Gutgläubiger Erwerb
beweglicher Sachen: Anforderungen an den guten Glauben (§ 932 II BGB) und
äußere Umstände des Geschäfts (Ankauf einer wertvollen Geige am
Hauptbahnhof)
OLG München, Urteil vom 12. 12. 2002 - 19 U
4018/02 (nicht rechtskräftig)
Fundstelle:
NJW 2003, 673
Amtl. Leitsätze:
1. Wer ein hochwertiges Musikinstrument deutlich unter dem Verkehrswert an
einem Ort erwirbt, an dem kein Handel mit solchen Gegenständen
stattfindet, handelt grob fahrlässig und kann sich somit nicht auf einen
guten Glauben an die Eigentümerstellung oder an die Veräußerungsbefugnis
berufen, wenn die Legitimation des Verkäufers nicht glaubhaft gemacht ist.
An die Glaubhaftmachung sind in einem solchen Fall hohe Anforderungen zu
stellen.
2. Der gelegentliche Verkauf eines Musikinstruments begründet mangels
Gewerbsmäßigkeit noch keine Kaufmannseigenschaft.
Zum Sachverhalt:
Der Kl. macht aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die
Bekl., die in ihrem Geschäft unter anderem hochwertige Musikinstrumente
verkauft, wegen einer Gragnani-Geige von 1781 geltend, die sein Bruder
gutgläubig erworben haben will und die von einem Dritten an die Bekl.
zurückgegeben worden war. Der Bruder des Kl., der Geigenbauer ist, hatte
diese Geige zusammen mit einem wertvollen Bogen am 29. 8. 1998 in oder vor
einem Lokal in der Nähe des Münchener Hauptbahnhofs für 130000 DM in bar
von einer Frau X erworben. Der Wert der Geige betrug ca. 170000 DM und der
des Bogens ca. 20000 DM. Frau X, die hin und wieder mit Gegenständen aller
Art handelt, bezeichnete sich bei ihrer Vernehmung durch die Polizei als
arbeitslose Laborantin. Ihre „Legitimation“ bestand in einem
handschriftlich verfassten Auftrag, der nicht einmal von der angeblichen
Eigentümerin und Auftraggeberin, Frau Y, unterschrieben war. Auch deren
Anschrift war nicht angegeben. Als Überbringer der Geige war ein
Geigenbauer G genannt. Das Originalzertifikat für Geige und Bogen lag
nicht vor. Frau Y hatte sich Geige und Bogen am 27. 8. 1998 von der Bekl.,
die Eigentümerin dieser Musikinstrumente war, erschlichen. Sie hatte im
Auftrag des G wahrheitswidrig behauptet, sie wolle diese Musikinstrumente
eventuell kaufen und diese für wenige Tage zur Ansicht haben. Die Geige,
die inzwischen von der Bekl. verkauft worden ist, hatte ein Dritter, der
sich diese Geige von dem Bruder des Kl. ausgeliehen hatte, an diese
zurückgegeben.
Die Klage hatte in beiden Instanzen keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
II. Die zulässige Berufung des Kl. führt nicht zum Erfolg, da dieser
gegen die Bekl. keine Schadensersatzansprüche aus §§ 989 , 990 I BGB oder
aus § 823 I BGB hat. Beide Anspruchsgrundlagen setzen eine
Eigentümerstellung des Kl. hinsichtlich der Geige voraus, die dieser aber
nicht erlangt hat. Ein Eigentumserwerb gem. §§ 929 , 931 BGB war nicht
möglich, da sein Bruder weder gem. §§ 932 , 933 BGB noch gem. § 366 I HGB
Eigentum an der Geige erworben hatte. Diesem fehlte der gute Glaube an der
Berechtigung der Veräußerer und an der Eigentümerstellung der angeblichen
Auftraggeberin. Außerdem lag keine Veräußerung eines Kaufmanns im Betrieb
seines Handelsgewerbes vor (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 933
Rdnr. 5; Baumbach/Hopt, HGB, 30. Aufl., § 366 Rdnr. 6).
An einem guten Glauben des Erwerbers an der Berechtigung des Veräußerers
fehlt es bereits dann, wenn dieser ohne besondere Aufmerksamkeit und
besonders gründliches Überlegen auf Grund der Gesamtumstände die fehlende
Berechtigung des Veräußerers bzw. die fehlende Eigentümerstellung der
Person, die den Veräußerungsauftrag erteilt hat, hätte erkennen müssen.
Dies gilt insbesondere dann, wenn ein besonders wertvoller Gegenstand
außerhalb eines üblichen Geschäftsbetriebs deutlich unter dem Verkehrswert
verkauft wird (vgl. BGH, WM 1978, 1208; NJW 1994, 2022; OLG Hamburg, MDR
1970, 506). Eine Veräußerung i.S. des § 366 I HGB setzt voraus, dass ein
Kaufmann i.S. der §§ 1 bis 3 , 5 HGB im Rahmen seines Handelsgewerbes
tätig wird (vgl. Baumbach/Hopt, § 366 Rdnrn. 4f.). An diesen
Voraussetzungen fehlt es hier, da der Bruder des Kl., der von Beruf
Geigenbauer ist, die streitgegenständliche Geige im Wert von ca. 170000 DM
samt Bogen im Wert von ca. 20000 DM für 130000 DM in bar in oder vor einem
Lokal in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs erwarb. Auf Veräußererseite
waren die arbeitslose Laborantin X und der Geigenbauer G, der im
Hintergrund wirkte, tätig. Das Originalzertifikat für die Geige und den
Bogen lag nicht vor, sondern nur ein handschriftlich verfasster Auftrag,
der nicht einmal von der angeblichen Eigentümerin und Auftraggeberin Y
unterschrieben war. Auch eine Anschrift der angeblichen Eigentümerin war
nicht genannt. Der Geigenbauer wurde nur als Überbringer der Geige
bezeichnet. Dies bedeutet, dass die streitgegenständliche Geige weit unter
dem Verkehrswert an einer Örtlichkeit verkauft wurde, an der üblicherweise
kein Handel mit kostbaren Musikinstrumenten stattfindet. Der Bruder des
Kl. musste als Fachmann deshalb an der Korrektheit des Geschäfts stark
zweifeln. Trotz dieser Umstände hinterfragte er nicht die
Veräußerungsbefugnis von X und G, dem Überbringer der Geige, sowie die
Eigentümerstellung von Y, von der er nicht einmal eine Anschrift hatte.
Ein solches Verhalten ist grob fahrlässig und verhindert die Begründung
eines guten Glaubens. Außerdem waren X und G keine Kaufleute. Der
gelegentliche Verkauf eines Musikinstruments begründet keine
Kaufmannseigenschaft, da es an der Gewerbsmäßigkeit fehlt. Diese liegt nur
dann vor, wenn eine dauernde wirtschaftliche Tätigkeit in der Absicht
ausgeübt wird, ein regelmäßiges Einkommen zu erzielen
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