Beseitigungsanspruch analog § 1004 I BGB bei Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts, Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Frage
(„rhetorische Frage“)
BGH, Urteil vom 9.
Dezember 2003 - VI ZR 38/03 -
Fundstelle:
NJW 2004, 1034
Amtl. Leitsätze:
a) Die Auslegung eines Fragesatzes hat den Kontext und die Umstände der
Äußerung zu berücksichtigen. Sie kann ergeben, daß der Fragesatz keine
"echte Frage", sondern die unwahre Behauptung einer Tatsache enthält.
b) Ein Anspruch des durch eine unwahre Tatsachenbehauptung in seinem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht Beeinträchtigten auf Richtigstellung kann
auch nach Ablauf von mehr als sieben Monaten bestehen.
Tatbestand:
Die Beklagte hat in der
von ihr verlegten Tageszeitung "Bild" auf der Titelseite der Ausgabe vom 22.
September 2000 sowie auf Seite 4 über ein Interview mit dem bekannten
Unterhaltungskünstler Udo Jürgens in dem Magazin "Playboy" berichtet, in dem
dieser über sein Verhältnis zu Frauen und insbesondere zur Klägerin befragt
worden war. Der Artikel wies in großer Schrift die Schlagzeile auf:
"Udo Jürgens
Im Bett mit
Caroline?“
Darunter etwas kleiner im
Untertitel:
„In einem
Playboy-Interview antwortet er eindeutig zweideutig."
Auf Abmahnung der
Klägerin gab die Beklagte am 6. Oktober 2002 eine strafbewehrte
Unterlassungserklärung ab, verweigerte aber eine mit Schreiben vom 6. März
2001 begehrte Richtigstellung.
Die Klägerin hat Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten, eine immaterielle
Entschädigung von 50.000 DM sowie Veröffentlichung einer Richtigstellung
begehrt.
Das Landgericht hat nach einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von Udo
Jürgens über die Frage, ob die Klägerin ein sexuelles Verhältnis mit ihm
gehabt habe, die Beklagte zum Ersatz der Abmahnkosten, zu einer
immateriellen Entschädigung von 10.000 € sowie zur Veröffentlichung der
begehrten Richtigstellung verurteilt. Das Berufungsgericht hat auf die
Berufung der Beklagten den Wortlaut der begehrten Richtigstellung
geringfügig geändert und auf die Anschlußberufung der Klägerin die Beklagte
zu einer immateriellen Entschädigung von 20.000 € verurteilt.
Mit der vom Oberlandesgericht hinsichtlich des Richtigstellungsanspruchs
zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel einer Abweisung der
Klage weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht
hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, der
Klägerin stehe gegen die Beklagte wegen der Veröffentlichung auf dem
Titelblatt der Bild-Zeitung vom 22. September 2000 der zuletzt geltend
gemachte Richtigstellungsanspruch zu (§§ 823, 1004 BGB in Verbindung mit
Artt. 1, 2 GG). Bei der Veröffentlichung handle es sich nicht um eine echte,
den Lesern die Auswahl zwischen mehreren möglichen Antworten belassende
Frage. Vielmehr werde einer Vielzahl von Lesern der Eindruck vermittelt, daß
Udo Jürgens mit der Klägerin intim gewesen sei. Ausreichend sei, daß eine
nicht unbedeutende Zahl der unbefangenen Durchschnittsleser der Bildzeitung
die Passage auf dem Titelblatt in diesem Sinne verstehe. Dieser nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme unrichtige Eindruck beziehe sich auf den Bereich
der Intimsphäre und beeinträchtige das allgemeine Persönlichkeitsrecht der
Klägerin nachhaltig. Eine Richtigstellung sei daher geboten.
Es sei nicht erforderlich, daß durch die Veröffentlichung ein zwingender
Eindruck erweckt werde. Das Verlangen auf Richtigstellung beeinträchtige die
durch Art. 5 GG geschützte Pressefreiheit weniger schwerwiegend als ein
Unterlassungsverlangen. Ein Anspruch auf Folgenbeseitigung könne schon dann
zuzusprechen sein, wenn eine das allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffende
Behauptung nicht rechtswidrig sei.
Die Richtigstellung sei
zur Beseitigung der fortwirkenden Beeinträchtigung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Klägerin auch erforderlich. Die seit der
Veröffentlichung vergangene Zeit genüge nicht, um der reißerischen
Aufmachung der beanstandeten und mit Fotos der Klägerin und von Udo Jürgens
illustrierten Passage die verletzende Wirkung zu nehmen.
II. Das angefochtene
Urteil hält den Angriffen der Revision stand.
Die Revision ist nach
Zulassung durch das Berufungsgericht gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft,
jedoch wirksam beschränkt auf den Anspruch auf Richtigstellung als einen
tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes, über
den gesondert hätte entschieden werden können (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli
2003 - IX ZR 268/02 - NJW 2003, 3134 m.w.N., zur Veröffentlichung in BGHZ
bestimmt).
Die Revision ist auch im übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat der Klägerin die begehrte Richtigstellung ohne
Rechtsfehler aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB zuerkannt.
1. Vergeblich macht die Revision geltend, die Äußerung sei einer
Richtigstellung nicht zugänglich, weil es sich um eine "echte" Frage handle,
die den Lesern die Auswahl zwischen mehreren möglichen Antworten belasse,
weil sie offenlasse, ob es zwischen Udo Jürgens und der Klägerin zu
Intimitäten gekommen sei.
Zwar kann eine Richtigstellung nicht wegen einer Frage verlangt werden.
Erforderlich ist jedenfalls eine Äußerung mit so viel tatsächlichem Gehalt,
daß dieser einer Richtigstellung zugänglich ist. Das Berufungsgericht hat
jedoch die Äußerung nicht als Frage verstanden, sondern als „Vermittlung
eines tatsächlichen Eindrucks“, den es allerdings im Gegensatz zum
Landgericht nicht für zwingend hält. Ob es den Aussagegehalt des
beanstandeten Fragesatzes zutreffend gewürdigt hat, unterliegt der
revisionsrechtlichen Nachprüfung (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 1999 -
VI ZR 322/98 - aaO).
a) Das Berufungsgericht legt den Fragesatz unter Einbeziehung des
sprachlichen Zusammenhangs mit dem nachfolgenden Untertitel aus "In einem
Playboy-Interview antwortet er eindeutig zweideutig". Die Revision meint,
der Untertitel dürfe bei der Ermittlung des Aussagegehalts nicht
berücksichtigt werden. Damit setzt sie sich in Widerspruch zur
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach stets der
Gesamtzusammenhang, in dem die Äußerung steht, zu berücksichtigen ist, was
auch für Fragen gilt (vgl. BVerfG NJW 1992, 1442, 1443 f.; NJW 2003, 660,
661; vgl. auch Senatsurteile BGHZ 139, 95, 102 und vom 30. Mai 2000 - VI ZR
276/99 - aaO - jeweils m.w.N.).
Nach den vom Bundesverfassungsgericht (NJW 1992, 1442, 1443 f.) entwickelten
Grundsätzen zur Beurteilung von Äußerungen, die in Frageform gekleidet sind,
unterscheiden sich Fragen von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen
dadurch, daß sie keine Aussage machen, sondern eine Aussage herbeiführen
wollen. Sie sind auf eine Antwort gerichtet. Diese kann in einem Werturteil
oder einer Tatsachenmitteilung bestehen. Dagegen lassen sich Fragen keinem
der beiden Begriffe zuordnen, sondern haben eine eigene semantische
Bedeutung. Zu beachten ist, daß nicht jeder in Frageform gekleidete Satz als
Frage zu betrachten ist. Insofern ist zwischen Fragen und Fragesätzen zu
unterscheiden. Ist ein Fragesatz nicht auf eine Antwort durch einen Dritten
gerichtet oder nicht für verschiedene Antworten offen, so handelt es sich
ungeachtet der geläufigen Bezeichnung als „rhetorische Frage“ tatsächlich
nicht um eine Frage. Fragesätze oder Teile davon, die nicht zur
Herbeiführung einer - inhaltlich noch nicht feststehenden - Antwort geäußert
werden, bilden vielmehr Aussagen, die sich entweder als Werturteil oder als
Tatsachenbehauptung darstellen und rechtlich wie solche zu behandeln sind.
Die Unterscheidung zwischen echten und rhetorischen Fragen kann
Schwierigkeiten bereiten, weil die sprachliche Form allein keine
zuverlässigen Schlüsse erlaubt. Die Zuordnung muß daher gegebenenfalls mit
Hilfe von Kontext und Umständen der Äußerung erfolgen. Ist ein Fragesatz
mehreren Deutungen zugänglich, müssen beide Deutungen erwogen werden und das
Gericht muß seine Wahl begründen.
b) Das Berufungsgericht
hat sich zu Recht gegen die Deutung der Äußerung als echte Frage
entschieden. Nur bei vordergründiger Betrachtungsweise kann der erste in
Form eines Fragesatzes gekleidete Teil der beanstandeten Äußerung als
Alternativfrage verstanden werden, die mit „ja“, „nein“ oder „vielleicht“
beantwortet werden könnte. Zutreffend hat das Berufungsgericht für die
Ermittlung des Aussagegehalts auch den zweiten Teil der Äußerung
berücksichtigt, wonach Udo Jürgens sich hierzu „eindeutig zweideutig“
geäußert habe.
Durch diese Formulierung wird die im ersten Teil der Äußerung scheinbar
aufgeworfene Alternativfrage affirmativ beantwortet und dem Leser
suggeriert, daß die bejahende Alternative vorrangig in Betracht komme. Bei
diesem Verständnis ist die beanstandete Äußerung nicht als Frage, sondern
als Tatsachenbehauptung anzusehen.
Erfolglos verweist die Revision auf den Grundsatz, daß bei mehreren, sich
nicht gegenseitig ausschließenden Deutungen des Inhalts einer Äußerung
diejenige der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist, die dem in
Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt
(vgl. BVerfGE 85, 23, 32 ff.; Senatsurteile BGHZ 139, 95, 103 f.; vom 25.
November 2003 – VI ZR 226/02 – z.V.b.). Er kann hier jedoch nicht Platz
greifen. Es geht nämlich nicht darum, ob die Äußerung mehreren Deutungen
zugänglich ist, sondern ob das Berufungsgericht sie zu Recht nicht als
(„echte“) Frage gewertet hat.
2. Soweit das
Berufungsgericht die Äußerung als „Vermittlung eines tatsächlichen
Eindrucks“ bezeichnet, ist damit keine weitere Kategorie gegenüber den
Begriffen „Werturteil“ und „Tatsachenbehauptung“ angesprochen. Vielmehr hat
das Berufungsgericht die beanstandete Äußerung zutreffend als Äußerung mit
einem tatsächlichen Substrat (vgl. BVerfGE 66, 116, 150) gewertet, nämlich
einer intimen Beziehung der Klägerin zu Udo Jürgens in der Vergangenheit,
und sie damit der Sache nach als Tatsachenbehauptung behandelt. Dieser
Wertung entspricht auch, daß das Landgericht über die Wahrheit dieser
Tatsachenbehauptung Beweis erhoben hat - mit negativem Ergebnis. Daß die
betreffende Tatsache wahr sei, wird auch von der Revision nicht geltend
gemacht.
Bei dieser Sachlage kann es nicht darauf ankommen, ob der durch die Äußerung
vermittelte Eindruck „zwingend“ ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß die
beanstandete Veröffentlichung dem Leser einen unzutreffenden Eindruck von
Verhältnissen in der Privatsphäre der Klägerin vermittelt. Dieser steht
deshalb der geltend gemachte Richtigstellungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1,
1004 Abs. 1 BGB zu (vgl. Senat BGHZ 31, 308, 318; 128, 1, 10 ff.;
Senatsurteil vom 22. Juni 1982 - VI ZR 251/80 – NJW 1982, 2246, 2248 m.w.N.)
3. Der Anspruch der
Klägerin auf Richtigstellung scheitert nicht an einer durch Zeitablauf
eingetretenen "Deaktualisierung". Der erheblichen Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts der Klägerin kann die Revision nicht mit Erfolg
entgegenhalten, daß seit der Veröffentlichung mehr als drei Jahre vergangen
sind. Dieser Zeitraum reicht unter den hier gegebenen Umständen nicht aus,
um den unwahren Behauptungen der Beklagten, mit denen sie in einer
auflagenstarken Zeitung in die Intimsphäre der Klägerin eingegriffen hat,
die ehrverletzende Wirkung zu nehmen. Die Meldung entbehrte nach ihrem
Inhalt eines aktuellen Bezugs; sie berichtete über die Zeit, in der Udo
Jürgens 41 Jahre alt war; die Klägerin war damals "18 oder 19 Jahre alt".
Die Veröffentlichung auf der Titelseite der "Bildzeitung" stellt eine
erhebliche Beeinträchtigung der Klägerin dar. Der in der Veröffentlichung
liegende Eingriff in die Intimsphäre war angesichts des gerichtsbekannten
Verbreitungsgrades der Bildzeitung (vgl. Senatsurteil vom 15. November 1994
- VI ZR 56/94 - NJW 1995, 861, 863, insoweit nicht in BGHZ 128, 1 ff.) so
intensiv, daß auch die von der Veröffentlichung bis zur Klageerhebung
abgelaufene Zeit von sieben Monaten nicht ausreicht, um den unwahren
Behauptungen ihre die Klägerin verletzende Wirkung zu nehmen. Eine
Beseitigung dieser Rechtsverletzung ist nach wie vor geboten.
Die Richtigstellung in der ausgeurteilten Form erweckt – entgegen der
Ansicht der Revision – beim unvoreingenommenen Leser der Bildzeitung auch
nicht den Eindruck, "an der Sache sei vielleicht doch etwas dran".
Soweit die Revision die Sorge äußert, durch die Richtigstellung werde die
das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzende Äußerung wieder
ins Gedächtnis der Leser gerufen, ist das ein Risiko, das die Beklagte der
Klägerin zu überlassen hat, welche die Richtigstellung wünscht. Der Anspruch
auf Richtigstellung wird dadurch jedenfalls nicht ausgeschlossen.
III. Nach allem ist die
Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
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