Anforderungen an die Exkulpation für
deliktische Schädigung durch einen Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB BGH, Urt. v. 8. Oktober 2002 - VI ZR 182/01 - OLG Naumburg - LG Magdeburg Zentrale Probleme: Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die - lehrbuchmäßig dargelegte - Exkulpation für den Verrichtungsgehilfen. Auf die Wiedergabe der Verjährungsproblematik wird hier ratione temporis verzichtet, weil sie die bisherige Regelung in § 852 I BGB a.F. betrifft. Nach neuem Recht genügt für den Verjährungsbeginn bereits grobfahrlässige Unkenntnis (s. § 199 I Nr. 2 BGB) Fundstelle: NJW 2003, 288 Amtl. Leitsätze: 1. Der für den Beginn der Verjährung gem. § 852 Abs. 1 BGB a.F. erforderlichen positiven Kenntnis steht es grundsätzlich nicht gleich, wenn die Unkenntnis des Geschädigten über den Schadenshergang und die Person des Schädigers darauf beruht, daß er nicht aus eigener Initiative Erkundigungen eingezogen hat. Tatbestand: Der Kläger begehrt wegen eines Arbeitsunfalls vom 7. August 1996 Schmerzensgeld, die Zahlung einer Schmerzensgeldrente sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Schäden. Der Kläger war bei der Baugesellschaft G. beschäftigt. Er führte am Unfalltag auf einer Baustelle in M. zusammen mit dem Vorarbeiter und Baggerführer B. Grabungsarbeiten zur Herstellung eines neuen Abwasseranschlusses durch. Als B. mit dem Bagger ein Erdkabel beschädigte, kam es um 7.42 Uhr zur Zündung eines Lichtbogens. Daraufhin begaben sich B. und der bei der Speditionsfirma Sp. beschäftigte Kraftfahrer A. zu dem etwa 170 m entfernten Schaltwerk, um den Schaden zu melden. Sie trafen dort auf die bei der Beklagten zu 1 als Schaltwärter tätigen Beklagten zu 2 und 3, die bereits mit der Feststellung und Lokalisierung des Fehlers beschäftigt waren. Aus den Anzeigen ergab sich für 7.42 Uhr ein kurzzeitiger Stromfluß in Richtung des beschädigten Kabels. Die Beklagten zu 2 und 3 bemerkten dies zwar, gaben diese Information, die auf einen Kurzschluß in dem Kabel hindeutete, aber nicht an die Netzleitstelle weiter. Nach einem Gespräch streitigen Inhalts mit den Beklagten zu 2 und 3 gingen B. und A. zur Baustelle zurück. Dort teilten sie dem Kläger mit, die betreffende Stelle solle freigelegt werden, da der Monteur unterwegs sei. Daraufhin begab sich der Kläger erneut in die Baugrube und versuchte, mit einem Spaten das Erdreich zu lockern bzw. den in der Grube befindlichen Schotter wegzuschaufeln. Zur gleichen Zeit erteilte die Netzleitstelle in Unkenntnis des Umstandes, daß zuvor Strom in Richtung des beschädigten Kabels gelaufen war, den Schaltbefehl zum Einschalten. Der Beklagte zu 3 fragte den Beklagten zu 2, ob die Bauarbeiter aus der Grube seien. Der Beklagte zu 2 antwortete, daß er die Bauarbeiter aus der Grube verwiesen habe. Als der Beklagte zu 3 daraufhin den Abgang wieder zuschaltete, kam es erneut zur Zündung eines Lichtbogens, wodurch die Kleidung des Klägers Feuer fing. Der Kläger erlitt schwere Verletzungen, u.a. Verbrennungen 2. und 3. Grades an den Beinen und im Gesicht. Die Beweglichkeit im rechten Knie ist durch Narbenzug eingeschränkt. Er bedarf weiterer ärztlicher Behandlung. Der Kläger hat die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 100.000 DM, einer Schmerzensgeldrente von 300 DM monatlich sowie auf Ersatz von Verdienstausfall in Anspruch genommen und die Feststellung der Ersatzpflicht für nach dem 1. Januar 1999 entstandene und noch entstehende materielle Schäden begehrt. Er hat vorgetragen, der Beklagte zu 2 habe B. auf dessen Frage erklärt, die Kabel könnten freigelegt werden, da die Monteure gleich kämen. Aus dem von dem Beklagten zu 2 mit der Netzleitstelle geführten Telefonat habe sich jedoch ergeben, daß die Leitung tatsächlich freigeschaltet gewesen sei. Der Beklagte zu 2 habe es versäumt, die erforderliche Absperrung zu veranlassen. Ihm und dem Beklagten zu 3 sei zudem vorzuwerfen, die für die Beurteilung der Lage notwendige Information über den angezeigten Stromlauf nicht an die Netzleitstelle weitergegeben zu haben. Die Beklagten haben u.a. ein überwiegendes Mitverschulden des Klägers eingewandt und die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat der gegen die Beklagten zu 1 und 2 gerichteten Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger ein Schmerzensgeld von 70.000 DM sowie eine Schmerzensgeldrente von 300 DM zuerkannt und dem Feststellungsbegehren entsprochen. Den Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls sowie die Klage gegen den Beklagten zu 3 hat das Landgericht abgewiesen. Mit seiner Berufung hat der Kläger sein Klagebegehren - mit Ausnahme des ursprünglich verlangten Verdienstausfalls - gegen alle drei Beklagten in vollem Umfang weiterverfolgt. Die Beklagten zu 1 und 2 haben mit ihrer Berufung die vollständige Abweisung der Klage begehrt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Oberlandesgericht die Berufungen des Klägers und des Beklagten zu 2 zurückgewiesen und - insoweit abändernd - die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage abgewiesen. Dagegen haben der Kläger und der Beklagte zu 2 Revision eingelegt. Der Senat hat mit Beschluß vom 14. Mai 2002 die Revision des Klägers angenommen, soweit die Klage gegenüber den Beklagten zu 1 und 3 abgewiesen worden ist. Im übrigen hat der Senat die Revisionen nicht angenommen. Im Senatstermin hat der Kläger seine Revision bezüglich der Beklagten zu 1 und 3 hinsichtlich des übersteigenden Schmerzensgeldes von 30.000 DM zurückgenommen. Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht nimmt in Übereinstimmung mit dem Landgericht an, daß - neben dem Beklagten zu 2 - auch der Beklagte zu 3 für die Schädigung des Klägers verantwortlich sei, die gegen ihn gerichteten Ansprüche aber verjährt seien. Zwar stehe nicht fest, daß der Kläger drei Jahre vor der am 9. November 1999 im Wege der Klageerweiterung gegen den Beklagten zu 3 erhobenen Klage Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen gehabt habe. Darauf komme es jedoch nicht an, denn Kenntnis im Sinne von § 852 Abs. 1 BGB a.F. sei auch dann anzunehmen, wenn der Geschädigte sich diese in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen könne, er aber eine sich ihm ohne weiteres anbietende, gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit nicht wahrnehme. Dies sei hier der Fall. Der Kläger habe sich die notwendigen Informationen nämlich durch Erkundigung bei der Beklagten zu 1 (der Arbeitgeberin des Beklagten zu 3), bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft verschaffen können. Auch die Klage gegen die Beklagte zu 1 sei unbegründet. Anders als das Landgericht ist das Berufungsgericht der Auffassung, die Beklagte zu 1 hafte nicht für die von den Beklagten zu 2 und 3 als ihren Verrichtungsgehilfen herbeigeführte Schädigung des Klägers, weil sie sich exkulpiert habe (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB). II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision des Klägers nicht in jeder Hinsicht stand. 1. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die rechtliche Beurteilung, die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche seien gegenüber dem Beklagten zu 3 verjährt. ..... (wird - zum alten Recht - ausgeführt) 2. Das Berufungsurteil kann auch hinsichtlich der Klageabweisung bezüglich der Beklagten zu 1 keinen Bestand haben. a) Die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Erstbeklagte hafte nicht für die von den Beklagten zu 2 und 3 als ihren Verrichtungsgehilfen herbeigeführte Schädigung, weil sie sich exkulpiert habe (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB), begegnet auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen durchgreifenden Bedenken. Nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Geschäftsherr bei der Auswahl der bestellten Person und, sofern er Vorrichtungen oder Gerätschaften zu beschaffen oder die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat, bei der Beschaffung oder der Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet. Der Geschäftsherr darf Verrichtungsgehilfen nur solche Tätigkeiten übertragen, deren gefahrlose Durchführung er von ihnen erwarten kann und die hierfür die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Er muß sich insoweit von ihren Fähigkeiten, ihrer Eignung und ihrer Zuverlässigkeit überzeugen. Besonders scharfe Maßstäbe sind in dieser Hinsicht anzulegen, wenn die Tätigkeit, die dem Gehilfen übertragen wird, mit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder mit gravierenden Risiken für Leben, Gesundheit oder Eigentum Dritter verbunden ist. Im Hinblick darauf, daß sich aus einer mangelnden Qualifikation des Gehilfen Gefahren für deliktsrechtlich geschützte Interessen ergeben können, muß sich der Geschäftsherr bei der Einstellung des Gehilfen von dessen Eignung für den ihm zugedachten Tätigkeitskreis im Rahmen des Möglichen überzeugen (vgl. Senatsurteile vom 30. Januar 1996 - VI ZR 408/94 - VersR 1996, 469, 470 und vom 1. Juli 1997 - VI ZR 205/96 - NJW 1997, 2756, 2757; MünchKomm-BGB/Stein, 3. Aufl., § 831 Rdn. 11 f. m.w.N.). Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsurteil keinerlei Feststellungen dazu enthält, mit welcher Sorgfalt die Beklagten zu 2 und 3 von der Erstbeklagten ausgewählt worden sind. Das Berufungsgericht stellt allein darauf ab, daß die Beklagten Belege über die theoretische und praktische Unterweisung und Erteilung einer Schaltberechtigung für den Beklagten zu 2 einschließlich der Teilnehmerliste sowie der Arbeitsschutzunterweisung und den durchgeführten Wiederholungsunterweisungen für den Beklagten zu 3 vorgelegt haben. Feststellungen zur beruflichen Qualifikation und persönlichen Eignung der Beklagten zu 2 und 3 fehlen ebenso wie Nachweise über deren Vorkenntnisse und frühere Tätigkeiten sowie Angaben zur Dauer der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse. Den Ausführungen des Berufungsgerichtes läßt sich nicht entnehmen, inwieweit sich aus den vorgelegten Unterlagen ergeben soll, daß die Erstbeklagte ihrer Verkehrspflicht zur sorgfältigen Auswahl der Beklagten zu 2 und 3 genügt hat, zumal bei einem Verrichtungsgehilfen, der - wie hier bei Schaltvorgängen mit Hochspannungsleitungen - mit sehr gefährlichen Arbeiten betraut wird, strenge Anforderungen zu stellen sind. Auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, die Erstbeklagte habe den Nachweis einer sorgfältigen Überwachung der Beklagten zu 2 und 3 geführt, begegnet durchgreifenden Bedenken. Der Geschäftsherr hat sich laufend von der ordnungsgemäßen Dienstausübung durch den Verrichtungsgehilfen zu überzeugen. Art und Ausmaß der Überwachung richten sich nach den Umständen des Einzelfalles; insbesondere sind zu berücksichtigen die Gefährlichkeit der übertragenen Tätigkeit, die Persönlichkeit des Gehilfen, sein Alter, seine Vorbildung und Erfahrung und seine bisherige Bewährung im Verhältnis zu der von ihm zu erfüllenden Aufgabe (MünchKomm-BGB/Stein, aaO, Rdn. 17 m.w.N.). Dabei kann eine sorgfältige Handhabung der Überwachungspflicht für den Gehilfen nicht vorhersehbare und unauffällige Kontrollen gebieten (vgl. Senatsurteile vom 30. Januar 1996 - VI ZR 408/94 - aaO und vom 1. Juli 1997 - VI ZR 205/96 - aaO; OLG Hamm, NJW-RR 1998, 1403). So liegt es angesichts der gefahrträchtigen Verrichtung der Beklagten zu 2 und 3 im Streitfall. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes hat die Erstbeklagte ihre Überwachungspflicht nicht schon damit erfüllt, daß sie die Beklagten zu 2 und 3 wiederholt theoretisch und praktisch geschult hat. Sie hätte vielmehr auch kontrollieren müssen, ob ihre Gehilfen sich bei Ausübung der ihnen übertragenen Aufgaben den Unterweisungen entsprechend verhalten. Ob und mit welchem Ergebnis die Erstbeklagte derartige regelmäßige Kontrollen vorgenommen hat, läßt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. b) Die Revision weist schließlich darauf hin, daß sich der mit dem Feststellungsbegehren geltend gemachte Anspruch auf Ersatz materieller Schäden unabhängig von einer Haftung gem. § 831 BGB auch aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung gem. § 2 HPflG ergeben kann. Eine solche Haftung kommt in Betracht, wenn das Erdkabel, an dem der Lichtbogen zündete, Teil einer von der Erstbeklagten betriebenen Stromleitungsanlage i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 HPflG war. Ob dies zutrifft, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben.
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