Auswirkungen einer „Ohne-Rechnung-Abrede“
auf die Vertragswirksamkeit (§§ 134, 139 BGB)
BGH, Urteil vom 2. Juli 2003 - XII ZR 74/01
Fundstelle:
NJW 2003, 2742
Amtl. Leitsatz:
Zur Frage der Nichtigkeit des gesamten
Mietvertrags, wenn im schriftlichen Mietvertrag eine wesentlich geringere
Miete dokumentiert wird, als sie in einer mündlichen Nebenabrede
tatsächlich vereinbart wurde.
Tatbestand:
Der Kläger macht die Räumung eines
gewerblichen Mietobjektes sowie Zahlung rückständiger Miete geltend.
Der Vater des Klägers untervermietete im Namen des Klägers an den
Beklagten ein Grundstück mit Bürogebäude zum Zwecke eines
Gebrauchtwagenhandels in Frankfurt/Main, und zwar laut schriftlichem
Vertrag vom 31. Mai 1996 zu einer Miete von monatlich 500 DM plus MWSt.
Auf Beklagtenseite handelte der Vater des Beklagten, der Zeuge T.
Der Kläger kündigte den Vertrag zweimal außerordentlich, zuletzt mit
Schreiben vom 9. November 1998 mit der Begründung, es sei mündlich über
die schriftlich vereinbarte Miete von 500 DM plus MWSt hinaus eine weitere
Miete von 3.000 DM monatlich vereinbart worden. Der Beklagte weigere sich
hartnäckig, die vertraglich vereinbarte Miete vollständig zu bezahlen.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung rückständiger
Miete in Höhe von 24.000 DM (je 3.000 DM für Juli 1998 bis Februar 1999)
sowie zur Räumung des Grundstücks verurteilt. Die Berufung des Beklagten
ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner
Revision, die der Senat angenommen hat, soweit der Beklagte zur Zahlung
verurteilt worden ist.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten führt im Umfang der Annahme zur Aufhebung des
Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
Berufungsgericht.
1. Das
Oberlandesgericht hat ebenso wie das Landgericht aufgrund der Aussage des
Zeugen S. eine im April 1996 getroffene mündliche Vereinbarung der Väter
beider Parteien als bewiesen angesehen, derzufolge über die im
schriftlichen Vertrag angegebene Miete von 500 DM (richtig: 500 DM plus
MWSt) hinaus eine weitere Miete von monatlich 3.000 DM brutto (richtig:
netto) - halbjährlich im voraus - verabredet worden sei. Die mündliche
Absprache verpflichte den Beklagten. Zwar habe der Vater des Beklagten
nicht im, sondern unter dem Namen seines Sohnes gehandelt. Als Inhaber des
Gebrauchtwagenhandels sei der Beklagte aber nach den Grundsätzen über die
Stellvertretung bei unternehmensbezogenen Geschäften Vertragspartner
geworden. Er habe im übrigen ausdrücklich zugestanden, daß das Grundstück
an ihn vermietet worden sei. Die Aussage des Zeugen sei glaubhaft. Sie
widerspreche zwar teilweise dem Inhalt des ersten Kündigungsschreibens des
Klägers vom 27. Juli 1998. Der im Kündigungsschreiben angedeutete Vorwurf
gegen den Zeugen, er habe eingenommene Gelder dem Kläger vorenthalten, sei
nicht berechtigt. Der Zeuge habe den Vorwurf bestritten und der Kläger in
der mündlichen Verhandlung an diesem Vorwurf nicht festgehalten. Es könne
dahinstehen, ob der Zeuge S. oder der Vater des Klägers die für den Kläger
angenommenen Gelder des Beklagten zunächst dem Kläger verschwiegen hätte;
dies berühre die Wirksamkeit der zugunsten des Klägers mit dem Beklagten
getroffenen Vereinbarung nicht. Der Beklagte könne aus etwaigen internen
Unregelmäßigkeiten zwischen dem Vater des Klägers und dem Zeugen S.
einerseits und dem Kläger andererseits keinen Vorteil ziehen. Der Senat
habe sich durch die erneute Vernehmung des Zeugen von dessen
Glaubwürdigkeit überzeugt.
Im übrigen hat das Oberlandesgericht die Entscheidung des
landgerichtlichen Urteils auch insofern gebilligt, als es ausgeführt hat,
selbst wenn mit dem Vertrag eine Steuerhinterziehung verbunden sei, führe
dies nur zur Nichtigkeit gemäß § 138 BGB, denn die Steuerhinterziehung den
Hauptzweck der Vereinbarung darstelle. Zwar möge eine Steuerhinterziehung
gewollt gewesen oder zumindest dem anderen Teil ermöglicht worden sein.
Hauptzweck des Vertrages sei aber zweifelsohne die Vermietung des
Grundstücks mit den darauf befindlichen Gebäuden gewesen.
2. Die
Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung
nicht in allen Punkten stand. Entgegen seiner Auffassung kommt eine
Nichtigkeit des Mietvertrags gemäß §§ 134, 138 Abs. 1 in Verbindung mit §
139 BGB in Betracht.
a) Das Berufungsgericht hat - verfahrensfehlerfrei - festgestellt, daß die
Parteien über die schriftlich vereinbarte Miete von 500 DM plus MWSt
hinaus mündlich eine weitere Miete in Höhe von 3.000 DM monatlich
vereinbart haben.
Die dagegen von der Revision erhobenen Rügen hat der Senat geprüft und
nicht für durchgreifend erachtet.
b) Bedenken bestehen jedoch gegen die - ohne weitere Nachprüfung
getroffene - Feststellung des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht
Bezug genommen hat, daß Hauptzweck des Vertrages zweifelsohne die
Vermietung des Grundstücks gewesen sei, und gegen die daraus gezogene
Schlußfolgerung, daß selbst bei Unterstellung einer beabsichtigten
Steuerhinterziehung die Vereinbarung nicht nichtig sei. Die von den
Parteien im schriftlichen Vertrag dokumentierte Miete macht nur etwas mehr
als 1/7 der wahren Miete aus. Dies läßt es zumindest naheliegend
erscheinen, daß die von der mündlichen Vereinbarung abweichende Regelung
der Miete im schriftlichen Mietvertrag nur getroffen wurde, um eine
Steuerhinterziehung zu ermöglichen.
Die unter Strafe gestellte Verabredung einer Steuerhinterziehung (§ 370
AO) ist als solche gemäß § 134 BGB nichtig (vgl. BGH, Urteil vom 3.
Juli 1968 - VIII ZR 113/66 - MDR 1968, 834 f.). Daneben ist auch eine
Vereinbarung nichtig, über ein - steuerlich relevantes - Geschäft keine
Rechnung auszustellen (sogenannte "Ohne-Rechnung-Abrede"; §§ 134, 138 BGB;
vgl. BGH aaO; OLG Hamm NJW-RR 1997, 722; Palandt/Heinrichs BGB 62. Aufl. §
138 Rdn. 44; MünchKomm/Mayer/Maly BGB 3. Aufl. § 138 Rdn. 37). Als eine
der "Ohne-Rechnung-Abrede" gleichzusetzende Vereinbarung muß es auch
angesehen werden, wenn im schriftlichen Vertrag eine Miete dokumentiert
wird, die zu der tatsächlich vereinbarten außer Verhältnis steht.
Allerdings gehen die Vorinstanzen zutreffend davon aus, daß Verträge,
mit denen eine Steuerhinterziehung verbunden ist, grundsätzlich nur dann
nach §§ 134, 138 BGB nichtig sind, wenn der Hauptzweck des Vertrages
gerade die Steuerhinterziehung ist (BGHZ 136, 125, 126; BGH, Urteil
vom 21. Dezember 2000 - VII ZR 192/98 - NJW-RR 2001, 380). Die unter
Hinweis auf "Palandt/Heinrichs BGB § 138 Rdn. 44" gemachten Ausführungen
des Landgerichts, die sich das Oberlandesgericht zu eigen macht,
Hauptzweck des Vertrages sei zweifelsohne die Vermietung des Grundstücks
mit den darauf befindlichen Gebäuden gewesen, legen aber den Schluß nahe,
daß das Oberlandesgericht bei der Prüfung der Frage, was Haupt- und was
nur Nebenzweck des Geschäfts war, von einem falschen Verständnis der
zitierten Kommentarstelle ausgegangen ist und deshalb die Besonderheiten
des vorliegenden Sachverhalts nicht ausreichend berücksichtigt hat. Da
die mündliche Abrede, eine inhaltlich falsche Vertragsurkunde
herzustellen, einen Teil des ganzen Geschäfts bildet, stellt sich die
Frage, welchen Einfluß ihre Nichtigkeit auf die Gültigkeit des
Mietvertrages hat. Gemäß § 139 BGB könnte der Mietvertrag nur dann
aufrecht erhalten bleiben, wenn feststünde, daß er auch ohne die -
nichtigen - steuerlichen Absprachen zu denselben Bedingungen, insbesondere
zu derselben Miete, abgeschlossen worden wäre (BGH, Urteil vom 3. Juli
1968 aaO).
Dann wäre das Hauptziel des Geschäfts nicht die Steuerhinterziehung,
sondern die Vermietung des Grundstücks gewesen.
3. Der Senat ist nicht in der Lage, abschließend zu entscheiden. Die
Vorinstanzen haben keine Feststellungen dazu getroffen, welches Ziel die
Parteien mit der Vereinbarung verfolgten und ob sie den Mietvertrag ohne
diese Nebenabreden zu - im Ergebnis - gleichen Bedingungen geschlossen
hätten.
Der Rechtsstreit muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit
es, ggf. nach ergänzendem Parteivortrag, die erforderlichen Feststellungen
treffen kann. Dabei wird auch der Frage nachzugehen sein, welche
wirtschaftliche Bedeutung gerade dieses Grundstück seiner Lage und
Beschaffenheit nach - auch mit Blick auf die umliegenden Grundstücke - für
den Gebrauchtwagenhandel des Beklagten hat.
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