Offenkundigkeitsgrundsatz
bei der Stellvertretung und Wahrung der Schriftform
BGH, Urt. v. 16.7.2003 - XII ZR 65/02
Fundstelle:
NJW 2003, 3053
Amtl. Leitsatz:
Zur Einhaltung der Schriftform beim Abschluss eines langfristigen
Mietvertrages durch einen für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts
handelnden Vertreter.
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine aus vier Gesellschaftern bestehende Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR). Einzelvertretungsberechtigte Gesellschafter
sind die im Rubrum unter den Nr. 1 und 2 aufgeführten Gesellschafter
Rechtsanwalt H. und B.. Durch schriftlichen Mietvertrag vermietete die
Klägerin an die Beklagte ein Geschäftshaus in Schwerin. In der
Vertragsurkunde ist die Klägerin bezeichnet als "Erwerbergemeinschaft Haus
E", vertreten durch die Herren B. und Rechtsanwalt H.. Für die Klägerin
unterschrieb den Vertrag lediglich der Gesellschafter H., ohne einen auf
ein Vertretungsverhältnis hinweisenden Zusatz.
Das Mietverhältnis wurde auf 10 Jahre fest abgeschlossen. Es sollte ab
Bezugsfertigkeit beginnen, voraussichtlich ab dem 20. September 1994. Als
Miete wurden 2.400 DM monatlich vereinbart, zuzüglich Nebenkosten und
Umsatzsteuer.
Mit Schreiben vom 22. August 1997 räumte die mit der Vermietung
beauftragte Verwaltungsgesellschaft der Beklagten "für vorerst sechs
Monate" eine Reduzierung der monatlichen Nettomiete ab 1. September 1997
um 400 DM auf 2.000 DM ein.
Mit Schreiben vom 28. Mai 1998 kündigte die Beklagte das Mietverhältnis
wegen rückläufiger Ertragslage zum 30. Juni 1998. Die Klägerin widersprach
der Kündigung, bemühte sich jedoch, einen Nachmieter zu finden. Am 30.
Juni/15. Juli 1998 schloss sie mit dem Nachmieter einen mit dem 1. August
1998 beginnenden und bis zum 30. September 2004 befristeten Mietvertrag
ab. Als Nettomiete (zuzüglich MWSt und Nebenkosten) sollte dieser 2.000 DM
monatlich zahlen.
Die Beklagte räumte das Mietobjekt zum 30. Juni 1998 und übergab es am 22.
Juli 1998 im Beisein des Nachmieters an die Klägerin.
Die Beklagte zahlte bis einschließlich Juli 1998 eine Nettomiete von 2.000
DM zuzüglich Nebenkostenpauschale und Umsatzsteuer. Für die Monate August
bis Dezember 1998 zahlte sie jeweils 400 DM (die Differenz zwischen der
ursprünglich vereinbarten Nettomiete und der reduzierten und mit dem
Nachmieter vereinbarten Nettomiete).
Mit der Klage hat die Klägerin in erster Instanz für die Monate Januar
1999 bis Juli 2000 die Differenzmiete von je 400 DM geltend gemacht,
insgesamt 7.600 DM. Außerdem hat sie die Feststellung begehrt, dass die
Beklagte verpflichtet sei, ihr die Mietausfälle bis September 2004 zu
ersetzen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat Berufung
eingelegt und in der Berufungsinstanz ihre Zahlungsklage um 53.258,41 DM
(zuzüglich Zinsen) erweitert mit der Begründung, der Nachmieter habe für
November 1998 die Nettomiete von 2.000 DM nicht gezahlt, ab Januar 1999
habe er die vereinbarten Beträge nur unregelmäßig und unvollständig
gezahlt, so dass bis einschließlich September 2001 ein Rückstand von
53.258,41 DM entstanden sei.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die
Beklagte auf die im Berufungsrechtszug erweiterte Klage hin verurteilt, an
die Klägerin 1.022,58 Euro (2000 DM) zuzüglich Zinsen zu zahlen. Das ist
die offenstehende Nettomiete für November 1998. Im übrigen hat es die
erweiterte Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht geht davon aus, dass die von der Beklagten erklärte
Kündigung das Mietverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 1998 beendet
hat.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch
weiter für die Ausfälle in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 30.
September 2001 und ihren Feststellungsantrag für die Zeit vom 1. Oktober
2001 bis zum 30. September 2004.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte war in dem Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten.
Gleichwohl war über die Revision der Klägerin nicht durch
Versäumnisurteil, sondern durch Endurteil (unechtes Versäumnisurteil) zu
entscheiden, da sie sich auf der Grundlage des vom Oberlandesgericht
festgestellten Sachverhalts als unbegründet erweist (vgl. Senatsurteil vom
10. Februar 1993 - XII ZR 239/91 - FamRZ 1993, 788 )
1. In der Revisionsinstanz ist lediglich darüber zu entscheiden, ob der
Klägerin Ansprüche für die Zeit ab 1. Januar 1999 zustehen. Das
Berufungsgericht führt aus, das sei nicht der Fall, weil das
Mietverhältnis der Parteien durch die von der Beklagten erklärte Kündigung
zum 31. Dezember 1998 beendet worden sei. Die Kündigungserklärung der
Beklagten sei als ordentliche Kündigung auszulegen, weil die Beklagte klar
und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht habe, dass sie wegen ihrer
ungünstigen wirtschaftlichen Lage den Vertrag unter allen Umständen zum
nächstmöglichen Termin beenden wolle.
Obwohl in dem schriftlichen Mietvertrag eine feste Mietzeit bis zum Jahre
2004 vorgesehen gewesen sei, sei die Beklagte berechtigt gewesen, den
Vertrag schon vorher unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist
ordentlich zu kündigen, weil der schriftliche Mietvertrag nicht der
erforderlichen Schriftform des § 566 Abs. 1 BGB a.F. genügt habe. In
dem schriftlichen Mietvertrag sei ausgeführt, dass die vermietende GbR
durch die Herren B. und Rechtsanwalt H. vertreten werde. Unterschrieben
sei der Vertrag aber lediglich von Rechtsanwalt H., und zwar ohne jeden
Zusatz über seine Vertretungsbefugnis. Das reiche zur Einhaltung der
gesetzlichen Schriftform nicht aus. Daran ändere es nichts, dass
Rechtsanwalt H. Einzelvertretungsmacht für die Gesellschaft gehabt habe.
Gegen diese Ausführungen des Berufungsgerichts wendet sich die Revision
ohne Erfolg.
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten ausgesprochene
Kündigung sei als ordentliche Kündigung zu verstehen, beruht auf einer
Auslegung einer Willenserklärung und ist deshalb in der Revisionsinstanz
nur beschränkt nachprüfbar, und zwar darauf, ob das Berufungsgericht bei
der Auslegung gegen gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze,
Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (st. Rechtspr.,
vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 - X ZR 88/90 - NJW 1992, 1967, 1968
m.w.N.). Solche revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler sind nicht
ersichtlich und werden von der Revision zu Recht auch nicht geltend
gemacht. Es entspricht im Gegenteil ständiger Rechtsprechung, dass
sogar eine ausdrücklich als fristlose Kündigung bezeichnete Erklärung
hilfsweise in eine ordentliche Kündigung umzudeuten ist, wenn nach dem
eindeutigen Willen des Kündigenden das Vertragsverhältnis in jedem Fall
zum nächstmöglichen Termin beendet werden soll (vgl. Senatsurteil vom
15. Januar 2003 - XII ZR 300/99 - NJW 2003, 1143, 1144 = NZM 203, 235,
236; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und
Leasingrechts, 8. Aufl. Rdn. 909, 910 m.N.). Dass der Kündigungserklärung
der Beklagten die Absicht, das Mietverhältnis möglichst schnell zu
beenden, zu entnehmen war, hat das Berufungsgericht in revisionsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise festgestellt.
3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annnahme des
Berufungsgerichts, das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis sei
durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 28. Mai 1998 erklärte
(ordentliche) Kündigung zum 31. Dezember 1998 beendet worden.
Zwar enthält der Mietvertrag die Vereinbarung, das Mietverhältnis werde
auf die Dauer von 10 Jahren fest abgeschlossen. Wäre diese Vereinbarung
wirksam, so wäre eine ordentliche Kündigung vor Ablauf von 10 Jahren
ausgeschlossen.
Die Vereinbarung einer langfristigen Laufzeit des Mietvertrages ist
aber unwirksam, weil bei Abschluss des Mietvertrages die Schriftform nicht
eingehalten worden ist (§ 566 BGB a.F. = § 550 BGB n.F.). Das hat zur
Folge, dass der Vertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und nach
Ablauf eines Jahres unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist
(hier: § 565 Abs. 1 a BGB a.F.) ordentlich gekündigt werden konnte.
Für die Einhaltung der Schriftform ist es erforderlich, dass alle
Vertragsparteien die Vertragsurkunde unterzeichnen. Unterzeichnet für
eine Vertragspartei ein Vertreter den Mietvertrag, muss dies in der
Urkunde durch einen das Vertretungsverhältnis anzeigenden Zusatz
hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen (BGHZ 125, 175, 178 ff.;
Senatsurteile vom 11. September 2002 - XII ZR 187/00 - NJW 2002, 3389,
3990 ff. m.w.N. und Anm. Eckert, EWiR 2002, 951 und vom 15. Januar 2003
aaO; so schon RGZ 81, 286, 289). Der Senat hat bisher offengelassen, ob
ein bloßer Hinweis auf eine Stellvertretung ausreichend ist oder ob
weitere Kennzeichnungen des Vertreterverhältnisses erforderlich sind
(Senatsurteile vom 11. September 2002 und vom 15. Januar 2003 aaO). In der
Literatur wird z.T. gefordert, dem Schutzzweck des § 550 BGB n.F. (= § 566
BGB a.F.) entsprechend müsse ein potentieller Erwerber des Mietgrundstücks
aus der Vertragsurkunde entnehmen können, „in welcher Funktion“ der
Vertreter gehandelt habe (Kraemer, NZM 2002, 465, 471). Ob dieser Meinung
zu folgen ist und ob dementsprechend jedenfalls dann, wenn sich die
Vertretungsbefugnis des für eine Vertragspartei Auftretenden nicht aus
öffentlichen Registern ergibt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 9. November
2001 - LwZR 4/01 - NZM 2002, 163, 164), der Vertragsurkunde zu entnehmen
sein muss, woraus der als Vertreter Handelnde seine Vertretungsbefugnis
herleitet, kann auch im vorliegenden Fall offen bleiben. Auch wenn man
dieser Meinung nicht folgt, genügt die Vertragsurkunde den Anforderungen
an die Schriftform nicht.
Für die vermietende GbR hat allein Rechtsanwalt H. unterschrieben. Der
Unterschrift ist kein die Vertretung erläuternder Zusatz beigefügt. Im
Kopf der Urkunde heißt es, die Gesellschaft werde vertreten durch die
Herren B. und Rechtsanwalt H.. Die Annahme des Berufungsgerichts, aus
dieser Formulierung ergebe sich nicht, dass jeder der beiden Genannten
alleinvertretungsberechtigt sei, ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Die Formulierung spricht eher für eine
Gesamtvertretungsberechtigung, zumindest lässt sie diese Deutung
gleichrangig zu. Das Berufungsgericht nimmt deshalb zu Recht an, dass bei
der Prüfung, ob die Schriftform eingehalten ist, von einer
Gesamtvertretungsbefugnis ausgegangen werden muss. Die Unterschrift des
Rechtsanwalts H. wäre deshalb nur ausreichend, wenn er zugleich als
Vertreter des B. unterschrieben hätte. Einen Hinweis darauf enthält die
Vertragsurkunde nicht. Nach dem Text der Vertragsurkunde ist jedenfalls
nicht auszuschließen, dass vorgesehen war, auch B. solle für die
Gesellschaft unterschreiben und seine Unterschrift fehle noch (so jeweils
für einen ähnlich gelagerten Fall BGHZ 125 aaO; Senatsurteil vom 15.
Januar 2003 aaO S. 1044). Der Urkunde ist deshalb nicht zu entnehmen, dass
sie alle erforderlichen Unterschriften enthält.
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