passivlegitimiert ist. Soweit die Revision des Klägers darauf
hinweist, daß neben Ansprüchen aus Amtshaftung gegen die
Anstellungskörperschaft auch eine persönliche Ersatzpflicht des
Amtsträgers aus anderem Rechtsgrund in Frage kommen kann, so betrifft dies
insbesondere Ansprüche gegen den Beamten nach § 7 StVG (etwa wenn der
Beamte mit seinem eigenen Pkw eine Dienstfahrt durchführt, vgl. BGHZ 29,
38). Hingegen verbleibt es allein bei der Haftung aus § 839 BGB, Art. 34
Satz 1 GG, wenn der Beamte in Ausübung eines öffentlichen Amtes eine
Handlung begeht, die bei Anwendung des allgemeinen Deliktsrechts den
Tatbestand des § 823 Abs. 1 und Abs. 2 (i.V.m. §§ 185, 223 StGB) oder des
§ 826 BGB erfüllen würde (vgl. Senatsurteile BGHZ 69, 128, 138 ff; 78,
274, 279). Aus der von der Revision des Klägers angeführten
Senatsentscheidung BGHZ 147, 381 ergibt sich nichts anderes.
5. Diese Haftungsfolge ist auch sachgerecht. Sie führt zu klaren und
eindeutigen Ergebnissen, die für den Geschädigten mehr Vor- als Nachteile
mit sich bringen. Dies gilt auch für die vorliegende Fallkonstellation (Mobbing
durch Vorgesetzte): Dem geschädigten Beamten steht insbesondere ein
leistungsfähiger Schuldner gegenüber. Die Subsidiaritätsklausel des § 839
Abs. 1 Satz 2 BGB greift im allgemeinen schon deshalb nicht ein, weil
"fahrlässiges Mobbing" kaum denkbar ist. Auch § 839 Abs. 3 BGB wird in
gravierenden Fällen, in denen - wovon vorliegend nach dem Klägervortrag
auszugehen ist - die Mobbing-Handlungen des Vorgesetzten gegenüber einer
diensttuenden Beamtin mit (zumindest) stillschweigender Billigung der
anderen (männlichen) Kollegen erfolgt sind, kaum zu einem Anspruchsverlust
führen. In einer derartigen Situation muß das "Mobbing-Opfer" befürchten,
daß durch Einlegung einer Beschwerde eine baldige Besserung seiner
Situation nicht zu erreichen, vielmehr im Gegenteil eine deutliche
Verschlechterung zu befürchten ist.
Eine unbillige Entlastung des handelnden Beamten ist damit nicht
verbunden, da in eindeutigen "Mobbing-Fällen", in denen ein Vorgesetzter
seine Amtsbefugnisse vorsätzlich und schwerwiegend mißbraucht, der
haftende Dienstherr Regreß nehmen kann (§ 46 BRRG, Art. 85 BayBG). |